RS Vfgh 2021/10/7 G88/2021 ua, V120/2021 ua

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

31/05 Förderungen, Zuschüsse, Fonds

Norm

B-VG Art17
B-VG Art89 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z3
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
JN §1
BG zur Schaffung einer Abbaueinheit (GSA) §3 Abs3
COVID-19-WohlverhaltensG §3
Fixkostentzuschussrichtlinie
Lockdown-Umsatzersatzrichtlinie
UmsatzausfallbonusV
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung diverser gesetzlicher und verordnungsrechtlicher Bestimmungen betreffend – im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung vergebenen – Förderungen von Unternehmen zur besseren Bewältigung der COVID-19-Pandemie; Anrufung der ordentlichen Gerichte zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlagen trotz Anfalls von Prozesskosten notwendig

Rechtssatz

Unzulässigkeit der Anträge auf Aufhebung des §3 Z4 WohlverhaltensG idF BGBl I 11/2021 sowie näher bezeichneter Bestimmungen in den Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes (COFAG), BGBl II 225/2020 (Fixkostenzuschussrichtlinie), in den Richtlinien über die Gewährung eines begrenzten Fixkostenzuschusses bis EUR 800.000 durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG), BGBl II 497/2020, in der Lockdown-UmsatzersatzV, BGBl II 503/2020 idF BGBl II 565/2020, in der 3. Lock-down-UmsatzersatzV, BGBl II 567/2020 idF BGBl II 608/2020, sowie in der AusfallsbonusersatzV, BGBl II 74/2021 idF BGBl II 163/2021.

§3b Abs2 BG zur Schaffung einer Abbaueinheit (ABBAG-Gesetz) sieht vor, dass auf die Gewährung von finanziellen Maßnahmen kein Rechtsanspruch besteht. Aus der Fiskalgeltung der Grundrechte folgt, dass Betroffene bei im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erbrachten Leistungen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf haben, dass ihnen solche Förderungen in gleichheitskonformer Weise und nach sachlichen Kriterien ebenso wie anderen Förderungswerbern gewährt werden. Da bekanntermaßen in zahlreichen Fällen Förderungen nach den angefochtenen Bestimmungen gewährt wurden, können sich (auch) die Antragsteller auf die Fiskalgeltung der Grundrechte in diesem Zusammenhang berufen. Es handelt sich demnach bei den nach den angefochtenen Bestimmungen gewährten Förderungen um bürgerliche Rechtssachen iSd §1 JN, welche in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallen. Nach der Rsp des VfGH ist es grundsätzlich zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten und im gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften vorzubringen.

Es ist nicht schon auf Grund des Prozessrisikos und der damit verbundenen Kostenfolgen, wegen der damit verbundenen Zeitdauer oder mangelnder Erfolgsaussichten davon auszugehen, dass die Beschreitung des Gerichtsweges unzumutbar ist. Prozesskosten im gerichtlichen Verfahren stehen der Zumutbarkeit, ein solches Verfahren anzustrengen, grundsätzlich nicht entgegen, wenn nicht ein außergewöhnlicher Fall vorliegt.

Der VfGH hat diese Rsp damit begründet, dass es der Partei - auch schon vor der mit 01.01.2015 in Kraft getretenen B-VG-Novelle BGBl I 114/2013 - möglich war, ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vom Gericht anzuwendenden Bestimmungen vorzutragen und das antragsberechtigte Gericht zur Antragstellung zu veranlassen. Jedes (ordentliche) Gericht ist verpflichtet, bei Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Bestimmungen einen Antrag auf Normenprüfung zu stellen. Außerdem erkennt der VfGH gemäß Art139 Abs1 Z4 bzw Art140 Abs1 Z1 litd B-VG über die Gesetz- bzw Verfassungsmäßigkeit einer Bestimmung auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Vor diesem Hintergrund müssen somit in den Fällen einer Gerichtszuständigkeit besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Einbringung eines Individualantrages zulässig machen könnten. Andernfalls würde eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes eintreten, welche mit dem Grundsatz der Subsidiarität von Individualanträgen nach Art139 bzw Art140 B-VG im Sinne der Judikatur des VfGH nicht im Einklang stünde.

Anders als in VfSlg 9823/1983 und 15098/1998 ist in den hier vorliegenden Fällen eine Ausschöpfung des Instanzenzuges nicht von Relevanz, hat es doch der Antragsteller bereits im erstinstanzlichen Verfahren in der Hand, das zuständige Gericht zu veranlassen, einen entsprechenden Antrag auf Normenkontrolle hinsichtlich der den Anspruch auf Förderung ausschließenden Regelungen zu stellen, oder nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens einen Parteiantrag auf Normenkontrolle einzubringen.

Der VfGH verkennt nicht, dass der Ausschluss eines Anspruchs auf Förderungen in einer wirtschaftlich angespannten Situation auch innerhalb einer kurzen Zeitspanne zu nicht unerheblichen Härten führen kann, die nach Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen nicht mehr umkehrbar wären. Solche wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die die Antragsteller allenfalls in Kauf nehmen müssen, führen jedoch auch hier nicht dazu, dass derart außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine Zulässigkeit begründen; sie sind nicht größer als jene, die bestehen, wenn das Gericht erster Instanz einen Antrag nicht wegen einer vorliegenden Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße, sondern aus anderen Gründen abweist.

Aus vorstehenden Ausführungen ergibt sich aber auch, dass in der (Vor-) Finanzierung der Kosten des Zivilverfahrens - auch unter Berücksichtigung der "wirtschaftlich ohnehin schon belasteten Situation" - kein besonderer, außergewöhnlicher Umstand zu erkennen ist, der die Zumutbarkeit der Anrufung eines ordentlichen Gerichts in Frage stellen könnte. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass - mit Blick auf die Prozesskosten - die finanziellen Verhältnisse des Antragstellers bei Beantwortung der Frage, ob die Beschreitung des Zivilrechtsweges zumutbar sei, nicht heranzuziehen sind.

Entscheidungstexte

Schlagworte

COVID (Corona), Förderungen, Privatwirtschaftsverwaltung, Gericht Zuständigkeit, VfGH / Individualantrag, Prozesskosten, Subsidiaritätsprinzip, Rechtsschutz, Eigentumsbeschränkung, Eigentumseingriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G88.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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