TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/5 W251 2213229-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.07.2021
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Entscheidungsdatum

05.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W251 2213229-1/9E

W251 2213228-1/10E

W251 2224348-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Somalia, gegen 1.) den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2018, Zl. 1111101206-160529150 2.) gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2018, Zl. 1162862902-170911906 und 3.) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2019, Zl. 1242059610-190829465, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden abgewiesen.

II. Den Beschwerden von XXXX und XXXX gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG werden XXXX und XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkte III. bis VI. der angefochtenen Bescheide von XXXX und XXXX gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am 13.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin statt. Dabei gab sie zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass ihr Mann im Jahr 2010 von Angehörigen der Al-Shabaab getötet worden sei. Sie habe ein kleines Restaurant in Buulobarde gehabt, als im Jahr 2015 Männer der Al-Shabaab zu ihr gekommen seien und ihr gesagt haben, dass sie als Frau kein Geschäft führen dürfe. Sie haben ebenfalls im Jahr 2015 ihren Vater und ihren Bruder getötet, weil sie sie für Spione gehalten haben. Sie sei ebenfalls bedroht worden, weshalb sie geflüchtet sei.

3. Am XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer in Österreich geboren. Am 04.08.2017 stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz für den Zweitbeschwerdeführer.

4. Nach Erhebung einer Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht vom 08.11.2018 fand am 29.11.2018 die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Die Erstbeschwerdeführerin gab im Wesentlichen an, dass sie von Männern der Al-Shabaab bedroht worden wäre, da sie mit ihrem Bruder ein Geschäft geführt habe. Sie habe von Al-Shabaab eine SMS erhalten, dass sie ihr Geschäft schließen solle. Ihr Bruder sei entführt und umgebracht worden. Da ihr Vater die Entführung habe verhindern wollen, sei ihm in den Fuß geschossen worden, woran er gestorben sei. Ihre Mutter habe ihr erzählt, dass die Männer der Al-Shabaab nach ihr gesucht haben, weshalb sie geflohen sei.

5. Das Bundesamt wies mit angefochtenem Bescheide vom 19.12.2018 den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.) und erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen sie wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es der Erstbeschwerdeführerin nicht gelungen sei, asylrelevante Fluchtgründe glaubhaft zu machen. Es drohe der Erstbeschwerdeführerin auch keine Gefahr, die die Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertige. Die Erstbeschwerdeführerin habe familiäre Anknüpfungspunkte in Somalia, weshalb ihre Existenz durch ihre eigene Arbeitsfähigkeit und durch familiäre Unterstützung gesichert sei. Die Erstbeschwerdeführerin verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.

Der Antrag des Zweitbeschwerdeführers vom 04.08.2017 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.12.2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten, abgeleitet von seinem in Österreich aufhältigen Vater, erteilt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.06.2020 erteilt.

6. Der Zweitbeschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides Beschwerde. Die Erstbeschwerdeführerin erhob gegen den gesamten Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass ihre Aussagen entgegen der Ansicht des Bundesamtes sinngemäß übereinstimmen. Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin seien insgesamt glaubhaft. Zudem verkenne das Bundesamt die Lage für Frauen in Somalia. Die Erstbeschwerdeführerin sei selbst im Kreis ihrer Familie einer Gefährdung ausgesetzt, sollte sie sich nach der Geburt in Österreich keiner Reinfibulation unterziehen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass gegen die Erstbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei, da ihr Sohn in Österreich subsidiär schutzberechtigt sei und eine Rückkehrentscheidung gegen sie zu einer Trennung der Familie führe.

7. Am XXXX wurde der Drittbeschwerdeführer in Österreich geboren. Am 13.08.2019 stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz für den Drittbeschwerdeführer.

8. Am 06.09.2019 fand erneut eine niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin bezüglich des Antrages auf internationalen Schutz des Drittbeschwerdeführers vor dem Bundesamt im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache statt. Die Erstbeschwerdeführerin gab an, dass der Drittbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe.

9. Das Bundesamt wies mit angefochtenem Bescheid den Antrag des Drittbeschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG zur Mutter vorliege und der Drittbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe.

10. Der Drittbeschwerdeführer erhob durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin gegen den Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass seine Mutter nicht nach Somalia zurückkehren könne, da sein Halbbruder in Österreich subsidiär schutzberechtigt sei und der Fürsorge seiner Mutter bedürfe. Daher müsse seine Mutter und sohin auch er in Österreich verbleiben dürfen. Die Herkunftsregion seiner Mutter sei stark umkämpft und volatil.

11. Mit Bescheid vom 29.05.2020 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des Zweitbeschwerdeführers für weitere zwei Jahre verlängert.

12. Mit Schreiben vom 03.05.2021 brachten die Beschwerdeführer Integrationsunterlagen in das Verfahren ein. Es wurde bekannt gegeben, dass die Erstbeschwerdeführerin erneut schwanger sei und ein weiteres gemeinsames Kind mit ihrem Ehemann bzw. Lebensgefährten (und Vater des Drittbeschwerdeführers) erwarte. Es liege ein schützenswertes Familienleben der Erstbeschwerdeführerin mit ihren Kindern und dem Kindesvater bzw. Lebensgefährten vor.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.05.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

