TE Vwgh Beschluss 2021/10/12 Ra 2020/15/0117

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Veröffentlicht am 12.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §103 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Innsbruck, in 6021 Innsbruck, Innrain 32, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 24. August 2020, Zl. RV/3100169/2017, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde betreffend Haftung für Lohnsteuer sowie Festsetzung Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2010 bis 2013 (mitbeteiligte Partei: T G in I, vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die mitbeteiligte Partei betrieb - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - im Streitzeitraum ein Lokal. Nach einer Außenprüfung zog das Finanzamt die mitbeteiligte Partei als Arbeitgeberin mit Bescheiden vom 14. Oktober 2015 für die Jahre 2010 bis 2013 zur Haftung für die Einbehaltung und Abfuhr von Lohnsteuer heran und schrieb ihr unter einem Dienstgeberbeiträge und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag für diese Jahre vor.

2        Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei durch ihre rechtsfreundliche Vertretung, Rechtsanwalt Mag. K, mit Schreiben vom 13. November 2015 Beschwerde.

3        Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BFG - nach Ergehen einer (verbösernden) Beschwerdevorentscheidung und Stellen eines Vorlageantrags - die Beschwerde gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als unzulässig zurück. Begründend führte es aus, Rechtsanwalt Mag. K sei seit 2013 aufgrund einer von der mitbeteiligten Partei mündlich erteilten Vollmacht für diese anwaltlich tätig und als solcher auch gegenüber dem Finanzamt als ihr Vertreter aufgetreten. Im revisionsgegenständlichen Abgabenverfahren sei er nachweislich mit Schreiben vom 17. September 2014 unter Hinweis auf seine rechtsfreundliche Vertretung der mitbeteiligten Partei gegenüber dem Finanzamt eingeschritten. Eine Einschränkung dieser Vollmacht sei gegenüber dem Finanzamt nicht erfolgt. Mag. K habe auch an den durchgeführten Schlussbesprechungen zur Prüfung der strittigen Lohnabgaben und der hier nicht gegenständlichen Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2013 als anwaltlicher Vertreter der mitbeteiligten Partei teilgenommen und das Ergebnis der Prüfungen mit seiner Unterschrift zur Kenntnis genommen. Das Finanzamt habe dessen ungeachtet die einen Tag nach der Schlussbesprechung erlassenen strittigen Bescheide an die mitbeteiligte Partei adressiert und ihr diese ohne Zustellnachweis an ihrer (damaligen) Wohnanschrift zugestellt. Rechtsanwalt Mag. K habe von den strittigen Bescheiden dadurch Kenntnis erlangt, dass ihm die mitbeteiligte Partei Kopien der Bescheide in Form von Pdf-Dateien als Anlagen zu einem E-Mail vom 29. Oktober 2015 übermittelt habe. In der Kanzlei des Anwaltes seien die Bescheidkopien am 30. Oktober 2015 ausgedruckt und mit dem Eingangsstempel versehen worden; die Originalbescheide seien bei der mitbeteiligten Partei verblieben.

4        Gemäß § 97 Abs. 1 lit. a BAO würden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben würden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt seien. Die Bekanntgabe erfolge bei schriftlichen Erledigungen - abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen - durch Zustellung, die gemäß § 98 Abs. 1 BAO nach dem Zustellgesetz (ZustG) vorzunehmen sei. Unterliefen im Zustellverfahren Mängel, so gelte gemäß § 7 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen sei. Gemäß § 9 Abs. 1 ZustG könnten, soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt sei, die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht). Gemäß § 8 Abs. 1 RAO erstrecke sich das Vertretungsrecht eines Rechtsanwalts auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich und umfasse die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Vor allen Gerichten und Behörden ersetze die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis. Für einen berufsmäßigen Parteienvertreter genüge es somit, wenn sich der Vertreter auf die ihm erteilte Vollmacht berufe (Hinweis auf VwGH 3.7.2009, 2008/17/0154). Eine allgemeine, einem berufsmäßigen Parteienvertreter erteilte Vollmacht umfasse, soweit sich daraus nichts Gegenteiliges ableiten lasse, auch eine Zustellungsbevollmächtigung. Die Berufung auf die einem Rechtsanwalt erteilte (allgemeine) Vollmacht schließe auch eine Zustellvollmacht ein (Hinweis auf VwGH 23.10.2008, 2007/16/0032). Die Bevollmächtigung müsse im jeweiligen Verfahren geltend gemacht werden (Hinweis auf Ritz, BAO6 § 9 ZustG, Tz 19).

