TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/15 G312 2240045-1

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Veröffentlicht am 15.09.2021
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Entscheidungsdatum

15.09.2021

Norm

ASVG §67 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch


G312 2240045-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Manuela WILD als Einzelrichterin über die Beschwerde des DI XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle XXXX , vom XXXX , GZ: XXXX zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle XXXX (im Folgenden: belangte Behörde), vom XXXX , GZ: XXXX wurde ausgesprochen, dass DI XXXX (im Folgenden: BF) als ehemaliger Geschäftsführer der XXXX , FN XXXX (im Folgenden: Primärschuldnerin) gemäß § 67 Abs. 10 ASVG der belangten Behörde für aushaftende Sozialversicherungsbeiträge den Betrag von EUR 13.848,52 zuzüglich Verzugszinsen in dem gemäß § 59 Abs. 1 ASVG gültigen Satz von 3.38 % p.a. aus EUR 12.802,33 schulde und verpflichtet sei, diese Schuld binnen 15 Tagen zu bezahlen.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und führte aus, dass er als Geschäftsführer lediglich die Planung und örtliche Bauaufsicht ausgeübt habe und nur für ein Bauvorhaben der Primärschuldnerin zuständig gewesen sei. Mit buchhalterischen Tätigkeiten oder dergleichen sei er nicht betraut gewesen und sei ihm die Einsicht in die Buchhaltung verwehrt gewesen. Zumindest ab 09.07.2019 habe es einen weiteren Geschäftsführer gegeben, weshalb der BF nicht alleine entscheidungsbefugt gewesen sei und der BF auch nicht für die ganzen Beiträge hafte. Der BF verfüge über eine Schad- und Klagloshaltung von XXXX , welcher nach Einschätzung des BF die Firma geleitet habe. Weiters werde die Höhe der Haftungsbeiträge bestritten, weil sie für den BF nicht nachvollziehbar seien und ihm der Rückstandsausweis im behördlichen Verfahren auch nicht übermittelt worden seien. Zudem sei die Insolvenzquote nicht berücksichtigt worden. Dem BF sei kein schuldhaftes Verhalten anzulasten und habe ihm obliegende Überwachungs- und Aufsichtspflichten so gut es ihm möglich war, erfüllt. Das Ermittlungsverfahren sei außerdem mangelhaft, da XXXX und XXXX nicht befragt worden seien.

Die gegenständliche Beschwerde und der maßgebliche Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde am 03.03.2021 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und der Gerichtsabteilung G302 zugewiesen.

Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.08.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung G312 zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF war von 14.03.2019 bis 08.07.2019 selbständig vertretungsbefugter handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Ab 09.07.2019 vertrat er die Primärschuldnerin gemeinsam mit dem Geschäftsführer XXXX .

Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen XXXX vom XXXX , XXXX wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und galt die Primärschuldnerin damit als aufgelöst. Mit Beschluss vom XXXX wurde der Konkurs nach Schlussverteilung mit einer Quote von 0,988 % aufgehoben und die Firma am XXXX infolge Vermögenslosigkeit aus dem Firmenbuch gelöscht.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 07.09.2020 wurde der BF über seine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG für rückständige Sozialversicherungsbeiträge informiert und aufgefordert, einen rechnerischen Entlastungsbeweis oder Einwände, die gegen seine persönliche Haftung sprechen, fristgerecht darzulegen. Gleichzeitig wurde dem BF eine Rückstandsaufstellung gemäß § 64 ASVG der Primärschuldnerin übermittelt.

Der BF legte keine Nachweise für die finanzielle Situation der Primärschuldnerin während der Zeit seiner Geschäftsführung und ebenso wenig einen rechnerischen Entlastungsnachweis zur Überprüfung der Gleichbehandlung vor.

Auf dem Beitragskonto der Primärschuldnerin bestand am 07.01.2021 nach Abzug der Konkursquote und der Zahlung gemäß IESG ein Rückstand von Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum Dezember 2018 bis Juli 2019 samt Nebengebühren und Verzugszinsen gerechnet bis 06.01.2021 in Höhe von EUR 13.848,52.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang sowie die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts der belangten Behörde.

Die Höhe der aushaftenden Beträge ergeben sich aus der Rückstandsaufstellung vom 07.01.2021 der belangten Behörde zum Beitragskonto XXXX . Die Konkursquote von 0,988 % und die Zahlung gemäß IESG wurden laut Angaben der belangten Behörde berücksichtigt.

Die Feststellungen zur Geschäftsführertätigkeit des BF und zum Konkursverfahren der Primärschuldnerin beruhen auf dem Firmenbuchauszug zu FN XXXX sowie den Angaben im Bescheid und der Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das bisherige Ermittlungsverfahren als hinreichend, um den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen. Aus den angeführten Gründen konnte der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Akteninhalt dem gegenständlichen Erkenntnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden. Die Ausführungen in der Beschwerde beziehen sich auf die rechtliche Beurteilung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den, durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträgen insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach § 58 Abs. 5 ASVG in der Fassung nach der Novelle BGBl I 2010/62 haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Die Novellierung dieser Gesetzesbestimmung führte zu einer Reaktivierung der Vertreterhaftung des § 67 Abs. 10 ASVG unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Damit ist zur bisherigen Haftung für nicht abgeführte Dienstnehmerbeiträge und Meldeverstöße (gleichrangig) eine neue Haftung wegen Ungleichbehandlung (von Gläubigern) hinzugetreten (Derntl in Sonntag (Hrsg), ASVG8 (2017) § 67 Rz 77a).

Voraussetzung für die Haftung eines Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG ist die objektive, gänzliche oder zumindest teilweise Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge beim Primärschuldner. Steht noch nicht einmal eine teilweise ziffernmäßig bestimmbare Uneinbringlichkeit fest, kommt eine Geltendmachung der Haftung noch nicht in Betracht (VwGH 20.06.2018, Ra 2018/08/0039).

Weitere Voraussetzungen für die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sind neben der Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Beitragsschuldnerin auch deren ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe nach, schuldhafte und rechtswidrige Verletzungen der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den Vertreter und die Kausalität der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters für die Uneinbringlichkeit (vgl VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

3.2. Im gegenständlichen Fall sind die Voraussetzungen der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG erfüllt:

3.2.1. Uneinbringlichkeit ist bereits anzunehmen, sobald im Lauf des Insolvenzverfahrens feststeht, dass die Beitragsforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht oder zumindest nur zum Teil wird befriedigt werden können (VwGH 20.06.2018, Ra 2018/08/0039).

Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen XXXX vom XXXX , XXXX wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin mit einer Quote von 0,988 % beendet. Die darüber hinaus bestehende Forderung der belangten Behörde ist somit als uneinbringlich zu qualifizieren.

3.2.2. Zu den im § 67 Abs. 10 ASVG genannten "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen" gehören auch die Geschäftsführer von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (vgl. u.a. VwGH vom 19.09.1989, Zl. 88/08/0283).

Der BF war, wie sich aus dem Auszug aus dem österreichischen Firmenbuch ergibt, einen Teil des haftungsrelevanten Zeitraums (Dezember 2018 bis Juli 2019), nämlich von 14.03.2019 selbständig vertretungsbefugter handelsrechtlicher Geschäftsführer.

Hinsichtlich des haftungsrelevanten Zeitraums vor seiner Geschäftsführung (Dezember 2018 bis 13.03.2019) ist auszuführen, dass ein Vertreter, der dies erst zu einem Zeitpunkt wird, zu dem bereits Beitragsschulden bestehen, die ohne seine Mitwirkung zustande gekommen sind („Altschulden“), sich ab dem Eintritt seiner Verantwortlichkeit um die Berichtigung dieser Beitragsschulden aus den vorhandenen Mitteln bzw. um die Gleichbehandlung dieser Verbindlichkeiten mit anderen Schulden entsprechend zu kümmern hat, widrigenfalls er auch für „Altschulden“ haftet (Rudolf Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG Rz 125, Stand 1.12.2020, rdb.at).

