TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/30 Ra 2021/09/0174

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Veröffentlicht am 30.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §38
B-VG Art139 Abs1 Z1
B-VG Art139 Abs1 Z2
B-VG Art139 Abs6
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
B-VG Art140 Abs7
B-VG Art144 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der A GmbH in B, vertreten durch die hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Karmeliterplatz 4, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 3. Mai 2021, KLVwG-1942/2/2020, betreffend Aussetzung eines Verfahrens nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit § 1 Abs. 1 der auf §§ 26 sowie 20 Abs. 1 und 4 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS-COV-2 (2019 neuartiges Corona-Virus), BGBl. II Nr. 74/2020, gestützten Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen vom 14. März 2020, FE5-GES-261/2020 (070/2020), wurde der Betrieb von Seilbahnen (§ 2 Abs. 1 Seilbahngesetz 2003) gemäß § 26 EpiG eingestellt.

2        Der Antrag der eine Seilbahn betreibenden revisionswerbenden Partei vom 1. Mai 2020 auf Zuerkennung einer Vergütung nach § 32 EpiG für die erfolgte Betriebsschließung wurde mit Bescheid der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde abgewiesen.

3        Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Landesverwaltungsgericht Kärnten das bei ihm anhängige Verfahren über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Partei bis zur Beendigung des beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl E 848/2021 anhängigen und das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 27. Jänner 2021, LVwG-408-138/2020-R7, betreffende Beschwerdeverfahrens aus. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

4        Begründend führte es aus, dass das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg mit Erkenntnis vom 27. Jänner 2021 in einem gleichgelagerten Sachverhalt entschieden habe, dass die Abweisung des Antrags einer Seilbahngesellschaft auf Vergütung des Verdienstentgangs auf Basis der Verordnung einer anderen Bezirkshauptmannschaft vom 14. März 2020 rechtmäßig gewesen sei. Gegen dieses Erkenntnis sei zu E 848/2021 Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben worden.

5        Der Text der Verordnung in jenem Fall sei mit dem der im gegenständlichen Verfahren anzuwendenden wortident. Auch das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg beschäftige sich mit den Entschädigungsleistungen nach § 32 EpiG sowie der Differenzierung einer Betriebsschließung nach § 20 EpiG im Vergleich zu einer solchen nach § 26 EpiG. Dieselbe Rechtsfrage - so führte das Verwaltungsgericht weiter aus - stelle sich auch in seinem Verfahren, sodass angesichts dieser Sach- und Rechtslage das Verfahren nach § 38 AVG ausgesetzt werde.

6        Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

7        Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie hilfsweise Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende außerordentliche Revision. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

8        Die Revision ist entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a VwGG nicht bindenden Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG im Hinblick auf das von der revisionswerbenden Partei in ihrem Zulässigkeitsvorbringen geltend gemachte Abweichen des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aussetzung eines Verfahrens nach § 38 AVG zulässig und auch begründet.

9        Zunächst ist festzuhalten, dass ein gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 38 AVG ergangener Aussetzungsbeschluss keine bloß verfahrensleitende Entscheidung im Sinn des § 25a Abs. 3 VwGG ist. Er unterliegt daher auch nicht dem Revisionsausschluss nach dem ersten Satz dieser Bestimmung (vgl. etwa VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0119, mwN).

10       Gemäß § 38 AVG ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

11       Dass eine gleichartige, ähnliche Rechtsfrage in einem anderen Verfahren zu klären ist, bedeutet noch nicht, dass eine Vorfrage im Sinn des § 38 AVG und damit ein Fall der Aussetzung des Verfahrens nach dieser Bestimmung gegeben ist (vgl. VwGH 24.2.2016, Ra 2015/09/0128).

12       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinn des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt. Dass es sich bei der Vorfrage um eine Frage handeln muss, über die von der anderen Behörde als Hauptfrage zu entscheiden ist, ergibt sich daraus, dass der besondere prozessökonomische Sinn der Vorschrift des § 38 AVG nur dann erreicht werden kann, wenn die andere Entscheidung, deren Ergehen abgewartet wird, in der Folge die Behörde bindet, wobei eine solche Bindungswirkung jedoch immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage entfaltet (siehe zum Ganzen VwGH 27.6.2019, Ra 2019/02/0017, mwN).

13       Hat nun der Verfassungsgerichtshof - wie hier - über eine Beschwerde gegen das zu einem „gleichgelagerten Sachverhalt“ ergangene Erkenntnis eines anderen Verwaltungsgerichts nach Art. 144 Abs. 1 B-VG zu erkennen, ob der Beschwerdeführer durch jenes Erkenntnis in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder etwa wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung oder eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt wurde, spricht er damit nicht über eine das Landesverwaltungsgericht Kärnten bei seiner Entscheidung bindende Rechtsfrage ab.

14       Selbst wenn der Verfassungsgerichtshof das Beschwerdeverfahren unterbrechen und von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung nach Art. 139 Abs. 1 Z 2 B-VG oder zur Prüfung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nach Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. c B-VG einleiten sollte, wäre im vorliegenden Fall - abgesehen davon, dass nicht im Hinblick auf ein solches Verfahren ausgesetzt wurde - zunächst zu beachten, dass im vorliegenden Fall bloß eine wortidente Verordnung einer anderen Bezirkshauptmannschaft gegeben ist. Insofern wäre auch ein solches Verfahren nicht im oben ausgeführten Sinn präjudiziell für eine Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Kärnten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die betroffene Partei gegebenenfalls um die Anlassfallwirkung der Aufhebung einer generellen Norm durch den Verfassungsgerichtshof gebracht würde, wenn der Verfassungsgerichtshof im Fall der Aufhebung einer präjudiziellen Bestimmung keinen Ausspruch über die Ausdehnung der Anlassfallwirkung tätigt (vgl. VwGH 28.3.2011, 2011/17/0015, u.a., zu § 281 Abs. 1 BAO). Bei eigenen Normbedenken hätte das Verwaltungsgericht daher nicht sein Verfahren nach § 38 AVG auszusetzen, sondern diese gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 1 B-VG bzw. Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG selbst an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

15       Auf § 34 Abs. 3 VwGVG, der voraussetzt, dass eine Rechtsfrage in einer erheblichen Anzahl von (zu erwartenden) verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu lösen ist, zu dieser Rechtsfrage eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof anhängig ist und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehlt oder uneinheitlich ist, hat das Verwaltungsgericht seine Aussetzung ohnedies nicht gestützt. Weitere Ausführungen hiezu erübrigen sich daher.

16       Der angefochtene Beschluss war somit in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17       Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff VwGH in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. September 2021

Schlagworte

Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021090174.L00

Im RIS seit

28.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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