14. In einer Stellungnahme vom 18.05.2021 brachte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass ihre Angaben zu ihren Fluchtgründen plausibel und lebensnah, sowie im Einklang mit den Länderberichten seien. Zudem sei der Zweitbeschwerdeführer ein unehelicher Sohn. Dies könne sie in Somalia aufgrund der Clanzugehörigkeit nicht verleugnen. Aufgrund des außerehelichen Geschlechtsverkehrs, dem der Zweitbeschwerdeführer entstamme, drohe ihr eine asylrelevante Verfolgung. Zudem sei sie in Somalia bereits einmal verheiratet gewesen und würde ihr die Al Shabaab auch nachfolgende Beziehung als außereheliche Beziehung auslegen, die nach der Scharia schwer bestraft werden würde. Zudem sei die Al Shabaab auch in der Heimatregion der Erstbeschwerdeführerin zunehmend aktiver. Die Erstbeschwerdeführerin wäre zudem eine alleinerziehende Frau in Somalia, sie wäre daher von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht. IDPs seien besonders von sexueller Gewalt bedroht. Aufgrund von Überschwemmungen, Konflikten und der Covid Situation seien zehntausende Menschen vertrieben. Es habe sich die Nahrungsmittelversorgungssituation verschlechtert, sodass der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX (Akt BF1 AS 1, 168; Verhandlungsprotokoll vom 04.05.2021 = VP S 7).

Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der Vater des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , geboren am XXXX , somalischer Staatsangehöriger, lebt in Österreich als subsidiär Schutzberechtigter. Die Erstbeschwerdeführerin ist mit dem Vater des Zweitbeschwerdeführers in keiner Beziehung mehr. Es besteht auch kein gemeinsamer Haushalt. Der Zweitbeschwerdeführer hat Kontakt zu seinem Vater (Akt BF2 AS 1 ff, 11, VP S. 8). Der Zweitbeschwerdeführer hat, abgeleitet von seinem in Österreich aufhältigen Vater, ebenfalls den Status des subsidiär Schutzberechtigten erhalten. Dieser wurde mit Bescheid vom 29.05.2020 für weitere zwei Jahre verlängert (Akt BF2, OZ 3).

Der Drittbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX (Akt BF3, AS 1 f). Dem Vater des Drittbeschwerdeführers, XXXX , geboren am XXXX , wurde am 27.11.2017 ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ bis zum 21.11.2022 erteilt, nachdem ihm mit Bescheid des Bundesamtes der (abgeleitete) Status des Asylberechtigten wegen der freiwilligen Unterschutzstellung bzw. Wegfall der Voraussetzungen aberkannt worden ist (Akt BF3, AS 11, 65; VP S.7 f).

Die Erstbeschwerdeführerin ist mit dem Vater des Drittbeschwerdeführers seit 22.12.2017 traditionell verheiratet und erwartet ein weiteres Kind von ihm (VP S. 7, OZ 3). Diese leben im gemeinsamen Haushalt (VP S. 7, 11). Die Beschwerdeführer werden vom Vater des Drittbeschwerdeführers versorgt. Dieser arbeitet als Zusteller (VP S. 11 ff).

Die Erstbeschwerdeführerin hat noch eine Tochter in Somalia, die bei der Mutter der Erstbeschwerdeführerin lebt (VP S. 7).

Die Beschwerdeführer sind somalische Staatsangehörige und bekennen sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Sie sprechen Somalisch als Muttersprache (VP S. 7).

1.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin ist Angehörige des Clans der Hawiye, des Subclans Gugundhabe, Subsubclan XXXX , XXXX (Akt BF1, AS 168; VP S. 7). Der Drittbeschwerdeführer ist Angehöriger des Clans der Reer Hamar (VP S. 16).

1.1.3. Die Erstbeschwerdeführerin wurde in Buulobarde, Bundesstaat Hiraan, Somalia geboren und ist dort im Haus der Familie aufgewachsen (Akt BF1, AS 1, 168 ff; VP S. 7 ff). Die Erstbeschwerdeführerin hat zwei Jahre lang eine Koranschule besucht, sie hat keine Berufsausbildung (Akt BF1 AS 1, 170; VP S. 8 f).

1.1.4. Die Familie der Erstbeschwerdeführerin lebt nach wie vor in Buulobarde in einem Haus (VP S. 9). Die Erstbeschwerdeführerin hat nach wie vor Kontakt zu ihrer Familie.

1.1.5. Die Erstbeschwerdeführerin ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist. Der Zweit- und Drittbeschwerdeführer wurden in Österreich geboren. Die Beschwerdeführer stellten am 13.04.2016, 04.08.2017 und 13.08.2019 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.6. Die Beschwerdeführer leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Die Erstbeschwerdeführerin ist arbeitsfähig (VP S. 11 f).

1.1.7. Die Erstbeschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I.). Der Zweit- und Drittbeschwerdeführer sind strafunmündig.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das von der Erstbeschwerdeführerin ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Die Erstbeschwerdeführerin hat kein Kaffee- bzw. Teehaus geführt und wurde deshalb auch nicht von Mitgliedern der Al-Shabaab bedroht. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin wurde von der Al Shabaab oder von anderen Personen nicht entführt und getötet und der Vater der Erstbeschwerdeführerin wurde nicht angeschossen.

Die Erstbeschwerdeführerin hat Somalia weder aus Furcht vor Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Im Falle der Rückkehr nach Somalia droht der Erstbeschwerdeführerin weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Al-Shabaab oder durch andere Personen.

1.2.2. Die Erstbeschwerdeführerin wurde in Somalia beschnitten. Für die Erstbeschwerdeführerin besteht bei einer Rückkehr nach Somalia kein Risiko einer (Re)Infibulation.

1.2.3. Die Erstbeschwerdeführerin ist in Somalia allein aufgrund ihres Geschlechts keinen Eingriffen in ihre physische und psychische Integrität ausgesetzt.

1.2.4. Dem Zweit- und Drittbeschwerdeführer droht aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Somalia weder physische oder psychische Gewalt noch sind sie deswegen einer Verfolgung ausgesetzt.

1.2.5. Dem Drittbeschwerdeführer droht aufgrund seiner Clanzugehörigkeit zu den Reer Hamar in Somalia weder physische noch psychische Gewalt.

