TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/11 94/13/0070

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Veröffentlicht am 11.12.1996
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/04 Steuern vom Umsatz;

Norm

BAO §115 Abs1;
BAO §119 Abs1;
BAO §20;
BAO §303 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
UStG 1972 §6 Z11;
UStG 1972 §6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat V, vom 18. Jänner 1994, Zl. GA 6/3 - 3147/93-09, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens über Umsatzsteuer für die Jahre 1988 bis 1990, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Absprüche über die Wiederaufnahme der Umsatzsteuerverfahren 1988 und 1989 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im übrigen, somit in seinem Abspruch über die Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers gegen einen Bescheid über die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 1990, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Absolvent des Konservatoriums für Musik in Wien und hat im Jahre 1950 die staatliche Musiklehrerprüfung abgelegt, mit welcher er die Lehrbefähigung für den Unterricht aus Klavier an Konservatorien und Musikschulen sowie für den Privatunterricht erlangt hat. Er erteilte auf Grund dieser Befähigung Privatunterricht für Klavier, Orgel und Akkordeon; in den Streitjahren war seine Tochter bei ihm als Musiklehrerin angestellt. Der Unterricht wird entweder in der Wohnung des Beschwerdeführers abgehalten, in welcher zwei Räume im Ausmaß von 25 m2 und 10 m2 sowie ein Teil des Vorraums diesem Zweck dienen, oder in den Räumlichkeiten eines Unternehmens in X., welches elektronische Orgeln vertreibt und dem Beschwerdeführer Käufer seiner Produkte als Schüler vermittelt. Solche Schüler werden zum Großteil im Vorführraum des die elektronischen Orgeln vertreibenden Unternehmens unterrichtet. Der Unterricht ist auf kein bestimmtes Alter abgestimmt, Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Anfänger werden nach der Cerny-Methode unterrichtet, bei den Fortgeschrittenen werden zur Auflockerung des Unterrichtes auch Evergreens und aktuelle Lieder aus der Pop-Branche gelehrt. Der Unterricht wird einmal in der Woche abgehalten und dauert je nach Begabtheit des Schülers bis zu 30 Minuten. Die Schüler werden einzeln auf dem Instrument ausgebildet, wobei des öfteren mehrere Schüler zuhören, was sich auf Grund der räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung des Beschwerdeführers auf maximal vier Personen beschränkt. Musiktheorie wird im Zusammenhang mit der Ausbildung am Instrument vorgetragen, Musikgeschichte nur in sehr kleinem Umfang.

Im Ergebnis einer die Umsatz- und Einkommensteuer der Jahre 1974 bis 1975 umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung wurden die vom Beschwerdeführer aus seinem Musikunterricht erklärten Umsätze als nach § 6 Z. 11 UStG 1972 steuerbefreit beurteilt.

Der Beschwerdeführer nahm auch in seinen Abgabenerklärungen für die Streitjahre die Umsatzsteuerbefreiung des § 6 Z. 11 UStG 1972 für seine als Musikschule deklarierte Tätigkeit in Anspruch. Seiner Einnahmen-Überschußrechnung für das Jahr 1988 waren an Einnahmen unter dem Titel des Musikunterrichtes ein Betrag von S 438.400,-- und an Ausgaben neben Abschreibungen im wesentlichen ein Gehalt in Höhe von S 119.719,-- zuzüglich Lohnnebenkosten, 50 % Wohnungskosten sowie Kosten für Telefon und Werbeeinschaltungen zu entnehmen; die Einnahmen-Überschußrechnung für das Jahr 1989 zeigte ein ähnliches Bild.

