TE Vwgh Beschluss 2021/9/14 Ra 2021/20/0331

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Veröffentlicht am 14.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des A T in H, vertreten durch Braunsberger-Lechner & Loos Rechtsanwälte in 4400 Steyr, Leopold-Werndl-Straße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2021, W235 2192966-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, stellte am 7. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit dem Bescheid vom 19. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision wendet sich gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar sei, und bringt dazu vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit einer näher genannten Richtlinie des UNHCR aus dem Jahr 2017 auseinandergesetzt.

8        Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; 11.2.2021, Ra 2021/20/0026, mwN).

9        Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 3.8.2021, Ra 2021/20/0261, mwN).

10       Das Bundesverwaltungsgericht ist (unter Einbeziehung aktueller Länderinformationen und nach Durchführung einer Verhandlung) auf Grundlage einer Beurteilung der Gegebenheiten in Pakistan und der persönlichen Umstände des Revisionswerbers zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in (näher genannten) Großstädten Pakistans außerhalb seiner Herkunftsprovinz Khyber Pakhtunkhwa zumutbar sei und er dort keiner relevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Der Revisionswerber sei gesund und gehöre „keiner Risikogruppe in Zusammenhang mit COVID-19“ an. Er sei ledig, kinderlos, ohne Sorgepflichten, verfüge über eine zehnjährige Schulbildung, habe Berufserfahrung im Iran und in Österreich gesammelt und sei arbeitsfähig. Er sei in einem pakistanischen Familienverband aufgewachsen, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut und spreche neben den in Pakistan gesprochenen Sprachen Paschtu und Urdu auch Farsi, sowie ein wenig Deutsch und Englisch. Seine Mutter, fünf Geschwister und ein Onkel mütterlicherseits lebten im Herkunftsstaat, wo seine Familie ein Grundstück besitze, auf dem die pakistanische Regierung eine große Schule gebaut habe. Von den Mieteinnahmen könne die Familie gut leben. Ein Bruder des Revisionswerbers arbeite in der Schule als Gärtner; ein anderer Bruder übe dort eine Tätigkeit vergleichbar der eines Schulwartes aus. Zwischen dem Revisionswerber und seiner Mutter bestehe ein aufrechter Kontakt.

11       Ausgehend davon führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber zwar nie in einer der Großstädte Pakistans gelebt habe, jedoch von seinen Angehörigen, die über ein gutes Einkommen verfügten, finanziell unterstützt werden könne. Angesichts seines zehnjährigen Schulbesuchs, seiner Sprachkenntnisse, seiner Berufserfahrung und seines guten Gesundheitszustandes könne sich der Revisionswerber sohin - anfangs mit finanzieller Unterstützung durch seine Angehörigen - in einer der Großstädte Pakistans eine Existenz aufbauen und diese anfänglich zumindest mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern.

12       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. etwa VwGH 8.7.2021, Ra 2021/20/0240, mwN).

13       Diesen Erfordernissen wird das zur Zulässigkeit der Revision erstattete Vorbringen nicht gerecht, weil es ihm nicht gelingt, aufzuzeigen, inwiefern die zusätzliche Berücksichtigung der - bloß pauschal - ins Treffen geführten Einzelaspekte der im Jahr 2017 veröffentlichten (sohin im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bereits drei Jahre alten und folglich auch keine Informationen zu COVID-19 aufweisenden) UNHCR-Richtlinie zu abweichenden Feststellungen und im Hinblick auf die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu einem anderen Ergebnis hätten führen können.

14       Wenn sich der Revisionswerber gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung wendet und ein Überwiegen der „positiven Integrationsmomente“ vorbringt, ist er auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 4.8.2021, Ra 2021/20/0243, mwN).

15       Die Revision zeigt nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht relevante Umstände außer Acht gelassen oder die bei seiner Interessenabwägung einbezogenen Umstände in einer von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichenden Weise gewichtet hätte.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 14. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200331.L00

Im RIS seit

07.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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