TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/8 Ra 2020/20/0242

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Veröffentlicht am 08.09.2021
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs6 Z2
AsylG 2005 §35
AsylG 2005 §35 Abs5

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/20/0243
Ra 2020/20/0244
Ra 2020/20/0245
Ra 2020/20/0246

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revisionen 1. der H M, 2. des Z R, 3. des S R, 4. der N R, und 5. der S R, alle vertreten durch Mag. Julian Alen Motamedi, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Baumannstraße 9/12A, gegen die am 7. November 2019 mündlich verkündeten und am 11. Mai 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts, 1. W136 2196934-1/12E, 2. W136 2197027-1/13E, 3. W136 2197018-1/11E, 4. W136 2197012-1/11E und 5. W136 2197024-1/11E, betreffend Anerkennung als Flüchtlinge nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Afghanistans. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der zweit- bis fünftrevisionswerbenden Parteien. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte die Erstrevisionswerberin am 31. Dezember 2015 für sich und für die zu diesem Zeitpunkt minderjährigen zweit- bis fünftrevisionswerbenden Parteien jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit den Bescheiden je vom 20. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien jeweils keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte jeweils fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als unbegründet ab, gab den Beschwerden jedoch im Übrigen statt, erkannte den revisionswerbenden Parteien den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei.

4        Aus den Feststellungen der angefochtenen Erkenntnisse geht hervor, dass das Bundesverwaltungsgericht einer weiteren Tochter der Erstrevisionswerberin (und Schwester der zweit- bis fünftrevisionswerbenden Parteien), welche ebenfalls am 31. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (und die zu diesem Zeitpunkt ausweislich des unstrittigen und im angefochtenen Bescheid dokumentierten Geburtsdatums ebenfalls minderjährig war), den Status der Asylberechtigten zuerkannt hatte.

5        Die vorliegenden außerordentlichen Revisionen bringen zu ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts weiche von der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil den revisionswerbenden Parteien nicht der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden sei, obwohl ihnen dieser nach § 34 Abs. 2 AsylG 2005 im Familienverfahren, abgeleitet von der asylberechtigten Tochter bzw. Schwester der revisionswerbenden Parteien, zuerkannt hätte werden müssen.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revisionen nach Durchführung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Revisionen sind zulässig und berechtigt.

8        Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

9        Nach § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gilt diese Bestimmung sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

10       Familienangehöriger ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 u.a., wer Elternteil eines minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 24. Oktober 2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass aus dem Blickwinkel des Kindes, das die Eigenschaft als Familienangehöriger von seinen Eltern ableiten möchte, auf den Zeitpunkt der Antragstellung - bezogen auf den von ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz - abzustellen ist. Es muss, um als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu gelten, in diesem Zeitpunkt minderjährig und ledig sein. Dem Eintritt der Volljährigkeit vor dem Entscheidungszeitpunkt kommt in diesem Fall keine Bedeutung zu. Für die Anwendung des § 34 AsylG 2005 ist es hinreichend, dass (und solange) zumindest ein Fall des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 gegeben ist.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis weiters festgehalten, dass, auch wenn in § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 nicht ausdrücklich auf den „Zeitpunkt der Antragstellung“ hingewiesen wird, sich aus den einschlägigen Erläuterungen keine Hinweise darauf ergeben, dass der Begriff „Familienangehöriger“ innerhalb des § 34 AsylG 2005 unterschiedlich wäre und insbesondere der in § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 verwendete Begriff des „minderjährigen ledigen Kindes“ als „Familienangehöriger“ nicht im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen wäre.

13       In einem solchen Fall schließt gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 eine nach den Bestimmungen des Familienverfahrens erfolgte Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an einen Elternteil nicht aus, dass auch dessen (zumindest im Antragszeitpunkt) minderjährigen Kindern wiederum im Weg des Familienverfahrens der Status der Asylberechtigten in Ableitung von diesem Elternteil zuerkannt werden kann (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/14/0040 bis 0044).

14       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat jene Tochter der Erstrevisionswerberin (und Schwester der übrigen revisionswerbenden Parteien), der das Bundesverwaltungsgericht den Status der Asylberechtigten zuerkannt hat, aufgrund ihrer Eigenschaft als Familienangehörige der Erstrevisionswerberin in das Familienverfahren einbezogen. Gründe dafür, dass diese Tochter der Erstrevisionswerberin die Voraussetzungen als deren Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 nicht erfüllt hätte, führt das Bundesverwaltungsgericht nicht an.

15       Ausgehend davon steht es mit dem Gesetz nicht im Einklang, dass das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Erstrevisionswerberin im Verhältnis zu ihrer (nach dem Akteninhalt im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen ledigen und nunmehr asylberechtigten) Tochter als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 nicht die Bestimmungen des Familienverfahrens zur Anwendung gebracht hat und dieser ebenso wie (gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 abgeleitet von der Erstrevisionswerberin) den zweit- bis fünftrevisionswerbenden Parteien den Status von Asylberechtigten nicht zuerkannt hat.

16       Da das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage verkannt hat, waren die angefochtenen Erkenntnisse gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

17       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das diesen Betrag übersteigende Mehrbegehren, das auf den Ersatz der Eingabengebühr der Erstrevisionswerberin abzielt, war abzuweisen, weil die revisionswerbenden Parteien von der Entrichtung derselben im Rahmen der Verfahrenshilfe befreit wurden (vgl. VwGH 3.9.2020, Fr 2020/19/0022, mwN).

Wien, am 8. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020200242.L00

Im RIS seit

04.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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