TE Vwgh Beschluss 2021/10/12 Ra 2021/14/0295

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Veröffentlicht am 12.10.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §18
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §52

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/14/0308
Ra 2021/14/0309
Ra 2021/14/0310
Ra 2021/14/0311

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache 1. des A B, 2. der C D, 3. der E F, 4. der G H, und 5. des I J, alle vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2021, 1. L515 2227247-2/10E, 2. L515 2227243-2/8E, 3. L515 2227244-2/8E, 4. L515 2227246-2/8E und 5. L515 2227245-2/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien sind armenische Staatsangehörige. Der Erst- und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen weiteren revisionswerbenden Parteien. Sie beantragten am 11. November 2019 internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 und brachten zusammengefasst vor, sie hätten ihre Heimat verlassen müssen, da ihr Leben in Gefahr gewesen sei. Ausgangspunkt ihres Fluchtvorbringens war eine Hochzeit, die der Erst- und die Zweitrevisionswerberin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Hochzeitsplaner ausgerichtet hätten. Bei dieser habe die Zweitrevisionswerberin die Entführung eines ihr unbekannten Mannes beobachtet, was sie später bei der Polizei angezeigt habe. Dies hätte zu einer näher dargestellten, staatlich tolerierten Privatverfolgung gegen den Erstrevisionswerber und seine Familie geführt.

2        Mit Bescheiden vom 6. Dezember 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der revisionswerbenden Parteien zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung, und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Armenien zulässig sei. Es erkannte allfälligen Beschwerden dagegen die aufschiebende Wirkung ab und gewährte keine Frist zur freiwilligen Ausreise. Schließlich trug es den revisionswerbenden Parteien auf, in einem im Bescheid näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.

3        Mit Beschlüssen vom 13. Jänner 2020 verwies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Angelegenheit aufgrund dagegen erhobener Beschwerden jeweils gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde zurück.

4        Nach fortgesetzten Ermittlungen wies das BFA mit Bescheiden vom 21. Juni 2021 neuerlich die Anträge auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung nach Armenien zulässig sei, erkannte allfälligen Beschwerden dagegen die aufschiebende Wirkung ab und legte keine Frist zur freiwilligen Ausreise fest.

5        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das BVwG - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend stellte das BVwG fest, dass die revisionswerbenden Parteien nicht den von ihnen behaupteten Gefährdungen ausgesetzt gewesen seien und auch im Falle einer Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefahr ausgesetzt sein würden. Dabei stützte es sich beweiswürdigend - neben anderen Erwägungen - wie schon das BFA darauf, dass nach einer im Behördenverfahren eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation entgegen den Angaben des Erst- und der Zweitrevisionswerberin am angegebenen Tag im angegebenen Restaurant weder eine Hochzeit noch eine Entführung oder eine andere kriminelle Aktivität stattgefunden habe. Diese Anfragebeantwortung basierte diesbezüglich auf Auskünften der (nicht näher genannten) „Vertrauensperson (VP) in Armenien“, welche sich auf Angaben des damals verantwortlichen Eventmanagers des betreffenden Restaurants, das Studium von Medienquellen, die über kriminelle Nachrichten berichten, sowie die Recherche anderer verwandter Quellen berief.

7        Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Die Revision bringt vor, dass die in der Beschwerde beantragte mündliche Verhandlung nicht unterbleiben hätte dürfen, weil der Sachverhalt von der Behörde nicht vollständig und ordnungsgemäß erhoben worden sei (zu den diesbezüglichen, nach § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz maßgeblichen Kriterien vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 31.8.2021, Ra 2020/14/0482, mwN). Es sei nämlich nicht erhoben worden, ob - wie vorgebracht - bei den in Armenien verbliebenen Eltern der Zweitrevisionswerberin wiederholt von Verfolgern nach dem Aufenthaltsort der revisionswerbenden Parteien gefragt worden sei. Diesbezüglich sei beantragt worden, die Mutter der Zweitrevisionswerberin durch einen Vertrauensanwalt im Herkunftsstaat zu befragen.

