TE Vwgh Beschluss 2021/10/21 Ra 2019/07/0053

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Index

E3R E03304000
E3R E03503000
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
55 Wirtschaftslenkung

Norm

B-VG Art133 Abs4
MOG RinderkennzeichnungsV 2008
MOG RinderkennzeichnungsV 2008 §1 Z1
MOG RinderkennzeichnungsV 2008 §10
MOG RinderkennzeichnungsV 2008 §3 Abs3
MOG RinderkennzeichnungsV 2008 §9
MOG 2007 §30 Abs1 Z4
MOG 2007 §30 Abs1 Z5
VwGG §34 Abs1
VwGG §41
32000R1760 Rindfleisch Kennzeichnung Etikettierung
32000R1760 Rindfleisch Kennzeichnung Etikettierung Art2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des R S in S, vertreten durch Dr. Josef Deimböck, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wiesingerstraße 3/13, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 7. November 2018, Zl. LVwG 30.30-2089/2018-15, betreffend Übertretung des Marktordnungsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wurde über den Revisionswerber (als verantwortlichen Vertreter einer näher genannten Gesellschaft mit beschränkter Haftung) im Rechtszug zum einen wegen Übertretung des § 30 Abs. 1 Z 4 und 5 Marktordnungsgesetz (MOG) in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 und zum anderen wegen Übertretung des § 30 Abs. 1 Z 4 und 5 MOG in Verbindung mit § 3 Abs. 3 Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 Geldstrafen in der Höhe von je € 600,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: je 6 Stunden) verhängt. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.

2        Dem Revisionswerber wurde dabei vorgeworfen, es einerseits zu verantworten zu haben, dass trotz aufrechter Betriebssperre am 6. September 2017 ein (näher bezeichnetes) Rind der Betriebsstätte zugegangen sei. Andererseits seien am 18. Dezember 2017 insgesamt 35 von 43 Rindern in seinem Betrieb nicht gemäß § 3 der Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 mittels Ohrmarken gekennzeichnet gewesen.

3        Dazu stellte das Verwaltungsgericht unter anderem fest, dass die vom Revisionswerber vertretene Gesellschaft auf einer Fläche von 18 bis 20 Hektar, teilweise Wald, eine Bisonzucht betreibe. Bei den dort gehaltenen Bisons handle es sich - entgegen dem Beschwerdevorbringen - nicht ausschließlich um Waldbisons. Unabhängig davon sei das Waldbison (Bison bison athabascae) eine Unterart des Bison (Bison bison). Bisons würden nach der Richtlinie 64/432/EWG dem „Rind“ zugeordnet.

4        Bei einer Vorort-Kontrolle durch Mitarbeiter der Agrarmarkt Austria am 12. Dezember 2014 sei festgestellt worden, dass 15 der an diesem Standort befindlichen Rinder nicht mit Ohrmarken gekennzeichnet gewesen seien, woraufhin die Agrarmarkt Austria mittels einstweiliger Anordnung vom selben Tag eine Betriebssperre verhängt habe. Bei einer Nachkontrolle am 11. Dezember 2015 seien weiterhin 23 Rinder nicht entsprechend gekennzeichnet gewesen, weshalb die Betriebssperre nicht aufgehoben worden sei.

5        Während der aufrechten Betriebssperre sei dem „gegenständlichen Betrieb“ am 6. September 2017 ein näher bezeichneter Bisonbulle zugegangen. Der Revisionswerber habe diesen trotz aufrechter Betriebssperre aus Deutschland zugekauft. Den zuständigen Amtstierarzt habe er davon in Kenntnis gesetzt, dass er einen Bullen zur Blutaufbesserung in seinem Betrieb kaufen wolle. Der Bulle sei in Einzelhaltung gehalten worden und habe nicht in die alte Herde integriert werden können.

6        Am 18. Dezember 2017 seien bei einer neuerlichen, durch die Agrarmarkt Austria veranlassten Vorort-Kontrolle 35 der 43 vor Ort vorgefundenen Rinder nicht mit Ohrmarken gekennzeichnet gewesen.

7        Der Revisionswerber wandte sich gegen dieses Erkenntnis an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 12. März 2019, E 5012/2018-5, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

8        In seiner außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof macht der Revisionswerber Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

9        Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof brachte die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung ein, in welcher sie auf ihr Straferkenntnis und das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts verwies.

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 3 VwGG ist ein solcher Beschluss in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit geltend gemacht, die Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 setze die Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und Rates zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates innerstaatlich um. Diese Verordnung definiere den Begriff „Tier“ in einer Weise, dass er für die innerstaatliche Definition eines Verwaltungsstraftatbestandes nach dem Bestimmtheitsgrundsatz im Verwaltungsstrafrecht zu unbestimmt sei. Es bestehe ein ungeklärtes Spannungsverhältnis zwischen der Umsetzung von Unionsrecht und dem staatsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz und der EMRK.

14       Das Verwaltungsgericht habe ohne Begründung, gesetzliche Grundlage und erkennbare Rechtfertigung den in Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 enthaltenen Begriff „Tier“ als Straftatbestandsmerkmal „Rind“ ausgelegt und diesen Begriff der Wildtierart „Bison“ eingeschränkt nach dem Domestikationsgrad und der „Art der Wildtierhaltung“ zugeordnet. Es bleibe offen, warum die gehaltenen Bisons „Tier“ im Sinne der Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 und nicht „Farmwild“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 10 lit. a Tierkennzeichnungs- und Registrierungsverordnung 2009, nämlich „wiederkäuende Wildklauentiere“, seien und daher einem anderen Tierkennzeichnungsregime unterlägen.

