TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/19 96/16/0048

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Veröffentlicht am 19.12.1996
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
32/06 Verkehrsteuern;

Norm

ABGB §1284;
ABGB §1444;
ABGB §553;
ABGB §579;
ABGB §663;
ABGB §666;
ABGB §861;
ErbStG §2 Abs1 Z1;
ErbStG §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. DDDr. Jahn, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch die Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 17. Jänner 1996, Zl. GA 9-595/95, betreffend Erbschaftssteuer, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer als Käufer schloß am 22. Juni 1983 mit zwei Verkäufern einen Kaufvertrag über eine Liegenschaft. Hinsichtlich der Kaufpreiszahlung wurde in Punkt IV lit. d des Kaufvertrages betreffend einen Teilbetrag von S 5,000.000,-- vereinbart, daß dieser Betrag in 125 monatlichen Raten a S 40.000,-- an die Erstverkäuferin zu bezahlen ist.

Eine am Tag der Errichtung des Kaufvertrages von der Erstverkäuferin abgegebene Erklärung lautete wie folgt:

"Aufgrund des Kaufvertrages über das Gut F habe ich gegen R unter anderem eine Forderung auf Bezahlung von S 40.000,-- monatlich in wertgesicherten Raten auf die Dauer von 125 Monaten.

Ich erkläre hiemit rechtsverbindlich und unwiderruflich, daß ich R die Bezahlung der nach meinem Tod fälligen Raten erlasse und für meine Rechtsnachfolger somit auf die Geltendmachung von Forderungen aus diesem Titel ausdrücklich verzichte.

Wien, am 22. Juni 1983"

Diese Erklärung ist maschinschriftlich geschrieben und unstrittigermaßen nur von der Erstverkäuferin eigenhändig unterfertigt worden.

Die Erstverkäuferin verstarb am 9. März 1987, bis zu welchem Zeitpunkt 44 Kaufpreisraten a S 40.000,-- (= S 1,760.000,--) bezahlt worden waren.

Das Finanzamt für Gebühren- und Verkehrsteuern in Wien setzte daraufhin ausgehend vom verbleibenden Restbetrag von S 3,240.000,-- Erbschaftssteuer fest, wobei es der Schulderlaß rechtlich als Schenkung auf den Todesfall qualifizierte.

Dagegen berief der Beschwerdeführer mit der Behauptung, eine Schenkung auf den Todesfall sei nicht erfolgt; vielmehr sei von Anfang an eine Veräußerung der Liegenschaft gegen Leistung einer nur zu Lebzeiten der Erstverkäuferin zu bezahlenden Leibrente vereinbart gewesen. Dieser "wahre Vertragswille" sei mit der Erklärung der Verkäuferin vom 22. Juni 1983 zum Ausdruck gebracht worden.

Gegen die daraufhin ergangene abweisliche Berufungsvorentscheidung stellte der Beschwerdeführer fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Die belangte Behörde wies die Berufung als unbegründet ab. Sie pflichtete dem Beschwerdeführer zwar darin bei, daß eine Schenkung auf den Todesfall nicht erfolgt sei, erachtete jedoch einen Erwerb von Todes wegen durch Vermächtnis, und zwar durch ein sogenanntes Befreiungsvermächtnis, als gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Erbschaftssteuerfreiheit verletzt.

Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 ErbStG gilt als Erwerb von Todes wegen u.a. der Erwerb durch Vermächtnis.

§ 9 leg. cit. bestimmt, daß dann, wenn der Erbe eine wegen Formmangels nichtige Verfügung von Todes wegen erfüllt, nur die Steuer zu entrichten ist, die bei Gültigkeit der Verfügung des Erblassers zu entrichten gewesen wäre.

Gemäß § 553 ABGB unterscheidet man zwischen letztwilligen Verfügungen dahin, ob sie eine Erbseinsetzung enthalten (= Testament) oder nur eine andere Verfügung (z.B. ein Legat); im letzteren Fall spricht man von einem sogenannten Kodizill. Soweit das Gesetz nicht anderes bestimmt, gelten auch für Kodizille die Vorschriften des Testamentsrechtes (z.B. Koziol/Welser, Bürgerliches Recht10 II 316, 365, 366; Welser in Rummel, ABGB2 I Rz. 2 zu §§ 552, 553 ABGB).

Für ein sogenanntes fremdhändiges (allographes) Testament ist es gemäß § 579 ABGB erforderlich, daß der Testator eine fremdhändig errichtete Urkunde eigenhändig unterfertigt und vor drei fähigen Zeugen (wovon mindestens zwei gleichzeitig anwesend sein müssen) ausdrücklich erklärt, daß das Schriftstück seinen letzten Willen enthält; dazu müssen auch die Zeugen die Urkunde mit einem Zusatz unterfertigen, der auf ihre Zeugeneigenschaft hinweist (Koziol/Welser a.a.O., 338; Welser in Rummel a.a.O Rz. 1 bis 8 zu § 579 ABGB). Ein Verstoß gegen diese Formvorschrift macht das fremdhändige Testament (bzw. Kodizill) ungültig; die Formvorschrift ist zwingend (Welser im Rummel a.a.O Rz. 1 zu § 577 ABGB).

