TE Bvwg Beschluss 2021/7/30 W279 2192435-1

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Veröffentlicht am 30.07.2021
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Entscheidungsdatum

30.07.2021

Norm

AsylG 2005 §20
B-VG Art133 Abs4
VwGG §30 Abs2

Spruch


W279 2192435-1/32E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Dr. Christian EISNER über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. A. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.01.2020, W279 2192435-1/10E, folgenden Beschluss:

A)

I. Der Antrag,

„1. das Bundesverwaltungsgericht möge der Revision gemäß § 30 Abs 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen“,

wird zurückgewiesen.

II. Der Antrag,

„in eventu

2. das Bundesverwaltungsgericht möge eine einstweilige Anordnung nach Unionsrecht für die Gewährung eines vorläufiges Aufenthaltsrechts bis zur Entscheidung über Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der außerordentlichen Revision einräumen,“

wird zurückgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.01.2020, W279 2192435-1/10E, wurde die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 12.03.2018, 1094028707/151734072, als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

2.       Gegen dieses Erkenntnis erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 24.02.2020 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

3.       Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 10.06.2021, E 612/2020-11, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

4.       Am 19.07.2021 stellte der Antragsteller einen Abtretungsantrag gemäß Art 144 Abs 3
B-VG iVm § 87 Abs 3 VfGG an den Verfassungsgerichtshof zwecks nachfolgender außerordentlicher Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

5.       Mit Schriftsatz vom 21.07.2021, beim Bundesverwaltungsgericht am selben Tag mittels elektronischem Rechtsverkehr eingelangt, stellte der Antragsteller folgende Anträge:

„1. das Bundesverwaltungsgericht möge der Revision gemäß § 30 Abs 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen;

in eventu

2. das Bundesverwaltungsgericht möge eine einstweilige Anordnung nach Unionsrecht für die Gewährung eines vorläufiges Aufenthaltsrechts bis zur Entscheidung über Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der außerordentlichen Revision einräumen.“

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die aufschiebende Wirkung vom Antragsteller bis zur Vorlage der Revision jederzeit beim Verwaltungsgericht gemäß § 30 VwGG beantragt werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht habe darüber bis zur Vorlage der Revision zu entscheiden. Laut dem Gesetzeswortlaut spreche nichts dagegen, die aufschiebende Wirkung der Revision bereits nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichthof zu beantragen, um die in diesem Stadium des Verfahrens andernfalls bestehende Rechtsschutzlücke zu schließen. Nur so könne nämlich gewährleistet werden, dass der Antragsteller nicht das Land verlassen müsse, ohne dass über die aufschiebende Wirkung der Revision durch ein Gericht entschieden worden sei.

Mit dem Antrag auf Abtretung der Beschwerde leite der Antragsteller die Überprüfung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vor dem Verwaltungsgerichtshof ein. Die Entscheidung in der Hauptsache sei somit die Entscheidung über die Revision bzw. über einen damit verbundenen Antrag, der Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Bis zu dieser Entscheidung sei eine einstweilige Anordnung zur Sicherung deren Wirksamkeit auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht zu gewähren.

Aufgrund möglicher Bedenken zur Frage, ab wann die aufschiebende Wirkung beim Verwaltungsgericht beantragt werden könne, werde nachstehender

„Antrag

gestellt:

Das Verwaltungsgericht möge

dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorlegen:

Ist § 30 VwGG, wonach das VwG bis zur Vorlage der Revision über die aufschiebende Wirkung auf Antrag zu entscheiden hat, so auszulegen, dass der Antrag bereits vor der Einbringung der Revision gestellt werden kann, sodass das VwG bereits in der Entscheidung in der Sache selbst über die aufschiebende Wirkung der Revision zu entscheiden hat, sodass kein ungeschützter Zeitraum entsteht, in dem die Entscheidung vollstreckt werden könnte, bevor ein Gericht über die aufschiebende Wirkung der Revision entschieden hat, um mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 GRC und/oder nach Art 46 Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl L 180/ 60 vom 29.06.2013, in Verbindung mit Art 47 GRC vereinbar zu sein oder

