TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/27 Ra 2021/18/0278

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.2021
beobachten
merken

Index

E3L E19103010
E6J
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
32011L0095 Status-RL Art10 Abs1 litd
32011L0095 Status-RL Art4 Abs3 lita
32011L0095 Status-RL Art9 Abs1
32011L0095 Status-RL Art9 Abs2 litc
62012CJ0199 VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des C M, vertreten durch Mag. Zaid Rauf, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 2021, G302 2225891-1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein jamaikanischer Staatsangehöriger, beantragte am 12. August 2015 internationalen Schutz und brachte zusammengefasst vor, dass er homosexuell sei und deshalb in seinem Herkunftsstaat verfolgt würde.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag - im Beschwerdeverfahren - hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten ab, stellte aber fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Jamaika gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) unzulässig sei. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3        Es stellte (u.a.) fest, dass der Revisionswerber „homosexuell bzw. zumindest bisexuell“ sei. Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Informationsquellen seien aber keine hinreichenden Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die staatlichen Einrichtungen Jamaikas systematische oder sonst zielgerichtete Verfolgungshandlungen gegen Personen aufgrund ihrer Homosexualität anordnen oder dulden würden. Auch wenn nicht verkannt werde, dass Fälle gesellschaftlicher Diskriminierung von Homosexuellen bzw. Fälle von diskriminierenden Handlungen, Schikanen oder gar gewalttätigen Handlungen seitens staatlicher Organe (wie von Angehörigen der jamaikanischen Nationalpolizei) nicht ausgeschlossen werden könnten, so erreichten solche Fälle der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung für sich alleine genommen nicht die für eine Asylrelevanz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erforderliche Eingriffsintensität. Asyl sei dem Revisionswerber deshalb nicht zu gewähren.

4        Im Zusammenhang mit dem begehrten Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG weiter aus, aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass Homosexuelle in Jamaika - neben strafrechtlicher Pönalisierung - mit verschiedenen Eingriffen konfrontiert seien: So werde von willkürlichen Misshandlungen durch Polizeibeamte und körperlicher Gewalt berichtet. Selbst wenn man daher davon ausgehe, dass die Anzahl von tatsächlichen Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen gering sei, müsse aufgrund der Kumulierung der verschiedenen Übergriffe davon ausgegangen werden, dass in Jamaika eine Verfolgung homosexueller Personen, welche ihre sexuelle Orientierung nicht verbergen, erfolge. Es erscheine daher aus Sicht des erkennenden Gerichts derzeit angezeigt, für den Fall einer Außerlandesbringung des Revisionswerbers von einem realen Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK auszugehen. Da der Revisionswerber während seines Aufenthalts in Österreich wegen eines näher bezeichneten Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei, sei ihm zwar gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen, es sei aber die Unzulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers festzustellen gewesen.

5        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zusammengefasst geltend macht, das BVwG sei mit seiner Entscheidung - aus näher dargestellten Gründen - von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Asylgewährung an homosexuelle Asylwerber abgewichen.

6        Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision ist zulässig und begründet.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die wiederum auf Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union Bezug nimmt, kann eine Verfolgung von Homosexuellen Asyl rechtfertigen. Dies gilt etwa dann, wenn homosexuelle Handlungen im Herkunftsstaat des Asylwerbers unter Strafe gestellt sind und auch tatsächlich Freiheitsstrafen verhängt werden (vgl. etwa VwGH 16.11.2016, Ra 2015/18/0295, VwGH 25.6.2020, Ra 2019/18/0444, und VwGH 14.4.2021, Ra 2020/18/0126, jeweils unter Hinweis auf EuGH 7.11.2013, Rechtssachen X, Y und Z, C-199/12 bis C-201/12).

10       Die Revision verweist auf diese Rechtsprechung und macht geltend, das BVwG habe festgestellt, dass es in Jamaika strafrechtliche Bestimmungen gebe, die auf die Verfolgung von homosexuellen Handlungen abzielten, und, dass diese Normen auch tatsächlich zur Anwendung kämen. Dennoch erkenne es dem Revisionswerber kein Asyl zu und weiche dadurch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

11       Dem ist insoweit zuzustimmen, als das BVwG (im Rahmen seiner Erwägungen zum subsidiären Schutz) auch ausführte, dass es im Herkunftsstaat des Revisionswerbers eine geringe Anzahl von Fällen gegeben habe, in denen Homosexuelle tatsächlich zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden seien. Diese Erwägungen setzte das BVwG nicht in Bezug zu den zuvor getroffenen Länderfeststellungen über die Lage von Homosexuellen in Jamaika, in denen es u.a. heißt, dass einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Männern strafrechtlich nicht verfolgt würden. An anderer Stelle der Länderfeststellungen wird demgegenüber dargelegt, dass es Verurteilungen wegen „Unzucht“ gegeben habe und sich aus der Statistik nicht erkennen lasse, ob es sich um Vorfälle einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs zwischen Männern gehandelt habe oder nicht. Das BVwG begründete nicht, welche dieser Länderberichte es seinen rechtlichen Überlegungen zugrunde legte. Es führte auch nicht näher aus, weshalb es die von ihm angenommenen strafrechtlichen Verurteilungen in der Vergangenheit für nicht ausreichend erachtete, um schon deshalb Asyl (im Sinne der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung) zu gewähren. Das angefochtene Erkenntnis ist deshalb mangelhaft begründet.

12       Abgesehen davon sind die Feststellungen und Erwägungen des BVwG zur möglichen Verfolgung des Revisionswerbers wegen seiner sexuellen Orientierung bei Rückkehr in den Herkunftsstaat aber auch aus einem anderen Grund widersprüchlich und rechtlich verfehlt:

13       So argumentierte das BVwG einerseits, aus den Länderberichten seien keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass der Revisionswerber bei Rückkehr nach Jamaika „zielgerichtete Verfolgungshandlungen“ wegen seiner sexuellen Orientierung zu erwarten habe. Die „Diskriminierungen“ von Homosexuellen erreichten nicht die für die Asylgewährung erforderliche Eingriffsintensität. Andererseits führte das BVwG aber aus, dass homosexuelle Männer von willkürlichen Misshandlungen durch Polizeibeamte und körperlicher Gewalt berichteten, weshalb davon ausgegangen werden müsse, dass „in Jamaika eine Verfolgung homosexueller Personen, welche ihre sexuelle Orientierung nicht verbergen, erfolg[e]“ und dem Revisionswerber bei Rückkehr das reale Risiko einer Verletzung von Art. 3 EMRK drohe.

14       Weshalb das BVwG trotz der konzedierten Verfolgung von Homosexuellen durch Polizeibeamte in Jamaika kein Asyl zuerkannte, ist nicht nachvollziehbar. Insbesondere erweist sich das rechtliche Argument, die drohenden Misshandlungen erreichten zwar die Schwere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nicht aber die für die Asylgewährung erforderliche Eingriffsintensität, als nicht haltbar.

15       Das angefochtene Erkenntnis war daher vorrangig wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16       Die Kostenscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. September 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62012CJ0199 VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180278.L00

Im RIS seit

18.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten