TE Vwgh Beschluss 2021/9/2 Ra 2020/20/0201

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Veröffentlicht am 02.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §17 Abs8
AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §50 Abs1
FrPolG 2005 §50 Abs2
FrPolG 2005 §52 Abs2
FrPolG 2005 §52 Abs9
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des S H, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Februar 2020, W124 2133344-1/36E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 30. Oktober 2015 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er brachte zu seinen Fluchtgründen vor, er habe Afghanistan aufgrund des Krieges verlassen und sei in den Iran geflüchtet. Er könne dort als Afghane aber nicht mehr leben und sei von iranischen Behörden öfter bedroht und geschlagen worden. Sein Vater habe in Afghanistan einer Gruppierung der Mujaheddin angehört und sein Großvater und ein Onkel väterlicherseits seien getötet worden. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan würde man ihm unterstellen, auch Mujaheddin zu sein.

2        Mit dem Bescheid vom 8. August 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III). Weiters setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.).

3        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

4        Im Verlauf einer am 6. Oktober 2016 durchgeführten Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erklärte der Revisionswerber die Zurückziehung seiner Beschwerde im Umfang der Anfechtung des Spruchpunktes I. des Bescheides vom 8. August 2016.

5        Am 30. Jänner 2020 stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass er sein Religionsbekenntnis geändert habe und deshalb Verfolgung befürchte. Der Revisionswerber setzte das Bundesverwaltungsgericht von diesem Antrag in Kenntnis.

6        Mit dem Erkenntnis vom 11. Februar 2020 stellte das Bundesverwaltungsgericht das Beschwerdeverfahren „hinsichtlich Spruchpunkt I.“ des Bescheides vom 8. August 2016 wegen Zurückziehung der Beschwerde ein (Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses) und wies die Beschwerde im verbleibenden Umfang als unbegründet ab (Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses). Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Ihre Zulässigkeit im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG begründet die Revision damit, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes abweiche. Das Bundesverwaltungsgericht hätte vor dem Hintergrund des anhängigen zweiten Antrags auf internationalen Schutz, über den das Bundesverwaltungsgericht nicht hätte absprechen dürfen, die mit dem angefochtenen Erkenntnis erfolgte Feststellung über die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG nicht treffen dürfen, weil mit dieser Feststellung die Entscheidung der Asylbehörde über den neuen Antrag auf internationalen Schutz vorweggenommen worden sei. Durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung ohne die - gegenständlich unzulässige - Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG sei das Bundesverwaltungsgericht vom Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. August 2016, Ra 2016/21/0162, abgewichen. Es werde zwar nicht übersehen, dass der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis eine Rückkehrentscheidung zu beurteilen hatte, die nicht im Zusammenhang mit einem Antrag auf internationalen Schutz ergangen sei. Dieser Unterschied sei jedoch unbeachtlich, weil auch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG mit der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG zu verbinden sei und der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen habe, dass im Fall eines Antrags auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, der als Antrag auf internationalen Schutz gelte, nach den Bestimmungen des AsylG 2005 vorgegangen werden müsse und diese Vorgangsweise auch bei Folgeanträgen gelte (Hinweis auf VwGH 15.9.2016, Ra 2016/21/0234). Das Asylverfahren des Revisionswerbers sei im Hinblick auf § 3 AsylG 2005 im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts abgeschlossen gewesen und über seinen Folgeantrag, in dem er den „Nachfluchtgrund“ der Konversion geltend gemacht habe, hätte das Bundesverwaltungsgericht nicht absprechen dürfen. Ob die mit dem Folgeantrag geltend gemachten Umstände ein Verbot der Abschiebung nach § 50 FPG nach sich ziehen würden, wäre nach den Bestimmungen des AsylG 2005 zunächst (im Folgeverfahren) vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu prüfen gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht habe eine Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl über den Folgeantrag vorweggenommen.

12       Das in der Zulässigkeitsbegründung der Revision genannte Erkenntnis vom 4. August 2016, Ra 2016/21/0162, ist zu einem Fall ergangen, in dem das Bundesverwaltungsgericht eine Rückkehrentscheidung bestätigte, obwohl der Mitbeteiligte einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, der im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig war und im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht gemäß § 17 Abs. 8 AsylG 2005 mitbehandelt werden konnte, weil die vom Bundesverwaltungsgericht zu beurteilende Rückkehrentscheidung nicht im Zusammenhang mit einem Verfahren über die Zuerkennung von internationalem Schutz ergangen war. Das Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung nicht zulässig sei, bevor über einen (anhängigen) Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen worden ist, leitete der Verwaltungsgerichtshof aus der Systematik des Gesetzes (§ 10 Abs. 1 AsylG 2005, § 52 Abs. 2 FPG) ab. Das weitere in der Revision angeführte Erkenntnis vom 15. September 2019, Ra 2016/21/0234, betraf den - vorliegend nicht einschlägigen - Fall, in dem der Fremde im Verfahren betreffend die Rückkehrentscheidung eine der Zulässigkeit der Abschiebung entgegenstehende Gefährdung im Herkunftsstaat geltend machte, es jedoch ablehnte, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Der Verwaltungsgerichtshof erachtete es in diesem Erkenntnis als zulässig, das Vorbringen betreffend die Gefährdung im Herkunftsland im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG zu beurteilen.

13       Im vorliegenden Revisionsfall hat das Bundesverwaltungsgericht das als Nachfluchtgrund geltend gemachte Konversionsvorbringen im angefochtenen Erkenntnis gewürdigt und dazu die - in der Revision nicht bestrittene - Feststellung getroffen, dass „nicht glaubhaft“, sei, dass sich der Revisionswerber aus innerer Überzeugung vom Islam abgewendet habe und nunmehr Agnostiker sei. In rechtlicher Hinsicht hat es dieses im Folgeantrag erstattete Vorbringen im Rahmen seiner Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz im Umfang der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten behandelt und auf Grundlage der dazu getroffenen Feststellungen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz (im Lichte von Art. 2 und 3 EMRK) verneint, eine Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG vorgenommen und diese sowohl in Ansehung des Tatbestands des § 50 Abs. 1 FPG als auch jenes nach § 50 Abs. 2 FPG bejaht. Dass die zur Begründung der Zulässigkeit der Revision herangezogene Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall übertragbar (und das Bundesverwaltungsgericht somit davon abgewichen) wäre, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht erkennen.

14       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020200201.L00

Im RIS seit

23.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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