Nachdem die Abgabenbescheide für das Jahr 1988 und 1989 erklärungsgemäß ergangen waren, wurde die Tätigkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1988 bis 1990 einer neuerlichen abgabenbehördlichen Prüfung unterzogen. In dem über diese Prüfung erstatteten Bericht gelangte der Prüfer in Würdigung der oben beschriebenen Tätigkeit des Beschwerdeführers rechtlich zum Ergebnis, daß die aus dem Musikunterricht erzielten Umsätze des Beschwerdeführers der in Anspruch genommenen Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Z. 11 UStG 1972 nicht subsumiert werden könnten. Als Privatschule sei nämlich eine Einrichtung anzusehen, in welcher eine Mehrzahl von Schülern nach einem festen Lehrplan zur Vermittlung von allgemeinbildenden oder berufsbildenden Kenntnissen unterrichtet und darüber hinaus ein erzieherisches Ziel (Charakterbildung) angestrebt werde. Im vorliegenden Fall werde der Unterricht vom Beschwerdeführer oder seiner bei ihm angestellten Tochter aber mit jedem einzeln durchgeführt; nur in seltenen Fällen erfolge der Unterricht mit mehreren Schülern, deren Anzahl jedoch aus räumlichen und organisatorischen Gründen sehr begrenzt sei. Es habe auch kein fester Lehrplan vorgelegt werden können. Außer der Fähigkeit zum Spielen eines Tasteninstrumentes würden den Schülern keinerlei andere Kenntnisse vermittelt, womit auch das Merkmal der Verfolgung eines erzieherischen Zieles nicht erfüllt sei. Müsse nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung ein schulähnlicher Betrieb angesehen werden, der über Schulräume, das erforderliche Personal nach Art eines Lehrkörpers, ein Sekretariat und ein über eine längere Zeit feststehendes Bildungsangebot verfüge, um laufend gegenüber einer größeren Zahl von Interessenten eine Tätigkeit im Sinne des § 6 Z. 11 UStG 1972 auszuüben, dann fehlten diese Voraussetzungen im Fall des Beschwerdeführers. Weder die betrieblich genutzten Räume in der Wohnung des Beschwerdeführers noch der Vorführraum des Orgelvertriebsunternehmens könnten als Schulräume bezeichnet werden, da sie weder dementsprechend eingerichtet seien noch einer größeren Schülerzahl als fünf Personen Platz böten. Es fehle auch am erforderlichen Personal nach Art eines Lehrkörpers, sodaß nicht mehr als eine Form des häuslichen Unterrichtes vorliege. Es könnte die Tätigkeit des Beschwerdeführers auch nicht mit jener von Konservatorien oder Musikschulen verglichen werden, weil das Ausbildungsangebot solcher Institute hinsichtlich der Anzahl der Musikinstrumente und auch hinsichtlich der Vermittlung musiktheoretischen und musikgeschichtlichen Wissens ungleich reichhaltiger sei.

Das Finanzamt folgte der Auffassung des Prüfers und erließ nach Wiederaufnahme unter anderem auch der Umsatzsteuerverfahren 1988 und 1989 sowie in erstmaliger Veranlagung für das Jahr 1990 unter anderem Umsatzsteuerbescheide, in welchen den aus dem Musikunterricht des Beschwerdeführers erzielten Umsätzen die geltend gemachte Steuerbefreiung nach § 6 Z. 11 UStG 1972 versagt wurde.

