TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/7 Ra 2017/11/0154

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Veröffentlicht am 07.09.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E05202000
E3L E06202000
E6J
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
60/02 Arbeitnehmerschutz
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

AÜG §17 Abs7
EURallg
VStG §16
VwGG §42 Abs2 Z1
31996L0071 Entsende-RL Art1 Abs3 litc
62013CJ0586 Martin Meat VORAB
62018CJ0815 Federatie Nederlandse Vakbeweging VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des R G in E, vertreten durch Mag. Jürgen Zahradnik, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Leitenstraße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 5. April 2017, Zl. LVwG-301342/49/Zo/BZ, betreffend Übertretungen des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Wels-Land), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 29. September 2016 wurde dem Revisionswerber als handelsrechtlichem Geschäftsführer zur Last gelegt, er habe es als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der GKG (eines Transportunternehmens) zu verantworten, dass es zumindest am 8. Mai 2014 am Standort in E (Oberösterreich) unterlassen wurde, gemäß § 17 Abs. 7 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) für insgesamt 1.099 namentlich genannte LKW-Fahrer „vom jeweiligen Eintrittsdatum (gemäß der diesem Bescheid angeschlossenen und einen wesentlichen Spruchpunkt bildenden Fahrerliste) bis zumindest 8.5.2016“ Unterlagen für die Anmeldung der Arbeitskraft zur Sozialversicherung sowie eine Abschrift der Meldung gemäß § 17 Abs. 2 und Abs. 3 AÜG bereitzuhalten. Der Revisionswerber habe dadurch jeweils eine Verwaltungsübertretung gemäß § 17 Abs. 7 iVm. § 22 Abs. 1 Z 2 2. Fall AÜG „idF. BGBl. I Nr. 44/2016“ begangen, weshalb pro Arbeitnehmer eine Geldstrafe in Höhe von € 750,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde. Gleichzeitig wurde dem Revisionswerber die Bezahlung eines Verfahrenskostenbeitrags vorgeschrieben. Dem legte die Behörde im Wesentlichen zugrunde, dass die GIH - eine 100-prozentige Tochter der GKG mit Sitz in Ungarn und ebenso wie die GKG im Transportgewerbe tätig - ihre ungarischen Fahrer der GKG iSd. AÜG überlassen habe.

2        Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die vom Revisionswerber gegen das Straferkenntnis erhobene Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass die Wortfolge „vom jeweiligen Eintrittsdatum (gemäß der diesem Bescheid angeschlossenen und einen wesentlichen Spruchpunkt bildenden Fahrerliste) bis zumindest 8.5.2016“ entfalle, die übertretene Rechtsvorschrift in der Fassung BGBl. I Nr. 98/2012 angewendet werde und anstelle der angeführten 1.099 Personen lediglich neun namentlich genannte LKW-Fahrer aufgelistet werden (Spruchpunkt I.). Hinsichtlich der Strafhöhe werde der Beschwerde insofern Folge gegeben, als anstelle von Einzelstrafen eine Gesamtstrafe in der Höhe von € 4.000,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Höhe von 268 Stunden verhängt werde (Spruchpunkt II.). Zudem habe der Revisionswerber keine Kosten für das Beschwerdeverfahren zu leisten, und der Kostenbeitrag zum erstinstanzlichen Verfahren werde auf € 400,-- herabgesetzt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde dem Revisionswerber die Zahlung von Barauslagen (Dolmetschergebühren) vorgeschrieben (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei (Spruchpunkt V.).

Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter dem Blickwinkel des § 4 Abs. 2 AÜG überwögen die (näher erörterten) Merkmale, die auf eine Arbeitskräfteüberlassung hindeuteten. Eine solche liege auch bei unionsrechtskonformer Auslegung der österreichischen Gesetze im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Hinweis auf EuGH 20.2.2011, C-307-309/09, Vicoplus, und EuGH 18.6.2015, C-586/13, Martin Meat) vor.

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet hat, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.

4        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

5        Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG), BGBl. Nr. 196/1988, lautet in der vorliegend maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 98/2012 (auszugsweise):

„Begriffsbestimmungen

§ 3. (1) Überlassung von Arbeitskräften ist die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte.

(2) Überlasser ist, wer Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet.

