TE Vwgh Beschluss 2021/9/10 Ra 2021/14/0284

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Veröffentlicht am 10.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §19 Abs1
AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/14/0285
Ra 2021/14/0286

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen der revisionswerbenden Parteien 1. A B, 2. C D und 3. E F, alle vertreten durch MMag. Dr. Franz Stefan Pechmann, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 70/2/1.1, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. April 2021, 1. L519 2150317-1/22E, 2. L519 2150320-1/21E und 3. L519 2149441-1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber ist der Vater des Zweit- und des Drittrevisionswerbers. Sie sind irakische Staatsangehörige, reisten gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten am 16. Mai 2015 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorbrachten, sie seien geflohen, weil der Islamische Staat versucht hätte, den Zweit- und den Drittrevisionswerber zu rekrutieren.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit Bescheiden vom 8. Februar 2017 jeweils vollinhaltlich ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit den in Revision gezogenen Erkenntnissen als unbegründet ab. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Erhebung von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 23. Juni 2021, E 2179-2181/2021-6, die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse erhobenen Beschwerden gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        In der Folge brachten die Revisionswerber die vorliegenden außerordentlichen Revisionen ein.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revisionen wenden sich in ihrem Zulässigkeitsvorbringen gegen die Beurteilung des BVwG, wonach die Revisionswerber mit ihren unglaubwürdigen Angaben keine ihnen drohende Verfolgung hätten glaubhaft machen können. Es handle sich bei den vom BVwG beweiswürdigend herangezogenen Ungereimtheiten und Widersprüchen nur um Details, welche nicht dazu geeignet seien, die Glaubwürdigkeit des gesamten Fluchtvorbringens zu verneinen. Zudem übersehe das BVwG, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 bei der Erstbefragung ein Verbot der näheren Befragung zu den Fluchtgründen bestehe, sodass die Angaben in der Erstbefragung nahezu zwangsläufig zu jenen in späteren Befragungen zurückbleiben müssten. Das BVwG habe außerdem nicht ermittelt, ob den Revisionswerbern als sunnitischen Arabern aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit im Irak Verfolgung drohe. Es sei auch keine ganzheitliche Würdigung des Fluchtvorbringens erfolgt.

10       Soweit sich die Revisionen damit gegen die Beweiswürdigung des BVwG zur fehlenden Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 15.6.2021, Ra 2020/14/0454, mwN).

11       Das BVwG erachtete das Fluchtvorbringen der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, bei der es sich einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte, aufgrund von - im Erkenntnis detailliert dargestellten - vagen, nicht nachvollziehbaren und widersprüchlichen Angaben in vertretbarer Weise als unglaubwürdig. Mit dem pauschal gehaltenen Vorbringen, dass es sich bei den Widersprüchen und Ungereimtheiten lediglich um Details handle, zeigen die Revisionen keine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des BVwG auf, und es ist auch nicht ersichtlich, dass in deren Rahmen nicht eine ganzheitliche Würdigung des Fluchtvorbringens erfolgt wäre.

12       Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.6.2021, Ra 2021/14/0096 bis 0100, mwN). Die Revisionen übergehen in ihrem diesbezüglichen Vorbringen, dass sich das BVwG nicht alleine auf Steigerungen zwischen den Angaben in der Erstbefragung und in späteren Einvernahmen gestützt hat, sondern in der gebotenen Gesamtschau überdies Widersprüche zwischen der Einvernahme vor der Behörde und jener vor dem BVwG und sowie zwischen den Angaben der Revisionswerber untereinander ins Treffen führt.

13       Das weitere Zulässigkeitsvorbringen, wonach das BVwG nicht ermittelt habe, ob den Revisionswerbern als sunnitischen Arabern (Gruppen-)Verfolgung im Irak drohe, blendet zunächst die im angefochtenen Erkenntnis dazu sehr wohl auf Basis der Länderfeststellungen angestellten Erwägungen aus. Vor allem aber lässt es die erforderliche Relevanzdarstellung gänzlich vermissen.

14       Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss nämlich schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 19.7.2021, Ra 2021/14/0230, mwN).

15       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140284.L00

Im RIS seit

04.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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