1.2.6. Es besteht in Somalia kein Verdacht, dass der Zweitbeschwerdeführer ein uneheliches Kind der Erstbeschwerdeführerin sein könnte. Weder der Erstbeschwerdeführerin noch dem Zweitbeschwerdeführer drohen in Somalia aus diesem Grund physische oder psychische Gewalt.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Erst- und des Drittbeschwerdeführers in ihren Herkunftsstaat:

Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus Buulobarde. Buulobarde befindet sich unter der Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM. Die Stadt kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Buulobarde ist daher ausreichend sicher. Die Familie der Erstbeschwerdeführerin lebt noch in Buulobarde. Sie könnte dort von ihrer Familie und ihrem Clan Schutz erhalten.

Buulobarde ist jedoch von erheblicher Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (IPC-Stufe 3 – crisis).

Dazu kommt, dass die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne zwar grundsätzlich für den Personenverkehr und Warentransport geöffnet ist, die Straße aber noch immer einer erheblichen Bedrohung durch Al-Shabaab unterliegt.

Der Herkunftsort der Erstbeschwerdeführerin, Buulobarde, ist daher nicht sicher erreichbar.

Die Erstbeschwerdeführerin ist in Somalia aufgewachsen und mit der somalischen Kultur und den somalischen Gepflogenheiten sozialisiert. Sie spricht Somalisch als Muttersprache und gehört dem Mehrheitsclan der Hawiye an, durch den sie Schutz erhalten kann. Sie hat zwei Jahre lang eine Koranschule besucht.

Die Sicherheitslage in Mogadischu ist ausreichend sicher. Mogadischu ist durch einen internationalen Flughafen sicher erreichbar.

Die Erstbeschwerdeführerin kann sich in der Stadt Mogadischu ansiedeln, dort Fuß fassen und ein Leben ohne unbillige Härten führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Der Drittbeschwerdeführer ist ein unmündiger Minderjähriger. Er kann seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht selber befriedigen. Er ist auf die Versorgung durch die Erstbeschwerdeführerin angewiesen.

Die Arbeitslosigkeit und die Nahrungsmittelknappheit sind gestiegen und besonders Familien sowie Gelegenheitsarbeiter sind von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Situation betroffen. Es ist der Erstbeschwerdeführerin nicht mit ausreichender Sicherheit möglich, den notwendigen Lebensunterhalt für ihre minderjährigen Kinder, insbesondere den Drittbeschwerdeführer, in Mogadischu ausreichend sicher zu stellen.

Die Erstbeschwerdeführerin hat in Mogadischu derzeit kein tragfähiges familiäres Netzwerk. Sie müsste daher als alleinstehende Frau in Mogadischu oder in anderen großen Städten eine Unterkunft finden und für ihren und den Lebensunterhalt ihrer minderjährigen Kinder, insbesondere des Drittbeschwerdeführers, aufkommen. Es ist der Erstbeschwerdeführerin nicht möglich – ohne familiäres oder soziales Netzwerk – in Mogadischu oder in anderen Städten in Somalia den Lebensunterhalt für sich selbst und ihre minderjährigen Kinder zu sichern.

Es ist dem Drittbeschwerdeführer somit nicht möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Somalia in Mogadischu Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Somalia basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Somalia, Stand 31.03.2021 (LIB),

-        FFM Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia, August 2017 (FFM),

-        Focus Somalia Clans und Minderheiten vom 31.05.2017 (Focus Somalia),

-        BAMF, Minderheiten in Somalia, Juli 2010 (Minderheiten Somalia)

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation - Alleinstehende Frauen, Wohnen Arbeiten vom 22.03.2018 (Anfragebeantwortung Frauen)

-        ACCORD Themendossier humanitäre Lage in Somalia, vom 22.02.2021 (ACCORD)

-        FSNAU-FEWS, Post Deyr Technical Release vom 04.02.2021 (FSNAU)

1.5.1. Politische Situation

Somalia ist faktisch zweigeteilt in die somalischen Bundesstaaten und Somaliland, einen selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (LIB, Kapitel Politische Lage).

Seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 war Süd-/Zentralsomalia immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen. Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt, staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert, auf vielen Gebieten wurden große Fortschritt erzielt. Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (LIB, Kapitel Politische Lage).

Somalia befindet sich in einer schweren Verfassungs- und politischen Krise. Das Versagen, einen Kompromiss zu finden, hat nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht. Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (LIB, Kapitel Politische Lage).

Es konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet. Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (LIB, Kapitel Politische Lage).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (LIB, Kapitel Politische Lage).

1.5.2. Sicherheitslage

Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer, wo die Sicherheitslage instabil bzw. volatil bleibt (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

AMISOM hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete. Während die somalische Regierung und ihre Alliierten zwar im Großen und Ganzen territoriale Gewinne verzeichnen und die Kontrolle über die meisten Städte halten können, ist es ihnen nicht gelungen, die Kontrolle in ländliche Gebiete auszudehnen. Die Kontrolle der somalischen Bundesregierung ist im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (LIB, Kapitel Sicherheitslage Süd-/Zentralsomalia, Puntland).

Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIB, Kapitel Sicherheitslage Süd-/Zentralsomalia, Puntland).

In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Al Shabaab kontrollierte im Jahr 2019 so viel Land, wie schon seit dem Jahr 2010 nicht mehr. Man rechnet mit 20% des gesamten Staatsterritoriums. Die somalische Regierung und AMISOM können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren. Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf AMISOM, aber auch auf Unterstützung durch die USA – angewiesen. Dies wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern (LIB, Kapitel Sicherheitslage Süd-/Zentralsomalia, Puntland).

In den Jahren 2018 und 2019 war die Zahl an Vorfällen zunächst rückläufig – v.a. wegen der intensivierten Operationen gegen al Shabaab. Die Gruppe konnte dabei aus einigen strategisch wichtigen Punkten vertrieben werden. Die Zahl an zivilen Opfern durch Sprengstoffanschläge ging demnach 2020 gegenüber 2019 um 50% zurück. Im Jahr 2020 haben sich aber zuletzt die Angriffe auf somalische Kräfte und AMISOM wieder gemehrt. Dies kann direkt mit den politischen Streitigkeiten zwischen Bund und Bundesstaaten in Zusammenhang gebracht werden, da dadurch für den Kampf gegen al Shabaab notwendige Ressourcen umgeleitet wurden. Aufgrund des politischen Streits rund um das Ende der Präsidentschaft Farmajos ist die Sicherheitslage in einer Abwärtsspirale. Sicherheitskräfte haben teilweise seit Monaten keinen Sold erhalten und halten sich in Mogadischu und anderen Landesteilen an der Bevölkerung schadlos. Ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM kann auf der aktuellen Grundlage nicht erwartet werden (LIB, Kapitel Sicherheitslage Süd-/Zentralsomalia, Puntland).

Ein Vordringen größerer Kampfverbände der al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und AMISOM – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden (LIB, Kapitel Sicherheitslage Süd-/Zentralsomalia, Puntland).

Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion und bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden und Sicherheit. Die Gruppe führt ihren Kampf mit zunehmender Intensität und Häufigkeit. Die Angriffe auf sogenannte high-profile-Ziele in Mogadischu und anderswo wurden verstärkt. Angriffe gelten Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeitern, Sicherheitskräften, internationalen Partnern und öffentlichen Plätzen – z.B. Restaurants und Hotels. Al Shabaab führt weiterhin regelmäßige Angriffe auf Regierungsstellungen durch (LIB, Kapitel Sicherheitslage Süd-/Zentralsomalia, Puntland).

1.5.3. Mogadischu:

Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle der Regierung und AMISOM. Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren verbessert. Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. So wurden etwa 20 zusätzliche Checkpoints errichtet und im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 190 gezielte Sicherheitsoperationen durchgeführt. Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (LIB, Kapitel Sicherheitslage Mogadischu).

Allerdings werden solche Maßnahmen nicht permanent aufrechterhalten; werden sie aber vernachlässigt, steigt auch wieder die Zahl an Anschlägen durch al Shabaab. Die Checkpoints wurden teilweise wieder abgebaut. Zudem haben Teile der Sicherheitskräfte seit Monaten keinen Sold erhalten, im Feber 2021 hielten sich Soldaten in Mogadischu an den Bewohnern schadlos. In Mogadischu kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten auch Unbeteiligte zu Schaden kommen. Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (LIB, Kapitel Sicherheitslage Mogadischu).

Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (LIB, Kapitel Sicherheitslage Mogadischu).

In Mogadischu betreibt al Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht. Jedenfalls verfügt al Shabaab über großen Einfluss in Mogadischu und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (LIB, Kapitel Sicherheitslage Mogadischu).

Für Mogadischu selbst gilt die IPC-Stufe 2 (stressed); für IDP’s (Banadir) die IPC-Stufe 3 (crisis) (FSNAU).

Mogadischu ist über einen internationalen Flughafen sicher erreichbar (LIB Kapitel Rückkehr). Mogadischu verfügt über einige Gesundheitseinrichtungen, Spitäler und Kliniken (LIB Kapitel Medizinische Versorgung).

Die (Clan-)Zusammensetzung der Bevölkerung von Mogadischu ist sehr heterogen. Dort können sich Angehörige jedes Clans niederlassen. Zudem gibt aus Mogadischu keine Meldungen hinsichtlich erheblichen Problemen bei der Bewegungsfreiheit (LIB Kapitel Bewegungsfreiheit).

1.5.4. Hiraan/Buulobarde:

Die Macht der Regierung von HirShabelle ist auf Teile von Middle Shabelle bzw. Jowhar beschränkt. Sie hat phasenweise Einfluss entlang der Straße von Jowhar nach Mogadischu (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

Belet Weyne, Buulo Barde, Jalalaqsi und Maxaas befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM. Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Nordwesten Hiiraans ist al Shabaab nur in geringer Stärke präsent. Vor allem der Bereich entlang der somalisch-äthiopischen Grenze ist aktuell als sicher anzusehen. Wesentliche Teile von Hiiraan befinden sich hingegen unter Kontrolle von al Shabaab – vor allem die Gebiete westlich der Straße Jalalaqsi – Belet Weyne (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

Al Shabaab untergräbt auch weiterhin die Sicherheit in HirShabelle, ihre Aktivitäten im Bundesstaat haben sich intensiviert, die Zahl an Sprengstoffanschlägen auf AMISOM und somalische Armee hat sich erhöht. Zudem hat die Gruppe erfolgreich wesentliche Versorgungsrouten unterbrochen. So hat sich etwa die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne wieder verschlechtert, die Straße gilt nicht als durchgehend sicher. Bewohner von Buulo Barde beklagten sich im Feber 2021, dass ihr Bezirk von al Shabaab abgeriegelt worden ist (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

Die Straße zwischen Mogadischu und Jowhar wird fallweise blockiert. Anfang 2021 konnten dort LKW über fast zwei Wochen nicht verkehren. Die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne ist grundsätzlich für den Personenverkehr und Warentransport geöffnet. Die Straße unterliegt allerdings noch immer einer erheblichen Bedrohung durch al Shabaab, wenn auch die Frequenz der Überfälle entlang dieser Verbindungslinie merklich abgenommen hat. Allerdings beklagten sich Bewohner im März 2021, dass Buulo Barde von al Shabaab abgeriegelt worden ist (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

1.5.5. Al-Shabaab:

Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: der Eroberung Somalias. Allerdings wandelt sich al Shabaab langsam zu einer mafiösen Entität, bei der das Eintreiben von „Steuern“ über den bewaffneten Kampf gestellt wird (LIB, Kapitel Al Shabaab)

Die Menschen auf dem Gebiet von al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Die Gruppe versucht, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren. Die mit der Nichtbefolgung strenger Vorschriften verbundenen harten Bestrafungen haben ein generelles Klima der Angst geschaffen. Dadurch kann al Shabaab die Bevölkerung kontrollieren, rekrutieren, Gebiete kontrollieren, Steuern eintreiben und ihre Gesetze durchsetzen (LIB, Kapitel Al Shabaab).

