TE Vfgh Beschluss 2021/10/5 E3135/2021

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Veröffentlicht am 05.10.2021
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10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

VfGG §7 Abs2, §35
ZPO §146, §147

Leitsatz

Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; kein minderer Grad des Versehens durch unrichtige Eintragung der Frist für die Erhebung einer Beschwerde im Fristenkalender des Beschwerdevertreters; Zurückweisung der Beschwerde als verspätet

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Mit dem am 19. August 2021 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Schriftsatz begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde und erhebt unter einem Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. Juli 2021. Nach der Begründung des Antrags habe die Kanzleiangestellte des Beschwerdevertreters des Antragstellers – im Zuge von "Turbulenzen" durch die Mandatsübernahme sowie die Festnahme und Überbringung des Antragstellers in ein Anhaltezentrum kurze Zeit später – das Ende der Rechtsmittelfrist unrichtig im Fristenkalender vermerkt. Das unterlaufene Versehen sei bloß ein geringes, da es sich dabei um einen Flüchtigkeitsfehler handle, der auf Grund der langjährigen Erfahrung und der damit einhergehenden Routine und Genauigkeit der Kanzleiangestellten "jedenfalls einen Einzelfall" darstelle.

Dem Beschwerdevertreter des Antragstellers sei kein verschuldetes Versehen im Hinblick auf seine Überwachungs- und Kontrollpflichten anzulasten. Seit der Gründung der Kanzlei vor drei Jahren sei ihm noch kein Fristversäumnis unterlaufen.

2. Gemäß §33 VfGG kann in den Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.

Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

3. Im vorliegenden Fall ist die Frist zur Einbringung des Antrags auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewahrt. Jedoch kann von einem minderen Grad des Versehens des Beschwerdevertreters nicht gesprochen werden:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bedarf es im Zusammenhang mit der Einhaltung von Fristen und Terminen eines Mindestmaßes an Sorgfalt sowie der Einrichtung einer – möglichst effizienten – Organisation, welche geeignet ist, Fristversäumungen zu verhindern (VfSlg 18.903/2009). Zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßstäben entsprechenden Kanzleiorganisation gehört es ua, Kontrollmechanismen vorzusehen, die gewährleisten, dass eingehende Geschäftsstücke, insbesondere solche, die eine Frist auslösen, rechtzeitig zur Kenntnis gelangen (VfSlg 19.252/2010) bzw in der Kanzlei der notwendigen weiteren Bearbeitung zugeführt werden (VfGH 19.11.2015, E1208/2015).

Die Befassung mit mehreren Rechtsmitteln gleichzeitig kann in einer Rechtsanwaltskanzlei nie ganz ausgeschlossen werden, sodass es organisatorischer Vorkehrungen, wie zB eines Vieraugenprinzips, sowohl bei der Errechnung als auch bei der Eintragung der Frist bedarf, damit auch in Situationen vermehrten Arbeitsanfalls Fehleintragungen möglichst ausgeschlossen werden können (vgl zB VfGH 30.6.2016, E1100/2016).

Der Beschwerdevertreter des Antragstellers machte über die behauptete Verlässlichkeit der Kanzleiangestellten hinaus keinerlei Angaben zu einem solchen Mindestmaß sorgfältiger Kanzleiorganisation. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen somit nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.

4. Die Beschwerde wurde erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§82 Abs1 VfGG) eingebracht und ist somit als verspätet zurückzuweisen.

5. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 zweiter Satz und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

6. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, Fristen, Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3135.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.10.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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