TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/19 Ra 2020/14/0364

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Veröffentlicht am 19.10.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AsylG 2005 §24 Abs1 Z3
AVG §18 Abs2
AVG §18 Abs4
AVG §56
AVG §58 Abs3
AVG §62
AVG §62 Abs2
AVG §62 Abs3
AVG §67g idF 1995/471
BFA-VG 2014 §10 Abs6
BFA-VG 2014 §34 Abs4
BFA-VG 2014 §34 Abs5
BFA-VG 2014 §49
BFA-VG 2014 §52
BFA-VG 2014 §52 Abs2
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §45 Abs2
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Schindler, den Hofrat Dr. Himberger sowie die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2020,1. L525 1417640-6/6E, 2. L525 1417639-6/10E, 3. L525 1417641-6/5E, 4. L525 2006138-3/5E, 5. L525 2227148-2/5E und 6. L525 2195964-3/5E, betreffend Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. A B, 2. C D, 3. E F, 4. G H, 5. I J, und 6. K L, alle in X Y), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        Die mitbeteiligten Parteien sind armenische Staatsangehörige. Der Erst- und die Sechstmitbeteiligte sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen weiteren Mitbeteiligten. Nach - teils bereits mehrfachen - erfolglosen Anträgen auf internationalen Schutz stellten die mitbeteiligten Parteien am 27. Februar 2020 jeweils Folgeanträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht und nunmehriger Amtsrevisionswerber - lud den Erst- und die Sechstmitbeteiligte am 3. März 2020 zur niederschriftlichen Einvernahme am 6. März 2020, zu welcher diese nach Übernahme der Ladung auch erschienen.

3        Mit Ladung vom 3. Juni 2020 lud das BFA den Erst- und die Sechstmitbeteiligte zu einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme für den 12. Juni 2020. Der Erst- und die Sechstmitbeteiligte verweigerten die Unterschrift auf der Übernahmebestätigung dieser Ladung und erschienen auch nicht zur Einvernahme.

4        Am vorgesehenen Termin am 12. Juni 2020 waren neben dem Referenten des BFA eine Rechtsberaterin und eine Dolmetscherin anwesend. Bei dieser Gelegenheit verkündete der Referent des BFA Bescheide, mit denen der faktische Abschiebeschutz der mitbeteiligten Parteien jeweils gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde.

5        Über diesen Vorgang wurde jeweils eine Niederschrift aufgenommen, vom Referenten des BFA als Leiter der Amtshandlung, der Dolmetscherin sowie der Rechtsberaterin unterschrieben und den mitbeteiligten Parteien zugestellt, wobei diese wiederum die Übernahme verweigerten.

6        Daraufhin legte das BFA die Verwaltungsakten nach § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-Verfahrensgesetz vor.

7        Mit den angefochtenen Beschlüssen wies das BVwG die „als Bescheide intendierten Beschwerdevorlagen“ jeweils als unzulässig zurück und erklärte eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils für nicht zulässig.

8        Begründend führte das BVwG aus, dass es dem BFA mangels Anwesenheit der Mitbeteiligten nicht möglich gewesen sei, diesen gegenüber rechtswirksam mündlich einen Bescheid zu erlassen, sodass diese „Bescheide“ keine Außenwirkung und folglich auch keine Bescheidwirkung haben entfalten können. Die anwesende Rechtsberaterin sei nicht als Vertreterin der mitbeteiligten Parteien anzusehen gewesen, weil dieser gegenüber kein aufrechtes Vertretungsverhältnis bestanden habe. Auch der Versuch der Zustellung der Niederschrift vom 12. Juni 2020 könne - als Ausfertigung eines nicht existierenden Bescheides - keine Rechtswirkungen entfalten. Eine schriftliche Bescheiderlassung sei überdies in diesem Verfahren nicht zulässig und wäre daher ebenso unwirksam.

9        Gegen diese Beschlüsse richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des BFA. Zu ihrer Zulässigkeit wird darin vorgebracht, es fehle Rechtsprechung dazu, ob eine Bescheidverkündung nach § 12a Abs. 2 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 auch in Abwesenheit der Parteien wirksam vorgenommen werden könne, wobei nach Ansicht des Revisionswerbers die Rechtsprechung zu § 67g Abs. 1 AVG alte Fassung, § 51h Abs. 4 VStG alte Fassung, § 29 Abs. 1 und § 47 Abs. 4 VwGVG darauf übertragbar sei. Unabhängig davon seien die Bescheide spätestens mit der Zustellung der „schriftlichen Ausfertigungen“ wirksam erlassen worden. Es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob bei Nichtbefolgung von Ladungen eine Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes auch durch schriftlichen Bescheid (bzw. Zustellung der nach § 22 Abs. 10 AsylG 2005 als schriftliche Bescheidausfertigung geltenden Beurkundung nach § 62 Abs. 2 AVG) wirksam erfolgen könne.

10       Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof wurden keine Revisionsbeantwortungen erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11       Die Revision ist zulässig, weil es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Wirkungen der Zustellung einer nach § 22 Abs. 10 AsylG 2005 als schriftliche Bescheidausfertigung geltenden Beurkundung nach einer unwirksamen mündlichen Bescheiderlassung fehlt. Sie ist jedoch nicht begründet.

Rechtslage

12       § 62 AVG in der Fassung der Wiederverlautbarung BGBl. Nr. 51/1991, lautet:

„§ 62. (1) Wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Bescheide sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden.

(2) Der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides ist, wenn die Verkündung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, am Schluß der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden.

(3) Eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides ist den bei der Verkündung nicht anwesenden und jenen Parteien zuzustellen, die spätestens drei Tage nach der Verkündung eine Ausfertigung verlangen; über dieses Recht ist die Partei bei Verkündung des mündlichen Bescheides zu belehren.

...“

13       § 22 Abs. 10 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 24/2016, lautet:

„Entscheidungen

§ 22. ...

(10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.“

Zur mündlichen Erlassung eines Bescheides bei Abwesenheit aller Parteien

14       Die mündliche Erlassung von Bescheiden hat durch förmliche Verkündung ihres Inhalts gegenüber den anwesenden Parteien bzw. ihren gesetzlichen oder dazu bevollmächtigten Vertretern zu erfolgen. Sofern gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, ist die mündliche Verkündung an eine bei der Verkündung nicht anwesende Partei nicht möglich. Vielmehr ist gemäß § 62 Abs. 3 AVG einer bei der Verkündung nicht anwesenden Partei eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides zuzustellen. In Mehrparteienverfahren wird somit die Erlassung des Bescheides gegenüber den anwesenden Parteien - und damit seine Existenz - durch die Abwesenheit einer oder mehrerer Parteien nicht beeinträchtigt. Ein mündlich verkündeter Bescheid ist jedoch nur dann vorhanden, wenn die von der Bescheidform umfasste Willensentschließung der Behörde in Gegenwart der Parteien verkündet und niederschriftlich beurkundet worden ist. Ist daher bei der mündlichen Verkündung keine Partei anwesend, wird der Bescheid mangels ordnungsgemäßer Erlassung iSd § 62 AVG wenigstens einer Partei gegenüber rechtlich nicht existent (zu all dem eingehend VwGH 7.9.2020, Ro 2020/01/0007, mwN, ebenso zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2, § 22 Abs. 10 AsylG 2005).

15       Das BVwG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die am 12. Juni 2020 anwesende Rechtsberaterin (nach § 49 BFA-VG, § 29 Abs. 4 und 5 AsylG 2005 jeweils idF vor dem BBU-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 53/2019) mangels eines besonders begründeten Vertretungsverhältnisses keine gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreterin der mitbeteiligten Parteien war, sodass auch ihre Anwesenheit nicht eine wirksame Bescheiderlassung ermöglicht hat.

16       Ein Rechtsberater im Sinne der §§ 49ff BFA-VG wird nicht bereits durch dessen - allenfalls auch verpflichtend vorgesehene - Beigebung zu einem Vertreter des Asylwerbers (vgl. ErläutRV zu § 65 AsylG 2005, 952 BlgNR 22. GP 74: „weder als Parteienvertreter noch als Behördenvertreter“; VwGH 30.5.2017, Ra 2017/19/0113: kein „Vertretungsverhältnis sui generis“). Die Annahme eines solchen Vertretungsverhältnisses bedarf entweder einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage (etwa § 10 Abs. 6 BFA-VG in Bezug auf bestimmte unmündige Minderjährige) oder einer gesonderten Vollmachtserteilung durch den Asylwerber. Selbst die Regelung des § 52 Abs. 2 BFA-VG, wonach Rechtsberater einen Fremden oder Asylwerber auf dessen Ersuchen im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten haben, begründet lediglich eine Pflicht des Rechtsberaters. Für die Zurechenbarkeit seines Handelns an die Prozesspartei bedarf es auch in dieser Konstellation - wie allgemein in Fällen der Vertretung durch einen gewillkürten Vertreter - einer die Vertretung deckenden Erklärung (vgl. erneut VwGH 30.5.2017, Ra 2017/19/0113, mwN).