Allein gegen die die Wiederaufnahme der Umsatzsteuerverfahren 1988 und 1989 sowie gegen einen - tatsächlich nicht erlassenen - Wiederaufnahmebescheid hinsichtlich Umsatzsteuer 1990 erhob der Beschwerdeführer Berufung mit dem Vorbringen, seine Tätigkeit seit Jahrzehnten in unverändeter Weise ausgeübt zu haben. Die für den Zeitraum 1974 bis 1975 durchgeführte abgabenbehördliche Prüfung habe die erklärten Umsätze aus dem Musikunterricht ausdrücklich als steuerbefreit nach § 6 Z. 11 UStG 1972 erachtet. An dieser Sachlage habe sich nichts geändert, eine Änderung der Rechtsauslegung könne die Rechtskraft von Bescheiden nicht zum Nachteil der Partei berühren.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 1990 als unzulässig zurück und jene gegen die Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich Umsatzsteuer 1988 und 1989 als unbegründet ab. Tatsachen im Sinne des § 303 BAO, führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, seien ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände. Erst im Zuge der beim Beschwerdeführer durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung habe sich ergeben, daß die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung des § 6 Z. 11 UStG 1972 nicht vorlägen. Dies habe sich unter anderem deshalb ergeben, weil der Unterricht überwiegend in Form eines Einzelunterrichtes gestaltet sei, womit eine den öffentlichen Schulen vergleichbare Tätigkeit nicht ausgeübt werde. Dieses Sachverhaltselement sei weder aus den Abgabenerklärungen noch aus den zugehörigen Beilagen ersichtlich gewesen, womit aus der Sicht der abgeschlossenen Verfahren eine neu hervorgekommene Tatsache vorliege. Entscheidend sei nicht, ob die Abgabenbehörde einen einmal offengelegten oder ermittelten Sachverhalt auch in nachfolgenden Zeiträumen als gegeben annehme, sondern daß sie bei richtiger rechtlicher Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes zu einem anderen Bescheid gelangt wäre. Da die Art der Unterrichtstätigkeit bei richtiger rechtlicher Beurteilung für die Abgabenfestsetzung von Bedeutung sei, wäre dieses Sachverhaltselement jährlich vom Finanzamt zu erheben und vom Beschwerdeführer offenzulegen gewesen, weil die Bestimmung des § 6 Z. 11 UStG 1972 eine genaue Kenntnis über die Art und Weise der ausgeübten Tätigkeit voraussetze, ohne daß von vornherein von gleichbleibenden Verhältnissen ausgegangen werden könne. Eine bloß vermutete Tatsache stelle keine der Behörde schon bekannte Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO dar. Eine Änderung der Rechtsauslegung, die sich auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes oder auf eine allgemeine Weisung des Bundesministeriums für Finanzen stütze, sei seit Erlassung der früheren Bescheide nicht eingetreten. Bereits im Erkenntnis vom 24. April 1980, 2482/77, habe der Verwaltungsgerichtshof nämlich erkannt, daß der Unterricht an einzelne Schüler die Merkmale einer Schule oder allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung nicht aufweise. Diese Rechtsauffassung werde auch schon seit geraumer Zeit in der Literatur verbreitet. In der bei Vorliegen eines rechtlichen Grundes zur amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens gebotenen Ermessensentscheidung spreche für die Wiederaufnahme der Verfahren die Berücksichtigung des Grundsatzes der Gleichheit der Besteuerung im Sinne des § 114 BAO, weil andernfalls ein Bescheid im Rechtsbestand verbliebe, der den Beschwerdeführer hinsichtlich der Inanspruchnahme der Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Z. 11 UStG 1972 anderen Steuerpflichtigen gegenüber ungleich behandeln würde. Ferner spreche für die Wiederaufnahme des Verfahrens das öffentliche Anliegen an der Abgabeneinbringung, weil der durch die zu Unrecht gewährte Begünstigung verursachte Steuerausfall von der Allgemeinheit zu tragen gewesen wäre. In Prüfung der diesen Zweckmäßigkeitsargumenten entgegenstehenden Billigkeitserwägungen sei festzuhalten, daß das Finanzamt erforderliche Ermittlungen über die Anspruchsvoraussetzungen nach § 6 Z. 11 UStG 1972 unterlassen und die Angaben in den Steuererklärungen ungeprüft übernommen habe. Demgegenüber habe der Beschwerdeführer allerdings die für die rechtliche Beurteilung erforderlichen Umstände seinerseits nicht offengelegt und sei insoweit auch seiner sich aus § 6 Z. 11 UStG 1972 ergebenden Nachweispflicht nicht nachgekommen. Der Grundsatz von Treu und Glauben finde seine Grenze in dem in Art. 18 B-VG verankerten Legalitätsprinzip und werde durch das Abgehen von der im Betriebsprüfungsbericht für die Jahre 1974 bis 1975 vertretene Rechtsmeinung nicht verletzt. "Am Rande sei vermerkt", daß - wie aus der Aktenlage ersichtlich sei - im Zeitraum 1974/1975 überwiegend Gemeinschaftsunterricht erteilt worden sei. Der vom Beschwerdeführer behauptete unveränderte Sachverhalt liege daher nicht vor. Es sei der Beschwerdeführer im übrigen steuerlich vertreten und die Rechtslage mit dem genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. April 1980 klargestellt gewesen. Der Beschwerdeführer habe die Begünstigungsvorschrift zu Unrecht in Anspruch genommen, weshalb dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit gegenüber dem Prinzip der Rechtssicherheit der Vorrang einzuräumen gewesen sei. Die Zurückweisung der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid über Umsatzsteuer 1990 gründe sich darauf, daß eine Wiederaufnahme dieses Verfahrens gar nicht erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit der Erklärung begehrt, sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Unterbleiben einer amtswegigen Wiederaufnahme von Verfahren und auf Parteiengehör als verletzt zu erachten.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gegen die Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den nicht erlassenen Bescheid über die Wiederaufnahme eines Umsatzsteuerverfahrens für das Jahr 1990 trägt der Beschwerdeführer nichts vor; es ist aus der Aktenlage auch nicht zu erkennen, worin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in diesem Umfang gelegen sein könnte. Die Beschwerde war im Umfang der Bekämpfung auch dieses Abspruches des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Anders verhält es sich im Umfang der Absprüche des angefochtenen Bescheides über die erlassenen Wiederaufnahmebescheide der Umsatzsteuerverfahren 1988 und 1989.