Daher kann der BF grundsätzlich zu einer Haftung wegen Ungleichbehandlung für die im gegenständlichen Zeitraum entstandene Beitragsschuld herangezogen werden. Somit ist zu untersuchen, ob der BF infolge schuldhafter Pflichtverletzung für die nicht einbringlichen Beitragsforderungen der belangten Behörde haftet.

Die Haftung des Geschäftsführers nach § 67 Abs. 10 ASVG ist ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Beiträgen schuldhaft (leichte Fahrlässigkeit genügt) verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung kann darin liegen, dass der Geschäftsführer die fälligen Beiträge (ohne rechtliche Grundlage) insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt, bzw. - im Falle des Fehlens ausreichender Mittel - nicht für eine zumindest anteilige Befriedigung auch der Forderungen der Gebietskrankenkasse Sorge trägt. Der Geschäftsführer wäre nur dann exkulpiert, wenn er entweder nachweist, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel verfügt und daher keine Zahlungen geleistet zu haben, oder zwar über Mittel verfügt zu haben, aber wegen der gebotenen Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern die Beitragsschuldigkeiten - ebenso wie die Forderungen aller anderen Gläubiger - nicht oder nur zum Teil beglichen zu haben, die Beitragsschuldigkeiten also nicht in Benachteiligung der Gebietskrankenkasse in einem geringeren Ausmaß beglichen zu haben als die Forderungen anderer Gläubiger (VwGH 20.06.2018, Ra 2018/08/0039).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, trifft ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht den Vertreter die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der Verpflichtungen unmöglich war, widrigenfalls eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden kann. Stellt er dabei nicht bloß ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete sachbezogene Behauptungen auf, so ist er zur weiteren Präzisierung und Konkretisierung des Vorbringens aufzufordern, wenn auf Grund dessen - nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens - die Beurteilung des Bestehens einer Haftung möglich ist. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zur Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht entsprochen hat. Der Vertreter haftet dann für die Beitragsschulden zur Gänze, weil ohne entsprechende Mitwirkung auch der durch sein schuldhaftes Verhalten uneinbringlich gewordene Anteil nicht festgestellt werden kann (VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

Allerdings darf diese besondere Behauptungslast und Beweislast einerseits nicht überspannt, andererseits nicht so aufgefaßt werden, daß die Behörde jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre (VwGH 12.10.2017, Ra 2017/08/0070).

Jedem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht (oder nicht zur Gänze) entrichten kann, ist schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, sich - spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige Abgabenschulden unberichtigt aushaften - jene Informationen zu sichern, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen. Die Beendigung der Geschäftsführertätigkeit enthebt den Vertreter nicht von dieser Darlegungspflicht (vgl. VwGH 28.10.1998, 97/14/0160).

Der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 11.04.2018, Ra 2015/08/0038, dargelegt, dass der Revisionswerber - ausgehend von den oben angeführten Grundsätzen - nicht nur allgemein dartun hätte müssen, dass er dem Benachteiligungsverbot Rechnung getragen hat. Vielmehr hätte er die im Beurteilungszeitraum fälligen unberichtigten Beitragsschulden und die fälligen offenen Gesamtverbindlichkeiten sowie die darauf jeweils geleisteten Zahlungen darlegen müssen.

In subjektiver Hinsicht reicht für die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG leichte Fahrlässigkeit aus (VwGH vom 12.10.2017, Ra 2017/08/00070). Eine solche ist schon dann anzunehmen, wenn der Geschäftsführer keine Gründe anzugeben vermag, wonach ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung, für die Beitragsentrichtung zu sorgen, unmöglich war (VwGH 29.06.1999, 99/08/0075).

Im vorliegenden Fall hat der BF weder im behördlichen Verfahren noch in der Beschwerde trotz mehrfacher Aufforderung und Gewährung einer Fristerstreckung subtantiierte Behauptungen noch taugliche Nachweise zur Gläubigergleichbehandlung noch diesbezüglich konkrete sachbezogene Behauptungen aufgestellt.