(3) Beschäftiger ist, wer Arbeitskräfte eines Überlassers zur Arbeitsleistung für betriebseigene Aufgaben einsetzt.

(4) Arbeitskräfte sind Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen. Arbeitnehmerähnlich sind Personen, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wirtschaftlich unselbständig sind.

Beurteilungsmaßstab

§ 4. (1) Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend.

(2) Arbeitskräfteüberlassung liegt insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber

1.   kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder

2.   die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder

3.   organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst-und Fachaufsicht unterstehen oder

4.   der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet.

...

Meldepflichten

§ 17. (1) ...

...

(7) Der Beschäftiger hat für jede nicht in Österreich sozialversicherungspflichtige überlassene Arbeitskraft Unterlagen über die Anmeldung der Arbeitskraft zur Sozialversicherung (Sozialversicherungsdokument A 1 nach der Verordnung (EG) Nr. 883/04 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012, ABl. Nr. L 149 vom 8.6.2012 S. 4) sowie eine Abschrift der Meldung gemäß den Abs. 2 und 3 am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten.

...

Strafbestimmungen

§ 22. (1) Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen

1.   ...

2.   mit Geldstrafe von 500 € bis zu 5 000 €, im Wiederholungsfall von 1 000 € bis zu 10 000 €, wer die Meldungen gemäß § 17 Abs. 2 nicht rechtzeitig erstattet oder die erforderlichen Unterlagen entgegen § 17 Abs. 7 nicht bereit hält;

...“

6        Die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. 1997, L 18/1 („Entsenderichtlinie“), lautet auszugsweise:

„Artikel 1

Anwendungsbereich

(1) Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Absatz 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden.

(2) Diese Richtlinie gilt nicht für Schiffsbesatzungen von Unternehmen der Handelsmarine.

(3) Diese Richtlinie findet Anwendung, soweit die in Absatz 1 genannten Unternehmen eine der folgenden länderübergreifenden Maßnahmen treffen:

a)   einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder

b)   einen Arbeitnehmer in eine Niederlassung oder ein der Unternehmensgruppe angehörendes Unternehmen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder

c)   als Leiharbeitsunternehmen oder als einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellendes Unternehmen einen Arbeitnehmer in ein verwendendes Unternehmen entsenden, das seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat oder dort seine Tätigkeit ausübt, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitsunternehmen oder dem einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht.

...

Artikel 2

Begriffsbestimmung

(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet.

...“

7        Dem denselben Revisionswerber betreffenden hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2021, Ra 2017/09/0005, lag zugrunde, dass dieser für schuldig erkannt worden war, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der GKG (dort bezeichnet als D KG) zu verantworten, dass die GKG näher genannte Drittstaatsangehörige als LKW-Fahrer im innerösterreichischen und grenzüberschreitenden Güterverkehr beschäftigt habe, obwohl für die betroffenen Ausländer keine der nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) nötigen Bewilligungen und Bestätigungen vorgelegen seien. Der Revisionswerber war deshalb nach § 28 AuslBG bestraft worden. Das Verwaltungsgericht war davon ausgegangen, die ungarische GIH (dort bezeichnet als F) habe ihre drittstaatsangehörigen LKW-Fahrer an die GKG iSd. AÜG überlassen, weshalb die GKG als Beschäftiger anzusehen sei. Aufgrund des Revisionsvorbringens hatte sich der Verwaltungsgerichtshof mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Subfrachtvertrag (Werkvertrag) vorgelegen war oder ob die GIH ihre Fahrer an die GKG - iSd. Entsenderichtlinie - überlassen hatte. Er führte dazu Folgendes aus:

„17 Unstrittig liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor. Zur Klärung der Frage der Abgrenzung, ob das Vertragsverhältnis im vorliegenden Fall als Arbeitskräfteüberlassung im Sinn von Art. 1 Abs. 3 Buchstabe c der Richtlinie 96/71/EG (Entsenderichtlinie) einzustufen ist oder entsprechend dem Vorbringen des Revisionswerbers, es handle sich um ein Subfrachtverhältnis und somit um einen Werkvertrag, war vorab zu klären, ob die Entsenderichtlinie überhaupt auf Arbeitnehmer, die als Fahrer im internationalen Güterkraftverkehr tätig sind, Anwendung findet.

