TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/24 W192 2212596-2

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Veröffentlicht am 24.08.2021
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Entscheidungsdatum

24.08.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §88 Abs2a

Spruch


W192 2212593-2/14E

W192 2212596-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörige Afghanistans, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2020, Zlen. 1.) 1103524900-200740872, 2.) 1103523010-200740848, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 88 Abs. 2a FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Zweitbeschwerdeführer, ihrer Tochter und ihren damals minderjährigen Söhnen schlepperunterstützt in die Republik Österreich ein und sie stellten am 27.01.2016 Anträge auf internationalen Schutz. Im Protokoll über die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin wurde festgehalten, dass diese über eine im Herkunftsort in Afghanistan ausgestellte Geburtsurkunde (Tazkira) verfüge; deren Original befindet sich entgegen einem dahinlautenden Vermerk im Protokoll nicht im Akt.

Am 29.08.2018 wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei legte der Zweitbeschwerdeführer unter anderem Kopien der Tazkira der Erstbeschwerdeführerin sowie einer Heiratsurkunde vor und gab an, dass sich die Originale seiner Tazkira und der Tazkira seiner Ehefrau, der Erstbeschwerdeführerin, bei seiner Tochter im Iran befinden. Sie hätten sie nicht mitgenommen, um sie nicht zu verlieren. Die Erstbeschwerdeführerin gab auf Befragen an, dass sich die Originale der Geburtsurkunden in Afghanistan befinden würden, was sie bei der Erstbefragung vorgelegt habe, sei ein aus Afghanistan mitgebrachtes Original. Dieses Original sei bei ihr zu Hause in Österreich.

Mit Bescheiden vom 09.11.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnissen vom 05.08.2020 Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der Bescheide vom 09.11.2018 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde den Beschwerdeführern jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.08.2021 erteilt.

2.1. Die Beschwerdeführer beantragten am 19.08.2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß §88 Abs. 2a FPG für subsidiär Schutzberechtigte.

2.2.Mit Bescheiden vom 23.10.2020 wies das Bundesamt den Antrag der Beschwerdeführer ab. Das Bundesamt stellte fest, dass die Beschwerdeführer in der Lage seien, sich einen Reisepass ihres Herkunftsstaates zu beschaffen und deshalb die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 88 Abs. 2a FPG nicht erfüllen. Die Behörde stützte diese Feststellung auf die Angaben der Beschwerdeführer bei ihrer niederschriftlichen Befragung zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz, wobei diese angegeben hatten, dass sie im Besitz einer Tazkira (gewesen) seien und sich die Originale (nach Angaben des Zweitbeschwerdeführers) bei dessen Tochter im Iran bzw. (nach Angaben der Erstbeschwerdeführerin) sich das Original ihrer Tazkira zu Hause in Österreich befinde.

2.3. Gegen diese Bescheide richtet sich die mit gleichlautendem Schriftsatz der damaligen Rechtsvertreter der Beschwerdeführer vom 09.12.2020 eingebrachte Beschwerde. Darin wurde vorgebracht, dass die Beschwerdeführer keine Tazkira mehr hätten und sich daher keinen afghanischen Reisepass ausstellen lassen können. Die Zweitbeschwerdeführerin habe nur eine Kopie, da sie angebe, dass sie nach der Erstbefragung von der Polizei nur eine Kopie erhalten habe. Das Original sei jedenfalls faktisch verschwunden. Die Tazkira des Zweitbeschwerdeführers sei bei seiner Tochter im Iran gewesen, aber bei einem Umzug der Tochter verloren gegangen und nicht mehr auffindbar. Hätte die Behörde die Möglichkeit des Parteiengehörs gewährt oder eine Einvernahme durchgeführt, hätte sie erkennen müssen, dass die Beschwerdeführer keine Tazkira mehr haben.