Gegenstand eines Vermächtnisses kann auch ein Schulderlaß sein (sog. legatum liberationis; §§ 663,666 ABGB), wobei nach herrschender Auffassung ein solches Vermächtnis nicht unmittelbar das Erlöschen der Forderungen mit dem Tod des Erblassers bewirkt, sondern vielmehr der Erbe dazu verpflichtet wird, den Schulderlaß vorzunehmen (so insbesondere Koziol/Welser a.a.O. 370 unter Berufung auf Kralik, Erbrecht 228; ebenso Welser in Rummel a.a.O. Rz. 12 zu § 663 ABGB mit weiteren Literaturnachweisen).

Der Schulderlaß ist nach überwiegender Meinung ein zweiseitiges Rechtsgeschäft und bedarf daher der Zustimmung des Schuldnern, also des Legatars (Welser in Rummel a.a.O sowie Rummel in Rummel, ABGB2 II Rz. 3 zu § 1444 ABGB). Daneben wird aber auch die Meinung vertreten, ein einseitiger Verzicht auf eine Forderung sei in Einzelfällen zulässig (Literaturnachweise siehe bei Rummel a.a.O. Rz. 3 Abs. 2 zu § 1444 ABGB). Der Verzicht auf eine Forderung (die sogenannte Entsagung) wird nach herrschender Auffassung als Verfügungsgeschäft verstanden, welches eines Titels bedarf (Rummel in Rummel a.a.O Rz. 3 Abs. 5 zu § 1444 ABGB). Ein solcher Titel kann z.B. in einer zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner getroffenen Schenkungsvereinbarung bestehen (Rummel in Rummel a.a.O.) oder im Falle des legatum liberationis in der letztwilligen Verfügung des Erblassers. Die Verzichtserklärung selbst (also die bloße Verfügung) kann dann nach herrschender Meinung auch im Wege einer einseitigen Erklärung erfolgen (Rummel in Rummel a. a.O. Rz. 3 Abs. 6 zu § 1444 ABGB).

Im vorliegenden Fall bieten die nach ihrem Text unstrittigen relevanten Teile des Kaufvertrages vom 22. Juni 1983 und der nur von der Erstverkäuferin unterfertigten Erklärung vom gleichen Tag nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß es sich dabei um einen sogenannten Kauf gegen Leibrente handelte, weil es für diesen, den Glücksverträgen im weiteren Sinn zu unterstellenden gemischten Vertragstyp (vgl. Krejci in Rummel, ABGB2 II Rz. 1, 2 und 5 zu §§ 1284 bis 1286 ABGB) auch betreffend die Begrenzung der Ratenzahlung mit dem Leben des Berechtigten einer vertraglichen Einigung zwischen dem Berechtigten und dem zur Zahlung Verpflichteten bedarf. Für die Annahme einer solchen vertraglichen Vereinbarung betreffend den Rentencharakter der Kaufpreiszahlung bietet der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt keine Grundlage, zumal der Text der Erklärung der Erstverkäuferin ganz eindeutig einen einseitigen Verzicht auf die durch den zuvor geschlossenen Kaufvertrag erworbene Kaufpreisforderung darstellt.

Die belangte Behörde durfte daher im vorliegenden Fall prinzipiell zu Recht davon ausgehen, die in Rede stehende Erklärung als letztwillige Verfügung in Gestalt eines Befreiungsvermächtnisses anzusehen. Dabei hat die belangte Behörde aber vorschnell die Gültigkeit dieses Kodizilles angenommen, ohne sich mit den dafür geltenden, oben dargelegten Formvorschriften näher auseinander zu setzen und die Frage zu prüfen, ob die vorliegende Erklärung einer der zwingend notwendigen Testamentsformen entspricht.

Bei Prüfung dieser Frage ergibt sich, daß das Kodizill vom 22. Juni 1983 ungültig ist, weil die Formvorschrift für eine fremdhändige letztwillige Verfügung nicht eingehalten wurde (es fehlen nämlich die erforderlichen Zeugenunterschriften).

Angesichts dieser Sach- und Rechtslage wäre es die Aufgabe der belangten Behörde gewesen, in weiterer Folge die Frage zu prüfen, ob denn der Erbe im Sinne des § 9 ErbStG die wegen Formmangels nichtige Verfügung der Erblasserin dadurch erfüllt hat, daß er dem Beschwerdeführer gegenüber die Verzichtserklärung abgegeben hat, in welchem Falle die Erbschaftssteuer so zu bemessen ist, als wenn das Kodizill vom 22. Juni 1983 gültig gewesen wäre (vgl. Fellner, Gebühren- und Verkehrssteuern, Band III, 4. Teil, Erbschafts- und Schenkungssteuer, Rz. 1 zu § 9 ErbStG).

Indem die belangte Behörde ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, das Kodizill vom 22. Juni 1983 wäre gültig, die gebotene Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen unterlassen hat, hat sie ihren Bescheid mit einem sogenannten sekundären Verfahrensmangel (Feststellungsmangel) belastet, was zu seiner Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes führen muß.

Der Umstand, daß die belangte Behörde erstmals in ihrer Gegenschrift vermeint, es stünde außer Streit, daß der Beschwerdeführer mit dem Erben "die Angelegenheit besprochen hat", vermag einerseits das Fehlen von Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Bescheid nicht zu ersetzen und besagt andererseits rechtlich noch nicht, daß es zu einer Erfüllung des formungültigen Vermächtnisses im Sinne des § 9 ErbStG gekommen ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, weshalb auf die übrigen Beschwerdeargumente nicht näher eingegangen zu werden braucht.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft überflüssige Beilagengebühr.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996160048.X00

Im RIS seit

07.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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