TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/22 Ro 2020/09/0016

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal

Norm

ÄrzteG 1949 §1 Abs1
ÄrzteG 1949 §11
ÄrzteG 1984 §28
ÄrzteG 1998 §136 Abs1 Z2
ÄrzteG 1998 §2 Abs3
ÄrzteG 1998 §47 Abs1 idF 2017/I/025
ÄrzteG 1998 §55
VwGG §39 Abs2 Z6
VwGG §42 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer und Mag Feiel sowie die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Prim. Dr. X Y in Z, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 28. Juli 2020, Zl. LVwG-851313/8/HW, betreffend Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Oberösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        Die 1962 geborene Revisionswerberin ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in Linz.

2        Mit Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Oberösterreich, vom 11. Juni 2019 wurde die Revisionswerberin des Disziplinarvergehens gemäß § 136 Abs. 1 Z 2 iVm § 55 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) für schuldig erkannt, weil sie durch ihre gutachterliche Stellungnahme vom 14. Oktober 2016 ein ärztliches Zeugnis entgegen der Verpflichtung des § 55 ÄrzteG 1998 zu gewissenhafter ärztlicher Untersuchung bzw. genauer Erhebung der im Gutachten zu bestätigenden Tatsachen ausgestellt habe, indem sie A.B. eine dementielle Entwicklung ungeklärter Ätiologie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit attestiert habe, aufgrund derer er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Bezug auf die Bearbeitung der Agenden einer näher bezeichneten Liegenschaft in Graz geschäftsunfähig sei, wobei diese Schlussfolgerung lediglich auf von einer näher genannten Auftraggeberin übermittelten Unterlagen beruht habe und ohne persönlichen Kontakt mit A.B. bzw. ohne dessen Beobachtung erfolgt sei. Über die Revisionswerberin wurde gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 eine Geldstrafe in der Höhe von € 15.000 verhängt, die unter Festsetzung einer Bewährungsfrist von zwei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Weiters wurde die Revisionswerberin zur Tragung der mit € 3.000 bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 28. Juli 2020 wurde der von der Revisionswerberin dagegen erhobenen Beschwerde dahingehend stattgegeben, dass als Disziplinarstrafe gemäß § 139 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG 1998 der schriftliche Verweis verhängt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei.

4        Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und vollständiger wörtlicher Wiedergabe u.a. des an die Revisionswerberin ergangenen Gutachtensauftrags vom 5. Juli 2016 und der (20 Seiten umfassenden) gutachterlichen Stellungnahme der Revisionswerberin vom 14. Oktober 2016 im Wesentlichen aus, die Bestimmung des § 55 ÄrzteG 1998 gelte für jede Form ärztlicher Gutachtertätigkeit und unabhängig von der Bezeichnung eines bestimmten Dokuments etwa als „ärztliches Zeugnis“ oder „Gutachten“. § 55 ÄrzteG 1998 gelange daher auch bei der gegenständlichen gutachterlichen Stellungnahme zur Anwendung. § 55 ÄrzteG 1998 lege ausdrücklich fest, dass ein ärztliches Zeugnis bzw. Gutachten nur nach vorheriger Untersuchung und nach genauer Erhebung der zu bestätigenden Tatsachen erstattet werden dürfe. Ärztliche Zeugnisse bzw. Gutachten ohne vorherige Untersuchung seien daher nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig.

5        Auch die von der Revisionswerberin in ihrer Beschwerde genannte Rechtsprechung des OGH (7.1.1959, 6 Ob 330/58) besage nur, dass sich der Arzt die vor der Ausstellung des Zeugnisses erforderliche Gewissheit über alle von ihm sachkundig zu beurteilenden Tatsachen nicht in allen Fällen nur durch eine unmittelbar vorangehende persönliche Untersuchung verschaffen müsse; hingegen folge aus dieser Rechtsprechung nicht, dass auch in Fällen, in denen eine vorherige Untersuchung für eine Beurteilung erforderlich sei, eine (mögliche) Untersuchung unterbleiben dürfe. Soweit die Beurteilung eine körperliche Untersuchung erfordere, könne ein Zeugnis oder Gutachten grundsätzlich nur nach entsprechender körperlicher Untersuchung erstellt werden.