18 Mit Urteil vom 1. Dezember 2020, Federatie Nederlandse Vakbeweging, C-815/18, hat der EuGH ausgesprochen, dass die Entsenderichtlinie auf die länderübergreifende Erbringung von Beförderungsleistungen anwendbar ist. Der Gerichtshof führte aus, dass zwar der freie Dienstleistungsverkehr im Verkehrsbereich nicht durch Art. 56 AEUV geregelt werde, der den freien Dienstleitungsverkehr im Allgemeinen betreffe, sondern durch die Bestimmungen des Titels des AEU-Vertrags über den Verkehr, auf die Art. 58 Abs. 1 AEUV verweise. Es sei aber darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 96/71 allgemeine Geltung habe. Außerdem bezwecke diese Richtlinie die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (Rn. 37, 38). Der Umstand, dass die Richtlinie 96/71 auf Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr gestützt sei, ohne dass ihre Rechtsgrundlage darüber hinaus Bestimmungen über den Verkehr umfasse, könne die länderübergreifende Erbringung von Dienstleitungen im Straßenverkehrssektor, insbesondere im Güterkraftverkehrssektor, nicht von ihrem Anwendungsbereich ausschließen (Rn. 40).

19 Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer, der im Rahmen eines Chartervertrages zwischen den ihm beschäftigenden Unternehmen und einem in einem anderen Mitgliedstaat tätigen Unternehmen eine Tätigkeit als Fahrer im internationalen Straßenverkehrssektor ausübt, als entsandter Arbeitnehmer im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und 3 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 gelten könne, sprach der EuGH weiters aus, dass ein Arbeitnehmer im Hinblick auf die Richtlinie 96/71 nur dann als in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsandt angesehen werden könne, wenn seine Arbeitsleistung eine hinreichende Verbindung zu diesem Hoheitsgebiet aufweise, was eine Gesamtwürdigung aller Gesichtspunkte voraussetze, die die Tätigkeit des betreffenden Arbeitnehmers kennzeichne (Rn. 45 ff). Ein relevanter Gesichtspunkt für die Beurteilung des Vorliegens einer solchen Verbindung stelle auch die Art der Tätigkeiten dar, die dieser Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats verrichte (Rn. 46). Bei mobilen Arbeitnehmern, wie im grenzüberschreitenden Verkehr tätigen Kraftfahrern sei hierfür auch von Bedeutung, wie eng die Verbindung zwischen den Tätigkeiten, die ein solcher Arbeitnehmer im Rahmen der Erbringung der ihm zugewiesenen Beförderungsleistung verrichte, und dem Hoheitsgebiet jedes betroffenen Mitgliedstaats sei (Rn. 47). Das Gleiche gelte für den Anteil dieser Tätigkeiten an der Gesamtheit der betreffenden Dienstleistungen. Insoweit seien das Be- oder Entladen von Waren, die Instandhaltung oder die Reinigung von Transportfahrzeugen von Bedeutung, sofern sie tatsächlich von dem betreffenden Fahrer und nicht von Dritten durchgeführt werden (Rn 48). Dagegen könne ein Arbeitnehmer, der in dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in den er entsandt werde, Leistungen von sehr beschränktem Umfang erbringe, nicht als „entsandt“ im Sinne der Richtlinie 96/71 angesehen werden (Urteil vom 19. Dezember 2019, Dobersberger, C-16/18) (Rn. 49).

20 Weiters führte der EuGH aus, dass die Richtlinie 96/71 auch ausdrücklich den Fall einer Entsendung innerhalb einer Unternehmensgruppe erfasst, die Eigenschaft als entsandter Arbeitnehmer aber davon abhängig gemacht werde, ob eine hinreichende Verbindung zwischen seiner Arbeitsleistung und dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen bestehe, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet.

21 Auch im Schlussantrag des Generalanwalts in der Rechtssache C-428/19, OL, PM, RO, vom 6. Mai 2021, wird auf diese Entscheidung des EuGH Bezug genommen und betont, dass ein Arbeitnehmer nur dann als in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsandt angesehen werden könne, wenn seine Arbeitsleistung eine hinreichende Verbindung zu diesem Hoheitsgebiet aufweise. So setze die Entsenderichtlinie eine Gesamtwürdigung aller Gesichtspunkte voraus, die die Tätigkeit des betreffenden Arbeitnehmers kennzeichnen (Punkt 24). Weiters führte der Generalanwalt in Punkt 25 aus, dass im besonderen Fall der im grenzüberschreitenden Straßenverkehr tätigen Kraftfahrer hierbei die Enge der Verbindung zwischen den Tätigkeiten, die ein solcher Arbeitnehmer im Rahmen der Erbringung der Beförderungsleistung verrichte, und dem Hoheitsgebiet jedes betroffenen Mitgliedstaats von besonderer Bedeutung sei. Das Gleiche gelte für den Anteil dieser Tätigkeiten an der Gesamtheit der betreffenden Dienstleistungen.

22 Im dortigen Anlassfall ‚seien die Kläger mit einem Kleinbus von Ungarn zu einem bestimmten Ziel in Frankreich befördert worden. Von dieser ‚Basis‘ aus schienen sie Dienstleistungen im Straßenverkehr innerhalb Frankreichs zu erbringen. Unter bestimmten Umständen könne diese Tätigkeit auch grenzüberschreitende Beförderungen umfassen. Jedoch scheine ihre ‚Basis‘ generell für alle von den Klägern während ihrer Entsendung ausgeführten Tätigkeiten dieselbe zu bleiben, bis sie nach Ungarn zurückkehren‘. Dies weise - so der Generalanwalt weiter - auf eine enge Verbindung zwischen der in Rede stehenden Erbringung der Beförderungsleistung durch die Kläger und dem Hoheitsgebiet von Frankreich hin. Gegenteiliges führte der Generalanwalt zur Rechtssache Dobersberger aus, wonach der EuGH die dortigen mit dem Bordservice in Zügen tätigen Arbeitnehmer als ‚nicht entsandte Arbeitnehmer‘ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Entsenderichtlinie angesehen habe, weil es diesen ersichtlich an einer vergleichbaren festen ‚Basis‘ von der aus die Arbeitsleistung erbracht worden wäre, gefehlt habe, zumal sie durch das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, der nicht ihr Heimat- oder Aufnahmemitgliedstaat gewesen sei, hindurch gefahren oder dort Güter entladen hätten.

23 Ob im vorliegenden Fall eine solch enge Verbindung zwischen der in Rede stehenden Erbringung der Beförderungsleistung durch die von der ungarischen F gebrachten Arbeitnehmer und dem Hoheitsgebiet von Österreich vorliegt, um von entsandten Arbeitnehmern sprechen zu können, kann jedoch, wie noch aufzuzeigen sein wird, noch nicht abschließend beurteilt werden.

24 Bezugnehmend auf die hier weiter zu klärende Frage, ob der fallbezogene Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung oder als Werkvertrag (Subfrachtvertrag) zu beurteilen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. August 2017, Ra 2017/11/0068, ausgeführt, dass infolge des Anwendungsvorranges des Unionsrechts die bisherige Rechtsprechung zu § 4 AÜG im Sinn der Rechtsprechung des EuGH zu lesen sei, weshalb es einer Gesamtbeurteilung aller für die Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung maßgebenden Umstände bedarf und nicht (mehr) allein auf das Vorliegen einer der in § 4 Abs. 2 Z 1 bis 4 AÜG genannten Parameter abgestellt werden darf (vgl. auch VwGH 20.9.2017, Ra 2017/11/0016). Damit sind auch die Kriterien für die Arbeitskräfteüberlassung i.S.d. Art. 1 Abs. 3 lit. c der Richtlinie 96/71/EG entscheidend.

25 Im bereits mehrfach zitierten Urteil des EuGH vom 18. Juni 2015, Martin Meat, C-586/13, führte der Gerichtshof dazu aus, dass für die Feststellung, ob ein Vertragsverhältnis als Arbeitskräfteüberlassung im Sinn von Art. 1 Abs. 3 Buchstabe c der Richtlinie 96/71 einzustufen ist, drei Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der entsandte Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird. Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist. Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen.

26 Bei der Analyse des eigentlichen Gegenstands der Dienstleistung sei jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat den Gegenstand der betreffenden Dienstleistung darstelle oder nicht darstelle. Hierbei sei zu beachten, dass ein Dienstleistungserbringer grundsätzlich eine Leistung erbringen müsse, die mit den Vorgaben des Vertrags übereinstimme, so dass die Folgen der Erbringung einer nicht vertragsgemäßen Leistung von dem Dienstleistungserbringer getragen werden müssen. Demzufolge sei bei der Feststellung, ob der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung die Entsendung des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat sei, insbesondere jeder Anhaltspunkt dafür zu berücksichtigen, dass der Dienstleistungserbringer nicht die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trage. Ergebe sich daher aus dem Vertrag, dass der Dienstleistungserbringer verpflichtet sei, die vertraglich vereinbarte Leistung ordnungsgemäß auszuführen, sei es grundsätzlich weniger wahrscheinlich, dass es sich um eine Arbeitskräfteüberlassung handle, als wenn er die Folgen der nicht vertragsgemäßen Ausführung dieser Leistung nicht zu tragen habe (zum Ganzen Rn. 34 bis 36).

27 Damit sind vor dem Hintergrund dieser Ausführungen Feststellungen zum Vertragsverhältnis der hier involvierten Parteien, deren vertraglichen Grundlagen aber insbesondere dazu, ob das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw. wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, sohin ob der für einen Werkvertrag essentielle ‚gewährleistungstaugliche‘ Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten, von entscheidender Bedeutung.

28 Im angefochtenen Erkenntnis ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen, wonach es sich um Transportaufträge, die rechtlich als Sonderform von Werkverträgen einzustufen seien, unterbleiben könne, weil es auf den tatsächlichen Betriebsablauf bei der Erfüllung der Verträge ankomme.

29 Wie bereits dargelegt, sind aber eindeutige Feststellungen zum konkret vereinbarten Leistungsgegenstand zwischen der österreichischen D und der ungarischen F zu treffen und davon ausgehend sind Feststellungen dazu erforderlich, ob ein gewährleistungstauglicher Erfolg vereinbart wurde.

30 Das Verwaltungsgericht hat lediglich festgestellt, ‚dass die ungarische F voll für Schäden hafte wie jeder Dritte, bei nicht ordnungsgemäßer Transportleistung die österreichische D aufgrund einer Warenversicherung vom Kunden geklagt werde und bei Kfz-Schäden der Geschädigte immer an den Versicherer der ungarischen F herantrete. Bei einem Ladegutschaden werde der Dispatcher in Österreich kontaktiert und im Containerbüro ein Protokoll aufgenommen. Wenn es sich um einen Schaden handelt, für den der Fahrer verantwortlich sei und der Schadensbetrag ihm vom Gehalt abgezogen werde, werde das Schadensprotokoll in Ungarn erstellt‘. Dazu ist auszuführen, dass, ohne die vertraglichen Grundlagen zu kennen, eine Zuordnung eines gewährleistungstauglichen Erfolgs mit diesen Sachverhaltsfeststellungen nicht vorgenommen werden kann.

31 Das Verwaltungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren anhand der dargestellten Rechtslage eindeutige Sachverhaltsfeststellungen zu treffen haben, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können (vgl. erneut VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068).

32 Nachdem die Sachverhaltsgrundlage noch nicht vollständig erhoben worden ist, wird sich das Verwaltungsgericht auch mit der eingangs erörterten Frage, wann ein als LKW-Fahrer im internationalen Straßenverkehrssektor tätiger Arbeitnehmer als ‚entsandt‘ gilt, um die Anwendbarkeit der Entsenderichtlinie 96/71/EG überhaupt bejahen zu können, auseinandersetzen müssen.

33 Es wird ausgehend von den vom EuGH aufgezeigten Gesichtspunkten (vgl. Rn. 46 bis 49 im Urteil des EuGH vom 1. Dezember 2020, Federatie Nederlandse Vakbeweging, C-815/18) - und auch hier können die noch nicht festgestellten Vertragsbeziehungen eine Rolle spielen - entsprechende Feststellungen zu treffen sein, um eine Gesamtwürdigung sämtlicher dieser Aspekte vornehmen zu können. Dazu ist anzumerken, dass das Verwaltungsgericht zwar schon umfangreiche Feststellungen zum Betriebsablauf getroffen hat. Diese sind jedoch zur Beurteilung der vom EuGH vorgegebenen Kriterien (insbesondere zum zeitlichen und anteilsmäßigen Aspekt der Dienstleistungen) noch nicht umfassend und präzise genug, um die eben dargestellte Gesamtwürdigung vornehmen zu können.“

