TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/2 Ra 2021/21/0087

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Veröffentlicht am 02.09.2021
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Index

E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

ARB1/80
AVG §66 Abs4
AVG §68 Abs1
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs8
FrPolG 2005 §53
FrPolG 2005 §66
FrPolG 2005 §67
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs2
FrPolG 2005 §70 Abs1
FrPolG 2005 §70 Abs3
NAG 2005 §54 Abs1
NAG 2005 §54 Abs7
VwGG §42 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Dr. Wiesinger sowie den Hofrat Dr. Chvosta als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. Jänner 2021, W232 2234745-1/2E, betreffend Behebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: M P, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, heiratete am 24. März 2017 in Serbien eine ungarische Staatsangehörige, die in Österreich ihr Recht auf Freizügigkeit ausübt. Am 30. Mai 2017 beantragte er in Österreich - hierauf gestützt - die Ausstellung einer Aufenthaltskarte zur Dokumentation seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.

2        Mit Bescheid vom 21. Februar 2018 wies der Landeshauptmann von Wien diesen Antrag gemäß § 54 Abs. 1 iVm Abs. 7 NAG wegen Vorliegens einer Aufenthaltsehe zurück und stellte fest, dass der Mitbeteiligte nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle.

Begründend berief er sich dabei auf das Ergebnis entsprechender polizeilicher Ermittlungen und vor allem darauf, dass der Mitbeteiligte bei einer polizeilichen Befragung am 9. November 2017 selbst zugestanden habe, die Ehe nur deshalb geschlossen zu haben, um damit einen Aufenthaltstitel für Österreich zu bekommen. Es liege somit eine Aufenthaltsehe vor.

3        Gegen diesen Bescheid erhob der anwaltlich vertretene Mitbeteiligte Beschwerde, die er in einer vor dem Verwaltungsgericht Wien durchgeführten Verhandlung am 19. Juni 2018 zurückzog. Das Verwaltungsgericht stellte daraufhin mit am selben Tag verkündetem Beschluss das Beschwerdeverfahren gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG ein.

4        In der Folge erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten mit Bescheid vom 31. Juli 2020 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG erteilte es einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. Jänner 2021 behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) „in Erledigung“ einer dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten diesen Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        In seiner Begründung legte das BVwG dar, dass dem Mitbeteiligten als Ehegatten einer EWR-Bürgerin, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen habe, unabhängig davon, dass die Ehe als Aufenthaltsehe zu qualifizieren sei, die Stellung als „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zugekommen sei; allerdings nur solange noch keine rechtskräftige Feststellung iSd § 54 Abs. 7 NAG vorgelegen sei (Hinweis auf VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, und VwGH 25.9.2017, Ra 2017/20/0293).

Mit Rechtskraft des erwähnten Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom 21. Februar 2018 komme dem Mitbeteiligten somit ungeachtet des formalen Fortbestehens seiner Ehe die Rechtsposition als „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ nicht mehr zu. Der Ausspruch eines auf § 67 FPG gestützten Aufenthaltsverbotes erweise sich daher als unzulässig. Richtigerweise wären eine auf § 52 Abs. 1 FPG gestützte Rückkehrentscheidung und die damit verbundenen Aussprüche in Betracht gekommen. Deren erstmalige Prüfung komme im Stadium des Beschwerdeverfahrens nicht in Betracht. Die Entscheidung des BFA sei somit ersatzlos zu beheben.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Stellungnahme abgab, erwogen hat:

8        Die Revision erweist sich, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zur Klarstellung der Rechtslage als zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

9        Die Abs. 1 und 7 des mit „Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers“ überschriebenen § 54 NAG lauten:

„§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

...

(7) Liegt eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30), eine Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) oder eine Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.“

10       Eine derartige Feststellung nach § 54 Abs. 7 NAG ist mit dem erwähnten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. Februar 2018 ergangen. Dieser Bescheid ist nach Zurückziehung der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde und Einstellung des Beschwerdeverfahrens gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG in Rechtskraft erwachsen (vgl. zu dieser Rechtsfolge etwa VwGH 30.1.2020, Ra 2019/11/0090, Rn. 21, mwN). Soweit der Mitbeteiligte im Revisionsverfahren die Rechtskraft dieser Entscheidung bloß pauschal in Abrede stellt, unterlässt er jede Begründung für diese - im Widerspruch zur Aktenlage stehende - Ansicht.

11       In Bezug auf die Reichweite dieser Feststellung verweist das BFA in der Amtsrevision auf die unterschiedlichen Legaldefinitionen des „unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts“ in § 2 Abs. 4 Z 15 FPG („das auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie gewährte Recht eines EWR-Bürgers und seiner Angehörigen sich im Bundesgebiet aufzuhalten“) und in § 2 Abs. 1 Z 14 NAG („das auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie gewährte Recht eines EWR-Bürgers und seiner Angehörigen sich im Bundesgebiet für mehr als drei Monate oder auf Dauer aufzuhalten“). Da die - vom FPG insofern abweichende - eigenständige Legaldefinition des NAG nur den Aufenthalt für mehr als drei Monate betreffe, werde durch eine Feststellung gemäß § 54 Abs. 7 NAG - so wird in der Amtsrevision gefolgert - lediglich rechtsverbindlich ausgesprochen, dass der Fremde nicht dem Regime des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts im Sinne des NAG unterliege. Es ergäben sich daraus „keine Folgen“ für die Anwendbarkeit der für „begünstigte Drittstaatsangehörige“ geltenden §§ 66 und 67 FPG (Ausweisung, Aufenthaltsverbot). Da das BVwG den Bescheid des BFA vom 31. Juli 2020 ausschließlich deshalb aufgehoben habe, weil es aufgrund der rechtskräftigen Feststellung gemäß § 54 Abs. 7 NAG die Rechtsposition des Mitbeteiligten als „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG und damit die Anwendbarkeit des § 67 FPG verneint habe, erweise sich das angefochtene Erkenntnis als rechtswidrig.

12       Diese Ausführungen sind nicht stichhältig und lassen vor allem die in den Gesetzesmaterialien (siehe dazu die RV zum FrÄG 2009, 330 BlgNR 24. GP 52) ausdrücklich erwähnte Zielsetzung außer Acht. Danach sollte mit dem (damals) neuen Abs. 7 des § 54 NAG in Umsetzung von Art. 35 der Freizügigkeitsrichtlinie vorgesehen werden, dass im Falle von Rechtsmissbrauch, konkret (u.a.) bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe, nicht nur die begünstigenden Normen des § 55 NAG, sondern auch die Sondernormen des FPG für begünstigte Drittstaatsangehörige nicht zur Anwendung kommen. Dass eine solche Auslegung im Gesetzestext ausreichend Deckung findet, wird aber auch in der Amtsrevision nicht in Frage gestellt.

13       Liegt daher - wie im vorliegenden Fall - eine rechtskräftige Feststellung gemäß § 54 Abs. 7 NAG vor, ist gegen den Drittstaatsangehörigen keine Ausweisung nach § 66 FPG bzw. kein Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG zu erlassen, sondern eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG (samt Nebenaussprüchen), allenfalls in Verbindung mit einem Einreiseverbot nach § 53 FPG. Das wurde vom BVwG zutreffend erkannt und aus den von ihm zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zu Recht abgeleitet, dem Mitbeteiligten sei als Ehegatten einer EWR-Bürgerin, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen habe, die Stellung als „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG (nur) solange zugekommen, bis eine rechtskräftige Feststellung gemäß § 54 Abs. 7 NAG vorlag (vgl. auch VwGH 24.1.2019, Ra 2019/21/0004, wo die Revision in einem Fall zurückgewiesen wurde, in dem nach rechtskräftiger Feststellung gemäß § 54 Abs. 7 NAG gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen worden war). Das BVwG hat das vom BFA gegen den Mitbeteiligten gemäß § 67 FPG erlassene Aufenthaltsverbot somit zutreffend für rechtswidrig erachtet.

14       Für diesen Fall macht das BFA in der Amtsrevision hilfsweise geltend, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes anstelle einer mit einem Einreiseverbot verbundenen Rückkehrentscheidung den Mitbeteiligten nicht in Rechten verletzt habe. Das Aufenthaltsverbot verpflichte einen Fremden nämlich lediglich zur Ausreise aus dem Bundesgebiet und verbiete die Wiedereinreise in dieses, während ihn die mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung zur Ausreise aus dem Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten verpflichte und die Wiedereinreise in diese untersage.

Daher erweise sich das angefochtene Erkenntnis des BVwG selbst dann als rechtswidrig, sollte der Mitbeteiligte nicht mehr als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen sein.

15       Es kann zwar der Umstand, dass gegenüber einem Fremden anstelle von Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde, ihn für sich betrachtet regelmäßig nicht in Rechten verletzen, weil die mit dem Aufenthaltsverbot einhergehende Ausreiseverpflichtung einen weiteren Spielraum lässt, als ihn Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot bieten würden. Daraus ist für die Revision aber nichts gewonnen. Denn der Umstand, dass keine Rechtsverletzung vorliegt, bedeutet nur, dass die Wahl der - falschen - aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof führt, ändert aber nichts am unterschiedlichen normativen Gehalt von Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot einerseits und Aufenthaltsverbot andererseits, sodass das BVwG zu Recht eine ersatzlose Behebung des vom BFA rechtswidrig erlassenen Aufenthaltsverbots vorgenommen hat (vgl. vice versa VwGH 16.4.2021, Ra 2020/21/0462, Rn. 15/16).

16       Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 2. September 2021

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210087.L00

Im RIS seit

29.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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