RS Vfgh 2021/6/17 G223/2020 (G223/2020-8)

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 17.06.2021
beobachten
merken

Index

32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
EStG 1988 §19 Abs1
ASVG §143a
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit des Fehlens einer Ausnahme vom Zuflussprinzip für die einkommensteuerrechtliche Erfassung von Nachzahlungen von Rehabilitationsgeld mangels Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums; Verstoß gegen das aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleitete Leistungsfähigkeitsprinzip durch die unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung von Nachzahlungen von (bescheidmäßig festgesetzten) Pensionen und von Rehabilitationsgeld

Rechtssatz

Aufhebung der Wortfolge "von Pensionen" in §19 Abs1 Z2 erster Teilstrich EStG 1988 idF BGBl I 112/2011. Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 30.06.2022.(Antrag des Bundesfinanzgerichtes - BFG). Zurückweisung des Hauptantrags ("von Pensionen") und des ersten Eventualantrags ("von Pensionen, über deren Bezug bescheidmäßig abgesprochen wird") als zu eng gefasst. Zulässigkeit des zweiten Eventualantrags auf Aufhebung des gesamten §19 Abs1 EStG 1988 idF BGBl I 112/2011. Im Übrigen Abweisung des zweiten Eventualantrags.

Nach §19 Abs1 EStG 1988 sind Einnahmen in jenem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (Zuflussprinzip). Davon abweichend bestimmt §19 Abs1 Z2 EStG 1988 Fälle, in denen Zahlungen in dem Kalenderjahr als zugeflossen gelten, für das der Anspruch entsteht bzw für das sie getätigt werden. Dies gilt nach der taxativen Aufzählung des §19 Abs1 Z2 leg.cit. für Nachzahlungen von Pensionen, über deren Bezug bescheidmäßig abgesprochen wird, ferner für Nachzahlungen im Insolvenzverfahren sowie für bestimmte Förderungen und Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln. Zweck der Regelung des §19 Abs1 Z2 EStG 1988 ist es, im Fall von Nachzahlungen negative Belastungswirkungen des progressiven Einkommensteuertarifs zu vermeiden:

Eine Regelungstechnik, die für Nachzahlungen von Pensionen vom tatsächlichen Zuflusszeitpunkt abweichend auf das Jahr abstellt, für das der Anspruch besteht, bewirkt zunächst, dass die Steuerbelastung und damit die Nettoerwartung des Einkünftebeziehers nicht durch negative - von Zufälligkeiten des Verfahrensablaufs abhängige - Progressionseffekte beeinträchtigt wird. Eine solche Zielsetzung erscheint aber gerade im Hinblick auf den Charakter von Pensionsleistungen sachlich begründet: Zu beachten ist, dass das Einkommen, das zur Abdeckung des existenziellen Grundbedarfs dient, durch den Nullsteuersatz für Einkommen bis € 11.000,- von der Einkommensbesteuerung gänzlich freigestellt ist (sogenanntes steuerliches Existenzminimum). Die Erfassung im Jahr der Entstehung des Anspruchs gewährleistet damit aber, dass auch im Fall einer Nachzahlung die Wirkungen des steuerlichen Existenzminimums für Einkommensteile, die auf das Jahr der Anspruchsentstehung entfallen, nicht geschmälert werden. Vergleichbare Erwägungen liegen der Regelung für Nachzahlungen von Insolvenzausfallsgeld zugrunde.

Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch die einkommensteuerrechtliche Erfassung von Nachzahlungen von Rehabilitationsgeld gemäß §143a ASVG im Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses:

Wenngleich davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Zuflussprinzips des §19 Abs1 EStG 1988 ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt, verletzt er das aus dem Gleichheitssatz erfließende Leistungsfähigkeitsprinzip, wenn allein wegen des tatsächlichen Zuflusses eine Besteuerung zu erfolgen hat, ohne dass das steuerliche Existenzminimum in Fällen, in denen der Zeitpunkt des Zuflusses vom Steuerpflichtigen seiner Art nach nicht beeinflusst werden kann, hinreichend Berücksichtigung findet.

Der Gesetzgeber hat das Rehabilitationsgeld mit der Begründung, dass das an die Stelle einer befristeten Invaliditätspension oder Berufsunfähigkeitspension getretene Rehabilitationsgeld durch den Krankenversicherungsträger geleistet wird und es zudem funktional als eine Fortsetzung des Krankengeldbezuges anzusehen ist, in §69 Abs2 EStG 1988 idF BGBl I 13/2014 dem Krankengeld gleichgestellt. Nachzahlungen von Rehabilitationsgeld iSd §143a ASVG sind somit nicht als Nachzahlungen von Pensionen iSd §19 Abs1 Z2 erster Teilstrich EStG 1988 zu qualifizieren (vgl VwGH 19.12.2018, Ro 2017/15/0025) und daher nach der geltenden Rechtslage gemäß §19 Abs1 EStG 1988 im Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses steuerlich zu erfassen.

Der VfGH vermag im gegebenen Zusammenhang keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen, Nachzahlungen von Rehabilitationsgeld anders als Nachzahlungen von Pensionen einkommensteuerlich im Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses zu erfassen: Ebenso wie im Fall der Nachzahlung einer Pension, über deren Bezug bescheidmäßig abgesprochen wird, kann im Fall der Nachzahlung von Rehabilitationsgeld, dessen Bezug auf einem Bescheid oder einem gleichzuhaltenden gerichtlichen Vergleich beruht, die Erfassung im Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses dazu führen, dass das steuerliche Existenzminimum im Jahr, für das der Anspruch besteht, vom Steuerpflichtigen nicht ausgeschöpft werden kann.

Der Umstand, dass in Fällen, in denen Vorschüsse auf Rehabilitationsgeld ausbezahlt werden, diese nachteiligen Effekte nicht eintreten, da diese Vorschüsse im Jahr des Zuflusses als Einnahmen zu erfassen und im Jahr der Nachzahlung auf diese in Anrechnung und als Werbungskosten von dieser in Abzug zu bringen sind, zeigt die Unsachlichkeit der bestehenden Rechtslage, führt sie doch dazu, dass ein Steuerpflichtiger, der keine Vorschüsse erhält, steuerlich höher belastet wird als ein Steuerpflichtiger, der für die Existenzsicherung notwendige Vorschüsse erhält. Eine solche Regelung, die das steuerliche Existenzminimum nicht hinreichend berücksichtigt, verletzt aber den Gleichheitsgrundsatz.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Einkommensteuer, Rehabilitation, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Prüfungsumfang, Einkünfte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G223.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten