TE Vwgh Beschluss 2021/10/1 Ra 2021/14/0190

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Veröffentlicht am 01.10.2021
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Index

E1P
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41
VwGVG 2014 §28
12010P/TXT Grundrechte Charta Art4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Revisionssache des XY, vertreten durch Mag. Marius Garo, Rechtsanwalt in 2100 Korneuburg, Feldgasse 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. April 2021, W105 2218757-2/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 5. April 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen Afghanistans, nachdem dieser am 2. Februar 2018 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

2        Mit Bescheid des BFA vom 15. Dezember 2020 wurde dem Revisionswerber - nach Einleitung eines Aberkennungsverfahrens am 23. Juni 2020 aufgrund von strafrechtlichen Verurteilungen - der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt und der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung abgewiesen. Unter einem erteilte das BFA dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.

3        Begründend wurde ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes zwar eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden habe. Jedoch sei damals angenommen worden, dass er bei einer Rückkehr mit der gesamten Familie, dazu noch in ein Gebiet, in dem er nicht ortskundig sei, höchstwahrscheinlich in eine existentielle Notlage geraten würde, zumal er nicht nur für sich, sondern auch für seine Ehegattin und die gemeinsamen fünf Kinder sorgen hätte müssen. Hingegen könne es für einen volljährigen, gesunden Mann mit Arbeitserfahrung keine größeren Probleme darstellen, alleine in das Heimatland zurückzukehren und sich dort in einem Gebiet wie Herat oder Mazar-e Sharif ein neues Leben aufzubauen. Aufgrund des Umstandes, dass der Revisionswerber in Österreich mehrfach rechtskräftig verurteilt worden sei, er in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes eine auffällige Missachtung der österreichischen Rechtsordnung gezeigt habe und es sich bei seinen Straftaten größtenteils um Gewaltdelikte handle, sei davon auszugehen, dass vom Revisionswerber eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe, welche ein Einreiseverbot in der angegebenen Höhe zu rechtfertigen vermöge.

4        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab. Das BVwG begründete seine Entscheidung damit, dass der Revisionswerber mangels Vorliegen eines aufrechten Familienlebens - somit als ein alleinstehender Mann - im Falle einer Rückkehr in keine existentielle Notlage geraten würde. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, das BVwG habe zwar den Länderbericht vom 16. Dezember 2020 beachtet, die wesentliche Verschlechterung der Lage in Afghanistan seitdem aber außer Acht gelassen und so insbesondere bei Beurteilung der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative die - nach Berichten aus Juli 2021 sich verschlechternde - Lage in Mazar-e Sharif und Herat grob fehlerhaft beurteilt. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 1. August 2021 aufgrund der Verschlechterung der Lage in Afghanistan eine vorläufige Maßnahme nach Art. 39 der Verfahrensordnung des EGMR ergriffen, weshalb sich die grundsätzliche Frage der Zulässigkeit einer Abschiebung nach Afghanistan stelle; dazu fehle auch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Abschiebung oder Außerlandesbringung des Revisionswerbers stelle jedenfalls einen erheblichen Nachteil für den Revisionswerber dar.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision (gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert) vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung
(vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0599, mwN).

10       Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt, das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen hat. Somit sind Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren entzogen.

11       Die Revision bezieht sich im gesamten Vorbringen zu ihrer Zulässigkeit auf Ereignisse nach dem Entscheidungszeitpunkt des BVwG, somit nach dem 19. April 2021, und übersieht dabei, dass das BVwG seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hatte (vgl. VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175, Rz. 46, mwN). Das Vorbringen zur Zulässigkeit ist nach oben Gesagtem nicht dazu geeignet, eine Rechtsfrage, welcher grundsätzliche Bedeutung zukommt, zu begründen. Dieses Ergebnis entbindet die Vollzugsbehörde allerdings nicht von ihrer Verpflichtung, bei der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme Art. 3 EMRK bzw. Art 4 GRC (insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Sicherheitslage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers) zu beachten und im Falle einer dem Revisionswerber drohenden Verletzung dieser Bestimmungen im Falle seiner Verbringung in seinen Heimatstaat von der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme abzusehen.

12       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 1. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140190.L00

Im RIS seit

01.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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