TE Vfgh Erkenntnis 1995/3/9 KII-1/94

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Veröffentlicht am 09.03.1995
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/06 Krankenanstalten, Kurorte

Norm

B-VG Art12 Abs1 Z1
B-VG Art138 Abs2
F-VG 1948 §2
KAG §55

Leitsatz

Feststellung der Zuständigkeit des Bundes zur Regelung der Ermittlung der Höhe des vom Bund den Ländern zu ersetzenden "klinischen Mehraufwandes" gemäß dem F-VG 1948 als finanzausgleichsrechtliche Regelung

Spruch

I. Die Erlassung eines Gesetzes, das dem von der Wiener Landesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes, "mit dem die Ermittlung der sich bei der Errichtung, Ausgestaltung, Erweiterung und beim Betrieb von öffentlichen Krankenanstalten, die zugleich dem Unterricht an Medizinischen Fakultäten dienen, aus den Bedürfnissen des Unterrichts ergebenden Mehrkosten geregelt wird", entspricht, fällt gemäß §2 Finanz-Verfassungsgesetz 1948 in die Zuständigkeit des Bundes.

II. Rechtssatz:

In die Zuständigkeit des Bundes fällt es gemäß §2 Finanz-Verfassungsgesetz 1948 zu regeln, wie die Höhe des vom Bund den Ländern und Gemeinden zu ersetzenden "Klinischen Mehraufwandes" zu ermitteln ist.

Der "Klinische Mehraufwand" besteht aus jenen Mehrkosten, die sich bei der Errichtung, Ausgestaltung und Erweiterung sowie beim Betrieb von öffentlichen Krankenanstalten daraus ergeben, daß die Krankenanstalten zugleich der Lehre und Forschung an Medizinischen Fakultäten dienen.

III. Der Bundeskanzler ist

verpflichtet, diesen Rechtssatz unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die Wiener Landesregierung stellt aufgrund ihres Beschlusses vom 24. Juni 1994 beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art138 Abs2 B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, ob die Erlassung eines im Entwurf vorgelegten Gesetzes (s. die folgende litb) in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt.

b) Das Gesetz hat dem Entwurf zufolge den Titel: "Gesetz, mit dem die Ermittlung der sich bei der Errichtung, Ausgestaltung, Erweiterung und beim Betrieb von öffentlichen Krankenanstalten, die zugleich dem Unterricht an Medizinischen Fakultäten dienen, aus den Bedürfnissen des Unterrichts ergebenden Mehrkosten geregelt wird". §1 lautet:

"§1. (1) Werden Einrichtungen einer Krankenanstalt zu Zwecken des Unterrichts an Medizinischen Fakultäten (klinischer Unterricht) zur Verfügung gestellt, so ist der Ersatz der sich bei der Errichtung, Ausgestaltung, Erweiterung und beim Betrieb dieser Krankenanstalt aus den Bedürfnissen dieses Unterrichts ergebenden Mehrkosten durch Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenanstalt und dem Bund zu regeln.

(2) Kommen Vereinbarungen über den Ersatz der Mehrkosten nach Abs1 nicht zustande, entscheidet auf Antrag des Trägers der Krankenanstalt oder des Bundes die Landesregierung nach Maßgabe der §§2 bis 9 über die Höhe der vom Bund dem Träger der Krankenanstalt zu entrichtenden Vergütung.

(3) Der klinische Unterricht im Sinne des Abs1 umfaßt sowohl das Weitergeben der Ergebnisse der Forschung an Universitätsstudenten (universitäre Lehre) als auch die Grundlagenforschung und jene Forschung, die über die in Zentralkrankenanstalten (§3 Abs1 litc des Wiener Krankenanstaltengesetzes 1987) nötige und übliche hinausgeht (universitäre Forschung)."

Die §§2 bis 9 regeln im einzelnen, auf welche Weise die Höhe der Mehrkosten (des "klinischen Mehraufwandes") zu ermitteln ist. Die (bescheidmäßige) Festsetzung der Höhe soll der Landesregierung übertragen werden.

c) Die Wiener Landesregierung vertritt in der Begründung des Kompet enzfeststellungsantrages die Auffassung, daß das im Entwurf vorgelegte Gesetz auf den Kompetenztatbestand "Heil- und Pflegeanstalten" in Art12 Abs1 Z1 B-VG gestützt werden könne.

Sie führt hiezu näher aus:

"Mit diesem Entwurf soll die Möglichkeit geschaffen werden, die seit Jahrzehnten immer wieder auftauchende Streitfrage zwischen dem Bund und der Stadt Wien über die Höhe des 'Klinischen Mehraufwandes' im Allgemeinen Krankenhaus in einem objektiven und nachprüfbaren Verfahren für beide Seiten verbindlich zu entscheiden. Dadurch wird es für den Krankenanstaltenträger in Zukunft nicht mehr - wie bisher - erforderlich sein, nach jahrelangen, letztlich erfolglosen Bemühungen um eine Einigung mit dem Bund schließlich beim VfGH Klage gemäß Art137 B-VG führen zu müssen. Die in Aussicht genommene Regelung erlaubt es vielmehr, im Falle der Nichteinigung zwischen Stadt Wien und Bund über die Höhe des abzugeltenden Klinischen Mehraufwandes relativ rasch und für angemessene Perioden (z.B. für jedes Rechnungsjahr) eine durchsetzbare Entscheidung herbeizuführen. Dabei soll aber auch dem Rechtsschutzinteresse der Beteiligten ausreichend Rechnung getragen werden. Dies wird durch die im Entwurf vorgesehene Konstruktion dadurch gewährleistet, daß den Beteiligten die Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidung der Landesregierung bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts offensteht.

Mit der Frage, welcher Gesetzgeber zur Erlassung von Regelungen über die Ermittlung der Mehrkosten einer Krankenanstalt berufen ist, die aus den Bedürfnissen des Unterrichts an Medizinischen Fakultäten erwachsen, hat sich der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 11.10.1961, Zl. G8/61 (VfSlg. Nr. 4020), auseinandergesetzt.

Gegenstand dieses Verfahrens war eine Bestimmung im Tiroler Krankenanstaltengesetz, LGBl. Nr. 5/1958, in der Fassung LGBl. Nr. 35/1958, dergemäß im Falle der Nichteinigung über den Ersatz des Klinischen Mehraufwandes 'die Landesregierung über die Höhe der vom Träger der Unterrichts- oder Forschungsanstalt dem Träger der Krankenanstalt zu entrichtenden Vergütung (entscheidet)'.

Zu dieser Bestimmung hat der Verfassungsgerichtshof in seinem obzitierten Erkenntnis ausgeführt, daß die Verwendung öffentlicher Heil- und Pflegeanstalten für den Unterricht an Medizinischen Fakultäten und an Hebammenlehranstalten seinerzeit in den §§32 bis 34 des Gesetzes vom 15. Juli 1920, StGBl. Nr. 327, über die Errichtung, die Erhaltung und den Betrieb öffentlicher Heil- und Pflegeanstalten geregelt war.

Gemäß §33 leg. cit. waren jene Mehrkosten, die sich bei der Herstellung, Einrichtung und beim Betrieb der im §32 Abs1 bezeichneten Anstalten aus den Bedürfnissen des Unterrichts ergaben, vom Staat zu tragen. Die Zuständigkeit zur Bestimmung der Grundsätze für die Ermittlung dieser Mehrkosten lag beim Staatsamt für soziale Verwaltung, also dem für die Heil- und Pflegeanstalten zuständigen Ressort (Abschnitt VIII der Anlage zur Kundmachung des Gesamtministeriums vom 8. August 1918, RGBl. Nr. 297, betreffend die Errichtung des Ministeriums für Volksgesundheit, in Verbindung mit dem §13 des Beschlusses der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, StGBl. Nr. 1, über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt und Art9 Abs1 Z6 des Gesetzes vom 14. März 1919, StGBl. Nr. 180, über die Staatsregierung).

Der Gesetzgeber hat also damals die Frage der Ermittlung der sich aus dem klinischen Unterricht ergebenden Mehrkosten als eine Angelegenheit angesehen, die unter den Begriff 'Errichtung, Erhaltung und Betrieb öffentlicher Heil- und Pflegeanstalten' und unter den Begriff 'Heil- und Pflegestätten' fiel. Damals gehörte auch die sanitäre Aufsicht über die Krankenanstalten zu den Angelegenheiten der 'Behandlung und Pflege der Kranken, Heil- und Pflegestätten'.

Der Bundes-Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 hat dann, wenige Monate nachdem das Krankenanstaltengesetz entstanden war, im Art10 Abs1 Z12 B-VG bestimmt, daß vom 'Gesundheitswesen ... hinsichtlich der Heil- und Pflegeanstalten ... nur die sanitäre Aufsicht' eine Angelegenheit ist, in der die Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist. Daraus folgert der Verfassungsgerichtshof im o.g. Erkenntnis, daß angenommen werden muß, daß der Verfassungsgesetzgeber, hätte er auch andere Teile des damals vorgefundenen Begriffsinhaltes der Angelegenheit 'Heil- und Pflegeanstalten' davon ausnehmen wollen, dies ebenso ausdrücklich getan hätte, wie er es mit dem die sanitäre Aufsicht betreffenden Teil getan hat. Eine solche Ausnahmeregelung sei aber nicht getroffen worden.

Die §§32 und 33 des Gesetzes vom 15. Juli 1920, StGBl. Nr. 327, blieben sodann bis zum 1. Oktober 1925 - dem Tag des Inkrafttretens der Kompetenzverteilung des B-VG - unverändert. Daraus ergibt sich, daß die Regelung der Ermittlung des Klinischen Mehraufwandes zur Angelegenheit 'Heil- und Pflegeanstalten' im Sinne des Art12 Abs1 Z1 B-VG gehört.

In den Angelegenheiten der 'Heil- und Pflegeanstalten' hat der Bund grundsatzgesetzliche Bestimmungen im Krankenanstaltengesetz, BGBl. Nr. 1/1957 i.d.g.F. - KAG, erlassen. Der vorliegende Gesetzesentwurf ist mit diesen Regelungen nicht im Widerspruch bzw. bewegt sich im Rahmen der vom Bund aufgestellten Grundsätze."

2.a) Die Bundesregierung erstattete aufgrund ihres Beschlusses vom 20. September 1994 eine Äußerung.

Sie stellt den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, daß die Erlassung des von der Wiener Landesregierung im Entwurf vorgelegten Gesetzes nicht in die Zuständigkeit der Länder fällt.

Sie begründet diesen Antrag wie folgt:

"Zur Zuständigkeit für die Erlassung eines dem von der Wiener Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf entsprechenden Gesetzes:

1. Der Inhalt des vorgelegten Gesetzentwurfes:

.....

2. Die bisherige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum sog. klinischen Mehraufwand:

..... (Schilderung des Inhaltes der Erkenntnisse VfSlg. 2604/1953, 4020/1961 und 12766/1991 - s. hiezu unten II.2.)

              3.              Zur kompetenzrechtlichen Einordnung des von der Wiener Landesregierung vorgelegten Entwurfes im Lichte der dargestellten Verfassungsgerichtshofsjudikatur:

3.1. Die gegen die Auffassung der Wiener Landesregierung bestehenden Einwände:

Nach Auffassung der Wiener Landesregierung ergibt sich aus dem Erkenntnis VfSlg. 4020/1961, daß die im Entwurf vorgelegten Regelungen dem Kompetenztatbestand 'Heil- und Pflegeanstalten' (Art12 Abs1 Z1 B-VG) zugehören. Sie geht dabei von der Annahme aus, daß der vorgelegte Entwurf in den entscheidenden Punkten mit derjenigen Bestimmung übereinstimmt, die der Verfassungsgerichtshof im oz. Erkenntnis VfSlg. 4020/1961 als zum Kompetenztatbestand 'Heil- und Pflegeanstalten' gehörend qualifiziert hat. Dieser Einschätzung der Wiener Landesregierung ist jedoch folgendes entgegenzuhalten:

