TE Vwgh Beschluss 2021/8/31 Ra 2020/14/0485

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Veröffentlicht am 31.08.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §38
AVG §68 Abs1
EURallg
VwGG §62 Abs1
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs3
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B in X, geboren am 6. Juni 1995, (alias 6. Juni 1987), vertreten durch Dr. Peter Huber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen das am 28. August 2020 mündlich verkündete und am 30. September 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, I401 2017090-2/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-18/20 über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2019, EU 2019/0008 (Ro 2019/14/0006), vorgelegten Fragen ausgesetzt.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am 2. Dezember 2014 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er mit Grundstücksstreitigkeiten zwischen seinem Vater und Onkel sowie mit einer Verfolgung aufgrund Schulden seines Vaters begründete. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 28. Februar 2018 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass „[e]ine ,Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG 2005 [...] nicht erteilt [wird]“ und „[g]emäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG [...] die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung [beträgt].“ Die beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte außerordentliche Revision wurde mit Beschluss vom 10. September 2018, Ra 2019/19/0210, zurückgewiesen.

2        Am 18. Oktober 2018 stellte der Revisionswerber einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er unter anderem damit, dass ihm aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Biafra-Bewegung Verfolgung drohe. Bereits vor seiner Flucht habe er mit einer Verhaftung rechnen müssen. Sein Vater sei Aktivist bei der Biafra-Bewegung gewesen. In der Haft würden ihm Folter und der Tod drohen. Mit Bescheid vom 30. November 2018 wies das BFA diesen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel und erließ eine Rückkehrentscheidung samt rechtlich davon abhängenden Aussprüchen sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.

3        Das Bundesverwaltungsgericht wies mit dem am 28. August 2020 mündlich verkündeten und am 30. September 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Zur Begründung stützte sich das BVwG - soweit hier von Interesse - darauf, dass nach den Angaben des Revisionswerbers, er (und sein Vater) bereits vor der Ausreise aus Nigeria aktive(s) Mitglied(er) der Biafra-Bewegung gewesen und verfolgt worden sei (seien). Der Revisionswerber hätte diese Verfolgung bereits im ersten Asylverfahren geltend machen müssen, weshalb der Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, über die vom Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet wurde.

5        Mit dem im Spruch genannten Beschluss vom 18. Dezember 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen „neue Elemente oder Erkenntnisse“, die „zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind“, auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?

Falls Frage 1. bejaht wird:

2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?

3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“

6        Der Beantwortung dieser Fragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union kommt für die Behandlung der vorliegenden Revision ebenfalls Bedeutung zu. Es liegen daher die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, weshalb das Revisionsverfahren auszusetzen war (vgl. VwGH 15.3.2018, Ro 2018/20/0001, mwN).

Wien, am 31. August 2021

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140485.L01

Im RIS seit

20.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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