In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (LIB, Kapitel Al Shabaab).

1.5.6. Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates:

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v.a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht. Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung. Der mangelnde (Rechts-)Schutz durch die Regierung führt dazu, dass sich Staatsbürger der Schutzgelderpressung durch al Shabaab beugen (LIB, Kapitel Rechtsschutz, Justizwesen).

Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, die „Regelung“ wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen. Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Zentral- und Südsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden. Staatliche Sicherheitskräfte können und wollen oftmals nicht in Clankonflikte eingreifen. Befinden sich Angehörige eines bestimmten Clans oder von Minderheiten in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Schutz gewährleistet ist (LIB, Kapitel Rechtsschutz, Justizwesen).

1.5.7. Clanstruktur:

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (LIB, Kapitel Minderheiten und Clans).

Die Clanfamilien unterteilen sich in die Ebenen der Clans, Sub(sub)clans, Lineages und die aus gesellschaftlicher Sicht bei den nomadischen Clans wichtigste Ebene, die sogenannte Mag/Diya (Blutgeld/Kompensation) zahlenden Gruppe (Jilib), die für Vergehen Einzelner gegen das traditionelle Gesetz (Xeer) Verantwortung übernimmt (Focus, S. 8 f, LIB Kapitel Rechtsschutz und Justizwesen).

Clanschutz bedeutet für eine Einzelperson die Möglichkeit vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Ein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Kompensation zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans. Generell - aber nicht überall - funktioniert Clanschutz besser als der Schutz durch Staat oder Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clanmechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (LIB, Kapitel Rechtsschutz und Justizwesen).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage. Als "noble" Clanfamilien gelten die traditionell nomadischen Hawiye, Darod, Dir und Isaaq sowie die sesshaften Digil und Mirifle/Rahanweyn. Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (LIB, Kapitel Bevölkerungsstruktur).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (LIB, Kapitel Bevölkerungsstruktur).

Aufgrund der großen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Clans ist es auch heute für Somalier im somalischen Kulturraum essentiell und in der Diaspora zumindest nicht irrelevant, sich in diesem System verorten zu können (Focus, S. 20). Jüngere Somalier im urbanen Raum oder in der Diaspora sind heute häufig nur noch in der Lage, ihre Clanzugehörigkeit bis zur Stufe Sub-Clan sowie vier oder fünf Generationen im Abtirsiimo (Abstammungslinie) aufzuzählen. Es kommt aber selbst bei jungen Somalier in der Diaspora nicht vor, dass sie gar keine Ahnung von ihrem Clan und ihrem Abtirsiimo haben. Sogar wenn sie sich für das Clansystem nicht interessieren, können sie zumindest ihren Clan und Sub-Clan sowie den Abtirsiimo bis zum Urgroßvater nennen. Fast alle Somalier kennen zumindest ihren Clan-Ältesten (Focus, S. 24).

Reer Hamar und Benadiri:

Als nicht-somalische Minderheit werden häufig auch die Benadiri genannt. Bei dem Begriff Benadiri handelt es sich jedoch um einen geographischen, der sich auf die Region Benadir, also Mogadischu und die südsomalische Küste bzw. Küstenstädte wie Merka, Qorioley und Brava bezieht. Benadiri bezeichnet demnach keine ethnische Minderheit oder einen Clan, sondern ist eine zusammenfassende Bezeichnung für die Bevölkerungsgruppen, die an der Küste siedeln und die keinem der großen Clans angehören. Die Reer Hamar gehören zur Gruppe der Benadiri. Die Reer Hamar gelten als Nachkommen von Immigranten aus Ländern des Fernen Ostens. Sie bilden ca. 0,5% der Gesamtbevölkerung. Sie betätigen sich traditionell als Kaufleute und Fischer und leben in der Altstadt von Mogadischu. Einige Gruppen haben ein Klientelverhältnis zum Hawiye-Clan der Hawadle. Sie sind nicht machtlos und in der Lage, sich am lokalen Machtspiel mit den großen Clans zu beteiligen. Sie sind nur selten Ziel von Angriffen durch andere Clans. Dies bedeute jedoch nicht, dass die sie keinen Diskriminierungen mehr ausgesetzt sind, vielmehr gibt es einige Faktoren zu ihren Gunsten. So ist es Reer Hamar, die im Ausland Asyl erhalten hatten, gelungen, international auf sich aufmerksam zu machen. Es ist auch in Somalia ein stärkeres Bewusstsein über die Reer Hamar als Gemeinschaft entstanden. Als Folge hiervon haben sie in Mogadischu heute politische Positionen innerhalb der TFG, in der Regionalverwaltung von Benadir sowie in der Lokalverwaltung von Mogadischu inne. Aus diesen Gründen und wegen des sogenannten „Mukulal Madow“-Phänomens sind sie nicht mehr im gleichen Maße Ziel straflos verübter Angriffe, wie dies bei den Bantu nach wie vor der Fall sein kann. Mukulal Madow bezeichne die Knüpfung von Heiratsbeziehungen zwischen Reer Hamar-Familien und anderen Benadiri-Gruppen mit den mächtigen „vornehmen“ Clans, insbesondere den Hawiye-Abgal und Hawiye-Habr Gedir. Reer Hamar-Haushalte, die ihre Tochter bzw. Töchter an mächtige Clans verheiratet hätten, stehen bis zu einem gewissen Grad unter dem Schutz dieser Clans (Minderheiten, Somalia; Focus S. 13).