Wenn der BF ausführt, dass er faktisch keine Geschäftsführerkompetenz, sondern lediglich die Planung und Bauaufsicht innehatte, ist auszuführen, dass ein Geschäftsführer im Falle der Behinderung durch Gesellschafter verpflichtet ist, entweder sofort im Rechtsweg die Möglichkeit der unbehinderten Ausübung seiner Funktion zu erzwingen oder seine Funktion niederzulegen und als Geschäftsführer auszuscheiden. Bleibt der Geschäftsführer weiterhin tätig, obwohl er sich in seiner Pflichterfüllung behindert sieht, verletzt er seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Entrichtung der die Gesellschaft treffenden Abgaben (VwGH 13.08.2003, 2000/08/0032).

Zum Einwand des BF, dass die buchhalterischen Belange schlichtweg nicht seine Aufgabe gewesen seien, ist anzuführen, dass die Aufgabenverteilung unter Geschäftsführern selbst bei größter Spezialisierung nicht bewirken kann, dass ein Geschäftsführer sich nur noch auf das ihm zugeteilte Aufgabengebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr kümmern muss. Hinsichtlich der von den anderen Geschäftsführern unmittelbar betreuten Aufgabengebiete bleibt eine Pflicht zur allgemeinen Beaufsichtigung (Überwachung) und gegebenenfalls zur Schaffung von Abhilfe aufrecht. Besteht der Verdacht, dass im Arbeitsbereich eines anderen Geschäftsführers Missstände vorliegen, dann muss sich der Geschäftsführer einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden. Eine Verletzung dieser Pflicht liegt vor, wenn der von der Wahrnehmung der zu erfüllenden Pflichten entbundene Geschäftsführer trotz Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen. Haftungsbegründend ist auch die vorwerfbare Unkenntnis von Pflichtverstößen des anderen Geschäftsführers (VwGH 19.12.2012, 2011/08/0107).

Auch die vom BF vorgelegte Schad- und Klagloshaltung des XXXX , vermag den BF von seiner Verpflichtung, die Beitragsentrichtung zumindest zu überwachen, nicht zu entbinden. Im Übrigen war XXXX laut Auszug aus dem Firmenbuch zu keiner Zeit Geschäftsführer der Primärschuldnerin.

Zum Einwand des BF, für den Zeitraum der gemeinsamen Geschäftsführung mit XXXX nicht allein für die Beitragsrückstände zu haften, geht insofern ins Leere, als bei mehreren bestellten Geschäftsführern, grundsätzlich alle für die Erfüllung der ihnen als gesetzlichen Vertretern auferlegten Pflichten haften (VwGH 20.04.2005, 2003/08/0243, in Bezug auf einen kollektiv vertretungsbefugten Geschäftsführer). Im Übrigen endet der gegenständliche Haftungszeitraum mit dem Ende der alleinigen Geschäftsführung des BF (Juli 2019).

Zusammengefasst ist ein Verschulden des BF im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung zu bejahen, als er zumindest verpflichtet gewesen wäre, die ordnungsgemäße Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen.

Es gab auch keine Hinweise, dass die Beweislast des BF überspannt wurde. Vielmehr stellte die belangte Behörde dem BF ein Berechnungsblatt zur Verfügung, welches vom BF jedoch nicht ausgefüllt wurde.

Zum Einwand des BF, dass er die entsprechenden Unterlagen nicht einholen habe können, ist anzumerken, dass es jedem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht (oder nicht zur Gänze) entrichten kann, schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar ist, sich - spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige Abgabenschulden unberichtigt aushaften - jene Informationen zu sichern, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen. Die Beendigung der Geschäftsführertätigkeit enthebt den Vertreter nicht von dieser Darlegungspflicht (vgl. VwGH 28.10.1998, 97/14/0160).

Der Einwand der Unmöglichkeit der Beschaffung der Unterlagen ist auch zu pauschal und wäre der BF verpflichtet gewesen, die Ermittlungen zumindest in eine Richtung voranzutreiben, insbesondere durch die Benennung der in Betracht kommenden Beweismittel (20.02.1996, 95/08/0180).

Davon ausgehend ist der BF seiner besonderen Mitwirkungspflicht im Verfahren trotz Aufforderung nicht nachgekommen. Im Hinblick darauf kann nach der oben aufgezeigten Rechtsprechung ohne weitere Ermittlungen eine schuldhafte (fahrlässige) Pflichtverletzung angenommen werden.

3.2.3. Die Kausalität der dem BF anzulastenden Pflichtverletzungen für die Uneinbringlichkeit und der Rechtswidrigkeitszusammenhang sind mangels eines stichhaltigen Bestreitungsvorbringens bzw. gegenteiliger Anhaltspunkte ebenso zu bejahen.

3.2.4. Was die ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe des Haftungsbetrages anbelangt, so legte die belangte Behörde ihrem Bescheid einen Rückstandsausweis vom 07.01.2021 zugrunde, welcher entgegen dem Vorbringen des BF die Quote des Konkursverfahrens bereits berücksichtigt.

Der Haftungsbetrag wurde im Rückstandsausweis näher aufgegliedert. Zum Einwand des BF, dass die Höhe des Haftungsbetrages nicht nachvollziehbar ist, ist auszuführen, dass die Aufschlüsselung den Vorgaben des § 64 Abs. 2 ASVG entsprach, wonach der rückständige Betrag, die Art des Rückstandes samt Nebengebühren, der Zeitraum, auf den die rückständigen Beiträge entfallen, allenfalls vorgeschriebene Verzugszinsen, Beitragszuschläge und sonstige Nebengebühren anzuführen sind. Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde und begründet nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld (VwGH, 12.01.2016, Ra 2014/08/0028). Aufgrund des Vorliegens des Rückstandsausweises ist sohin hinreichend bestimmt, welche ziffernmäßige Höhe der Haftungsbetrag aufweist und wie sich die Forderung konkret zusammensetzt.

Es bedarf – wie der VwGH in seiner Entscheidung vom 11.04.2018, Ra 2015/08/0038 ausgeführt hat - auch keiner weiteren Klarstellung, wie sich der Haftungsbetrag im Einzelnen zusammensetzt. Die im Bescheid enthaltene Aufgliederung in Teilbeträge für bestimmte Zeiträume zuzüglich Verzugszinsen ist für das gegenständliche Verfahren hinreichend.

Entgegen den Angaben des BF wurde ihm der Rückstandsausweis auch im Ermittlungsverfahren übermittelt. Spätestens im Rahmen der Beschwerde hätte er auch die Möglichkeit gehabt, den Betrag des mit dem Bescheid übermittelten Rückstandsausweises substantiiert zu bestreiten. Der Einwand, dass die Höhe des Betrages nicht nachvollziehbar für ihn sei, ist jedenfalls zu unkonkret, um die Berechnungen der belangten Behörde in Zweifel zu ziehen.

Die Haftung des BF erstreckt sich nach dem oben Gesagten auf die Beitragsschulden zur Gänze.

Aus den dargelegten Gründen war die Haftung des BF im gegenständlichen Fall zu bejahen und spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Gemäß Abs. 5 kann das Verwaltungsgericht von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen und wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. Die belangte Behörde ist ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Recherche nachgekommen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt.

Der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt konnte als durch die Aktenlage hinreichend geklärt erachtet werden. In der Beschwerde wurden keine noch zu klärenden Tatsachenfragen in konkreter und substantiierter Weise aufgeworfen und war gegenständlich auch keine komplexe Rechtsfrage zu lösen. Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Beitragsrückstand Geschäftsführer Gleichbehandlung Haftung Nachweismangel Pflichtverletzung Uneinbringlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G312.2240045.1.00

Im RIS seit

08.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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