§17a Tiroler KAG regelte generell abstrakt die Beziehungen zwischen den Trägern von Unterrichts- oder Forschungsanstalten und einer Krankenanstalt, wenn Einrichtungen einer Krankenanstalt Unterrichts- oder Forschungsanstalten zur Verfügung gestellt werden. Von dieser Bestimmung unterscheidet sich §1 des vorgelegten Entwurfes, der sowohl in Abs1 als auch Abs2 ausdrücklich auf Kostenersätze des Bundes gegenüber dem Träger der Krankenanstalt abstellt. §1 des Entwurfes - und mit ihm auch die untrennbar verbundenen §§2 bis 9 - sind daher in ihrem wesentlichen Gehalt eher mit §55 und §56 KAG vergleichbar, nach welcher Bestimmung der Bund die Mehrkosten für den klinischen Unterricht ersetzt. Da der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 12766/1991 §55 KAG ausdrücklich als eine Regelung qualifiziert hat, derzufolge gemäß §2 F-VG 1948 'anderes bestimmt' werden könnte, muß davon ausgegangen werden, daß der Verfassungsgerichtshof von der Prämisse geleitet war, daß die Regelung über den Ersatz des klinischen Mehraufwandes in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gemäß Art14 Abs1 B-VG iVm

§2 F-VG 1948 fällt. Der Verfassungsgerichtshof hat eine derartige ausdrückliche Qualifikation im oz. Erkenntnis zwar nicht vorgenommen, sie ist jedoch mit hinlänglicher Deutlichkeit aus ihm erschließbar.

Nach Auffassung der Bundesregierung kann aus dem oz. Erkenntnis VfSlg. 12766/1991 zwar nicht entnommen werden, ob der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertritt, daß spätestens seit der B-VG-Novelle 1962, BGBl. Nr. 215, über das Schul- und Erziehungswesen die Regelung über die Höhe des Ersatzes des sog. klinischen Mehraufwandes in die Generalkompetenz des Bundes gemäß Art14 Abs1 B-VG fällt. Die Bundesregierung hält eine derartige Deutung des Erkenntnisses jedoch für denkbar (ein Indiz dafür, daß derartige Regelungen gemäß Art14 Abs1 B-VG Bundessache sind, könnte auch darin erblickt werden, daß §17a Tiroler KAG im Zuge der Novelle LGBl. Nr. 79/1976 ersatzlos beseitigt wurde).

3.2. Zur kompetenzrechtlichen Zuordnung des Entwurfes aufgrund seiner sprachlichen Formulierung:

Wie die Bundesregierung unter 3.1 dargelegt hat, tritt sie der kompetenzrechtlichen Einschätzung der Wiener Landesregierung hinsichtlich der Zuständigkeit zur Regelung des sog. klinischen Mehraufwandes im Ergebnis entgegen. Nach Auffassung der Bundesregierung fällt die Erlassung eines Gesetzes über die Regelung der Höhe des sog. klinischen Mehraufwandes in die Zuständigkeit des Bundes gemäß Art14 Abs1 B-VG iVm §2 F-VG 1948. Im Rahmen eines Verfahrens nach Art138 Abs2 B-VG ist freilich vom Verfassungsgerichtshof ausschließlich die Frage zu beurteilen, ob die Erlassung eines dem vorgelegten Entwurf entsprechenden Gesetzes in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt. Dabei hat der Verfassungsgerichtshof insbesondere auf die sprachliche Formulierung des Entwurfes abzustellen. Da der Entwurf als vollziehende Behörde in mehreren Bestimmungen die Landesregierung nennt, schon damit explizit die Zugehörigkeit zur Landesvollziehung zum Ausdruck bringend, kann ein diesen Wortlaut enthaltender Entwurf eines Gesetzes nicht verfassungskonform zum Inhalt eines Bundesgesetzes werden, der sich auf Art14 Abs1 B-VG stützt. Ungeachtet ihrer Auffassung, daß die Regelung der Höhe des sog. klinischen Mehraufwandes in die Zuständigkeit des Bundes gemäß Art14 Abs1 B-VG iVm §2 F-VG 1948 fällt, ist die Bundesregierung daher der Ansicht, daß die Erlassung eines dem vorgelegten Entwurf entsprechenden Gesetzes weder in die Zuständigkeit des Bundes noch in die Zuständigkeit der Länder fällt."

b) Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß §56 Abs3 VerfGG alle nichtantragstellenden Landesregierungen aufgefordert, sich zum Gegenstand zu äußern.