Angehörige ethnischer Minderheiten und berufsständischer Gruppen werden in der somalischen Gesellschaft häufig diskriminiert bzw. marginalisiert. Das Ausmaß der Diskriminierung hängt dabei von der Gruppenzugehörigkeit ab. Berufsständische Gruppen werden stärker marginalisiert als ethnische Minderheiten. Weder das traditionelle Recht noch Polizei und Justiz benachteiligen diese systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. Der gesellschaftliche Umgang mit den Angehörigen von Minderheiten hat sich in den letzten Jahren verbessert. Insbesondere unter jungen Leuten ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden (Focus, S. 38ff).

1.5.8. Grundversorgung:

Die somalische Wirtschaft hat mit dem dreifachen Schock aus Covid-19, einer Heuschreckenplage und Überschwemmungen zu kämpfen. Dabei hat sich die Wirtschaft als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet. Trotzdem bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (LIB Kapitel Grundversorgung).

Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort (Stadt-Land- und Nord-Süd-Gefälle) ab. Generell zeigt vor allem die urbane Ökonomie in Somalia – allen voran in Mogadischu – eine Erholung. Es gibt einen Bau-Boom. Supermärkte, Restaurants und Geschäfte werden eröffnet. Alleine der Telekom-Konzern Hormuud Telecom hat in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer. In Puntland und Teilen Südsomalias – insbesondere Mogadischu – boomt der Bildungsbereich (LIB Kapitel Grundversorgung).

Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen limitiert sind. Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse. Gerade um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man aber auch auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (LIB, Kapitel Grundversorgung).

Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jenen auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen – z.B. IDPs – die oft auch als Tagelöhner arbeiten.

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig. Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager (LIB, Kapitel Grundversorgung).

Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z.B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus. Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (LIB, Kapitel Grundversorgung).

Frauen stoßen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vor – etwa bei Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei. Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben. In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43% der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (LIB, Kapitel Grundversorgung).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z.B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80%-90% des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft. Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin oder aber auch auf Baustellen. Für Frauen gibt es auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z.B. können sie nicht Taxifahrer werden (LIB, Kapitel Grundversorgung).

Für viele Haushalte sind Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle. Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei und fördern die Resilienz der Haushalte (LIB, Kapitel Grundversorgung).

1.5.9. Aktuelle Grundversorgungslage (Nahrungsmittelversorgung, Dürre, Überflutung)

Aufgrund einer schlechten und unregelmäßigen Niederschlagsverteilung, der schweren Überschwemmungen, der Heuschreckenplage und der sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 und den anhaltenden Konflikten wird erwartet, dass bis zu 2,7 Millionen Menschen in ganz Somalia voraussichtlich bis Mitte 2021 mit Lücken beim Nahrungsmittelkonsum oder der Erschöpfung von Vermögenswerten, die auf eine Krise hindeuten (IPC-Phase 3), konfrontiert sein werden, wenn keine humanitäre Hilfe geleistet wird. Die verfügbaren Prognosen deuten auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von unterdurchschnittlichen Niederschlägen während der Gu-Saison 2021 (April bis Juni) im größten Teil des Landes hin, was sich nachteilig auf die Ernährungssicherheit und die Ernährungsergebnisse auswirken würde (FSNAU).

Die verzögerte und unregelmäßige Niederschlagsverteilung kennzeichnete die Deyr-Saison von Oktober bis Dezember 2020, was zu unterdurchschnittlichen kumulierten Niederschlägen im größten Teil des Landes führte. Die schlechten Regenfälle führten zu einer unzureichenden Wiederauffüllung der Weide- und Wasserressourcen und zu einer unterdurchschnittlichen Deyr-Pflanzenproduktion. Darüber hinaus verursachte der Zyklon Gati Ende November in den nordöstlichen Küstengebieten erhebliche Schäden und Todesfälle bei Nutztieren, obwohl die Regenfälle letztendlich die trockenen Bedingungen linderten. Des Weiteren verursachten wiederkehrende Überschwemmungen zwischen Juli und Anfang November weitere Vertreibungen der Bevölkerung und beschädigten Ernten und Ackerland in den Flussgebieten der Regionen Hiiraan, Shabelle und Juba. Trotz günstiger Niederschläge in Hagaa/Karan (Juli-September) in agropastoralen und pastoralen Gebieten im Nordwesten konnten die Regenfälle die Ernteverluste nicht ausgleichen, die durch schlechte Gu-Niederschläge (April-Juni 2020) während der Pflanz-, Keim- und Vegetationsperiode verursacht wurden (FSNAU).

Die Getreideproduktion in der Deyr-Saison 2020 in Südsomalia wird auf 78 600 Tonnen geschätzt, was 20 Prozent unter dem Durchschnitt von 1995-2019 liegt. Die Hauptfaktoren für eine unterdurchschnittliche Produktion sind schlechte und unregelmäßige Niederschläge, wiederkehrende Überschwemmungen, Wüstenheuschrecke und Konflikte. Im Nordwesten wird die im November 2020 geerntete Gu/Karan-Getreideproduktion im Jahr 2020 auf 17 100 Tonnen geschätzt, was 58 Prozent unter dem Durchschnitt von 2010-2019 liegt. Dies ist hauptsächlich auf schlechte und unregelmäßige Niederschläge sowie den Befall mit Wüstenheuschrecken und Stängelbohrern sowohl bei Hirse als auch Mais zurückzuführen (FSNAU).