15       Weiters lege das Verwaltungsgericht ohne Begründung und erkennbare Rechtfertigung auch den in § 9 der Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 enthaltenen Begriff „Betrieb“ im Zusammenhang mit der verhängten Betriebssperre unrichtig aus. Es sei damit im Sinne des Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 nicht die „Betriebsadresse“, sondern der konkrete Haltestandort der Rinder gemeint. Zur Auslegung des Begriffs „Betrieb“ in § 9 Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

16       Damit wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

17       Das von jedem Mitgliedstaat zu schaffende System zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern beruhte zum Tatzeitpunkt auf Titel I der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000. Die Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 diente nach deren § 1 Z 1 der Durchführung u.a. dieser Bestimmungen.

18       Die Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 - in der maßgeblichen Fassung der Verordnung (EU) Nr. 653/2014 - definierte in ihrem Art. 2 den Begriff „Tier“ als „Rind im Sinne des Artikels 2 Absatz 2 Buchstaben b und c der Richtlinie 64/432/EWG, einschließlich Rindern, die an kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen teilnehmen“. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 64/432/EWG, der seine maßgebliche Fassung durch die Richtlinie 97/12/EG erhielt, ist die Art „Bison bison“ ausdrücklich vom Begriff des Rindes umfasst.

19       An diesem Ergebnis ändert weder der Umstand etwas, dass der Verweis in der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 auf die Richtlinie 64/432/EWG (und nicht ausschließlich auf die Änderungsrichtlinie 97/12/EG) gerichtet war, noch dass Art. 2 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 64/432/EWG zusätzlich eine eindeutig demonstrative Aufzählung („insbesondere“) von umfassten Nutzungsarten enthielt.

20       Da somit Tiere der Art „Bison bison“ unzweifelhaft als „Tier“ im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 dem Titel I dieser Verordnung und damit auch der Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 unterlagen, liegt die der aufgeworfenen Rechtsfrage zugrundeliegende Unbestimmtheit der unionsrechtlichen Rechtslage nicht vor (vgl. auch den in dieser Sache ergangenen Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2019, wonach aus den genannten Gründen weder unter dem Gesichtspunkt des Art. 18 B-VG noch unter jenem des Art. 7 EMRK Bedenken gegen § 3 Abs. 3 Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 entstanden sind).

21       Angesichts der - in der Revision nicht bekämpften - Feststellung des angefochtenen Erkenntnisses, wonach es sich beim Waldbison (Bison bison athabascae) um eine Unterart des Bison (Bison bison) handle, zeigt die Revision auch nicht auf, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes unvertretbar gewesen wäre, wonach die von der vom Revisionswerber vertretenen Gesellschaft gehaltenen Tiere der Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 unterlagen. Soweit der Revisionswerber auf das Kennzeichnungsregime der Tierkennzeichnungs- und Registrierungsverordnung 2009 verweist, reicht der Hinweis, dass diese in ihrem § 1 Abs. 3 bestimmt, dass die Kennzeichnung und Registrierung von Rindern durch die Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 geregelt wird, und damit solche Tiere insoweit von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt.

22       Mit ihrem zweiten Zulässigkeitsvorbringen wirft die Revision im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen die Betriebssperre Auslegungsfragen zum Betriebsbegriff des § 9 Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 auf.

23       Aus den Verwaltungsakten ergibt sich jedoch, dass einerseits mit der bescheidmäßigen einstweiligen Anordnung vom 12. Dezember 2014 hinsichtlich eines mit einer konkreten „Betriebs(stätten)-Nr. bzw. Klienten-Nr.“ sowie einer „Betriebs(stätten)adresse“ bezeichneten Betriebes eine Betriebssperre verhängt wurde, die nach der Bescheidbegründung im Verbot der „Verbringung sämtlicher Tiere zu oder aus der oben angeführten Betriebsstätte“ besteht. Andererseits gründete sich die Strafanzeige der Agrarmarkt Austria an die belangte Behörde darauf, dass der Zugang des betroffenen Rindes vom Landwirt im Rahmen der „Stallliste Rinderregistrierung“ zu dieser Betriebsstättennummer gemeldet worden sei.

24       Die aufgeworfene Frage, von welchem Begriffsverständnis § 9 Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 in Bezug auf den „Betrieb“ ausgeht, stellt sich im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren angesichts des klaren Inhalts des rechtskräftigen Bescheides vom 12. Dezember 2014, mit dem die von der Sperre betroffene Betriebsstätte eindeutig identifiziert und damit abgegrenzt wurde, jedoch nicht (vgl. wiederum den in dieser Sache ergangen Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2019, wonach die §§ 9 und 10 Rinderkennzeichnungs-Verordnung 2008 im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren im Hinblick auf die Bindung an den Bescheid, mit dem die Betriebssperre ausgesprochen wurde, nicht präjudiziell sind).

25       Soweit dem Revisionsvorbringen im Ergebnis die Ansicht zu Grunde liegt, das betroffene Rind sei einem anderen als dem gesperrten Betrieb zugegangen, steht dem das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot im Revisionsverfahren entgegen. Dieses gilt nämlich auch für solche Rechtsausführungen, deren Richtigkeit nur auf Grund von Tatsachenfeststellungen überprüft werden kann, die deshalb unterblieben sind, weil im Verwaltungsverfahren und im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht diesbezüglich nichts vorgebracht wurde. Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage kann nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. jeweils VwGH 18.2.2020, Ra 2020/07/0006, mwN).

26       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

27       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 21. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019070053.L00

Im RIS seit

17.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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