Von dieser Einladung haben die Kärntner, die Niederösterreichische, die Steiermärkische und die Tiroler Landesregierung Gebrauch gemacht.

Sie meinen, daß die Länder zur Ausführungsgesetzgebung nach Art12 Abs1 Z1 B-VG zuständig seien.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß §2 Finanz-Verfassungsgesetz 1948 (F-VG 1948) tragen der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt, "den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt". Die Beurteilung der Frage, welche Aufgaben iS des §2 F-VG 1948 solche des Bundes, des Landes oder der Gemeinde sind, ist nur unter Berücksichtigung aller Rechtsvorschriften möglich, aus denen sich die Zuständigkeit einer bestimmten Gebietskörperschaft zu deren "Besorgung" jeweils ergibt. §2 F-VG 1948 bringt den Grundsatz zum Ausdruck, daß der sich aus der Besorgung von Staatsaufgaben ergebende Aufwand von der Gebietskörperschaft, bei der er unmittelbar anfällt, in der Regel auch endgültig getragen werden soll (s. das grundlegende Erkenntnis VfSlg. 9507/1982, mit dem der Verfassungsgerichtshof von einem Teil der früheren Judikatur abgegangen ist).

§2 F-VG 1948 ermächtigt den (zuständigen) einfachen Gesetzgeber, vom dargestellten Grundsatz abweichende Regelungen zu treffen.

2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits mehrfach mit der Frage beschäftigt, welche Gebietskörperschaft den Aufwand zu tragen hat, der sich daraus ergibt, daß eine Krankenanstalt auch dem (universitären) Unterricht dient.

Er hat diese Frage unter verschiedenen Gesichtspunkten erörtert:

Im Erkenntnis VfSlg. 2604/1953 kam er zum Ergebnis, daß die Vorsorge für den klinischen Unterricht an den medizinischen Fakultäten einen integrierenden Bestandteil des Hochschulwesens bilde und die Angelegenheiten des Hochschulwesens nach der (damals) geltenden Rechtslage (§42 Übergangsgesetz 1920 idF der Novelle BGBl. 393/1929) in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache seien.

Im Erkenntnis VfSlg. 4020/1961 (auf das sich die antragstellende Landesregierung vornehmlich beruft) nahm der Verfassungsgerichtshof auf diese Vorjudikatur Bezug und unterstrich die zu VfSlg. 2604/1953 angestellten Überlegungen. Er verneinte allerdings die Frage, ob der Inhalt des damals zu prüfenden §17a des Tiroler Krankenanstaltengesetzes, LGBl. 5/1958 idF der Novelle LGBl. 35/1958, als Vorsorge für den klinischen Unterricht zu qualifizieren sei.

Diese landesgesetzliche Bestimmung lautete:

"§17a.(1) Wenn Einrichtungen einer Krankenanstalt Unterrichts- oder Forschungsanstalten zur Verfügung gestellt werden, sind die sich daraus ergebenden Beziehungen zwischen den Trägern der Unterrichts- oder Forschungsanstalt und der Krankenanstalt durch Verträge zu regeln. In diese Verträge sind insbesondere auch Bestimmungen über den Ersatz der Mehrkosten aufzunehmen, die dem Anstaltsträger bei der Errichtung, Ausgestaltung, Erweiterung oder beim Betrieb der Krankenanstalt infolge der Verwendung für Unterrichts- oder Forschungszwecke erwachsen. Diese Verträge bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung der Landesregierung. §17 Abs2 ist sinngemäß anzuwenden.

(2) Kommen Vereinbarungen über den Ersatz der Mehrkosten nach Abs1 nicht zustande, entscheidet die Landesregierung über die Höhe der vom Träger der Unterrichts- oder Forschungsanstalt dem Träger der Krankenanstalt zu entrichtenden Vergütung."

Der Verfassungsgerichtshof leitete das Ergebnis, daß diese Regelung zum Kompetenztatbestand "Heil- und Pflege-anstalten" iS des Art12 Abs1 Z2 (heute: Z1) B-VG gehöre, in Anwendung der Versteinerungstheorie daraus ab, daß "die Frage der Ermittlung der in Rede stehenden Mehrkosten - jedenfalls, soweit es um Anstalten ging, deren Widmung für Unterrichtszwecke ... nicht im öffentlichen Recht begründet war -" zum Versteinerungszeitpunkt unter die Begriffe "Errichtung, Erhaltung und Betrieb öffentlicher Heil- und Pflegeanstalten" sowie "Heil- und Pflegestätten" gefallen sei (s. VfSlg. 4020/1961, S 405). Inwieweit im übrigen (nämlich soweit die Verwendung von Krankenanstalten für Unterrichtszwecke nicht aufgrund besonderer Vereinbarungen erfolgte) die Inanspruchnahme von Krankenanstalten für Unterrichtszwecke zur "Vorsorge für den klinischen Unterricht" gehört, brauche im gegebenen Zusammenhang nicht untersucht zu werden. Die oben zitierte Bestimmung des §17a des Tiroler KAG schließe nicht aus, daß Krankenanstalten auch unmittelbar durch Gesetz oder auf Grund entsprechender gesetzlicher Vorschriften "in Handhabung der Staatsgewalt" in Anspruch genommen werden könnten. Auf die Frage, ob und inwieweit der Bundesgesetzgeber auf Grund des §42 Übergangsgesetz (der damals die Zuständigkeit des Bundes zur Regelung des Hochschulwesens begründet hatte) zur Erlassung solcher Vorschriften zuständig ist, müsse in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden (s. VfSlg. 4020/1961, S 405 f.).

Auch im Erkenntnis VfSlg. 12766/1991 berief sich der Verfassungsgerichtshof auf die Vorentscheidung VfSlg. 2604/1953. Er verwies darauf, daß mittlerweile §55 des Krankenanstaltengesetzes (KAG), BGBl. 1/1957, in Kraft getreten sei. Danach habe der Bund der Stadt Wien die Mehrkosten zu ersetzen, die sich daraus ergeben, daß im Wiener Allgemeinen Krankenhaus auch universitäre Lehre und Forschung betrieben wird. Der Verfassungsgerichtshof beschäftigte sich sodann eingehend mit der Höhe des "klinischen Mehraufwandes".

b) Während das Erkenntnis VfSlg. 12766/1991 davon ausgeht, daß §55 KAG eine auf die Ermächtigung des §2 F-VG 1948 gestützte finanzausgleichsrechtliche Regelung ist, die ihre kompetenzrechtliche Grundlage in dieser Verfassungsnorm findet, erblickt das Erkenntnis VfSlg. 4020/1961 die zuständigkeitsrechtliche Basis des §17a Tiroler KAG in den Kompetenzbestimmungen der Art10 bis 15 B-VG.

Dies erklärt sich daraus, daß §17a Tiroler KAG die Träger aller Tiroler Krankenanstalten ermächtigt hatte, die Krankenanstalt durch Vertrag für jede Art von Unterricht und Forschung zur Verfügung zu stellen; außerdem hatte diese Bestimmung - in gleicher Weise wie etwa hinsichtlich der Frage der Kosten für die Aufnahme eines Patienten in die Krankenanstalt - die Frage des Ersatzes der (Mehr-)Kosten für diese Zurverfügungstellung gelöst.