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter anderem auch in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Bei der amtswegigen Wiederaufnahme ist zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden. Ist die Rechtsfrage dahingehend geklärt, daß ein Wiederaufnahmegrund tatsächlich gegeben ist, dann hat die Abgabenbehörde in Ausübung ihres Ermessens zu entscheiden, ob die amtswegige Wiederaufnahme zu verfügen ist, in welcher Entscheidung der Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) und § 20 BAO als Ermessensrichtlinien zu berücksichtigen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1995, 94/15/0003).

Der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde über das Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes neu hervorgekommener Tatsachen, welche geeignet waren, in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeizuführen, haftet entgegen der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Auffassung kein rechtlicher Fehler an. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen ist, daß es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, daß sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätten gelangen können (vgl. die bei Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, Tz 10 und 14 zu § 303 BAO, wiedergegebene hg. Judikatur). Ausgehend hievon war die Frage des Neuhervorkommens erheblicher Sachverhaltselemente durch die Ergebnisse der die Jahre 1988 bis 1990 umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung allein in Gegenüberstellung mit den Inhalten der Abgabenerklärungen des Beschwerdeführers für die Jahre 1988 und 1989 zu beurteilen, weil das Finanzamt in den Abgabenverfahren der Jahre 1988 und 1989 keine Ermittlungen gepflogen hatte. Daß dem Inhalt der Abgabenerklärungen des Beschwerdeführers für die Jahre 1988 und 1989 aber zweifelsfrei hätte entnommen werden können, daß die Voraussetzungen für die vom Beschwerdeführer in seinen Erklärungen beanspruchte Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Z. 11 UStG 1972 nicht vorlagen, ist nicht zu erkennen. Wenn der Beschwerdeführer dazu vorträgt, daß nach dem zutreffenden Inhalt des Prüfungsberichtes für die Jahre 1988 bis 1990 privater Musikunterricht niemals als eine einer öffentlichen Schule vergleichbaren Tätigkeit angesehen habe werden können, läßt er außer acht, daß eine Beurteilung der Tätigkeit des Beschwerdeführers als "privater Musikunterricht" in der vom Prüfer für die Jahre 1988 bis 1990 aufgezeigten Tätigkeitsgestaltung auf der Basis allein der Abgabenerklärungen des Beschwerdeführers für die Jahre 1988 und 1989 noch nicht verläßlich möglich war, sondern entsprechender, nach dem Inhalt der Abgabenerklärungen auch geboten erscheinender Ermittlungen durch das Finanzamt bedurft hätte, welche das Finanzamt allerdings unterlassen hatte. Indem der Beschwerdeführer von einem dem Finanzamt zuzurechnenden Wissensstand über gleichbleibende Verhältnisse gegenüber Vorjahren, insbesondere gegenüber jenen Jahren ausgeht, die Gegenstand der früheren abgabebehördlichen Prüfung gewesen waren, übersieht er mit dieser Auffassung die Beziehung des Umsatzsteuerverfahrens allein auf die Besteuerungsperiode des betroffenen Jahres. Maßgebend für die Beurteilung des Neuhervorkommens von Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO ist unter dem Gesichtspunkt der Relevanz des betroffenen Verfahrens allein der Wissensstand des Finanzamtes über die für die Besteuerung bedeutsamen tatsächlichen Verhältnisse der betroffenen Besteuerungsperiode, weshalb das Finanzamt, wie die belangte Behörde zutreffend ausführt, tatsächlich die Voraussetzungen der geltend gemachten Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Z. 11 UStG 1972 jährlich neu hätte ermitteln müssen, ohne ungeprüft vom Vorliegen gleichbleibender Verhältnisse ausgehen zu dürfen (vgl. hiezu das im angefochtenen Bescheid zutreffend zitierte hg. Erkenntnis vom 14. März 1990, 88/13/0011). Eine dementsprechende Offenlegungspflicht nach § 119 BAO traf rechtlich in vergleichbarer Weise auch den Beschwerdeführer. Waren dessen Abgabenerklärungen die zur Beurteilung der in Anspruch genommenen Umsatzsteuerbefreiung erforderlichen Sachverhaltselemente der konkreten Gestaltung des als solchen bezeichneten Schulbetriebes nicht in einer eine rechtliche Beurteilung abschließend ermöglichenden Weise zu entnehmen, dann hat die belangte Behörde das Hervorkommen der eine solche Beurteilung erlaubenden Sachverhaltselemente im Zuge der die Jahre 1988 bis 1990 betreffenden abgabenbehördlichen Prüfung frei von Rechtsirrtum als rechtlichen Grund einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens erkannt.