5        Im Revisionsfall stehe außer Zweifel, dass die mitbeteiligte Partei dem anwaltlichen Vertreter eine allgemeine Vollmacht erteilt habe. Auch sei diese Vollmacht dem Finanzamt spätestens mit dem an das Finanzamt zu Handen des Prüfers gerichteten Schriftsatz vom 17. September 2014 betreffend die durchgeführte Außenprüfung zur Kenntnis gebracht worden, worin Rechtsanwalt Mag. K darauf verweise, dass er die mitbeteiligte Partei im anhängigen Verfahren rechtsfreundlich vertrete. Mit dieser Bekanntgabe habe sich der anwaltliche Vertreter auf die ihm erteilte allgemeine Vollmacht berufen. Dem Finanzamt sei damit das bestehende Vollmachtverhältnis hinreichend zur Kenntnis gebracht worden. Die Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes sei vom Finanzamt auch nicht in Frage gestellt worden, zumal Mag. K in der weiteren Folge mehrmals gegenüber dem Finanzamt als anwaltlicher Vertreter der mitbeteiligten Partei eingeschritten sei (u.a. bei der Schlussbesprechung am 13. Oktober 2015) und das Finanzamt - wie einem Zustellnachweis vom 23. Juli 2015 zu entnehmen sei - auch Schriftstücke für die mitbeteiligte Partei an den anwaltlichen Vertreter zugestellt habe. Die allgemeine Vollmacht des anwaltlichen Vertreters habe auch eine Zustellvollmacht eingeschlossen.

6        Gemäß § 9 Abs. 3 ZustG habe, wenn ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt sei, die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt sei, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschehe dies nicht, so gelte die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen sei. Eine Adressierung und Zustellung einer Erledigung an den Vollmachtgeber, obwohl eine aufrechte Zustellvollmacht bestehe, habe die Wirkung, dass die Zustellung rechtsunwirksam sei (Hinweis auf VwGH 23.10.2008, 2007/16/0032). Die streitgegenständlichen Bescheide vom 14. Oktober 2015 seien vom Finanzamt nicht an den zustellungsbevollmächtigten anwaltlichen Vertreter der mitbeteiligten Partei, sondern an diese selbst adressiert und zugestellt worden. Die Bescheide seien demzufolge mit einem Zustellmangel behaftet.

7        Eine Sanierung nach § 9 Abs. 3 zweiter Satz ZustG wäre grundsätzlich möglich; eine solche sei im gegenständlichen Fall aber nicht erfolgt. Die Heilung eines Zustellmangels nach § 7 bzw. der Sondernorm nach § 9 Abs. 3 ZustG setze voraus, dass das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen sei, d.h. dass der vom Gesetz vorgesehene Empfänger tatsächlich in den Besitz des zuzustellenden Schriftstücks (im Original) komme. Nicht ausreichend sei die bloße Kenntnisnahme des Inhalts des Schriftstücks, beispielsweise durch Übermittlung einer Ablichtung oder durch Akteneinsicht (Hinweis auf VwGH 17.10.2019, Ra 2018/08/0004, mwN). Im Revisionsfall seien dem zustellungsbevollmächtigten anwaltlichen Vertreter die Originalbescheide nicht zugekommen, sondern dieser habe von deren Inhalt nur dadurch Kenntnis erlangt, dass ihm die mitbeteiligte Partei (eingescannte) Ablichtungen der Bescheide per E-Mail übermittelt habe.

8        Auch der Umstand, dass der anwaltliche Vertreter Beschwerde gegen die strittigen Bescheide eingebracht habe, vermöge die fehlende Zustellung nicht zu sanieren. Eine „Heilung durch Einlassung“ kenne das Zustellgesetz nicht (Hinweis auf VwGH 9.4.2020, Ro 2020/16/0004, mwN). Die angefochtenen Bescheide hätten daher mangels rechtswirksamer Zustellung keine Rechtswirkung entfalten können. Mit Beschwerde anfechtbar seien nur Bescheide. Daher seien Bescheidbeschwerden gegen Schriftstücke ohne Bescheidcharakter als unzulässig zurückzuweisen. Gleiches gelte für eine Bescheidbeschwerde gegen einen mangels Zustellung rechtlich nicht existent gewordenen Bescheid.

9        Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende Amtsrevision. Zu deren Zulässigkeit macht das Finanzamt geltend, es fehle Rechtsprechung zu § 103 Abs. 2 BAO idF nach dem AbgAG 2003, nämlich ob die Zustellung auch dann an den rechtlichen Vertreter zu erfolgen habe, wenn dieser seine Vollmacht eingeschränkt auf ein Prüfungsverfahren bekannt gebe, das Abgaben betreffe, deren Gebarung gemäß § 213 BAO mit anderen Abgaben zusammengefasst verbucht werde.

10       Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

11       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

12       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14       Mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen weist die Revision auf eine Sonderregelung des Abgabenverfahrens hin, wonach eine Zustellungsbevollmächtigung Abgabenbehörden gegenüber gemäß § 103 Abs. 2 BAO unwirksam ist, wenn sie entweder ausdrücklich auf nur einige dem Vollmachtgeber zugedachte Erledigungen eingeschränkt ist, die im Zuge eines Verfahrens ergehen, oder ausdrücklich auf nur einige jener Abgaben eingeschränkt ist, deren Gebarung gemäß § 213 BAO zusammengefasst verbucht wird (vgl. dazu bereits VwGH 20.6.2012, 2010/17/0215, mwN).

15       In den Revisionsgründen führt das Finanzamt dazu ergänzend aus, im Revisionsfall habe sich der rechtliche Vertreter der mitbeteiligten Partei in seinem Schreiben vom 17. September 2014 nicht auf eine umfassende Vollmacht berufen, sondern erklärt, dass er die mitbeteiligte Partei „im Zusammenhang mit dem anhängigen Verfahren rechtsfreundlich vertrete“. Im Betreff dieses (an das Prüfungsorgan) adressierten Schreibens werde das anhängige Verfahren als „Außenprüfung gemäß § 147 BAO“ angegeben. Damit habe der rechtliche Vertreter seine Vollmacht (inklusive Zustellungsvollmacht) ausdrücklich auf ein bestimmtes Verfahren und damit nur auf bestimmte Bescheide (nämlich diejenigen betreffend die Außenprüfung) eingeschränkt und nicht - wie es das BFG vermeine - eine ihm erteilte allgemeine Vollmacht bekanntgegeben.

16       Mit diesen Ausführungen entfernt sich die Revision allerdings vom seitens des BFG festgestellten Sachverhalt, ohne die Richtigkeit der vom BFG getroffenen Feststellungen und die diesbezügliche Beweiswürdigung (substantiiert) zu bekämpfen. So hat das BFG ausdrücklich festgestellt, dass der einschreitende Rechtsanwalt bereits seit 2013 aufgrund einer von der mitbeteiligten Partei mündlich erteilten allgemeinen Vollmacht für diese anwaltlich tätig und als solcher auch gegenüber dem Finanzamt aufgetreten sei. Eine Einschränkung dieser Vollmacht sei gegenüber dem Finanzamt nicht erfolgt. In dem vom Finanzamt zitierten Schreiben an den Prüfer habe sich der anwaltliche Vertreter lediglich auf diese ihm erteilte allgemeine Vollmacht berufen. Die vom BFG getroffenen Feststellungen hinsichtlich der anwaltlichen Vertretung des Revisionswerbers hätten sich aus den Eingaben des Rechtsanwalts beim Finanzamt, den Schlussbesprechungsprotokollen des Finanzamtes und den glaubwürdigen Angaben des Rechtsanwalts ergeben.

17       Bei dieser im Rahmen einer vertretbar festgestellten (und vom Finanzamt nicht näher bekämpften) Sachlage ist für eine Anwendung von § 103 Abs. 2 BAO kein Raum.

18       In der Revision werden sohin keine - für die gegenständliche Revisionssache entscheidungswesentlichen - Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150117.L00

Im RIS seit

05.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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