In der Beschwerde werden weiters Informationen afghanischer Vertretungsbehörden über das Verfahren zur Ausstellung afghanischer Reisepässe zitiert, in denen als Voraussetzung die Vorlage einer Tazkira genannt wird.

Es sei den Beschwerdeführern faktisch nicht möglich, bei der afghanischen Botschaft einen Reisepass zu erhalten, was aufgrund mangelhafter Ermittlungen unberücksichtigt geblieben sei. Der Beschwerde wurden weiters Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation des BFA angeschlossen, in denen das Verfahren zur Ausstellung von Tazkiras für afghanische Staatsangehörige nach Antragstellung über eine Vertretungsbehörde durch die Behörden im Herkunftsstaat dargestellt ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz in Österreich wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.08.2020 hinsichtlich des Status von Asylberechtigten abgewiesen, ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und jeweils eine Aufenthaltsberechtigung erteilt, die zuletzt vom BFA mit Gültigkeit bis 05.08.2023 verlängert wurde.

Die Beschwerdeführer haben bei der afghanischen Botschaft in Österreich weder die Ausstellung eines Reisepasses noch die Ausstellung einer Tazkira beantragt. Die afghanische Botschaft in Wien stellt Reisepässe für alle afghanischen Staatsangehörigen aus, die einen entsprechenden Antrag gestellt haben und alle erforderlichen Unterlagen vorlegen konnte.

Bei Vorlage sämtlicher erforderlicher Unterlagen, insbesondere einer Tazkira, bei der afghanischen Botschaft, wird den Beschwerdeführern ein Reisepass von der afghanischen Botschaft ausgestellt werden. Die Beschwerdeführer haben seit der Einreise nach Österreich noch nicht versucht, sich von afghanischen Behörden eine Tazkira ausstellen zu lassen oder diesbezügliche Anträge zu stellen.

Alle afghanischen Botschaften und die Abteilungen der Generalkonsulate sind für die Ausstellung von Reisepässen für alle im Ausland lebenden afghanischen Staatsbürger zuständig.

Der Antrag zur Ausstellung einer Tazkira kann an einer Botschaft von Afghanistan gestellt werden. Das Prozedere zur Ausstellung einer Tazkira wird in der Beschwerde selbst (S. 3) auf Grund einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation beschrieben.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer sowie zur Antragstellung und ihrer Aufenthaltsberechtigung ergeben sich aus den Verwaltung- und Gerichtsakten.

Die Beschwerdeführer haben im Verfahren über ihre Anträge auf internationalen Schutz selbst angegeben, dass für Sie im Herkunftsstaat jeweils eine Tazkira ausgestellt wurde. Dies haben sie auch im vorliegenden Verfahren, insbesondere in der Beschwerde, bestätigt, wobei sie nach ihren aktuellen Behauptungen nunmehr nicht (mehr) über die entsprechenden Originaldokumente verfügen.

Sofern die Beschwerdeführer vorbrachten, dass ihnen kein Reisepass von der afghanischen Botschaft ausgestellt werde, sind diese Angaben nicht glaubhaft. Eine entsprechende Bestätigung der afghanischen Botschaft über eine Verweigerung der Passausstellung wurde nicht vorgelegt. Es ist jedoch nachvollziehbar, dass den Beschwerdeführern bisher kein Reisepass ausgestellt wurde, weil diese keinen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses bzw. zu dessen Vorbereitung keinen Antrag bei der afghanischen Botschaft auf Ausstellung einer Tazkira durch die Behörden des Herkunftsstaats gestellt haben.

Die Feststellungen zu den Voraussetzungen für die Erlangung eines Reisepasses und einer Tazkira für Afghanen, die im Ausland leben, ergibt sich aus den von den Beschwerdeführern selbst vorgelegten Länderberichten. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Dier Beschwerdeführer haben die Richtigkeit dieser Länderberichte zudem nicht bestritten.

Derzeit ist nicht feststellbar, ob und inwieweit sich die entsprechenden Verfahren nach der notorischen Änderung der Machtverhältnisse in Afghanistan in einer für das vorliegende Verfahren relevanten Weise ändern können.