17       Der Revisionswerber bringt vor, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 67g Abs. 1 AVG alte Fassung (betreffend Berufungsentscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate), § 51h Abs. 4 VStG alte Fassung (betreffend Berufungsentscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate in Verwaltungsstrafsachen), § 29 Abs. 1 VwGVG (betreffend Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte) und § 47 Abs. 4 VwGVG (betreffend Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte in Verwaltungsstrafsachen) die Abwesenheit der Parteien die Wirksamkeit einer mündlich erlassenen Entscheidung nicht hindert. Diese Judikatur sei in Anbetracht der in § 22 Abs. 10 AsylG 2005 - wie auch in den genannten Bestimmungen - normierten Verpflichtung zur mündlichen Bescheiderlassung auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar.

18       Eine unmittelbare Anwendbarkeit dieser Bestimmungen auf eine Bescheiderlassung durch das BFA scheidet schon deshalb aus, weil sie entweder bereits außer Kraft getreten sind oder die Erlassung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte betreffen.

19       Außerdem enthält § 45 Abs. 2 VwGVG für das Verfahren der Verwaltungsgerichte in Verwaltungsstrafsachen - wie auch § 67g Abs. 1 AVG und § 51f Abs. 2 VStG in ihrer zuletzt bis 31. Dezember 2013 gültigen Fassung - die ausdrückliche Anordnung, dass das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung die Fällung des Erkenntnisses nicht hindert. Für das behördliche Verfahren nach dem AVG im Allgemeinen und jenes zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2, § 22 Abs. 10 AsylG 2005 im Besonderen besteht eine solche Regelung jedoch nicht.

20       Der Revisionswerber weist zwar zutreffend darauf hin, dass es auch § 29 VwGVG (betreffend Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte) an einer solchen ausdrücklichen Regelung fehlt. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hindert die Abwesenheit der Parteien dennoch nicht die wirksame Verkündung eines Erkenntnisses, weil diesbezüglich die Rechtsprechung zu § 67g AVG, der eine solche Anordnung in der Fassung BGBl. Nr. 471/1995 ebenso (noch) nicht vorsah, zu übertragen sei (VwGH 14.9.2016, Fr 2016/18/0015). Diese Rechtsprechung begründete die Möglichkeit (und damit Wirksamkeit) der Verkündung von Bescheiden der unabhängigen Verwaltungssenate (auch außerhalb von Verwaltungsstrafverfahren) jedoch mit dem Grundsatz der öffentlichen Verkündung von Bescheiden im Verfahren vor einem unabhängigen Verwaltungssenat (VwGH 28.2.1997, 96/02/0431; vgl. auch Hengstschläger/Leeb [2007], AVG § 67g Rz 20, mit dem Hinweis darauf, dass die Rechtslage nach § 62 AVG für erstinstanzliche Bescheide eine andere sei).

21       Auch wenn der Gesetzgeber in der verfahrensrechtlichen Sonderbestimmung des § 22 Abs. 10 erster Satz AsylG 2005 (nur) die mündliche Erlassung eines Bescheides nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 vorsieht, besteht im Hinblick darauf, dass die Verkündung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte (wie zuvor jene von Bescheiden der unabhängigen Verwaltungssenate) in grundsätzlich öffentlicher mündlicher Verhandlung erfolgt, keine Grundlage dafür, die Judikatur zur Wirksamkeit dieser Verkündung (auch) in Abwesenheit aller Parteien auf eine Bescheidverkündung nach § 62 Abs. 2 AVG zu übertragen und insofern von der dazu bestehenden Judikatur (zuletzt VwGH 7.9.2020, Ro 2020/01/0007, unter Hinweis auf VwGH 20.2.1997, 96/07/0204, mwN) abzugehen.

22       Der Revisionswerber befürchtet, dass ein Asylwerber die Erlassung eines Bescheides zur Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vereiteln könnte, wenn diese von seiner Anwesenheit abhängig wäre, weil nach Ansicht des Revisionswerbers auch eine zwangsweise Vorführung in Vollstreckung eines Ladungsbescheides nicht die Erzwingung der dauernden Anwesenheit der Partei ermögliche.

23       Dazu genügt der Hinweis darauf, dass das BFA nach § 34 Abs. 4 BFA-VG die Festnahme eines Asylwerbers anordnen kann, wenn dieser sich dem Verfahren entzogen hat, und ein solcher Fall nach § 24 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 vorliegt, wenn ein Asylwerber trotz Aufforderung zu den ihm vom BFA im Zulassungsverfahren gesetzten Terminen „nicht kommt“. Die auf einen solchen Festnahmeauftrag gegründete Anhaltung darf 72 Stunden nicht übersteigen und ist nach Durchführung der erforderlichen Verfahrenshandlungen zu beenden (§ 34 Abs. 5 BFA-VG).

24       Im vorliegenden Verfahren erfolgte somit durch die „Verkündungen“ am 12. Juni 2020 mangels Anwesenheit einer Partei (oder ihrer gewillkürten Vertretung) keine wirksame Erlassung von Bescheiden.