6        Da im vorliegenden Fall auf Basis der der Revisionswerberin vorgelegenen Unterlagen eine diagnostische Zuordnung der beschriebenen Auffälligkeiten bzw. eine abschließende Bewertung des Zustandes des A.B. nur eingeschränkt möglich gewesen sei, also insofern keine ausreichende Gewissheit über die zu beurteilenden Tatsachen bestanden habe, wäre eine eigene Untersuchung erforderlich gewesen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Revisionswerberin die Relativität ihrer Ergebnisse nicht hinreichend dargestellt habe. Sie habe selbst erkannt, dass eine abschließende Bewertung des Zustandes des A.B. ohne Untersuchung nur eingeschränkt möglich gewesen sei. Die Revisionswerberin hätte einen Verstoß gegen die Verpflichtung des § 55 ÄrzteG 1998 etwa dadurch vermeiden können, dass sie, sofern eine Untersuchung bzw. ausreichende Befunderweiterung nicht möglich gewesen sei, die Erstellung der gutachterlichen Stellungnahme unterlässt. Die Revisionswerberin habe damit rechnen müssen, dass ihre gutachterliche Stellungnahme auch vor Gericht vorgelegt werden würde.

7        Im Weiteren begründete das Verwaltungsgericht seine Strafbemessung und die Bestätigung der Kostenentscheidung der belangten Behörde.

8        Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass zur Frage, ob § 55 ÄrzteG 1998 „auch für Gutachten bzw. eine gutachterliche Stellungnahme wie im vorliegenden Fall“ gelte, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

10       Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.

11       Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12       Die Revision erweist sich zur Klarstellung der Rechtslage als zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

13       Die hier maßgebliche Bestimmung des § 55 ÄrzteG 1998, BGBl. I Nr. 169/1998, lautet:

„Ärztliches Zeugnisse

§ 55. Ein Arzt darf ärztliche Zeugnisse nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung und nach genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen nach seinem besten Wissen und Gewissen ausstellen.“

14       Die Revision - die keine Ausführungen zur Strafbemessung und zur Kostenentscheidung enthält - nimmt zusammengefasst den Standpunkt ein, die Ansicht des Verwaltungsgerichtes, wonach die gutachterliche Stellungnahme der Revisionswerberin von § 55 ÄrzteG 1998 umfasst sei, beruhe auf einer unzulässigen „Vermengung der Begrifflichkeiten“. Das ärztliche Zeugnis unterscheide sich vom Gutachten dadurch, dass beim Zeugnis „nur Wahrnehmungen festgehalten, beim Gutachten hingegen aus dem erstellten Befund sachverständige Schlussfolgerungen“ gezogen würden. Für die Definition als „ärztliches Zeugnis“ im Sinne des § 55 ÄrzteG 1998 sei ausschlaggebend, dass „durch die Anwendung von Methoden der medizinischen Wissenschaft bestimmte Tatsachen“ festgestellt würden (Verweis auf Wallner, Handbuch Ärztliches Berufsrecht2 [2018] 131). Die gutachterliche Stellungnahme der Revisionswerberin sei kein ärztliches Zeugnis im Sinne des § 55 ÄrzteG 1998, weil nicht festgehalten worden sei, dass „entsprechende Tatsachen zum psychischen Gesundheitszustand festgestellt worden wären“. Es werde mehrmals darauf hingewiesen, dass eine abschließende Stellungnahme aufgrund der nicht möglichen persönlichen Untersuchung nicht abgegeben werden könne, es würden die zur Verfügung gestellten Unterlagen auch lediglich im Konjunktiv wiedergegeben. Es sei betont worden, dass von einem lediglich naheliegenden Schluss auf eine psychische Erkrankung bzw. von einer hohen Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer solchen auszugehen sei, sollten die zur Verfügung gestellten Unterlagen die tatsächlichen Umstände widerspiegeln, und dass die Angaben „nur unter Vorbehalt, insbesondere einer persönlichen Untersuchung“ erfolgt seien.

