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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 5. April 1995, Zl. IV-448.427/FrB/95, betreffend Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, am 28. April 1993 erteilte unbefristete Sichtvermerk gemäß § 11 Abs. 1 i.V.m. § 8 FrG für ungültig erklärt. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei von der Magistratsabteilung 63 (dem Magistrat der Stadt Wien) wegen unbefugter Gewerbeausübung am 7. Oktober 1992 und 17. November 1992 mit jeweils S 3.000,--, am 1. Dezember 1992 nach dem BAG mit S 1.000,-- und wegen Übertretung der Gewerbeordnung am 17. Dezember 1992 und 23. August 1994 mit S 5.500,-- bzw. S 3.000,-- bestraft worden. Weiters sei festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer als Hauptmieter die Wohnung an fünf Untermieter vermietet habe, ohne dafür beim zuständigen Finanzamt die notwendigen Steuern zu begleichen. Es bestehe somit der Verdacht der Steuerhinterziehung.
Der Beschwerdeführer sei verheiratet und sorgepflichtig für drei Kinder. Sämtliche Familienangehörigen befänden sich in Österreich. Die öffentlichen Interessen seien gegenüber den privaten Interessen höher zu werten, weil der Beschwerdeführer des öfteren wegen derselben schädlichen Neigung habe zur Anzeige gebracht und bestraft werden müssen.
Da dieser Sachverhalt einen Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG darstelle und dies zweifelsohne die Versagung des Sichtvermerkes zur Folge gehabt hätte, sei aus Gründen der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft der Sichtvermerk für ungültig zu erklären gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde ab (Beschluß vom 25. September 1995, B 1734/95) und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 11 Abs. 1 FrG ist ein Sichtvermerk ungültig zu erklären, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung des Sichtvermerkes (§ 10 Abs. 1 und 2) rechtfertigen würden.
Aus der wiedergegebenen Bescheidbegründung kann lediglich entnommen werden, daß die Bestrafung vom 23. August 1994 im Sinne des § 11 Abs. 1 FrG nach Erteilung des unbefristeten Sichtvermerkes "eingetreten ist" und die übrigen vier Bestrafungen vor diesem Zeitpunkt erfolgten. Wann diese vier Bestrafungen der belangten Behörde bekannt wurden, ergibt sich aus dem Bescheid nicht. Bereits dieser Begründungsmangel hindert die Nachprüfung des angefochtenen Bescheides und belastet diesen damit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1993, Zl. 93/18/0373).
Die belangte Behörde ging davon aus, daß der festgestellte Sachverhalt den Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG darstelle und aus Gründen der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft der Sichtvermerk ungültig zu erklären gewesen sei.
Der Bescheidbegründung kann entnommen werden, daß die belangte Behörde vom Verdacht ausging, der Beschwerdeführer habe die mit der Untervermietung verbundenen Abgaben und Steuern nicht beglichen. Damit ist jedoch der von der belangten Behörde herangezogene Grund für die Versagung des Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG nicht gegeben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juli 1993, Zl. 93/18/0134). Auch eine allfällige Befürchtung, der Beschwerdeführer werde die über ihn verhängten Strafen nicht bezahlen, erfüllt nicht diesen Tatbestand.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides läßt nicht die Beurteilung zu, ob der Beschwerdeführer den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG verwirklichte. Zufolge dieser Bestimmung ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Maßgebend dafür, ob vom Aufenthalt eines Sichtvermerkswerbers eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ausgeht, ist nicht das bloße Vorliegen verwaltungsbehördlicher Bestrafungen (oder rechtskräftiger Verurteilungen). Wesentlich ist vielmehr, ob das gesamte Verhalten des Sichtvermerkswerbers Grund zur Annahme bietet, sein Aufenthalt gefährde die (oder zumindest eines der) in dieser Bestimmung genannten Rechtsgüter. Die Rechtfertigung dieser Annahme setzt konkrete Feststellungen des diesen Bestrafungen zugrundeliegenden Verhaltens des Beschwerdeführers voraus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1996, Zl. 95/21/0158). Solche Feststellungen sind aber nicht nur geboten, um vom Vorliegen eines Sichtvermerksversagungsgrundes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 oder 4 FrG ausgehen zu können, sondern auch um die in diesen Fällen vorzunehmende Abwägung mit den gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers durchführen zu können. Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, daß auch in bezug auf die privaten Interessen des Beschwerdeführers der Sachverhalt nur rudimentär festgestellt wurde. Die durch den Akteninhalt gedeckten Beschwerdebehauptungen über die Dauer des legalen Aufenthaltes des Beschwerdeführers und seiner Familie im Inland, sowie über die Dauer seiner rechtmäßigen Beschäftigung und den Umstand, daß mit Ausnahme des ältesten Kindes alle Kinder des Beschwerdeführers in Österreich geboren wurden, fehlen in der Begründung des angefochtenen Bescheides, obwohl sie für die vorzunehmende Interessenabwägung von entscheidender Bedeutung sind.
Die aufgezeigten Verfahrensmängel führen dazu, daß der Verwaltungsgerichtshof derzeit nicht in der Lage ist, den angefochtenen Bescheid auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht im Rahmen des Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996210087.X00Im RIS seit
20.11.2000