Zur schriftlichen Bescheiderlassung durch Zustellung der Niederschrift

25       Der Revisionswerber bringt weiters vor, dass (spätestens) durch die Zustellung der Niederschriften über die Amtshandlungen vom 12. Juni 2020 an die mitbeteiligten Parteien die betreffenden Bescheide (schriftlich) erlassen worden und damit rechtlich existent geworden seien. Er begründet dies damit, dass nach § 22 Abs. 10 zweiter Satz AsylG 2005 die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG, welche in der Niederschrift erfolgt sei, auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG gelte, und diese Niederschrift sämtliche Bescheidmerkmale - Behördenbezeichnung, Spruch, Begründung, Rechtsmittelbelehrung, Unterzeichnung durch einen approbationsbefugten Referenten des BFA - enthalte.

26       Bei der Anordnung, wonach die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG gilt, handelt es sich um eine abweichende Regelung dazu, dass die Übermittlung einer Kopie der Niederschrift über die mündliche Verkündung eines Bescheides mangels der Erfüllung der Voraussetzungen des § 58 Abs. 3 in Verbindung mit § 18 Abs. 4 AVG keine schriftliche Ausfertigung dieses Bescheides darstellt (vgl. VwGH 21.1.1997, 93/09/0048, mwN). Sie ermöglicht der Behörde damit, dem Verlangen einer bei der Bescheidverkündung anwesenden Partei nach § 62 Abs. 3 AVG auf Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung durch die Ausfolgung oder Übersendung einer Abschrift der betreffenden Niederschrift zu entsprechen.

27       Dies ändert aber für den vorliegenden Fall nichts daran, dass in der Niederschrift vom 12. Juni 2020 lediglich eine unwirksame Bescheidverkündung beurkundet wurde. Insofern liegt tatsächlich keine „Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG“ vor, sodass auch die gesetzliche Fiktion des § 22 Abs. 10 zweiter Satz AsylG 2005 diese Niederschrift nicht zu einem (schriftlichen) Bescheid macht. Auch setzt das Vorliegen einer „schriftlichen Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG“ voraus, dass (zuvor) ein Bescheid wirksam mündlich erlassen wurde.

28       Für die Qualifikation eines Aktes als Bescheid kommt es nach § 18 Abs. 2 AVG auch darauf an, dass diese Erledigung durch einen für die Behörde handlungsbefugten Menschen genehmigt wird, und zwar grundsätzlich durch seine Unterschrift (vgl. VwGH 28.4.2008, 2007/12/0168).

29       Nun trifft es zwar zu, dass die Niederschriften vom 12. Juni 2020 jeweils die Unterschrift des Leiters der Amtshandlung und damit eines (nach dem Revisionsvorbringen) approbationsbefugten Organs der Behörde tragen. Mit diesen Unterschriften wurden aber nur die in den Niederschriften festgehaltenen Vorgänge beurkundet und nicht die Erlassung von Bescheiden verfügt. Ginge man - wie der Revisionswerber - davon aus, dass nach der unwirksamen und insofern fehlgeschlagenen mündlichen Bescheiderlassung der Bescheid in Gestalt der Niederschrift schriftlich erlassen werden soll, wäre dafür daher eine gesonderte Genehmigung dieses - von der fehlgeschlagenen mündlichen Bescheiderlassung zu unterscheidenden - Hoheitsaktes zu fordern. Eine solche kann nicht in der bloßen Verfügung der Zustellung der Niederschriften an die Parteien erblickt werden, wobei den vorgelegten Verwaltungsakten auch nicht entnommen werden kann, wie und von wem diese verfügt wurde.

30       Somit erfolgte im vorliegenden Verfahren auch durch die Zustellung der Niederschriften vom 12. Juni 2020 an die mitbeteiligten Parteien keine wirksame Erlassung von Bescheiden.

31       Bei diesem Ergebnis kommt es auf die im Zulassungsvorbringen aufgeworfene Frage, ob bei Nichtbefolgung von Ladungen eine Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes auch durch schriftlichen Bescheid wirksam erfolgen könne, somit nicht an. Damit liegt eine bloß abstrakte Rechtsfrage vor, zu deren Lösung der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Behandlung einer Revision nicht berufen ist (vgl. etwa VwGH 10.9.2020, Ra 2019/14/0614, mwN).

32       Das BVwG hat somit die nach § 22 Abs. 10 vierter Satz AsylG 2005 als Beschwerden geltenden Aktenvorlagen zutreffend auf Grund des Nichtvorliegens von Bescheiden und damit des Fehlens tauglicher Anfechtungsgegenstände zurückgewiesen.

33       Die Amtsrevision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 19. Oktober 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140364.L00

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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