15       Dazu ist Folgendes auszuführen:

16       Nach § 55 ÄrzteG 1998 darf ein Arzt ärztliche Zeugnisse nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung und nach genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen nach seinem besten Wissen und Gewissen ausstellen. Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung folgt, dass als ärztliches Zeugnis jede vom Arzt ausgestellte Urkunde anzusehen ist, in der - wie allerdings einschränkend zu ergänzen ist: einer spezifisch ärztlichen Beurteilung unterliegende - Tatsachen bestätigt werden. Sofern die Revisionswerberin daher unter Berufung auf die oben zitierte Literaturstelle es als ausschlaggebend für das Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses im Sinne des § 55 ÄrzteG 1998 ansieht, dass durch die Anwendung von Methoden der medizinischen Wissenschaft bestimmte Tatsachen festgestellt werden, ist nicht erkennbar, warum dies auf „gutachterliche Stellungnahmen“ bzw. „Gutachten“ im Allgemeinen nicht zutreffen sollte. Es stellt geradezu den Normalfall eines ärztlichen Zeugnisses im Sinne des § 55 ÄrzteG 1998 dar, dass damit das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Erkrankung festgestellt wird, wobei sich diese Feststellung lediglich als eine auf medizinischem Wissen beruhende Schlussfolgerung aus vorliegenden (vom Arzt oder Dritten erhobenen) Tatsachen darstellt. In diesem Sinne geht auch die von der Revisionswerberin zitierte Literaturstelle - was in der Revision allerdings übergangen wird - ausdrücklich davon aus, dass die Bestimmung des § 55 ÄrzteG 1998 nicht nur „für Zeugnisse, sondern gleichermaßen für Gutachten“ gilt (Wallner, Handbuch Ärztliches Berufsrecht2 [2018] 131, unter Berufung auf Emberger in Emberger/Wallner, Ärztegesetz2 [2008] Fn 1 zu § 55). Dies entspricht auch der herrschenden Lehre (vgl. weiters etwa Zahrl in Aigner/Klete?ka/Klete?ka-Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht für die Praxis [2020] Teil II. 6 117 und 121; Stellamor/Steiner, Handbuch des österreichischen Arztrechts I [1999] 158).

17       Dem stehen - was in der Revision nicht behauptet wird - auch weitere Bestimmungen des ÄrzteG 1998 nicht entgegen: Zwar sieht § 2 Abs. 3 ÄrzteG 1998 vor, dass jeder zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigte Arzt befugt ist, ärztliche Zeugnisse auszustellen und ärztliche Gutachten zu erstatten. Aus dieser Bestimmung lässt sich aber nicht ableiten, dass dem Gesetzgeber in § 55 ÄrzteG 1998 ein Begriffsverständnis vor Augen gestanden wäre, demzufolge ärztliche Gutachten von der in dieser Bestimmung normierten Berufspflicht (generell) nicht umfasst sein sollten. Die Bestimmung des § 55 ÄrzteG 1998 findet sich nämlich wortgleich bereits im Ärztegesetz 1949 (§ 11) bzw. im (wiederverlautbarten) Ärztegesetz 1984 (§ 28). Die Materialien zu § 55 ÄrzteG 1998 (1386 BlgNR 20. GP 97) verweisen insofern lediglich auf die Bestimmungen des (wiederverlautbarten) Ärztegesetzes 1984, jene zum Ärztegesetz 1949 (784 BlgNR 5. GP 16 ff) nehmen auf § 11 (im Entwurf noch als § 12 bezeichnet) keinen Bezug, verweisen einleitend aber darauf, dass der Entwurf „viele der Bestimmungen, wie sie in der österreichischen Ärzteordnung 1937 enthalten waren, wieder aufnimmt“. Die zuletzt genannte Ärzteordnung 1937 enthielt in § 12 Abs. 1 erster Satz eine mit § 55 ÄrzteG 1998 idente Bestimmung, die im zweiten Satz dahingehend ergänzt wurde, dass als „Zeugnis im Sinne dieses Gesetzes ... jede ärztliche Bescheinigung“ gelte. Den Materialien zum Ärztegesetz 1949 lässt sich nun kein Hinweis darauf entnehmen, dass durch den Entfall dieses Satzes oder durch die Erwähnung von „ärztlichen Zeugnissen und Gutachten“ im Zusammenhang mit der Umschreibung des Berufs des Arztes (§ 1 Abs. 1 Ärztegesetz 1949; nunmehr § 2 Abs. 3 ÄrzteG 1998) ein einschränkendes Begriffsverständnis in Bezug auf die normierte Berufspflicht zugrunde gelegt werden sollte. Der von der Revisionswerberin erkennbar vertretenen Ansicht, wonach gutachterliche Stellungnahmen von § 55 ÄrzteG 1998 (generell) nicht umfasst seien, ist daher nicht zu folgen.

