RS Vfgh 2021/9/22 E1109/2021

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend eine nigerianische Staatsangehörige; mangelhafte Auseinandersetzung mit einer Stellungnahme der LEFÖ-IBF hinsichtlich der Gefahr, ein Opfer von Menschenhandel zu werden sowie mit den Länderberichten

Rechtssatz

Aus den vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) herangezogenen Länderberichten geht hervor, dass Opfer von Menschenhandel, die nach Nigeria zurückkehren, nicht automatisch einer neuerlichen Verfolgung unterliegen, unter bestimmten Umständen aber die Gefahr eines "Re-Trafficking" besteht. Das Risiko ist abhängig von der individuellen Situation der Betroffenen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere die Höhe der noch offenen "Schulden", ob das Opfer gegen die Täter ausgesagt habe, die Kenntnisse der Täter über die Familie des Opfers, das Alter, der Familienstand, die finanziellen Mittel, das soziale Netzwerk sowie die Involvierung der Familie in den Menschenhandel.

Indem das BVwG bei seiner rechtlichen Beurteilung davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin (in Libyen) Opfer von Menschenhandel wurde, die Asylrelevanz dieser Opfereigenschaft (in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria) hingegen verneint, ohne die individuelle Rückkehrsituation der Beschwerdeführerin anhand der vorstehend genannten Kriterien zu berücksichtigen, ist es ohne nachvollziehbare Begründung vom Inhalt der herangezogenen Länderberichte abgegangen.

Zudem hat der VfGH bereits auf die Bedeutung der Stellungnahme der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels in Verfahren betreffend Opfer von Menschenhandel hingewiesen. Das BVwG verkennt, dass die Darlegung der Fluchtgründe nicht Aufgabe der Opferschutzeinrichtung ist. Da sich das BVwG sohin nicht nachvollziehbar mit der aktenkundigen Stellungnahme von LEFÖ-IBF auseinandergesetzt hat, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E1109.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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