Die ländliche Bevölkerung verzeichnet einen mehrfachen Rückgang der Nahrungsmittel- und Einkommensquellen. In pastoralen Gebieten haben unterdurchschnittliche Niederschläge in Teilen des Nordens, angrenzenden Gebieten Zentral-Somalias, Küstengebieten und der Region Gedo zu Wasserknappheit und Weidemangel geführt, was zu einer atypischen, früher als normalen Migration von Nutztieren in entfernte Weidegebiete führte. Infolgedessen ist die Verfügbarkeit von Milch zum Verzehr und Verkauf begrenzt. Darüber hinaus hat ein starker Rückgang der Viehausfuhren seit August 2020 Pastoralisten und andere Haushalte, die in der Wertschöpfungskette von Nutztieren arbeiten, nachteilig beeinflusst (FSNAU).

In den Gebieten entlang der Flüsse Shabelle und Juba zerstörten wiederkehrende Überschwemmungen Ackerland und Getreide und verdrängten die lokale Bevölkerung, was zu erheblichen Ernteverlusten und Einkommensverlusten durch landwirtschaftliche Beschäftigung führte. Infolgedessen wird ein erheblicher Teil der armen Haushalte in Flussgebieten bis Mitte 2021 auch mit moderaten bis großen Lücken beim Lebensmittelkonsum konfrontiert sein (FSNAU).

Die Zahl an Menschen, die in ganz Somalia stark oder sehr stark von Lücken in der Nahrungsmittelversorgung betroffen sind (IPC 3 und höher), ist von 1,3 Millionen Anfang 2020 auf 1,6 Millionen Anfang 2021 angewachsen. Weitere 2,5 Millionen Menschen leiden ebenfalls an Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung. Die meisten ländlichen Gebiete fallen im Zeitraum Jänner-März 2021 unter IPC 2, jene in den Regionen Togdheer agro-pastoral, East Golis pastoral (Sanaag) und Coastal Deeh pastoral sowie Middle Shabelle riverine und Lower Juba riverine fallen in IPC 3. Dahingegen befinden sich Southern Inland pastoral (Hiiraan, Shabelle, Bakool, Bay und Juba) sowie Juba Cattle pastoral in IPC 1. Die meisten armen Stadtbewohner („urban poor“) sowie IDPs finden sich in IPC 2; die IDPs in Burco, Laascaanood, Bossaso, Garoowe, Qardho und Baidoa in IPC 3 (LIB Kapitel Grundversorgung).

Für die urbane Bevölkerung in Mogadischu gilt IPC-Stufe 2 (stressed), für IDP-Lager in Mogadischu gilt IPC-Stufe 3 (crisis) (FSNAU).

Für Buulo Barde gilt die IPC-Stufe 3 (Crisis) (FSNAU, LIB Kapitel Grundversorgung).

Am 22. November 2020 ist der Zyklon Gati in Bari, in der halbautonomen Region Puntland, auf Land getroffen. Im Distrikt Iskushuban sind etwa 60.000 Menschen und im Distrikt Bossaso schätzungsweise 40.000 Personen betroffen gewesen. Etwa 90 Prozent der Betroffenen sind IDPs oder Flüchtlinge gewesen, die in flutgefährdeten Gebieten wohnen. 42.000 Personen sind vertrieben worden, jedoch sind fast alle der Vertriebenen bis 30. November 2020 wieder in ihre Herkunftsgebiete zurückgekehrt. Viele der zurückgekehrten Haushalte wohnen jedoch in beschädigten Häusern oder Unterkünften. Der Zyklon hat zudem zu Zerstörung von Vermögenswerten der Lebensgrundlage in bedeutendem Ausmaß geführt. Zusätzlich ist aufgrund der durch den Sturm verursachten Zerstörung der Zugang zu einigen Gebieten in Bari eingeschränkt worden. Dies hat Nahrungsmittellieferungen und Lieferungen anderer Güter an lokale Märkte behindert und hat zu einem Preisanstieg geführt (ACCORD).

Die Löhne für Hilfsarbeiten sind laut im November 2020 veröffentlichtem Market Update der FSNAU im Oktober 2020 in den meisten Regionen Somalias leicht gestiegen, außer in den zentralen Regionen, wo die Löhne leicht zurückgegangen seien. Im Vergleich mit dem Fünfjahresschnitt für den Monat Oktober (2015-2019) ist es zu einem leichten bis moderaten Anstieg in den Regionen Sorghum Belt [Bay, Bakool, Gedo und Hiran], Banadir [Mogadischu] und den zentralen und nördlichen Regionen gekommen. Dies wird der relativen Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten während des Jahres zugeschrieben. Im Jubatal sowie den Shabelle-Regionen sind die Löhne aufgrund der negativen Auswirkungen von Überflutungen und Konflikten auf die saisonalen landwirtschaftlichen Aktivitäten und Arbeit geringer (ACCORD).

45,9 Prozent der beschäftigten Personen ab 15 Jahren sind in der Landwirtschaft tätig. In letzter Zeit ist der Dienstleistungssektor wichtiger geworden, insbesondere Geldüberweisung, Telekommunikation und Baugewerbe. Der Handwerksbereich ist weiterhin träge. Der größte Teil der Beschäftigten sind Hilfsarbeitskräfte (41 Prozent) (ACCORD).

1.5.10. Binnenflüchtlinge (IDPs):

IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht.

Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung; es kommt auch zu Vertreibungen und sexueller Gewalt. Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP-Lagern – in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen. Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet. 2018 betrafen 80 % der gemeldeten Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs. Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer und Zivilisten. Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (LIB, Kapitel Binnenflüchtlinge).