12       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist jedoch ein Beweisantrag eines Asylwerbers, bestimmte Auskunftspersonen im Herkunftsstaat durch eine Vertrauensperson befragen zu lassen, nicht zulässig (vgl. dazu näher VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, III.12. der Entscheidungsgründe; VwGH 28.4.2020, Ra 2019/14/0537, mwN). Der behauptete Mangel der behördlichen Sachverhaltsermittlung liegt daher nicht vor.

13       Die Revision bringt weiters unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. April 2015, 2012/07/0196, vor, dass durch die Geheimhaltung der Identität der Vertrauensperson, welche die Recherchen im Herkunftsstaat durchgeführt habe, das Parteiengehör verletzt worden sei. Damit zeigt die Revision aber schon deshalb keine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf, weil das angeführte Erkenntnis sich auf den Beweis durch Sachverständige bezieht.

14       Bei Vertrauenspersonen handelt es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs jedoch um Privatpersonen, bei deren abgegebenen Stellungnahmen und Berichten es sich - auch unabhängig von der ihnen allenfalls verliehenen Anonymität und ungeachtet der inhaltlichen Qualität ihrer Stellungnahmen - um keinen Beweis durch Sachverständige im Sinn des § 52 AVG handelt, sondern um ein Beweismittel eigener Art, das der freien Beweiswürdigung unterliegt. Bei dessen Würdigung ist aber stets zu berücksichtigen, dass die Qualifikation und die Vorgangsweise der ermittelnden Privatperson sich einer Kontrolle weitgehend entziehe und sie im Gegensatz zu einem Sachverständigen im Sinn des § 52 AVG auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden könne. Darauf ist in der Beweiswürdigung Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 27.1.2000, 99/20/0488; VwGH 28.4.2020, Ra 2019/14/0537, mwN; vgl. weiters in diesem Zusammenhang zu den Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der fallbezogenen Recherche im Herkunftsstaat VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, mwN).

15       Das BVwG ist auf diese besonderen Umstände im Zuge der Beweiswürdigung auch mit konkreten, aber nicht auf eine bestimmte Person bezogenen Ausführungen eingegangen.

16       Im Hinblick darauf, dass es sich bei einer solchen Stellungnahme einer Vertrauensperson nicht um einen Beweis durch Sachverständige im Sinn des § 52 AVG, sondern um ein Beweismittel eigener Art handelt, ist es zu dessen Erschütterung nicht erforderlich, dass ihm auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten wird (vgl. VwGH 31.5.2001, 2000/20/0470). Die Revision führt zwar aus, es wäre „besser gewesen“, nicht nur den Eventmanager, sondern auch andere Bedienstete des betreffenden Restaurants zu befragen, die sich angeblich nicht um den guten Ruf des Veranstaltungsortes sorgen und Repressalien seitens des Eigentümers fürchten müssten. Damit gelingt es der Revision jedoch nicht, fallbezogen insgesamt eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des BVwG darzustellen (zum diesbezüglichen Prüfkalkül im Revisionsverfahren vgl. VwGH 31.8.2021, Ra 2020/14/0061, mwN). So hat das BVwG überdies festgehalten, dass es zum Ergebnis, wonach das fluchtauslösende Ereignis nicht stattgefunden habe, auch aufgrund der unplausiblen und nicht nachvollziehbaren Angaben des Erst- und der Zweitrevisionswerberin gekommen sei.

17       Soweit die Revision schließlich die unterbliebene Vernehmung der Drittrevisionswerberin rügt, macht sie einen Verfahrensmangel geltend, ohne dessen Relevanz darzulegen. Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist nämlich - um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen - in der Revision konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 2.3.2020, Ra 2020/14/0062, mwN). Außerdem vermag dieses Vorbringen eine Rechtsfrage im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG schon deswegen nicht aufzuzeigen, weil darauf in den Revisionsgründen nicht mehr zurückgekommen wird (vgl. VwGH 2.9.2021, Ra 2021/20/0151, mwN).

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. Oktober 2021

Schlagworte

Beweismittel Auskünfte Bestätigungen Stellungnahmen Beweismittel Sachverständigenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140295.L00

Im RIS seit

08.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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