TE Vwgh Beschluss 2021/9/27 Ro 2021/01/0019

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
25/01 Strafprozess
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
SPG 1991 §88 Abs1
StPO 1975 §110 Abs2
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Landespolizeidirektion Tirol gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 2. Juli 2021, Zl. LVwG-2020/12/2219-8, betreffend Maßnahmenbeschwerde wegen der Vernichtung von Daten anlässlich des Versuchs der Auswertung der Daten eines sichergestellten Mobiltelefons (mitbeteiligte Partei: M S in I, vertreten durch Mag. László Szabó, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten wegen der Vernichtung von Daten anlässlich des Versuchs der Auswertung der Daten seines sichergestellten Mobiltelefons im August 2020 Folge gegeben und festgestellt, dass die Vernichtung von Daten auf dem näher bezeichneten Mobiltelefon anlässlich des Versuchs der Auswertung des Mobiltelefons durch ein Organ der Landespolizeidirektion Tirol (Amtsrevisionswerberin) im August 2020 rechtswidrig gewesen ist (Spruchpunkt 1.). Der Bund wurde zum Ersatz näher bezeichneter Aufwendungen des Mitbeteiligten verpflichtet (Spruchpunkt 2.). Die Revision wurde für zulässig erklärt (Spruchpunkt 3.).

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, am 30. Juli 2020 sei die Wohnung des Mitbeteiligten aufgrund einer näher bezeichneten gerichtlich bewilligten Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Sicherstellung von Gegenständen, insbesondere Mobiltelefonen, Computern und anderen auf die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung hinweisenden Gegenstände, durchsucht und unter anderem ein näher bezeichnetes Mobiltelefon zu Beweiszwecken sichergestellt worden.

3        Die Auswertung dieses Mobiltelefons habe die Staatsanwaltschaft nicht angeordnet, dieses sei vom einschreitenden Beamten aus Eigenem an die Abteilung IT-Beweissicherung des Landeskriminalamtes zur Datensicherung übermittelt worden.

4        Der Landeskriminalbeamte dieser Abteilung habe im August 2020 versucht, das Mobiltelefon in Betrieb zu nehmen, doch habe auf die Daten kein Zugriff genommen werden können, weil das Mobiltelefon nicht mehr habe hochgefahren werden können. Nach erfolglosem „Reparaturmodus über Herstellerseite“ sei das Mobiltelefon ohne Sicherstellung der Daten retourniert und in der Folge dem Mitbeteiligten ausgehändigt worden. Eine Herstellung der gespeicherten Daten (Kontakte, Bilder) sei nicht mehr möglich gewesen, diese seien unwiederbringlich verloren.

5        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die gemäß § 110 Abs. 2 StPO auf staatsanwaltschaftliche Anordnung erfolgte Sicherstellung des Mobiltelefons sei nicht beschwerdegegenständlich. Die daran anschließende (versuchte) Auswertung des Mobiltelefons sei allerdings - wie sich aus den (nach einem Einspruch des Mitbeteiligten ergangenen) Beschlüssen des Landesgerichts Innsbruck vom 12. Oktober 2020 und (im Instanzenzug) des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 7. Jänner 2021 ergebe - nicht von der staatsanwaltschaftlichen Anordnung mitumfasst, sondern sei von dem der Amtsrevisionswerberin zurechenbaren Polizeibeamten aus eigenem Antrieb vorgenommen worden.

6        Durch die bei der (versuchten) Auswertung wohl unabsichtlich erfolgte Vernichtung der Daten auf dem Mobiltelefon sei ein Eingriff in die subjektive Rechtssphäre des Mitbeteiligten erfolgt und sei diese als Maßnahme unmittelbarer Zwangsgewalt zu werten. Daran ändere der Umstand nichts, dass die Maßnahme ohne Wissen des Mitbeteiligten erfolgt sei. Wesentlich sei, ob das Verhalten der Organe in objektiver Weise darauf abziele, eine Duldungspflicht des Betroffenen zu bewirken, woran gegenständlich kein Zweifel bestehe (Verweis u.a. auf VwGH 15.2.2021, Ra 2019/17/0125). Die Beschwerde sei daher zulässig.