. Rechtliche Beurteilung:

3.1. § 88 Fremdenpolizeigesetz (FPG) lautet auszugsweise:

„Ausstellung von Fremdenpässen

§ 88. (1) Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für
1.         Staatenlose oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen;
2.         ausländische Staatsangehörige, die über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;
3.         ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ (§ 45 NAG) gegeben sind;
4.         ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich das für die Auswanderung aus dem Bundesgebiet erforderliche Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen oder
5.         ausländische Staatsangehörige, die seit mindestens vier Jahren ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet haben, sofern der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung bestätigt, dass die Ausstellung des Fremdenpasses wegen der vom Fremden erbrachten oder zu erwartenden Leistungen im Interesse des Bundes oder des Landes liegt.

(…)
(2a) Fremdenpässe sind Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.
(…)

3.2. Das in § 88 Abs 1 und Abs. 2a normierte Erfordernis, dass der Fremde nicht in der Lage ist, sich ein Reisedokument seines Herkunftsstaates zu beschaffen, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Ausstellung eines Fremdenpasses einen massiven Eingriff in die Hoheitsrechtes des Herkunftsstaates bedeutet, weshalb dem Gesetz die Prämisse zugrunde liegt, dass Fremde sich zuerst an ihre Heimatvertretung hinsichtlich der Ausstellung eines Reisedokumentes wenden müssen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht - 2016, § 88 FPG, K8).

Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte sind dann nicht in der Lage, sich ein Reisedokument ihres Heimatstaates (Herkunftsstaates) zu beschaffen, wenn dessen Vertretungsbehörde die Ausstellung verweigert. Dem Umstand, dass ein Fremder nicht in der Lage ist, sich ein Reisedokument seines Heimatlandes zu besorgen, ist gleichzustellen, wenn die Antragstellung bei der Botschaft des Heimatlandes unzumutbar ist (VfGH vom 11.06.2019, E67-68/2019-14).

Für die Ausstellung eines Fremdenpasses kommt es nicht bloß darauf an, dass diese im Interesse des Fremden gelegen ist, sondern es muss auch ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses für diesen Fremden bestehen, wobei ein restriktiver Maßstab anzulegen ist, da Österreich mit der Ausstellung eines Fremdenpasses dem Inhaber die Möglichkeit zu reisen eröffnet und damit auch eine Verpflichtung gegenüber den Gastländern übernimmt, was an sich nur einer gegenüber Staatsbürgern einzunehmenden Haltung entspricht (VwGH vom 22.01.2014, 2013/21/0043; VwGH vom 19.05.2011, 2009/21/0288). Ein derartiges öffentliches Interesse kann sich etwa aus völker- oder unionsrechtlichen Verpflichtungen ergeben (VwGH 11.05.2009, 2007/18/0659).

Der Umstand, keine Reise ins Ausland unternehmen zu können, stellt keinen Grund dar, der ein öffentliches Interesse iSd § 88 Abs. 1 FPG begründen könnte (VwGH vom 15.09.2010, 2010/18/0279).

3.3. Die Beschwerdeführer beantragte bei der afghanischen Botschaft in Österreich bisher nicht die Ausstellung eines Reisepasses. Die afghanische Botschaft in Wien stellt Reisepässe für alle afghanischen Staatsangehörigen aus, die einen entsprechenden Antrag gestellt haben und alle erforderlichen Unterlagen vorlegen konnte. Den Beschwerdeführern wurde zwar bisher noch kein Reisepass ausgestellt, dies ist jedoch nicht auf eine generelle Weigerung der afghanischen Botschaft zurückzuführen, sondern auf den Umstand, dass die Beschwerdeführer bisher keinen Antrag gestellt haben. Die Beschwerdeführer hätten für die Ausstellung eines afghanischen Reisepasses dem Antrag bei der afghanischen Botschaft auch eine Tazkira im Original beilegen müssen.

