TE Vwgh Beschluss 2021/10/18 Ra 2021/19/0262

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.10.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/19/0263
Ra 2021/19/0264

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision 1. der M A alias M A, 2. des A H, und 3. der M H, alle in W, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2021, 1. L506 2188934-1/25E, 2. L506 2188936-1/21E und 3. L506 2240161-1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerber sind Staatsangehörige des Iran. Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind die Eltern der Drittrevisionswerberin und stellten für sich am 28. Oktober 2015 und für ihre Tochter am 28. Dezember 2020 Anträge auf internationalen Schutz, die von der Erstrevisionswerberin und vom Zweitrevisionswerber damit begründet wurden, dass sie aufgrund ihrer Konversion zum Christentum Probleme mit ihren Familien und den Behörden in ihrer Heimat bekommen hätten.

2        Mit Bescheiden vom 13. Februar 2018 und vom 1. März 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass deren Abschiebung in den Iran zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen von den Revisionswerbern erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        In seiner Begründung ging das BVwG im Wesentlichen davon aus, dass die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber nach dem Besuch eines Taufvorbereitungskurses getauft worden seien. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass sie sich ernsthaft mit christlichen Glaubensinhalten auseinandergesetzt, sich dem christlichen Glauben zugewendet hätten und dieser für sie identitätsstiftend sei. Bei der behaupteten Konversion handle es sich um eine Scheinkonversion.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        In ihrer Zulässigkeitsbegründung bringt die Revision zusammengefasst vor, das BVwG sei für die Annahme einer bloßen Scheinkonversion „eine nachvollziehbare Begründung schuldig“ geblieben und habe einen „Maßstab für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Konversion“ angelegt, der nicht nachvollziehbar sei. Der kirchlichen Taufe der Revisionswerber in Österreich sei eine lange und intensive Taufvorbereitung vorausgegangen, und es seien auch Bestätigungen von Geistlichen vorgelegt worden, welche die Authentizität des Religionswechsels bestätigt hätten. Weshalb dessen ungeachtet dennoch von einer „zweckorientierten Konversion“ ausgegangen werde, habe das BVwG nicht begründet. Wenn aufgrund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich sei, seien in weiterer Folge Zeugen zu befragen. Überdies habe das BVwG gegen den Grundsatz der materiellen Wahrheit und gegen die Offizialmaxime verstoßen. Es hätte sich mit dem Fluchtvorbringen auseinandersetzen, amtswegige Erhebungen im Herkunftsstaat durchführen sowie prüfen müssen, ob für die Revisionswerber im Iran eine Lebensgefahr bestehe bzw. ob im Iran ausreichend Schutzmechanismen für Personen wie die Revisionswerber bestünden.

9        Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 2.9.2021, Ra 2021/19/0218, Rn. 9, mwN).

10       Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0398, Rn. 16, mwN). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 13.7.2020, Ra 2020/19/0227, mwN).

11       In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0230, mwN).

12       Im vorliegenden Fall führte das BVwG eine mündliche Verhandlung durch, in der es sich einen persönlichen Eindruck von den Revisionswerbern verschafft, sie näher zu den Verfolgungsgründen befragt und einen Pastor als Zeugen einvernommen hat. Entgegen den Revisionsausführungen setzte sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung umfassend mit den vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignissen sowie mit den für die Beurteilung einer Konversion maßgeblichen Aspekten auseinander, insbesondere auch mit den Kenntnissen der Revisionswerber in Bezug auf Bibel- und Glaubensinhalte. Das BVwG berücksichtigte auch die Taufe der Revisionswerber, ihre Teilnahme an den Gottesdiensten und die Religionsaustrittserklärung, gelangte jedoch zu dem Schluss, dass sich die Revisionswerber nicht intensiv mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt und sich nicht ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewendet hätten. Dazu verwies das BVwG unter anderem auf oberflächliche Schilderungen sowie widersprüchliche und vage Angaben der Revisionswerber in zentralen Aspekten ihrer behaupteten Hinwendung zum Christentum, wie insbesondere hinsichtlich des ersten Kontakts mit dem neuen Glauben oder den Motiven für den Glaubenswandel. Die Revision zeigt mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass die - ausführlich begründete - Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.

13       Soweit die Revision in diesem Zusammenhang die unterbliebene Befragung weiterer Zeugen bemängelt, ist zunächst festzuhalten, dass nicht behauptet wird, die Revisionswerber hätten eine solche Einvernahme im Verfahren beantragt (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation VwGH 10.3.2021, Ra 2021/19/0042, mwN). Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 18.1.2021, Ra 2020/19/0431, mwN). Gründe dafür, dass die unterbliebene Einvernahme von in der Revision namentlich nicht näher genannten Zeugen nach Lage des vorliegenden Falles einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfenden Verfahrensfehler darstellen könnte, sind nicht ersichtlich.

14       Im Übrigen ist im Fall einer unterbliebenen Vernehmung - um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen - in der Revision konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. erneut VwGH Ra 2021/19/0042, mwN). Diesen Anforderungen kommt die Revision mit ihrem nicht näher konkretisierten Vorbringen, Zeugen hätten einen detaillierten Eindruck über den Religionswechsel der Revisionswerber verschaffen können, nicht nach. Im Hinblick auf in der Revision geforderte amtswegige Erhebungen im Herkunftsstaat ist darauf hinzuweisen, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/19/0435, mwN).

15       In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 18. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190262.L00

Im RIS seit

12.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten