TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/28 Ro 2021/09/0029

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Veröffentlicht am 28.10.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

AVG §13 Abs1
AVG §66 Abs4
EpidemieG 1950 §32
EpidemieG 1950 §33
EpidemieG 1950 §49
VwGG §42 Abs1
VwGG §42 Abs4
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die Revision der A GmbH & Co KG in B, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 16. April 2021, E 199/06/2021.004/002, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Vergütung nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat: „Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 4. Jänner 2021, EU-07-29-387-158, gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos aufgehoben.“

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Eingabe an die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde (Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung) vom 14. August 2020 beantragte die revisionswerbende Partei - ein Energieversorgungsunternehmen mit Sitz in B - Vergütung für den ihr im Zeitraum vom 16. März 2020 bis 30. April 2020 aus ihrer Erwerbstätigkeit in den Gemeinden C, D und E erwachsenen Verdienstentgang gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG).

2        Mit Bescheid vom 4. Jänner 2021 wies die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde den Antrag wegen örtlicher Unzuständigkeit gemäß §§ 32, 36 und 49 EpiG iVm § 3 Z 2 AVG zurück. Begründend führte sie dazu im Wesentlichen aus, dass im gegenständlichen Fall die Behinderung des Erwerbs nicht durch behördliche Maßnahmen nach § 24 EpiG erfolgt sei, sondern auf der Verordnung BGBl. II Nr. 98/2020 beruht habe. Ebenso sei die Behinderung des Erwerbs nicht aufgrund einer sonstigen behördlichen Maßnahme im Sinn des § 32 Abs. 1 Z 1 bis 7 EpiG erfolgt. Deshalb komme hier nicht § 49 EpiG zur Anwendung, sondern sei die Zuständigkeit nach den allgemeinen Regeln des AVG zu beurteilen. Gemäß § 3 Z 2 AVG richte sich die örtliche Zuständigkeit in Sachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer dauernden Tätigkeit beziehen würden, nach dem Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt werde oder werden solle. Dies sei im gegenständlichen Fall Wien.

3        Die von der revisionswerbenden Partei gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für zulässig.

4        Rechtlich führte das Verwaltungsgericht begründend zusammengefasst aus, dass die revisionswerbende Partei ihren Antrag auf das Epidemiegesetz 1950 stütze. Nach den in den §§ 33 und 49 EpiG enthaltenen Zuständigkeitsregeln obliege die Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich die behördlichen Maßnahmen getroffen worden seien, auf denen der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs beruhe. Diese Zuständigkeitsregelung lasse zwei Interpretationsmöglichkeiten zu. Verstehe man den Begriff „getroffen“ in den §§ 33 und 49 EpiG im Sinne von „erlassen“, sei die hier geltend gemachte Verkehrsbeschränkung der Verordnung BGBl. II Nr. 98/2020 vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz erlassen worden. Sitz dieser Behörde sei Wien. In diesem Fall falle die Sachentscheidung über den verfahrenseinleitenden Antrag in die Zuständigkeit des Magistrats der Stadt Wien. Umfasse hingegen die Zuständigkeitsregelung in den §§ 33 und 40 EpiG die Erlassung einer zu einem Verdienstentgang führende behördliche Maßnahme durch den für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister gar nicht, sei diese Regelung der örtlichen Zuständigkeit in einem Materiengesetz unvollständig, sodass § 3 AVG greife. Gemäß Z 2 dieser Bestimmung richte sich die örtliche Zuständigkeit in Sachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen, nach dem Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt werde oder werden solle. Da die revisionswerbende Partei als Unternehmen mit einheitlich organisierter Vertriebstätigkeit von Wien aus geführt werde, wo sich Niederlassung und Unternehmenszentrale, der Standort der Gewerbeberechtigung sowie der nominelle Firmensitz befinde, sei der örtliche Anknüpfungspunkt auch in diesem Fall Wien. Auch bei dieser Betrachtung sei die örtliche Zuständigkeit des Magistrats der Stadt Wien gegeben. Die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags sei daher (im Ergebnis) zu Recht erfolgt.