18       Soweit die Revision auf die Rechtsprechung des OGH zu § 11 Ärztegesetz 1949 Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass der OGH die Auffassung vertreten hat, dass diese Bestimmung lediglich besagt, dass der Arzt sich vor Ausstellung des Zeugnisses über alle von ihm sachkundig zu beurteilenden Tatsachen in ausreichender Weise Gewissheit verschafft haben muss, keineswegs aber, dass er sich diese Gewissheit in allen Fällen nur durch eine unmittelbar vorangehende persönliche Untersuchung verschaffen darf. Es wird daher immer nach den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen sein, ob in der Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne eine unmittelbar vorangegangene persönliche Untersuchung ein Verstoß gegen die dem Arzt in § 11 Ärztegesetz 1949 auferlegte Verpflichtung erblickt werden muss (OGH 7.1.1959, 6 Ob 330/58).

19       Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von diesem Verständnis der dem Arzt insoweit - nunmehr durch § 55 ÄrzteG 1998 - auferlegten Berufspflichten abzugehen, dies schon deshalb, weil das ÄrzteG 1998 seit der Novellierung BGBl. I Nr. 25/2017 in § 47 Abs. 1 ausdrücklich auf die „Erstellung von Aktengutachten“ Bezug nimmt und daher eine in jedem Fall durchzuführende ärztliche Untersuchung nicht voraussetzt. Es ist daher nach den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen, ob in der Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne eine ärztliche Untersuchung ein Verstoß gegen die in § 55 ÄrzteG 1998 auferlegte Verpflichtung zu sehen ist, wobei allerdings - was bereits aus der zitierten Entscheidung des OGH hervorgeht - die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne vorherige Untersuchung als Ausnahmefall einer nachvollziehbaren Begründung bedarf (vgl. Zahrl in Aigner/Klete?ka/Klete?ka-Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht für die Praxis [2020] Teil II. 6 121).

20       Was nun die vom Verwaltungsgericht im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der gutachterlichen Stellungnahme der Revisionswerberin vom 14. Oktober 2016 anbelangt, vermag das Revisionsvorbringen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufzuzeigen:

21       Die Revisionswerberin legt ihrem Vorbringen zugrunde, eine gutachterliche Stellungnahme wie im gegenständlichen Fall, in der „keine persönliche Untersuchung möglich ist, da sich die untersuchende Person nicht untersuchen lässt“, sei nicht unter § 55 ÄrzteG 1998 zu subsumieren. Damit wird allerdings übergangen, dass nach dem im angefochtenen Erkenntnis im Rahmen der Feststellungen wörtlich wiedergegebenen Gutachtensauftrag vom 5. Juli 2016 die Aufraggeberin zwar darauf verwiesen hat, dass es ihr nicht möglich sei, eine persönliche Begutachtung des A.B. zu ermöglichen, dass aber die Möglichkeit bestehe, diesen bei der nächsten (offenbar für drei Stunden angesetzten) Verhandlung in einer bestimmt bezeichneten zivilgerichtlichen Angelegenheit „zu beobachten“.