Um eine Tazkira zu erlangen, könnten die Beschwerdeführer einen entsprechenden Antrag bei der afghanischen Botschaft stellen. Dies ist auch für Afghanen, die im Ausland leben, möglich. Die Beschwerdeführer könnten auch einen Rechtsbeistand in Kabul mit dieser Angelegenheit betrauen. Die Beschwerdeführer haben jedoch diesbezüglich noch gar keine Schritte unternommen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass es den Beschwerdeführern unmöglich ist, eine Tazkira und somit einen Reisepass zu erlangen, zumal ihnen eine Tazkira auch bereits einmal in Afghanistan ausgestellt wurde.

Die Beschwerdeführer sind daher in der Lage, sich ein gültiges Reisedokument des Heimatstaates zu besorgen, zumal sie im entsprechenden Verfahren zur Neuausstellung einer Tazkira auch die Kopie der Tazkira der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Heiratsurkunde, die ebenfalls Hinweise auf die Identitätsdokumente beider Beschwerdeführer enthält, vorlegen können.

3.4. Zu prüfen ist zudem, ob dem Beschwerdeführer dies auch zumutbar ist.

Die Beibringung sämtlicher Unterlagen und Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen für eine Antragstellung sind Mindestvoraussetzungen im Rechtsverkehr zwischen Behörden und Rechtsuchenden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Erfüllung von Mindestvoraussetzungen bei einer Antragstellung jedenfalls zumutbar ist, solange diesbezügliche Anforderungen nicht überspannt werden.

Im vorliegenden Fall gibt es keinen Hinweis darauf, dass die afghanische Botschaft die Antragsvoraussetzungen überspannen würde oder eine Antragstellung unmöglich machen würde. Es ist den Beschwerdeführern zudem jedenfalls zumutbar, einen Rechtsbeistand in Kabul mit der Beschaffung ihrer Tazkira zu beauftragen und somit durch den Erhalt der Tazkira sämtliche Voraussetzungen für die Erlangung eines afghanischen Reisepasses zu erfüllen.

Im Verfahren über den Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wurde festgestellt, dass neben der schlechten Sicherheits- und Wirtschaftslage der Grund für ihre Ausreise im Wesentlichen darin bestand, dass sie Probleme mit einem einflussreichen Mann, der um die Hand ihrer Tochter angehalten habe, bekommen hätten. Die Gefahr eine staatlichen Verfolgung oder auch nur Diskriminierung der Beschwerdeführer wurde nicht behauptet und es liegt daher auch unter solchen Aspekten keine Unzumutbarkeit vor, die Ausstellung eines Reisedokumentes durch die Behörden des Herkunftsstaats zu erwirken.

Die Beschwerdeführer sind daher in der Lage, sich ein gültiges Reisedokument des Heimatstaates zu besorgen und es ist ihnen auch zumutbar, sämtliche Voraussetzungen für die Antragstellung bei der afghanischen Botschaft zu erfüllen.

4. Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich ausführlich in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, mit dem Verständnis dieser Bestimmung auseinandergesetzt und geht seitdem in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. dazu statt vieler die Erkenntnisse vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, vom 2. September 2015, Ra 2014/19/0127, vom 15. März 2016, Ra 2015/19/0180, vom 18. Mai 2017, Ra 2016/20/0258, und vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0039) davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht keinerlei neue Beweismittel beigeschafft und sich für seine Feststellungen über die Person der Beschwerdeführer und zur Zumutbarkeit der Erlangung von Reisedokumenten des Herkunftsstaats in ihren entscheidungsmaßgeblichen Aspekten auf jene des angefochtenen Bescheids und auf das Beschwerdevorbringen gestützt.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Schlagworte

Antragstellung Fremdenpass Mitwirkungspflicht Reisedokument Voraussetzungen Zumutbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W192.2212596.2.00

Im RIS seit

28.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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