ob es mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 GRC und/oder nach Art 46 Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl L 180/ 60 vom 29.06.2013, in Verbindung mit Art 47 GRC vereinbar ist, dass die aufschiebende Wirkung gemäß § 30 VwGG erst zugleich mit der Revision selbst, also mit der Einbringung der Revision beim Verwaltungsgericht, beantragt werden kann, wodurch sich ein unwirksamer Zeitraum der Revision zwischen der Entscheidung des VwG und der Einbringung der Revision ergibt.“

6.       Mit Schreiben vom 23.07.2021 teilte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass betreffend den Antragsteller derzeit weder die Verhängung der Schubhaft noch eine Abschiebung bevorstehe. Zudem sei derzeit auch kein Heimreisezertifikat vorhanden.

7.       Der Verfassungsgerichtshof trat mit Beschluss vom 30.07.2021 die Beschwerde des Antragstellers über seinen nachträglichen Antrag im Sinne des § 87 Abs 3 VfGG gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.01.2020, W279 2192435-1/10E, wurde die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 12.03.2018, 1094028707/151734072, als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 10.06.2021, E 612/2020-11, wurde die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes erhobene Beschwerde abgelehnt.

Am 19.07.2021 stellte der Antragsteller einen Abtretungsantrag gemäß Art 144 Abs 3
B-VG iVm § 87 Abs 3 VfGG an den Verfassungsgerichtshof zwecks nachfolgender außerordentlicher Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

Mit Schriftsatz vom 21.07.2021 stellte der Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht folgende Anträge:

„1. das Bundesverwaltungsgericht möge der Revision gemäß § 30 Abs 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen;

in eventu

2. das Bundesverwaltungsgericht möge eine einstweilige Anordnung nach Unionsrecht für die Gewährung eines vorläufiges Aufenthaltsrechts bis zur Entscheidung über Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der außerordentlichen Revision einräumen.“

Der Verfassungsgerichtshof trat mit Beschluss vom 30.07.2021 die Beschwerde des Antragstellers über seinen nachträglichen Antrag im Sinne des § 87 Abs 3 VfGG gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Dem Antragsteller steht derzeit weder die Verhängung der Schubhaft noch eine Abschiebung bevor. Zudem liegt derzeit in Bezug auf den Antragsteller auch kein Heimreisezertifikat vor.

2.       Beweiswürdigung:

Diese Ausführungen gründen sich auf die erwähnten Entscheidungen, Unterlagen und Schriftsätze, welche Teil der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakten sind.

Die Feststellung, dass dem Antragsteller derzeit weder die Verhängung der Schubhaft noch eine Abschiebung bevorstehe und kein Heimreisezertifikat vorhanden sei, ergibt sich aus dem Schreiben der belangten Behörde vom 23.07.2021.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

3.1.    Anzuwendendes Recht:

§ 28 Abs 1 VwGVG („Erkenntnisse“), BGBl I Nr 33/2013, lautet wie folgt:

„§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

[…]“

§ 31 Abs 1 VwGVG („Beschlüsse“) ordnet Folgendes an:

„§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

[…]“

§ 30 VwGG („Aufschiebende Wirkung“), BGBl Nr 10/1985, trägt auszugsweise folgenden Wortlaut:

„§ 30. (1) Die Revision hat keine aufschiebende Wirkung. Dasselbe gilt für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist.

(2) Bis zur Vorlage der Revision hat das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf nur dann einer Begründung, wenn durch sie Interessen anderer Parteien berührt werden. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden.

(3) Der Verwaltungsgerichtshof kann ab Vorlage der Revision Beschlüsse gemäß Abs. 2 von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn er die Voraussetzungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

[…]“

§ 30a VwGG („Vorentscheidung durch das Verwaltungsgericht“) trägt auszugsweise folgenden Wortlaut:

„§ 30a. (1) Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist oder wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, sind ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

[…]

(3) Das Verwaltungsgericht hat über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich mit Beschluss zu entscheiden.

[…]

(7) Hat das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis oder Beschluss ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, sind die Abs. 1 bis 6 nicht anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien sowie im Fall des § 29 dem zuständigen Bundesminister bzw. der Landesregierung eine Ausfertigung der außerordentlichen Revision samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen. Gleichzeitig hat das Verwaltungsgericht den Parteien eine Mitteilung über die Vorlage der Revision an den Verwaltungsgerichtshof zuzustellen; diese Mitteilung hat den Hinweis zu enthalten, dass Schriftsätze ab Vorlage der außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof unmittelbar bei diesem einzubringen sind.

[…]“

3.2.    Zum Antrag auf aufschiebende Wirkung:

3.1.1.  Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung setzt ihrem Wesen nach eine – auch in formeller Hinsicht – zulässige und noch nicht erledigte Revision gegen jenes Erkenntnis voraus, dessen Vollzug aufgeschoben werden soll (vgl. Gruber, in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 § 30 Rz 1. Zu § 22 VwGVG vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 § 22 VwGVG Anm K1 ua mit dem Hinweis auf VwGH 30.04.2012, AW 2012/01/0012).

3.1.2.  Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, erfolgt der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Revisionswerber (vgl. VwGH 16.03.2016, Ra 2016/21/0081).

Bis dato wurde im gegenständlichen Fall noch keine außerordentliche Revision erhoben; es wurde lediglich in Aussicht gestellt, eine solche zu erheben.

Folglich steht dem Antragsteller das Recht, einen Antrag zu stellen, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht zu (vgl. VwGH 04.08.2016, Ra 2016/20/0164).

Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vom 21.07.2021 ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

3.2.    Zur einstweiligen Anordnung und zum Vorabentscheidungsersuchen:

3.2.1.  Das Stellen eines Eventualantrags ist auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zulässig. Das Wesen eines solchen Antrags liegt darin, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass das primär angestrebte Verfahrensziel ohne Erfolg bleibt. Wird dagegen dem Primärantrag Rechnung getragen, so wird der Eventualantrag gegenstandslos (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0119).

3.2.2.  Im gegenständlichen Fall trat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 30.07.2021 die Beschwerde des Antragstellers über seinen nachträglichen Antrag im Sinne des § 87 Abs 3 VfGG gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in weiterer Folge über die innerhalb der (sechswöchigen) Frist des § 26 Abs 4 VwGG auszuführende Revision zu entscheiden (vgl. VwGH 19.06.2018, Ra 2017/06/0197).

3.2.3.  Zweck der Erlassung unmittelbar auf Unionsrecht gegründeter einstweiliger Anordnungen ist die Sicherung der vollen Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache. Hauptsache ist jene, in der die Entscheidung ergeht, deren volle Wirksamkeit durch eine einstweilige Anordnung gesichert werden soll. Gemäß dem nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union bestehenden unionsrechtlichen Grundsatz muss ein mit einem nach Unionsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes nationales Gericht in der Lage sein, vorläufige Maßnahmen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen (vgl. VwGH 12.02.2021, Ra 2021/04/0008).

Bei der Bestimmung der Zuständigkeit zur Erlassung einstweiliger Anordnungen im Revisionsverfahren ist von der „sachnächsten" Zuständigkeit" auszugehen. „Sachnächstes Gericht" für die Prüfung der Erlassung einstweiliger Anordnungen im Revisionsverfahren ist das Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 25.02.2019, Ra 2018/19/0611).

Der Verwaltungsgerichtshof sprach hinsichtlich der Erlassung von einstweiligen Anordnungen Folgendes aus (vgl. VwGH 13.10.2010, 2010/12/0169):

„Nach der Rechtsprechung des EuGH können die nationalen Gerichte einstweilige Anordnungen nur unter den Voraussetzungen treffen, die für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Gerichtshof gelten (vgl. das Urteil vom 21. Februar 1991, Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest, Rsen. C-143/88 und C-92/89, Slg. 1991, I-00415, oder das bereits zitierte Urteil Atlanta Fruchthandelsgesellschaft). Zu diesen Voraussetzungen gehören die Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Erlassung der einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (fumus boni iuris), das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens beim Antragsteller und gegebenenfalls die Abwägung aller bestehenden Interessen (vgl. z.B. die Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 13. Jänner 2009, Rsen. C-512/07 P(R) und C- 15/08 P(R) Achille Occhetto, Slg. 2009, I-00001, und vom 24. Juli 2003, Rs C-233/03 P(R), Linea GIG Srl, Slg. 2003, I-07911, und vom 31. Juli 2003, Rs. C-208/03 P-R, Jean-Marie Le Pen, Slg. 2003, I-07939, sowie vom 23. Oktober 2002, Republik Österreich/Kommission, Rs C-296/02 R, Slg. 2002, I- 09159, jeweils mwN, siehe auch die hg. Beschlüsse jeweils vom 9. Dezember 2005, Zl. AW 2005/17/0015 und Zl. 2005/17/0016 sowie Zl. 2005/17/0017, jeweils mwN).

Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, sodass der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen ist, wenn eine von ihnen fehlt (vgl. z.B. die hg. Beschlüsse vom 9. Dezember 2005, Zl. AW 2005/17/0044 und Zl. AW 2005/17/0051, jeweils mwN).

Im Rahmen der Gesamtprüfung, die im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorzunehmen ist, verfügt der zuständige Richter über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der die verschiedenen Voraussetzungen für die Gewährung der genannten einstweiligen Anordnungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (Beschlüsse vom 19. Juli 1995, Rs C-149/95 P(R), Kommission/Atlantic Container Line u. a., Slg. 1995, I- 02165, und der bereits zitierte Beschluss Linea GIG Srl).“

Wesentliche Voraussetzung zur Erlassung einer einstweiligen Anordnung im Sinne des Unionsrechtes ist somit ua das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens beim Antragsteller.

3.2.4.  Mit Schreiben vom 23.07.2021 und vom 30.07.2021 teilte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass betreffend den Antragsteller derzeit weder die Verhängung der Schubhaft noch eine Abschiebung bevorstehe. Zudem sei derzeit auch kein Heimreisezertifikat vorhanden. Auch der Antragsteller führte in seinem Antrag vom 21.07.2021 nicht ins Treffen, dass ihm ein konkreter Abschiebetermin bekannt sei bzw. dass von der belangten Behörde bereits diesbezügliche damit zusammenhängende Vorbereitungsmaßnahmen getroffen worden wären.

Im Übrigen wäre dem Antragsteller bereits innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes die Möglichkeit offen gestanden, sowohl Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof als auch Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben und in einem einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision zu stellen sowie bereits in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu beantragen, weshalb das Vorliegen des vom Antragsteller ins Treffen geführten „ungeschützte[n] Zeitraum[es]“ nicht erkannt werden kann. In der Literatur heißt es dazu (Grabenwarter/Frank, Bundes-Verfassungsgesetz und Grundrechte [2020] Art 144 B-VG Rz 14): „Der Antrag auf Abtretung kann bis zur Entscheidung des VfGH über die Beschwerde oder innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung des VfGH gestellt werden (§ 87 Abs 3 VfGG).“

Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller nicht sofort nach Ergehen des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes über die Ablehnung der Beschwerde einen Abtretungsantrag gemäß Art 144 Abs 3 B-VG iVm § 87 Abs 3 VfGG stellte, sondern zwölf Tage nach Zustellung dieses Beschlusses zuwartete, um einen entsprechenden Antrag beim Verfassungsgerichtshof einzubringen.

Da dem Antragsteller nunmehr die Möglichkeit offen steht, beim Bundesverwaltungsgericht eine außerordentliche Revision inklusive des Antrags auf aufschiebende Wirkung der Revision einzubringen sowie die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 23.07.2021 mitteilte, dass betreffend den Antragsteller derzeit weder die Verhängung der Schubhaft noch eine Abschiebung bevorstehen würden und derzeit auch kein Heimreisezertifikat vorhanden sei, liegt die für die Gewährung einer einstweiligen Anordnung erforderliche Dringlichkeit nicht vor, weshalb der gegenständliche Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zurückzuweisen ist (vgl. VwGH 13.10.2010, 2010/12/0169).

Bei diesem Ergebnis kann daher dahingestellt bleiben, ob die übrigen Voraussetzungen, deren Vorliegen im Rahmen einer Gesamtprüfung im Verfahren über die Erlassung einer einstweiligen Anordnung zu überprüfen ist, erfüllt sind.

Da das Bundesverwaltungsgericht auch in Anbetracht der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine Bedenken an der Auslegung des § 30 VwGG, und zwar dahingehend, „ab wann die aufschiebende Wirkung beim VwG beantragt werden kann“, hegt, sieht es bereits deshalb keine Veranlassung den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens zu befassen.

Vor diesem gesamten Hintergrund (insbesondere aufgrund des Nicht-Vorliegens der Dringlichkeit im gegenständlichen Fall), sieht sich das Bundesverwaltungsgericht nicht veranlasst – der Anregung des Antragstellers folgend – den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens zu befassen.

Zu Spruchpunkt B)

3.3.    Zum Abspruch über die Zulässigkeit der Revision:

§ 25a VwGG („Revisionen“) lautet auszugsweise:

„§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:

1. Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;

2. Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;

3. Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.

(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden.]“

[…]“

Der in § 25a Abs. 2 Z 1 VwGG normierte Ausschluss einer Überprüfung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes über einen Antrag, einer Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, durch den Verwaltungsgerichtshof erklärt sich dadurch, dass der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Revision bereits gemäß § 30 Abs. 3 VwGG berechtigt ist, eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes über die Zuerkennung aufschiebender Wirkung abzuändern, wenn er die Voraussetzungen anders beurteilt. Daher schließt der Gesetzgeber sinnvollerweise ein gesondertes Revisionsverfahren gegen solche Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes aus (vgl. VwGH 25.04.2017, Ra 2017/16/0039).

Über einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kann der Verwaltungsgerichtshof erst ab Vorlage der Revision entscheiden (vgl. VwGH 16.03.2016, Ra 2016/21/0081).

Vor dem Hintergrund, dass mit dem gegenständlichen Beschluss zwar über einen Antrag auf aufschiebende Wirkung der Revision entschieden wird, jedoch dieser Beschluss mangels Erhebung einer Revision durch den Antragsteller als unzulässig zurückzuweisen ist und es dem Verwaltungsgerichtshof daher mangels Erhebung und Vorlage der Revision verwehrt ist, die vorliegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß § 30 Abs 3 VwGG abzuändern oder aufzuheben, handelt es sich beim gegenständlichen Beschluss um keinen gemäß § 30a Abs 3 VwGG, bei welchem bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse bzw. bei dessen divergierender Beurteilung der Verwaltungsgerichtshof berechtigt ist, die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes abzuändern, weshalb im Spruch des vorliegenden Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes über die Zulässigkeit einer Revision abzusprechen ist.

3.4.    Zum Nicht-Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung:

Nach Art 133 Abs 9 iVm Abs 4 B-VG ist gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn dieser von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Ist die Rechtslage klar und eindeutig, liegt keine die Zulässigkeit einer Revision begründende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor (vgl. VwGH 12.11.2020, Ra 2020/16/0159).

Eine ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 9 iVm Abs 4 B-VG nicht zulässig, da keiner der vorgenannten Fälle vorliegt. Auch sind keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage ersichtlich. Die vorliegende Entscheidung ergeht aufgrund einer eindeutigen Rechtslage und folgt der zitierten Judikatur.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall Revision

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W279.2192435.1.00

Im RIS seit

17.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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