22       Vor dem Hintergrund, dass sich die gutachterliche Stellungnahme der Revisionsweberin vom 14. Oktober 2016 in ihrer Beurteilung maßgeblich auf Aussagen bzw. Verhaltensweisen des A.B. in zivilgerichtlichen Verfahren stützt, die der Revisionswerberin (lediglich) in Form eines ärztlichen Befundberichts genau jener Ärztin, die zugleich Auftraggeberin und Gesellschafterin einer (u.a. mit A.B.) streitverfangenen Gesellschaft ist, vorlagen, ist aber nicht zu erkennen, dass den Anforderungen des § 55 ÄrzteG 1998 an eine nach bestem Wissen und Gewissen vorgenommene genaue Erhebung der zu bestätigenden Tatsachen ohne eine derartige Beobachtung entsprochen worden wäre. Gründe, die diese Beurteilung fallbezogen in Frage stellen könnten, werden in der Revision - die darauf nicht eingeht und auch das Beschwerdevorbringen der Revisionswerberin unerwähnt lässt, wonach eine von der Auftraggeberin vorgeschlagene Beobachtung aufgrund einer Terminkollision der Revisionswerberin nicht möglich gewesen sei - nicht aufgezeigt. Der zuletzt genannte Umstand ist im Übrigen ungeeignet, das Unterbleiben einer zur Erfüllung der Anforderungen des § 55 ÄrzteG 1998 erforderlichen Beobachtung zu begründen.

23       An diesem Ergebnis vermögen auch die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten relativierenden Aussagen in der gutachterlichen Stellungnahme nichts zu ändern, nehmen diese doch durchwegs auf eine „nicht mögliche persönliche Untersuchung“ Bezug, ohne die aufgezeigte Möglichkeit einer Beobachtung auch nur zu erwähnen oder darzulegen, warum diese Möglichkeit zu keiner Verbreiterung der Beurteilungsgrundlage geführt hätte. Der Revisionswerberin wurde aber gerade zum Vorwurf gemacht, ihre Beurteilung „ohne persönlichen Kontakt mit A.B. bzw. ohne dessen Beobachtung“ vorgenommen zu haben. Soweit das Revisionsvorbringen aber dahin zu verstehen wäre, dass die bloße offenlegende Bezugnahme in der gutachterlichen Stellungnahme darauf, dass diese ohne Einhaltung der in § 55 ÄrzteG 1998 vorgesehenen Anforderungen - gleichsam hypothetisch - erstellt wurde, zur Folge hätte, dass nicht (mehr) von einem ärztlichen Zeugnis im Sinne der genannten Bestimmung auszugehen sei, ist dem nicht zu folgen, kann dem Gesetzgeber doch nicht unterstellt werden, eine derartige Entleerung der dem Arzt auferlegten Verpflichtung zur „genauen Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen“ beabsichtigt zu haben. Der Revision gelingt es nach dem Gesagten daher nicht, eine Fehlbeurteilung des Verwaltungsgerichtes in Ansehung des zur Last gelegten Disziplinarvergehens nach § 136 Abs. 1 Z 2 iVm § 55 ÄrzteG 1998 aufzuzeigen.

24       Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1VwGG als unbegründet abzuweisen.

25       Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, zumal die Revisionswerberin ihren vor dem Verwaltungsgericht gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 30. April 2020 zurückgezogen hat (vgl. VwGH 10.9.2020, Ro 2020/17/0011, mit Verweis auf VwGH 23.4.2014, 2013/07/0276, VwSlg. 18830 A).

Wien, am 22. September 2021

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2020090016.J00

Im RIS seit

18.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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