8        In den wesentlichen Punkten gleicht der Revisionsfall jenem, der dem Erkenntnis vom 24. Juni 2021, Ra 2017/09/0005, zugrunde lag, da es auch dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis noch an den nötigen Feststellungen für eine abschließende Beurteilung des Vorliegens von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung iSd. Art. 1 Abs. 3 lit. c der Entsendungsrichtlinie (bzw. des fallbezogen maßgeblichen § 17 Abs. 7 AÜG) mangelt. Von diesem Fall unterscheidet sich der vorliegende Revisionsfall lediglich dadurch, dass nicht die Überlassung drittstaatsangehöriger sondern ungarischer Arbeitskräfte durch die GIH an die GKG fraglich ist und daher nicht eine Bestrafung nach dem AuslBG, sondern nach dem AÜG zu beurteilen ist. Die Revisionen sind größtenteils wortident.

9        Im Revisionsfall stellte das Verwaltungsgericht zwar fest, dass zwischen der GKG und der GIH eine mit 22. April 2013 datierte „Trucking-Vereinbarung“ abgeschlossen worden sei und die GIH gegenüber der GKG hafte. Wie diese Haftung vertraglich konkret ausgestaltet ist und ob der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde, ergibt sich aus den Feststellungen jedoch nicht. Im angefochtenen Erkenntnis (S. 9 und 13), finden sich außerdem Feststellungen einerseits dazu, dass die Fahrtaufträge von den Disponenten der Zentrale der GKG an alle LKW der Unternehmensgruppe und andere Subfrächter vergeben würden, die Fahrer und Fahrervertreter der ungarischen GIH jedoch über die Annahme der Aufträge entscheiden könnten, sowie andererseits dazu, dass von den Filialen der GKG die Fahrtaufträge an die GIH erteilt würden, die konkrete Zuteilung an einzelne Fahrer jedoch durch Disponenten der GIH erfolge. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht restlos geklärt, wer die Zahl der eingesetzten ungarischen Fahrer bestimmt und ihnen regelmäßig die konkreten Weisungen erteilt bzw. was diesbezüglich vertraglich vereinbart wurde. Es werden daher im Sinne des vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils Martin Meat ergangenen hg. Erkenntnisses vom 22. August 2017, Ra 2017/11/0068, konkrete Sachverhaltsfeststellungen zu treffen sein, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können.

10       Darüber hinaus wird sich das Verwaltungsgericht, ausgehend von den vom EuGH in seinem Urteil vom 1. Dezember 2020, C-815/18, Federatie Nederlandse Vakbeweging, aufgezeigten Gesichtspunkten auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, wann ein als LKW-Fahrer im internationalen Straßenverkehrssektor tätiger Arbeitnehmer als „entsandt“ gilt, um die Anwendbarkeit der Entsenderichtlinie 96/71/EG bejahen zu können. Zu diesem Zweck werden Feststellungen zu Art und Umfang der von den ungarischen Fahrern in Österreich erbrachten Arbeitsleistung zu treffen sein, um beurteilen zu können, ob diese Arbeitsleistung eine hinreichende Verbindung zum österreichischen Hoheitsgebiet aufweist. Auf die diesbezügliche Begründung des oben zitierten hg. Erkenntnisses vom 24. Juni 2021, Ra 2017/09/0005 (insbesondere Rn. 18 bis 22, 33), wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

11       Für den Fall, dass das Verwaltungsgericht zur Bejahung des Vorliegens von Arbeitskräfteüberlassung und davon ausgehend zu einer strafrechtlichen Verantwortung des Revisionswerbers kommt, wird darauf Bedacht zu nehmen sein, dass die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe aus den im hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033 bis 0034, genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, rechtswidrig ist.

12       Das angefochtene Erkenntnis war aus den genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

13       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 7. September 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62013CJ0586 Martin Meat VORAB
EuGH 62018CJ0815 Federatie Nederlandse Vakbeweging VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2017110154.L00

Im RIS seit

12.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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