TE Vwgh Beschluss 2021/9/2 Ra 2018/04/0008

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Veröffentlicht am 02.09.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren
97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

AVG §13
BAO §85
BVergG 2002 §20 Z11
FinStrG §56 Abs2
VwRallg

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2018/04/0084 B 02.09.2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der S GmbH in W, vertreten durch die Stolz Rechtsanwalts-GmbH in 5550 Radstadt, Schernbergstraße 19, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2017, Zl. W123 2179259-1/2E, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Parteien: 1. Bgesellschaft m.b.H. in W; 2. S AG in W), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        1.1. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Anträge der revisionswerbenden Partei auf Erlassung einstweiliger Verfügungen im Vergabeverfahren „Zentrales Lehr und Lerngebäude der [...] Universität [...]“ der erstmitbeteiligten Partei (Auftraggeberin) ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

2        1.2. In der Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht zum Verfahrensgang aus, dass die revisionswerbende Partei mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2017 ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet und als bekämpfte, gesondert anfechtbare Entscheidung die Verständigung vom 1. Dezember 2017 betreffend die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung bezeichnet habe.

Das Schreiben der Auftraggeberin vom 1. Dezember 2017 trage die Überschrift „Ausscheidens- und Zuschlagsentscheidung“. Die Auftraggeberin habe der revisionswerbenden Partei sowohl bekannt gegeben, dass der Zuschlag an die zweitmitbeteiligte Partei erteilt werden solle, als auch, dass das Angebot der revisionswerbenden Partei auszuscheiden gewesen sei.

3        Das Bundesverwaltungsgericht ging in seinen rechtlichen Erwägungen davon aus, dass die Erfolgsaussichten des gegenständlichen Nachprüfungsantrages als sehr gering einzustufen seien bzw. zu erwarten sei, dass die revisionswerbende Partei mit ihrem Begehren auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung nicht durchdringen werde. Im offenen Verfahren sei das Ausscheiden eines Angebotes eine gesondert anfechtbare Entscheidung. Ein Nachprüfungsantrag habe („jedenfalls“) die genaue Bezeichnung der angefochtenen gesondert anfechtbaren Entscheidung bzw. einen Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen gesondert anfechtbaren Entscheidung zu enthalten. Die revisionswerbende Partei habe ausdrücklich die Zuschlagsentscheidung vom 1. Dezember 2017 als gesondert anfechtbare Entscheidung bezeichnet und lediglich einen Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung gestellt, nicht aber einen Antrag auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung. Ein solcher Antrag könne nunmehr auch nicht mehr gestellt werden, weil die Frist für diesen Nachprüfungsantrag bereits abgelaufen sei. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ausscheidens- und Zuschlagsentscheidung (1. Dezember 2017) habe die revisionswerbende Partei noch als eine „im Vergabeverfahren verbliebene Bieterin“ gegolten, weshalb die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung an die revisionswerbende Partei zwingend erforderlich gewesen sei. Durch die Nichtanfechtung der ebenfalls am 1. Dezember 2017 mitgeteilten gesondert anfechtbaren Ausscheidensentscheidung sei die revisionswerbende Partei nunmehr als „rechtskräftig“ bzw. „bestandsfest“ ausgeschiedene Bieterin im Vergabeverfahren zu bezeichnen, weil ihr Ausscheiden - wegen Verfristung - keinem Nachprüfungsverfahren mehr unterzogen werden könne. Daher könne der revisionswerbenden Partei aber auch kein Schaden durch eine allfällige Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung entstehen. Ihr Angebot komme nämlich - durch das faktische Ausscheiden - für eine Zuschlagsentscheidung nicht mehr in Betracht. Für die gegenständlichen Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung bedeute dies, dass im konkreten Fall eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung entstandene oder sonstige unmittelbar drohende Schädigung von Interessen der revisionswerbenden Partei nicht ersichtlich sei. Die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung seien daher mangels Erfolgsaussichten im Nachprüfungsverfahren abzuweisen gewesen.

4        2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

5        Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        3. In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es liege eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weil hinsichtlich der Frage, ob in Fällen, in denen sich aus der Begründung eines Antrages auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und Nichtigerklärung der beabsichtigten Zuschlagsentscheidung in Zusammenhang mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung dezidiert ergebe, dass nicht nur die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung, sondern auch das Ausscheiden des Angebots des Antragstellers bekämpft werde, es ausdrücklich eines entsprechenden Antrages bedürfe, der isoliert die Ausscheidensentscheidung bekämpfe, oder ob es ausreiche, dass sich dieses Begehren unmissverständlich formuliert in der Antragsbegründung wiederfinde.

8        Das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, dass es für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht nur eines Antrages zwecks Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 1. Dezember 2017 bedürfe, sondern darüber hinaus auch noch eines „separierten Antrages“ auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung vom 1. Dezember 2017.

9        Zur Frage, ob es eines solchen Antrages auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung tatsächlich bedürfe, wenn ein Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung gestellt worden sei und aus dessen Begründung ohne jegliche Auslegung hervorgehe, dass auch die Ausscheidensentscheidung bekämpft werde, gibt es noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

10       4. Das bloße Fehlen einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer Rechtsfrage führt nicht automatisch zur Zulässigkeit einer Revision (vgl. etwa die Nachweise bei Thienel, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZVG 2018, 180 [189]). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt dann nicht vor, wenn es trotz fehlender Rechtsprechung auf Grund der eindeutigen Rechtslage keiner Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof bedarf (vgl. VwGH 13.4.2021, Ra 2018/04/0130, mwN).

11       Welche Inhalte ein Nachprüfungsantrag aufweisen muss, ist explizit in § 322 Abs. 1 BVergG 2006 angeführt. Demnach hat ein Nachprüfungsantrag unter anderem die genaue Bezeichnung der angefochtenen gesondert anfechtbaren Entscheidung (Z 1) sowie einen Antrag auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung (Z 7) zu enthalten.

12       Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, sind Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es kommt also darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl. VwGH 13.9.2016, Ro 2016/03/0016). Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist es der Behörde verwehrt, diesem eine abweichende, eigene Deutung zu geben, selbst wenn das Begehren, so wie es gestellt wurde, von vornherein aussichtslos oder unzulässig wäre (vgl. VwGH 12.9.2016, Ra 2014/04/0037, mwN). Zwar ist im Zweifel dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Es besteht aber keine Befugnis oder Pflicht der Behörde, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteienvorbringens die Erstattung der nicht erstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt (vgl. nochmals VwGH Ro 2016/03/0016).

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat - in Zusammenhang mit einen vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren - ebenso bereits klargestellt, dass der Prozessgegenstand im antragsgebundenen Verfahren durch den Inhalt des Antrags determiniert wird. Auch hier ist zu beachten, dass es für die Frage des Inhalts eines Antrags als Prozesshandlung lediglich auf die Erklärung des Willens und nicht auf den - davon abweichenden - tatsächlichen Willen des Antragstellers ankommt (vgl. VwGH 20.10.2004, 2004/04/0105, mwN).

14       Im vorliegenden Fall war die an das Bundesverwaltungsgericht gerichtete Eingabe der revisionswerbenden Partei als „Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und Nichtigerklärung der beabsichtigten Zuschlagsentscheidung“ bezeichnet. Unter der Überschrift „Bekämpfte, gesondert anfechtbare Entscheidung“ wurde ausgeführt, dass sich der Antrag gegen die „Verständigung vom 1.12.2015 betreffend die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung“ richte. Auch in den abschließenden „Anträgen“ begehrte die revisionswerbende Partei neben dem Gebührenersatz und Akteneinsicht ausschließlich die Nichtigerklärung der „Zuschlagsentscheidung vom 1.12.2015“.

15       Ausgehend davon - insbesondere auch in Hinblick auf die insoweit eindeutigen Vorgaben des § 322 Abs. 1 BVergG 2006 - ist die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach sich der Nachprüfungsantrag der revisionswerbenden Partei lediglich auf die Zuschlagsentscheidung und nicht auch auf die Ausscheidensentscheidung gerichtet habe und daher das Angebot der revisionswerbenden Partei (in Folge der zwischenzeitlich abgelaufenen Frist für einen Nachprüfungsantrag) als rechtskräftig ausgeschieden anzusehen sei, nicht zu beanstanden.

16       5. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018040008.L00

Im RIS seit

22.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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