TE Vwgh Beschluss 2021/10/12 Ra 2021/14/0056

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Veröffentlicht am 12.10.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
VwGG §42 Abs2 Z3
VwGG §63 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des A B in X, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen Spruchpunkt A) I. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Jänner 2021, W215 2145337-1/41E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 7. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Er brachte vor, er habe Angst vor den Al Shabaab. Deren Mitglieder hätten ihn beschuldigt mit der Regierung zusammenzuarbeiten und ihn zum Tode verurteilt. Er habe zunächst die Hinrichtung anderer Männer miterlebt. Unmittelbar vor seiner Enthauptung sei er von einem ranghohen Mitglied gerettet und verwarnt worden. Von der abgebrochenen Hinrichtung sei eine Narbe am Nacken verblieben. Aus Angst um sein Leben sei er geflohen.

2        Mit Bescheid vom 27. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Somalia zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte es mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Dabei erachtete es das Vorbringen des Revisionswerbers für nicht glaubwürdig und stellte fest, dass er aus wirtschaftlichen Gründen (für ihn schwierige und aussichtlose Situation in Somalia) geflohen sei.

3        Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gab der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 16. September 2019 zunächst Folge, erkannte ihm den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

4        Dieses Erkenntnis wurde vom Verwaltungsgerichtshof auf Grund einer Amtsrevision des BFA mit Erkenntnis vom 16. April 2020, Ra 2019/14/0505, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

5        Grund dafür war, dass das BVwG offenbar davon ausging, dass dem Revisionswerber eine asylrelevante Verfolgung durch Al Shabaab drohe. Aus den Feststellungen habe sich jedoch ergeben, dass die Al-Shabaab-Miliz lediglich Teile des Herkunftsstaates Somalia kontrolliere. Der Beurteilung des BVwG, im Fall des Revisionswerbers könne keine innerstaatliche Fluchtalternative im Herkunftsstaat ermittelt werden, konnte daher anhand der getroffenen Feststellungen nicht nachvollzogen werden.

6        Darüber hinaus war der festgestellte Sachverhalt auch für die Beurteilung der Frage, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen, unvollständig, weil den Feststellungen nicht entnommen werden konnte, aus welchen Gründen im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK der Revisionswerber verfolgt wurde, noch ob ihm auch aktuell bzw. in Zukunft eine Verfolgung droht.

7        Im fortgesetzten Verfahren führte das BVwG eine neuerliche mündliche Verhandlung durch, in der es den Revisionswerber erstmals näher zu den fluchtauslösenden Ereignissen befragte.

8        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers, soweit ihm die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten versagt worden war, ab (Spruchpunkt A.) I.). Es gab der Beschwerde jedoch insofern statt, als es dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt A.) II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt hat (Spruchpunkt A.) III.). Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

9        Begründend führt das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Al Shabaab zum Tode verurteilt worden sei, ihm der Hals durchgeschnitten werde habe sollen und er aus Angst um sein Leben nach Österreich gereist sei. In der diesbezüglichen Beweiswürdigung führt das BVwG an, dass das BFA in seinem Bescheid von der Unglaubwürdigkeit der Angaben zum Fluchtgrund ausgegangen sei, das BVwG dieser Argumentation jedoch im ersten Rechtsgang nicht folgen habe können. Allerdings sei der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. April 2020 der Auffassung des BVwG, dass der Revisionswerber von Al Shabaab verfolgt werde, nicht gefolgt. Der Revisionswerber habe zudem in der im zweiten Rechtsgang durchgeführten Beschwerdeverhandlung (näher dargestellte) widersprüchliche bzw. nicht plausible Angaben zu seinen angeblichen Erlebnissen mit Al Shabaab nicht plausibel erklären können. Das BVwG gehe „auf Grund des gegenständlichen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs in Verbindung mit dem Umstand, dass der [Revisionswerber] erstmals in der zweiten Beschwerdeverhandlung - widersprüchlich zum früheren Vorbringen - behauptet hat, ohnmächtig geworden zu sein, in Verbindung mit dem nicht plausiblen Vorbringen zum angeblichen Versuch auch ihm die Kehle - allerdings im Gegensatz zu den anderen vom Nacken aus - mit einem Messer durchzuschneiden, davon aus, dass der Beschwerdeführer die behaupteten Vorfälle bzw. Verfolgung von al-Schabaab frei erfunden hat ...“

10       Die Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof gegen die Versagung der Zuerkennung von Asyl gerichteten Beschwerde wurde von diesem mit Beschluss vom 8. Juni 2021, E 1370/2021-5, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

11       In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht, die sich der Sache nach ausschließlich gegen Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses - die Nichtzuerkennung von Asyl - richtet.