§55 KAG hingegen wurde im Erkenntnis VfSlg. 12766/1991 derart verstanden, daß damit spezifisch der Kostenausgleich zwischen dem Bund in seiner Eigenschaft als zur Vollziehung des Hochschulwesens zuständige Gebietskörperschaft einerseits und den Ländern bzw. der Stadt Wien als Träger einer öffentlichen Krankenanstalt andererseits geregelt worden war.

Der Verfassungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Judikatur abzurücken. Die beiden Erkenntnisse beziehen sich - wie dargetan - auf unterschiedliche gesetzliche Regelungen; daher wurden diese Normen kompetenzrechtlich unterschiedlich zugeordnet.

3.a) Der Verfassungsgerichtshof geht bei der Beurteilung des vorliegenden Gesetzentwurfes von dieser Judikatur aus. Hinzuzufügen bleibt, daß der Bund jedenfalls dann der gemäß §2 F-VG 1948 "zuständige" - inhaltlich an §4 F-VG 1948 gebundene (vgl. hiezu z.B. VfSlg. 11663/1988; 12505/1990, S 353 ff.; 12667/1991, S 319 f.) - Finanzausgleichsgesetzgeber ist, wenn es sich um Aufwandersätze handelt, die vom Bund an die Länder und Gemeinden geleistet werden sollen; hingegen würde in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers eine gleichartige Regelung im Verhältnis vom Land zu den Gemeinden fallen (s. §3 Abs1 und 2 F-VG 1948). Gegenstand einer solchen (finanzausgleichsrechtlichen) Regelung kann nicht bloß sein, welche Gebietskörperschaft mit dem Aufwand letztlich belastet wird, sondern auch, wie dieser Aufwand - etwa der "klinische Mehraufwand" - (im Detail) zu berechnen ist (vgl. hiezu etwa VfSlg. 7875/1976, S 97).

b) Bezogen auf den von der Wiener Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf bedeutet all dies:

Zu klären ist, ob sich das im Entwurf vorliegende Gesetz als eine dem Regime des §2 F-VG 1948 unterliegende finanzausgleichsrechtliche Regelung darstellt. Das ist der Fall:

Obgleich der Wortlaut des Gesetzentwurfes allenfalls Zweifel offen läßt, ist doch aus dem historischen Umfeld klar zu erkennen, was der Gesetzentwurf meint; er beschränkt sich darauf, detaillierte Anweisungen zu geben, wie die Mehrkosten ("Klinischer Mehraufwand") zu berechnen sind, die dadurch entstehen, daß das Allgemeine Krankenhaus in Wien (dessen Träger die Stadt Wien ist - vgl. hiezu VfSlg. 12766/1991, S 837) auch dem Unterricht (d.i. sowohl die universitäre Lehre als auch die universitäre Forschung - vgl. hiezu VfSlg. 12766/1991, S 845 f.) an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien dient. Damit sollen offenbar nähere Vorschriften zu §55 KAG normiert und spezifische Regelungen über den zwischen Gebietskörperschaften vorzunehmenden Aufwandersatz getroffen werden.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die vorgesehenen Regelungen finanzausgleichsrechtlicher Natur sind; zu deren Erlassung ist der zum Kostenersatz verpflichtete Bund kompetent.

c) Damit steht die sich aus §2 F-VG 1948 ergebende Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers fest, ein dem vorgelegten Entwurf entsprechendes Gesetz zu erlassen.

Im Zuge eines Kompetenzfeststellungsverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen, ob das im Entwurf vorgelegte Gesetz verfassungskonform ist (vgl. zB VfSlg. 7959/1976, 9547/1982).

4. Gemäß §56 Abs4 VerfGG hatte der Verfassungsgerichtshof seine Feststellung in dem im Spruch formulierten Rechtssatz zusammenzufassen.

Aus derselben Gesetzesbestimmung ergibt sich die Verpflichtung des Bundeskanzlers, diesen Rechtssatz unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Schlagworte

Kompetenz Bund - Länder Krankenanstalten, Krankenanstalten, klinischer Mehraufwand, Finanzverfassung, Finanzausgleich, VfGH / Kompetenzfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:KII1.1994

Dokumentnummer

JFT_10049691_94K0II01_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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