Vom Beschwerdepunkt umfaßt ist im Beschwerdefall auch die im angefochtenen Bescheid gepflogene Ermessensübung zu erkennen. Deren Begründung aber läßt eine Beurteilung ihrer Gesetzmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof nicht ausreichend zu. Der vom Beschwerdeführer im Rahmen der Rechtsrüge erfolglos vorgetragene Umstand der seinerzeitigen ausdrücklichen Anerkennung der geltend gemachten Umsatzsteuerbefreiung durch den Prüfer der über die Jahre 1974 bis 1975 durchgeführten abgabenbehördliche Prüfung durfte in der Ermessensübung nicht in der von der belangten Behörde vorgenommenen Weise außer Betracht gelassen werden. Dieser Umstand mußte nämlich in den anzustellenden Billigkeitserwägungen den von der belangten Behörde dem Beschwerdeführer gemachten Vorwurf, die für die rechtliche Beurteilung erforderlichen Umstände nicht entsprechend offengelegt zu haben, in seinem Gewicht stark reduzieren. Wurde der Beschwerdeführer im Ergebnis einer abgabenbehördlichen Prüfung nämlich in seiner Ansicht von der Berechtigung der geltend gemachten Umsatzsteuerbefreiung bestärkt, dann mußte ihm bei gleichbleibender Tätigkeit deren jährlich wiederkehrende eingehende Darstellung zur neuerlichen Rechtfertigung der Umsatzsteuerbefreiung der Tätigkeit nicht in einer Weise als erforderlich und sinnhaft erscheinen, die es rechtfertigen konnte, von einer Verletzung seiner Offenlegungspflicht in einem mehr als vernachlässigbaren, weil bloß theoretischen Ausmaß zu sprechen. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Beurteilung, es habe eine gegenüber den Zeitraum der Vorprüfung gleich gebliebene Gestaltung der Unterrichtstätigkeit gar nicht vorgelegen, ist aber, wie auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift erkennbar einräumt, vom Beschwerdeführer mit Recht als Ergebnis eines mangelhaften Verfahrens insofern gerügt worden, als dem Beschwerdeführer zu diesem Sachverhaltselement der Begründung der Ermessensübung im angefochtenen Bescheid das Parteiengehör nicht gewährt worden war. Der von der belangten Behörde in der Gegenschrift unternommene Versuch, dieses Begründungselement ihrer Ermessensübung als nicht tragend zu bezeichnen, schlägt zu Ungunsten des angefochtenen Bescheides deshalb aus, weil die Tragfähigkeit der für die Ermessensübung gegebenen Gründe damit nur weiter geschwächt wird. Daß der Beschwerdeführer steuerlich vertreten und die Rechtslage mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. April 1980, 2482/77, klargestellt war, ist ein zur Ermessensübung gegebenes Argument, welches an Gewicht jenes der dem Finanzamt bei Erlassung der Erstbescheide anzulastenden Versäumnisse nicht übersteigt, weil die gleiche Kenntnis erst recht auch dem Finanzamt zugesonnen werden muß.

Indem die belangte Behörde den Umstand der Übereinstimmung der Geltendmachung der Umsatzsteuerbefreiung durch den Beschwerdeführer mit der ihm bekanntgegebenen Ansicht des Prüfers der Prüfung für die Jahre 1974 und 1975 in die Begründung ihrer Ermessensübung inhaltlich nicht einbezogen und zudem mit der Annahme einer geänderten Tätigkeitsgestaltung ein Sachverhaltselement ihrer Ermessensentscheidung zugrunde gelegt hat, das dem Beschwerdeführer vor Bescheiderlassung nicht zur Kenntnis gebracht worden war, hat sie ihren Bescheid im Umfang der Absprüche über die Wiederaufnahme der Umsatzsteuerverfahren 1988 und 1989 im Rahmen der getroffenen Ermessensentscheidung mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, welche in diesem Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG zu führen hatte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994130070.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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