TE Vwgh Beschluss 2021/9/1 Ro 2019/03/0027

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Veröffentlicht am 01.09.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VwRallg
ZustG §16
ZustG §17 Abs1
ZustG §17 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und den Hofrat Dr. Lehofer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des N L in W, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 2. September 2019, Zl. VGW-103/048/7865/2019-2, betreffend Zurückweisung iA Waffenverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Mandatsbescheid der Landespolizeidirektion Wien (im Folgenden: LPD) vom 13. März 2019 wurde dem Revisionswerber der Besitz von Waffen und Munition gemäß § 12 Waffengesetz verboten. Nachdem der Revisionswerber beim Zustellversuch am 13. März 2019 durch den Polizeibeamten L. an der Abgabestelle (seiner Wohnadresse) nicht angetroffen wurde, hinterlegte dieser die Verständigung von der Hinterlegung des Bescheids im Postkasten des Revisionswerbers. Die Verständigung enthielt u.a. den Hinweis, dass das behördliche Dokument ab sofort bei der PI V.-Gasse abzuholen sei. Am Folgetag, somit am 14. März 2019, behob der Revisionswerber den hinterlegten Bescheid. Die am 28. März 2019 per E-Mail vom rechtsfreundlichen Vertreter des Revisionswerbers eingebrachte Vorstellung gegen den Bescheid wurde mit Bescheid der LPD vom 15. April 2019 als verspätet zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und bestätigte den behördlichen Zurückweisungsbescheid. Die Revision erklärte das VwG - ohne konkrete Begründung - für zulässig. Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die sich als nicht zulässig erweist.

2        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

3        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

4        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5        Der Revisionswerber sieht die Zulässigkeit seiner Revision darin begründet, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, weil es ausgehend von der tatsächlichen Abwesenheit des Revisionswerbers von der Abgabestelle nicht von Amts wegen die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung im Hinblick auf die erst durch die Rückkehr an die Abgabestelle bewirkte Zustellung geprüft habe. Zudem habe das Verwaltungsgericht keine Einzelfallprüfung dahingehend vorgenommen, ob der Revisionswerber rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt habe, und trotz Antrags in der Beschwerdeschrift dazu weder Partei noch Zeugen einvernommen.

6        Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber im Zusammenhang mit der nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilenden Frage, ob er rechtzeitig im Sinn des § 17 Abs. 3 ZustG vom Zustellvorgang Kenntnis erlangte, keine Rechtsfrage auf, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

7        Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 leg. cit. wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die durch den dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht - wie der Revisionswerber offenbar annimmt - durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/09/0071; VwGH 25.6.2015, Ro 2014/07/0107, jeweils mwN).

9        „Rechtzeitig“ im Sinne des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ist dahingehend zu verstehen, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung steht, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muss die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden (vgl. VwGH 21.4.2020, Ra 2020/14/0023, mwN).

10       Wird durch die Zustellung der Beginn einer Rechtsmittelfrist ausgelöst, so erlangt der Empfänger noch „rechtzeitig“ vom Zustellvorgang Kenntnis, wenn ihm ein für die Einbringung des Rechtsmittels angemessener Zeitraum verbleibt. Es ist nicht erforderlich, dass dem Empfänger in den Fällen einer Zustellung durch Hinterlegung stets die volle Frist für die Erhebung eines allfälligen Rechtsmittels zur Verfügung stehen muss (vgl. VwGH 22.12.2016, Ra 2016/16/0094, mwN).

11       Ob jemand vom Zustellvorgang „rechtzeitig“ Kenntnis erlangt hat, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde etwa eine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist bei einer Rückkehr vier Tage nach Beginn der Abholfrist verneint (vgl. VwGH 28.2.2007, 2006/13/0178, mwN). Liegt in einem solchen Fall zwischen dem Hinterlegungszeitpunkt und der Abholung ein Wochenende, ist kein signifikanter Unterschied zum Agieren des Teils der berufstätigen Bevölkerung, der am Tag der Hinterlegung selbst von der Hinterlegung erfährt und bedingt durch die Berufstätigkeit die Sendung einige Tage später behebt, erkennbar (vgl. hierzu erneut VwGH 25.6.2015, Ro 2014/07/0107). Auch ging der Verwaltungsgerichtshof im Fall eines „Wochenpendlers“, der wegen seiner grundsätzlichen Abwesenheit von Montag bis Freitag von seinem Wohnort, an dem zugestellt worden sei, erst am Freitag von der zwei Tage zuvor am Mittwoch erfolgten Hinterlegung einer Strafverfügung Kenntnis erlangt habe und dem die Behebung erst am darauffolgenden Montag möglich gewesen sei, davon aus, dass dieser rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis nehmen habe können, weil ihm für die Erhebung seines Einspruches noch zehn Tage zur Verfügung gestanden hätten (vgl. VwGH 26.6.2014, 2013/03/0055, mwN, zur Rechtzeitigkeit der Kenntnisnahme eines Zustellvorganges bei einer verbleibenden Dauer zur Ausführung eines Rechtsmittels von zehn Tagen bei einer Rechtsmittelfrist von zwei Wochen).

12       Den Feststellungen des VwG folgend ist der Revisionswerber am Tag nach der Hinterlegung und Einlegung der Verständigung von der Hinterlegung, somit einen Tag nach Beginn der Abholfrist, an die Abgabestelle zurückgekehrt und hat den hinterlegten Bescheid auch am Tag seiner Rückkehr behoben. Vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ein signifikanter Unterschied zu Berufstätigen, welche am Tag der Hinterlegung selbst von der Hinterlegung erfahren und bedingt durch die Berufstätigkeit die Sendung einige Tage später beheben, nicht erkennbar. Angesichts der Frist von zwei Wochen für die Erhebung des Rechtsmittels der Vorstellung stand dem Revisionswerber bei Behebung des Bescheids somit bei einer Verkürzung um einen Tag jedenfalls noch ein angemessener Zeitraum zur Verfügung. Die Abwesenheit des Revisionswerbers war daher nicht als eine solche zu qualifizieren, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (vgl. erneut VwGH 21.12.2020, Ra 2020/09/0071, mwN).

13       Das Verwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall bei seiner Beurteilung der Rechtzeitigkeit nicht von der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Dass die Hinterlegung nicht ordnungsgemäß nach § 17 Abs. 1 ZustG erfolgt sei, weil das zustellende Organ keinen Grund zur Annahme gehabt hätte, dass sich der Revisionswerber regelmäßig an seiner Abgabestelle aufhält, wurde im Verfahren nicht konkret behauptet und wird auch von der Revision nicht aufgezeigt.

14       Ausgehend von den unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen kam es auf die vom Revisionswerber beantragten Einvernahmen nicht an, ebenso wenig war vor diesem Hintergrund eine mündliche Verhandlung zu Klärung des Sachverhalts erforderlich.

15       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2021

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019030027.J00

Im RIS seit

20.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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