5        Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der örtlichen Zuständigkeit bei der Entscheidung über Ansprüche auf Vergütung nach § 32 EpiG.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts. Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7        Wie die revisionswerbende Partei in ihren Revisionsausführungen zutreffend aufzeigt, hat der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der örtlichen Zuständigkeit für Anträge auf Vergütung für den Verdienstentgang nach § 32 EpiG bereits judiziert (VwGH 22.4.2021, Ra 2021/09/0005; in diesem Sinn auch VwGH 9.6.2021, Ro 2021/03/0004; 8.7.2021, Ro 2021/03/0006; 1.9.2021, Ra 2021/03/0116 und Ra 2021/03/0117). Von dieser - nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und dem insoweit klaren Wortlaut wich das Landesverwaltungsgericht Burgendland mit seiner Entscheidung ab. Die Revision ist daher zulässig und auch begründet:

8        Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. April 2021, Ra 2021/09/0005, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, bereits ausgeführt hat, ist § 3 AVG nach seinem klaren Wortlaut im Verhältnis zu den in den Verwaltungsvorschriften getroffenen Regelungen bloß subsidiär anzuwenden; § 3 AVG ist daher angesichts der ausdrücklichen Regelung des § 33 EpiG hinsichtlich der Zuständigkeit für Ansprüche nach § 32 EpiG nicht anwendbar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der nach § 32 EpiG geltend gemachte Anspruch zu Recht besteht oder nicht, sondern lediglich darauf, ob ein Anspruch nach dieser Bestimmung behauptet wird.

9        Wird der Vergütungsanspruch vor der belangten Behörde ausdrücklich auf § 32 EpiG gestützt, richtet sich die Zuständigkeit zur Entscheidung darüber somit nach § 33 bzw. § 49 EpiG, mag er auch der Sache nach nicht zu Recht bestehen.

10       Aus den §§ 33 und 49 EpiG ergibt sich klar, dass zur Entscheidung über Ansprüche, die auf § 32 EpiG gestützt werden, jene Bezirksverwaltungsbehörde zuständig ist, in deren Bereich „diese Maßnahmen getroffen wurden“, das heißt, in deren örtlichen Wirkungsbereich die betreffenden Maßnahmen durchgeführt wurden oder ihre Wirkung entfalteten (somit richtet sich die Zuständigkeit nach dem „Wirkungsstatut“). Es kommt dabei weder darauf an, wo der Sitz eines Unternehmens liegt, noch darauf, wo die Behörde, die die betreffende Maßnahme erlassen hat, ihren Sitz hat (vgl. zum Ganzen mit ausführlicher Begründung abermals VwGH 22.4.2021, Ra 2021/09/0005).

11       Im vorliegenden Fall wäre die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde daher zu einer inhaltlichen Entscheidung über den auf § 32 EpiG gestützten Antrag der revisionswerbenden Partei, soweit er die im örtlichen Zuständigkeitsbereich dieser Behörde gelegenen Gemeinden betraf, zuständig gewesen. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und die Zurückweisung des Antrags durch die Behörde bestätigte, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Das Verwaltungsgericht - dem es verwehrt war über die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung hinaus in der Sache selbst zu entscheiden (siehe VwGH 17.12.2019, Ra 2017/04/0141, mwN) - hätte den Zurückweisungsbescheid ersatzlos aufzuheben gehabt. Nach einer solchen Aufhebung ist die Behörde im fortzusetzenden Verfahren zu einer meritorischen Entscheidung über den verfahrenseinleitenden Antrag verpflichtet (vgl. etwa VwGH 6.6.2018, Ra 2017/12/0052).

12       Da somit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, um eine inhaltliche Entscheidung über den verfahrenseinleitenden Antrag zu ermöglichen, zunächst der zurückweisende Bescheid der Behörde zu beheben war, bedurfte es zur Fällung einer Sachentscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren keiner weiteren Ermittlungen. Im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis konnte daher gemäß § 42 Abs. 1 und 4 VwGG in der Sache selbst entschieden und das angefochtene Erkenntnis im Sinn einer Behebung des vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheids abgeändert werden.

13       In dem von der Behörde fortzusetzenden Verfahren wird unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund eine inhaltliche Entscheidung über den verfahrenseinleitenden Antrag zu treffen sein.

14       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021090029.J00

Im RIS seit

24.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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