In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten. Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen – v.a. in Benadir, dem SWS und Jubaland. Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt. Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften. Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (LIB, Kapitel Binnenflüchtlinge).

1.5.11. Frauen und Kinder

Frauen

Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten. Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet. Sie genießen nicht die gleichen Rechte wie Männer und werden systematisch benachteiligt. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung (LIB Kapitel Frauen).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst. Frauen sind das ökonomische Rückgrat der somalischen Gesellschaft und mittlerweile oft die eigentlichen Brotverdiener der Familie. Daher ist es üblich, in einer Stadt wie Mogadischu Kleinhändlerinnen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (LIB Kapitel Frauen).

Insgesamt ist festzustellen, dass 8,3% aller somalischen Haushalte von alleinstehenden Frauen geführt werden, die entweder nie verheiratet waren oder aber verlassen, geschieden oder verwitwet sind. Es liegen keine Informationen darüber vor, wonach es allen diesen Frauen an einer Existenzgrundlage mangeln würde oder dass alle diese Frauen keine Unterkunft haben würden (Anfragebeantwortung Frauen).

Der überwiegende Anteil letztgenannter Haushalte findet sich im urbanen Raum und in IDP-Lagern; gleichzeitig haben die meisten dieser Haushaltsvorstände keine Bildung. Zu den unteren Wohlstandskategorien (sehr arm, arm) zählen 43,2% dieser Haushalte, zur mittleren 19,8% und zu den oberen zwei 37% (Anfragebeantwortung Frauen).

In urbanen Gebieten wie Mogadischu ist der Anteil unverheirateter Personen noch höher: Die Region Benadir (Mogadischu) hat in Süd-/Zentralsomalia den höchsten Anteil an Personen, die noch nie verheiratet waren (34,9%). Dort sind nur etwas mehr als die Hälfte der Personen verheiratet (55,2%), weitere 9,8% wurden verlassen, sind geschieden oder verwitwet. Dabei gibt es keine signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede; daher gibt es nahezu gleichviele unverheiratete Frauen wie Männer (Anfragebeantwortung Frauen).

Aufgrund der Tatsache, dass Frauen in der konfliktbelasteten somalischen Gesellschaft immer öfter die Rolle des „Versorgers“ übernehmen mussten, haben sich ihnen auch immer mehr wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet (Anfragebeantwortung Frauen).

Es gibt unterschiedliche Programme von Hilfsorganisationen, um u.a. alleinstehende Frauen bzw. weibliche Haushaltsvorstände zu unterstützen (Berufsausbildung, cash-for-work, Mikrofinanzierung, Starthilfen etc.) (Anfragebeantwortung Frauen).

Bei der Anmietung von Häusern kommt es zu keiner signifikanten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Oft sind die Vermieter bzw. jene Personen, mit welchen Verträge abgeschlossen werden, selbst Frauen. Der entscheidende Faktor bei einer Anmietung ist nicht das Geschlecht, sondern die Frage, ob die Miete auch bezahlt werden kann (Anfragebeantwortung Frauen).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen gesetzlich verboten ist, bleiben häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze. Sexuelle Gewalt bleibt ein großes Problem – speziell für IDPs (LIB, Kapitel Frauen).

6 % aller Vergehen von geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs. Dabei umfasst die Kategorie geschlechtsspezifische Gewalt wiederum in erster Linie physische Übergriffe (rd. 69 % der Vergehen) und erst an zweiter Stelle sexuelle Gewalt (rd. 11 %). Als Haupttäter geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich die Ehemänner (73 %). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen (LIB, Kapitel Frauen).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage und staatlicher Schutz: Vergewaltigung ist gesetzlich verboten. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind rar. Es gibt kleinere Fortschritte dabei, Opfern den Zugang zum formellen Justizsystem zu erleichtern. Einerseits wurden Staatsanwältinnen eingesetzt; andererseits werden Kräfte im medizinischen und sozialen Bereich ausgebildet, welche hinkünftig Opfern zeitnah vertrauliche Dienste anbieten können werden. Zusätzlich kommt es zu Ausbildungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte, um diese hinsichtlich konfliktbezogener sexueller Gewalt und den damit verbundenen Menschenrechten zu sensibilisieren (LIB, Kapitel Frauen).

Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe ist fließend. Bei ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich. Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt. Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es kein Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition. Vielmehr können jene, die mit traditionellen Normen brechen, den Schutz und die Unterstützung durch Familie und Clan verlieren (LIB, Kapitel Frauen).

Durch eine Scheidung wird eine Frau nicht stigmatisiert, und Scheidungen sind in Somalia nicht unüblich. Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist. Die Zahlen geschiedener Frauen und von Wiederverheirateten sind gestiegen. Bei einer Scheidung bleiben die Kinder üblicherweise bei der Frau, diese kann wieder heiraten oder die Kinder alleine großziehen. Bei der Auswahl eines Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung. Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (LIB, Kapitel Frauen - allgemein).

In Somalia gibt es auch keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer akzeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben – z. B. Geburt eines unehelichen Kindes. Ein uneheliches Kind wird allerdings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (LIB, Kapitel Frauen - allgemein).

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet. Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen. Eine Studie aus dem Jahr 2011 erklärt, dass 97 % der Mädchen und Frauen in der Altersgruppe 15-19 Jahre von irgendeiner Form von FGM betroffen sind. Gemäß einer neueren Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17jährigen Mädchen nicht beschnitten. Nach anderen Angaben liegt die Prävalenz von FGM/C in der Altersgruppe von 15-49 Jahren bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 % (LIB, Kapitel Frauen – weibliche Genitalverstümmelung und -Beschneidung).

Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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