TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/3 Ra 2020/10/0076

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Veröffentlicht am 03.11.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3R E03070000
E3R E13301400
E3R E15203000
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
82/05 Lebensmittelrecht

Norm

EURallg
LMSVG 2006 Anl
LMSVG 2006 §5 Abs1 Z1
LMSVG 2006 §5 Abs5 Z2
LMSVG 2006 §90 Abs1 Z1
VStG §44a Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
32002R0178 Lebensmittelsicherheit
32002R0178 Lebensmittelsicherheit Art14
32002R0178 Lebensmittelsicherheit Art14 Abs2
32002R0178 Lebensmittelsicherheit Art14 Abs5
32008R1333 Lebensmittelzusatzstoffe AnhII

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tscheließnig, über die Revision des M K in G, vertreten durch Dr. Georg Prantl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franziskanerplatz 5/2/15a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 12. März 2020, Zl. LVwG-S-1642/001-2019, betreffend Übertretung des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mödling), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Spruchpunktes 1. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1        1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 12. März 2020 legte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (unter Spruchpunkt 1.) dem Revisionswerber - durch Abweisung dessen Beschwerde gegen Spruchpunkt 1. eines Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 21. Mai 2019 - zur Last, er sei als handelsrechtlicher Geschäftsführer der P. GmbH dafür verantwortlich, dass am 24. Juli 2017 das Lebensmittel mit der Bezeichnung „JEM POINTED DAISIES - Spitzen Gänseblümchen gemischt - handcrafted - Dekorzuckerblumen“ in Verkehr gesetzt worden sei, wobei das Lebensmittel hinsichtlich darin enthaltener Farbstoffe bestimmte Höchstmengenbeschränkungen für Lebensmittelzusatzstoffe iSd Anhanges II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe (zum Teil signifikant) überschritten habe, weshalb die „bestimmungsgemäße Verwendbarkeit des Lebensmittels nicht gewährleistet“ gewesen sei; die Probe sei daher nach § 5 Abs. 5 Z 2 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz - LMSVG als „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“ und deshalb als nicht sicher zu beurteilen gewesen und sei daher dem Verbot des Inverkehrbringens gemäß § 5 Abs. 1 Z 1 LMSVG unterlegen.

2        Dadurch habe der Revisionswerber „§ 5 Abs. 1 Z. 1, § 5 Abs. 5 Z. 2, § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG“ übertreten, weshalb über ihn eine Geldstrafe von € 400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Stunden) verhängt wurde.

3        Die Revision gegen dieses Erkenntnis wurde nicht zugelassen.

4        Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht - soweit für die vorliegende Revisionsentscheidung von Belang - im Wesentlichen aus, das Etikett des gegenständlichen Lebensmittels habe u.a. den Satz „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“ enthalten.

5        Die Frage, wann die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit eines Lebensmittels nicht mehr gewährleistet sei, sei unter Heranziehung des Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (EG-BasisVO) zu beantworten; der in diesem Zusammenhang maßgeblichen „berechtigten Verbrauchererwartung“ widerspreche es, wenn in essbaren Dekorzuckerblumen synthetische Farbstoffe, „die die Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen können“, in einer derart hohen Konzentration vorhanden seien, dass die in der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe festgelegten Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten würden. Damit sei die „bestimmungsgemäße Verwendbarkeit dieser Dekorzuckerblumen nicht gewährleistet“.

6        2. Gegen diese Bestrafung nach § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7        Die belangte Behörde hat mit Schreiben vom 27. Juli 2020 mitgeteilt, dass von einer Revisionsbeantwortung abgesehen werde.

II.

8        1. Für den vorliegenden Revisionsfall sind folgende Bestimmungen in den Blick zu nehmen:

9        Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz - LMSVG (BGBl. I Nr. 13/2006 idF BGBl. I Nr. 51/2017):

Lebensmittel

Allgemeine Anforderungen

§ 5. (1) Es ist verboten, Lebensmittel, die

1.   nicht sicher gemäß Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sind, d.h. gesundheitsschädlich oder für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind, oder

[...]

     in Verkehr zu bringen.

[...]

(5) Lebensmittel sind

1.    [...]

2.    für den menschlichen Verzehr ungeeignet, wenn die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist;

[...]

Verwaltungsstrafbestimmungen

Tatbestände

§ 90. (1) Wer

1.   Lebensmittel, die für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder mit irreführenden oder krankheitsbezogenen Angaben versehen sind, oder in irreführender oder krankheitsbezogener Aufmachung,

[...]

in Verkehr bringt, begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 50 000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 100 000 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen. [...]

(3) Wer

1.   den in der Anlage genannten unmittelbar anwendbaren Rechtsakten der Europäischen Union samt Änderungsrechtsakten, delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten oder den näheren Vorschriften zur Durchführung dieser Rechtsakte gemäß § 4 Abs. 3 oder § 15 zuwiderhandelt,

[...]

begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 50 000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 100 000 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.

[...]

Anlage

Verordnungen der Europäischen Union gemäß § 4 Abs. 1

Teil 1

[...]

22. Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe (ABl. Nr. L 354 vom 31. Dezember 2008 in der Fassung der Berichtigung ABl. Nr. L 105 vom 27. April 2010), soweit diese nicht im Rahmen des Weingesetzes 2009 zu vollziehen ist;

[...]“

10       Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 über die Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (EG-BasisVO):

„Artikel 14

Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit

(1) Lebensmittel, die nicht sicher sind, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden.

(2) Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie

a)   gesundheitsschädlich sind,

b)   für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.

[...]

(5) Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, ist zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwendungszweck nicht für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist.

[...]“

11       2. In den Zulässigkeitsausführungen seiner außerordentlichen Revision bringt der Revisionswerber (u.a.) vor, die in dem vom Verwaltungsgericht bestätigten Straferkenntnis angewendete Strafnorm (§ 90 Abs. 1 Z 1 LMSVG) stimme nicht mit dem konkreten Tatvorwurf überein; ein allfälliges Zuwiderhandeln gegen die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 falle unter die vom Verwaltungsgericht nicht herangezogene Strafnorm des § 90 Abs. 3 LMSVG.

12       Das Verwaltungsgericht habe jedoch demgegenüber die Strafbestimmung des § 90 Abs. 1 Z 1 LMSVG angewendet, weil ein Lebensmittel iSd § 5 Abs. 5 Z 2 LMSVG in Verkehr gebracht worden und dies gemäß § 5 Abs. 1 Z 1 LMSVG verboten sei. Gegen das Verbot des § 5 Abs. 1 Z 1 LMSVG verstoße, wer Lebensmittel in Verkehr bringe, die nicht sicher gemäß Art. 14 EG-BasisVO seien. Feststellungen iS des Art. 14 EG-BasisVO, weshalb das Lebensmittel nicht sicher sei, fehlten jedoch.

13       3. Mit Blick auf dieses Vorbringen ist die Revision zulässig. Sie erweist sich im Ergebnis auch als berechtigt.

14       3.1. Der Revisionswerber wurde vom Verwaltungsgericht - insoweit in Bestätigung des Straferkenntnisses der belangten Behörde - nach § 90 Abs. 1 Z 1 LMSVG bestraft, weil dieser nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes ein „für den menschlichen Verzehr ungeeignetes“ Lebensmittel entgegen dem Verbot des § 5 Abs. 1 Z 1 LMSVG in den Verkehr gebracht habe. Dieser Auffassung entspricht die Nennung von § 5 Abs. 1 Z 1 und Abs. 5 Z 2 LMSVG als Übertretungsnormen.

15       § 5 Abs. 1 Z 1 LMSVG untersagt das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, welche „nicht sicher“ gemäß Art. 14 EG-BasisVO sind, somit entweder „gesundheitsschädlich“ oder „für den menschlichen Verzehr ungeeignet“ (vgl. Art. 14 Abs. 2 EG-BasisVO).

16       Die vom Verwaltungsgericht angenommene mangelnde Eignung für den menschlichen Verzehr des Lebensmittels liegt gemäß § 5 Abs. 5 Z 2 LMSVG dann vor, wenn die „bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist“. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel „für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet“ ist, ist zufolge Art. 14 Abs. 5 EG-BasisVO „zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwendungszweck nicht für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist“.

17       Daraus erhellt, dass das - eine Voraussetzung einer Bestrafung nach § 90 Abs. 1 Z 1 erste Alt. LMSVG darstellende - Tatbestandsmerkmal der mangelnden Eignung eines Lebensmittels für den menschlichen Verzehr auf eine schwer wiegende (etwa durch Verunreinigung oder durch chemische Zersetzungsprozesse verursachte) Beeinträchtigung des Lebensmittels mit Blick auf dessen beabsichtigten Verwendungszweck abstellt.

18       3.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es gemäß § 44a Z 1 VStG rechtlich geboten, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, dass die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird und die Identität der Tat unverwechselbar feststeht (vgl. etwa VwGH 12.2.2021, Ra 2020/04/0034, mwN).

19       Es bedarf daher zufolge § 44a Z 1 VStG bereits im Spruch der Anführung aller wesentlichen Tatbestandsmerkmale, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens und damit für die Subsumtion der Tat unter die dadurch verletzte Verwaltungsvorschrift erforderlich sind. Wird die Anführung eines wesentlichen Tatbestandselementes im Spruch unterlassen, kann dies auch nicht durch eine entsprechende Begründung ersetzt werden (vgl. etwa VwGH 24.4.2015, 2011/17/0201, 0202, mwN).

20       3.3. Diesem Erfordernis wird der Spruch des mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigten, eine Bestrafung nach § 90 Abs. 1 Z 1 LMSVG aussprechenden Straferkenntnisses, nicht gerecht, welcher sich - mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der mangelnden Eignung des Lebensmittels für den menschlichen Verzehr (vgl. dazu oben Rz 16 und 17) - mit der Tatumschreibung begnügt, den gegenständlichen Dekorzuckerblumen beigefügte Farbstoffe hätten bestimmte Höchstmengenbeschränkungen für Lebensmittelzusatzstoffe iSd Anhanges II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 überschritten.

21       4. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig, weshalb es im Umfang seiner Anfechtung durch die Revision gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

22       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

23       Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 3. November 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Verordnung Strafverfahren EURallg5/2 Mängel im Spruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020100076.L00

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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