7        Die Vernichtung der Daten sei - auch wenn diese unabsichtlich erfolgt und die genaue Ursache nicht mehr feststellbar sei - jedenfalls eingetreten, als sich das (bis dahin noch funktionsfähige) Mobiltelefon in der Sphäre der Kriminalpolizei befunden habe, und sei daher dieser zuzurechnen. Sie sei rechtsgrundlos erfolgt und daher als rechtswidrig zu qualifizieren.

8        Die Revision sei zulässig, da eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen gewesen sei, „zumal bislang eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, ob die bloße Auswertung eines Mobiltelefons als Maßnahme unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu werten ist bzw im Rahmen der gerichtlichen Sicherstellung des Mobiltelefons der Sphäre der Staatsanwaltschaft zuzuordnen ist“.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Revisionsbeantwortung des Mitbeteiligten unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Der Mitbeteiligte beantragte in der Revisionsbeantwortung die Zuerkennung von Aufwandersatz.

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

13       Zweck der Begründungspflicht nach § 25a Abs. 1 zweiter Satz VwGG ist bei einer ordentlichen Revision die vom Verwaltungsgericht vorzunehmende Fokussierung auf die vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 16.6.2021, Ro 2021/01/0013, mwN).

14       Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob es sich um eine Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt hat, einer einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes unterliegt (vgl. VwGH 26.5.2021, Ra 2021/01/0162). Im vorliegenden Einzelfall ist Sache des Maßnahmenbeschwerdeverfahrens die Vernichtung von Daten anlässlich des Versuchs der Auswertung der Daten eines sichergestellten Mobiltelefons (vgl. zur Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes als Prozessgegenstand des Verfahrens über eine Maßnahmenbeschwerde VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0373, mwN). Schon angesichts dieses durch den Spruch des angefochtenen Erkenntnisses eingegrenzten Prozessgegenstandes (arg.: „anlässlich des Versuchs der Auswertung der Daten“) stellt sich die vom Verwaltungsgericht behauptete Rechtsfrage nach der Rechtsqualität einer „bloßen Auswertung eines Mobiltelefons“ nicht, zumal eine solche nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht stattgefunden hat.

15       Dies gilt auch für die Frage, ob die „bloße Auswertung eines Mobiltelefons“ im Rahmen der gerichtlichen Sicherstellung des Mobiltelefons der Sphäre der Staatsanwaltschaft zuzuordnen ist. Es ist bereits durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt, dass für die Zuständigkeit zur Behandlung einer Maßnahmenbeschwerde alleine maßgeblich ist, ob es zu einer Überschreitung der gerichtlichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Anordnung im Sinne eines Exzesses gekommen ist. Von einem Exzess kann (in diesem Sinn) nur bei Maßnahmen gesprochen werden, die ihrem Inhalt und Umfang nach in der gerichtlichen Anordnung keine Deckung mehr finden (vgl. VwGH 14.12.2018, Ro 2018/01/0017, mwN). Nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses war im vorliegenden Einzelfall - unter Hinweis auf die Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck vom 12. Oktober 2020 und (im Instanzenzug) des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 7. Jänner 2021 - eine Auswertung des Mobiltelefons nicht von der staatsanwaltschaftlichen Anordnung mitumfasst. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel aber keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. etwa VwGH 11.1.2021, Ro 2019/01/0015, mwN).

16       Daher gelingt es dem Verwaltungsgericht nicht, in der Begründung der Zulassung der Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darzulegen.

17       Der Revisionswerber hat auch in der ordentlichen Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B-VG maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Auffassung ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa VwGH 16.6.2021, Ro 2021/01/0013, mwN).

18       In dieser Hinsicht bringt die Amtsrevision (unter dem Titel „2. Umfang der Anfechtung“) vor, das Verwaltungsgericht habe „für die Zulassung der ordentlichen Revision auf eine gar nicht entscheidungsrelevante - am Thema vorbeigehende - Rechtsfrage abgestellt“, und führt weiter aus, die „eigentlichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wurden hingegen ignoriert“, und stellt sodann mit der Einleitung „Diese lauten:“ drei näher bezeichnete Rechtsfragen, ohne dabei aber in irgendeiner Weise auszuführen, inwieweit das Erkenntnis nach Art. 133 Abs. 4 B-VG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

19       In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

20       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021010019.J00

Im RIS seit

22.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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