12       Zu ihrer Zulässigkeit wird darin im Wesentlichen vorgebracht, das BVwG habe einerseits zu Unrecht aus dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs eine Aussage zur Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens abgeleitet. Andererseits sei die Annahme, der Revisionswerber habe vorgebracht, ihm hätte die Kehle vom Nacken aus durchgeschnitten werden sollen, aktenwidrig; das BVwG habe das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der vorgebrachten Fluchtgründe berücksichtigt und ein angenommener Widerspruch in den abgelegten Aussagen liege nicht vor.

13       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16       Es trifft zu, dass das BVwG den Inhalt des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 2020 (oder die Reichweite der Bindungswirkung nach § 63 Abs. 1 VwGG) verkannt hat.

17       Erfolgt die Aufhebung eines Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, die für die Beurteilung des Rechtsfalls wesentlichen Sachverhaltsermittlungen zu treffen, so besteht die Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustands im Sinn des § 63 VwGG darin, dass das Verwaltungsgericht nunmehr jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchführt, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhalts ermöglichen (vgl. VwGH 23.6.2021, Ra 2020/18/0400, mwN).

18       Nach dem Inhalt des Vorerkenntnisses hat der Verwaltungsgerichtshof im damals angefochtenen Erkenntnis des BVwG neben einer nachvollziehbaren Beurteilung für die Annahme, dass dem Revisionswerber keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht, noch Feststellungen vermisst, aus denen sich ergibt, aus welchen Gründen im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK der Revisionswerber verfolgt wurde, und ob ihm auch aktuell bzw. in Zukunft eine Verfolgung droht. Dass der Verwaltungsgerichtshof der Rechtansicht wäre, dass dem Revisionswerber keine aslyrelevante Verfolgung drohe oder sein Vorbringen überhaupt unglaubwürdig sei, ist dem Vorerkenntnis allerdings nicht zu entnehmen, weshalb es auch kein taugliches Begründungselement für eine diesbezügliche Beweiswürdigung sein kann.

19       Das BVwG hat seine nunmehrige Beweiswürdigung jedoch nicht allein auf dieses Argument gestützt, sondern vielmehr, nachdem es den Revisionswerber im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu den Fluchtgründen näher vernommen hatte, weitere - für sich tragende - Erwägungen angestellt, denen zufolge das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers insbesondere wegen fehlender Plausibilität und widersprüchlicher Angaben nicht glaubwürdig sei.

20       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 26.2.2021, Ra 2021/14/0044, mwN).

21       Entgegen dem Revisionsvorbringen erweist sich die Annahme, der Revisionswerber habe vorbracht, man hätte versucht, ihm die Kehle mit einem Messer vom Nacken aus durchzuschneiden, dabei nicht als aktenwidrig. Es ist vielmehr eine nicht unvertretbare Schlussfolgerung einerseits aus den Angaben des Revisionswerbers in seiner Einvernahme vor dem BFA, wonach zunächst anderen Männern die Kehle durchgeschnitten worden sei, dann er an die Reihe gekommen sei und man ihm mit dem Messer am Genick geschnitten habe, bevor seine geplante Hinrichtung abgebrochen worden sei. Andererseits hat der Revisionswerber auf den Vorhalt in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, dass ein Durchschneiden des Halses von hinten mit einem Messer nicht nachvollziehbar sei, lediglich - und erstmals - angegeben, dass er nach der Hinrichtung der anderen Männer bewusstlos geworden und erst mit einer Verletzung am Nacken wieder zu Bewusstsein gekommen sei.

22       Damit findet auch das in der Revision hervorgehobene Beschwerdevorbringen, wonach die Enthauptungen von hinten erfolgt seien, wobei mit dem Messer zunächst ein tiefer Schnitt gesetzt werde, um die Stelle, an der der Kopf abgeschlagen werden sollte, zu markieren, keine Bestätigung in den Angaben des Revisionswerbers bei seinen Vernehmungen.

23       Schließlich lässt auch weder das rein spekulative Vorbringen, für den festgestellten Umstand, dass der Revisionswerber wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in ärztlicher Behandlung gestanden sei, sei keine andere Erklärung als die Richtigkeit des Fluchtvorbringens ersichtlich, noch die Behauptung, die erst vor dem BVwG geschilderte Bewusstlosigkeit sei kein Widerspruch zu seinen bisherigen Angaben, sondern lediglich eine Ergänzung gewesen, den Schluss zu, die Beweiswürdigung des BVwG sei insgesamt unvertretbar erfolgt.

24       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. Oktober 2021

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140056.L00

Im RIS seit

08.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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