TE Vwgh Beschluss 2021/9/1 Ra 2021/19/0233

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Veröffentlicht am 01.09.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §15 Abs1 Z1
AsylG 2005 §18
AsylG 2005 §18 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §52

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des S M, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg-Pirka, Haushamer Straße 2/4. OG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Februar 2021, W195 2177892-1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Volksrepublik Bangladesch, stellte am 17. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe sich für die oppositionelle Bangladesh Nationalist Party engagiert. Aus Anlass einer Auseinandersetzung mit Anhängern der regierenden Awami League sei gegen ihn aus politischen Gründen eine Anzeige erstattet worden, weswegen er in seinem Herkunftsstaat gesucht werde.

2        Mit Bescheid vom 30. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Mit Beschluss vom 29.4.2021, E 1039/2021-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde des Revisionswerbers ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, dem Revisionswerber sei ein „viel zu hohes Maß an Bescheinigungsverpflichtung“ auferlegt worden. Das BVwG habe selbst keine Ermittlungen durchgeführt, sondern sich lediglich auf den Bericht eines vom BFA herangezogenen Vertrauensanwaltes und den angefochtenen Bescheid gestützt. Die Beweiswürdigung sei deshalb unvertretbar.

9        Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 29.1.2021, Ra 2020/19/0455, mwN).

10       Bei der Stellungnahme eines so genannten „Vertrauensanwaltes“ handelt es sich um ein Beweismittel eigener Art, das auf Grund der besonderen Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf asylrechtlich relevante Sachverhalte im Heimatland des Asylwerbers im Sinne des § 46 AVG geeignet und zweckdienlich sein kann, bei dessen Würdigung aber stets zu berücksichtigen ist, dass sich die Qualifikation und die Vorgangsweise des Vertrauensanwaltes einer Kontrolle weitgehend entziehen und er im Gegensatz zu einem Sachverständigen im Sinne des § 52 AVG auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Darauf ist in der Beweiswürdigung Bedacht zu nehmen. Der Bericht eines „Vertrauensanwaltes“ ist also kein Sachverständigengutachten, sondern ein sonstiges Beweismittel, das der freien Beweiswürdigung unterliegt (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100; 6.11.2020, Ra 2020/18/0311).

11       Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472, mwN).

12       Das BVwG schloss sich - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in welcher es den Revisionswerber zu seinem Fluchtvorbringen einvernahm - der Beweiswürdigung des BFA an und erachtete das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als nicht glaubwürdig. Es stützte seine Beweiswürdigung insbesondere auf den im Verfahren vor dem BFA eingeholten Bericht eines Vertrauensanwaltes, wonach die vom Revisionswerber vorgelegte Anzeige gefälscht und nicht authentisch sei.

13       Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Beweiswürdigung, insbesondere auch in Zusammenhang mit der Würdigung des Berichts des Vertrauensanwalts, fallbezogen an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leiden würde, oder dass das BVwG nicht bloß die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr durch den Revisionswerber verlangt hätte.

14       Soweit die Revision vorbringt, durch den Vertrauensanwalt hätte auch überprüft werden müssen, ob die vom Revisionswerber behauptete Anklage bei einem informellen Dorfgericht zur Entscheidung liege, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht. Die Beurteilung der Erforderlichkeit derartiger Erhebungen im Sinn des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 obliegt der ermittelnden Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 29.1.2021, Ra 2020/19/0455, mwN).

15       Die Revision legt nicht dar, dass das BVwG vor dem Hintergrund des Berichts des Vertrauensanwaltes, zu dem der Revisionswerber im Verfahren vor dem BFA einvernommen wurde, dadurch von den Leitlinien dieser Rechtsprechung abgewichen wäre, dass es keine weiteren Ermittlungen vor Ort in Auftrag gegeben hat.

16       Soweit die Revision zur ihrer Zulässigkeit geltend macht, das Parteiengehör des Revisionswerbers sei „mehrfach verletzt“ worden, weil das BVwG von seiner Unglaubwürdigkeit ausgegangen sei, ohne ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Recht auf Parteiengehör sich nur auf den festzustellenden maßgeblichen Sachverhalt bezieht. Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG zählt nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens. Es besteht keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, dem Asylwerber im Weg eines Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu seinem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihm aus diesem Grunde eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen (vgl. VwGH 14.4.2021, Ra 2021/19/0089, mwN).

17       Die Revision zeigt mit ihrem nicht näher konkretisierten Vorbringen nicht auf, dass das BVwG sein Verfahren insoweit mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit belastet hätte.

18       Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe nicht überprüft, ob die Mitgliedschaft des Revisionswerbers zur Bangladesh Nationalist Party als asylrelevante Verfolgung anzusehen sei.

19       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende Gruppenverfolgung, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 12.3.2021, Ra 2020/19/0315, mwN).

20       Das BVwG traf unter Heranziehung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Feststellungen zur politischen und zur Sicherheitslage in Bangladesch, insbesondere auch zu den Auswirkungen des Konfliktes zwischen den beiden genannten politischen Parteien. Die Revision zeigt mit der bloßen Zitierung von Auszügen dieser Länderfeststellungen fallbezogen nicht auf, dass die gegen Anhänger der Bangladesh Nationalist Party gerichteten Maßnahmen eine solche Intensität und ein solches Ausmaß annähmen, dass von einer asylrelevanten Gruppenverfolgung auszugehen wäre.

21       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien,am 1. September 2021

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190233.L01

Im RIS seit

22.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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