TE Vwgh Beschluss 2021/10/19 Ra 2021/22/0174

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55 Abs2
BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des J D, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2021, Zl. G301 2236823-1/2E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Kolumbiens, hält sich seit 17. Dezember 2019 durchgehend im Bundesgebiet auf.

2        Am 10. Jänner 2020 beantragte der Revisionswerber die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

3        Mit Bescheid vom 23. September 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erließ gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Kolumbien zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

4        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht eine dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Weiter sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Revisionswerber sei ledig und Vater von zwei erwachsenen Kindern (einem Sohn und einer Tochter). Die erwachsene Tochter sei im Jahr 2012 mit ihrem Ehemann nach Österreich übersiedelt, wo sie durchgehend mit den drei gemeinsamen Kindern lebten. Im Jahr 2019 sei der Tochter des Revisionswerbers und seinem Schwiegersohn die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Der Revisionswerber verfüge abgesehen von den angeführten familiären Bindungen über keine sonstigen nennenswerten sozialen Bindungen in Österreich. Er weise nur geringe Deutschkenntnisse auf und leide an Diabetes und Bluthochdruck; beide Krankheiten würden medikamentös behandelt. Zur Covid-Situation im Herkunftsland des Revisionswerbers führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es lägen keine Anhaltspunkte vor, wonach auch unter Berücksichtigung seines Alters und seiner Erkrankungen das Risiko für den Revisionswerber in Kolumbien maßgeblich höher wäre als in Österreich.

6        Bei der nach § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht neben den oben angeführten Umständen insbesondere, dass sich der Revisionswerber erst etwas mehr als ein Jahr im Bundesgebiet aufhalte und der Aufenthalt seit Ablauf seines erlaubten visumfreien Aufenthaltes mit 16. März 2020 rechtswidrig sei. Die zahlreichen früheren Besuche des Revisionswerbers in Österreich änderten nichts an der Beurteilung, dass zwischen dem Revisionswerber und seiner erwachsenen Tochter kein Abhängigkeitsverhältnis bestehe, das über die sonst üblichen Beziehungen hinausgehe. Auch dass dem Revisionswerber aufgrund einer finanziellen Abhängigkeit von seiner in Österreich lebenden Tochter bzw. von seinem Schwiegersohn ein gemäß Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben zukomme, sei nicht zu erkennen, weil auch in der Beschwerde kein konkreter Grund vorgebracht worden sei, weshalb die bereits bisher geleistete finanzielle Unterstützung durch den Schwiegersohn nicht auch bei einer neuerlichen Rückkehr des Revisionswerbers nach Kolumbien fortgesetzt werden könnte.

7        Demgegenüber bestünden maßgebliche Bindungen zum Heimatstaat, wo er den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe. Seine Eltern und sein erwachsener Sohn sowie dessen Familie würden in Kolumbien leben. Der Revisionswerber beherrsche die Landessprache und sei mit den Gepflogenheiten vertraut. Angesichts dieser Kontakte, bestehender Ersparnisse und bisher gesammelter Berufserfahrungen sei mit der Möglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat zu rechnen. Sein persönliches Interesse an der Fortsetzung des Privatlebens in Österreich habe somit hinter das große öffentliche Interesse am geordneten Vollzug fremdenrechtlicher Vorschriften zurückzutreten. Gründe, die seine Abschiebung unzulässig machten, seien nicht hervorgekommen.

8        Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgesehen werden können, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 7.6.2021, E 897/2021-10) eingebrachte - außerordentliche Revision.

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht hätte sich in Bezug auf die nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und seiner Familie in Rahmen einer mündlichen Verhandlung verschaffen müssen.

14       § 21 Abs. 7 BFA-VG erlaubt aber das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig war; das ist in der Revision darzutun. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann aber auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 8.6.2021, Ra 2020/21/0211, Rn. 19; 7.7.2020, Ra 2020/20/0231, Rn. 23, jeweils mwN).

15       Von einem solchen eindeutigen Fall durfte das Bundesverwaltungsgericht hier in vertretbarer Weise ausgehen. Der Revisionswerber lebte - zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes - erst seit etwas mehr als einem Jahr gemeinsam mit seiner Tochter, seinem Schwiegersohn und den drei Enkelkindern in Österreich, wobei der überwiegende Aufenthalt rechtswidrig war. Mit dem Vorbringen zu „unterlassenen Ermittlungen zur sozialökonomischen Lage in Kolumbien“ und den erschwerten Reise- und Besuchsbedingungen in Zeiten der Covid-19 Pandemie legt die Revision in ihrer Zulassungsbegründung nicht dar, dass kein solch eindeutiger Fall vorliege und damit das Bundesverwaltungsgericht von den dargestellten Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre. Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht alle in der Revision vorgebrachten Umstände - insbesondere das Alter, die Erkrankungen und die familiären Beziehungen des Revisionswerbers - in seine Entscheidung einbezogen hat, bleiben keine Tatsachen übrig, die vom Bundesverwaltungsgericht ergänzend hätten festgestellt werden müssen.

16       Mit dem Vorbringen, wonach ein Termin für die Ausreise nur so hätte gewählt werden können, dass diese zehn bis vierzehn Tage nach der Erstimpfung gegen das Coronavirus erfolgen würde, legt die Revision - wie schon vom Bundesverwaltungsgericht ausgeführt - keine besonderen Umstände für die Verlängerung der in § 55 Abs. 2 FPG vorgesehenen Frist für die freiwillige Ausreise dar.

17       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 19. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220174.L00

Im RIS seit

12.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten