TE Vfgh Beschluss 2021/6/9 WI1/2021

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Veröffentlicht am 09.06.2021
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Index

50/05 Kammern der gewerblichen Wirtschaft

Norm

B-VG Art130 Abs5, Art141 Abs1 lita, Art141 Abs1 litj
WirtschaftskammerG 1998 §88, §89, §98 Abs4
VfGG §7 Abs1, §67 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung der Anfechtung der Wirtschaftskammerwahl 2020 betreffend den Ausschuss der Fachgruppe Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie der Wirtschaftskammer Oberösterreich mangels Legitimation des anfechtungswerbenden Vereins anstelle der Wählergruppe

Spruch

Die Anfechtung wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt, Anfechtung und Vorverfahren

1. Am 4. und 5. März 2020 fanden die Urwahlen in die Ausschüsse der Fachgruppen der Wirtschaftskammer Oberösterreich, darunter die Fachgruppe 704 (Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie), statt. Am 6. März 2020 wurden die Wahlergebnisse gemäß §119 Abs4 Bundesgesetz über die Kammern der gewerblichen Wirtschaft (Wirtschaftskammergesetz 1998 – WKG) im Internet verlautbart.

2. Am 12. November 2019 wurde der Verein "Wirtschaftsnetzwerk" mit der Kurzbezeichnung "WIR" gegründet. Als Obmann des Vereins wurde Dr. Gerhard Edelsbacher namhaft gemacht.

3. Am 25. November 2019 erstattete die Wählergruppe mit der Bezeichnung "WIR - Wirtschaftsnetzwerk" in der Fachgruppe 704 (Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie) einen Wahlvorschlag für die Wirtschaftskammerwahl 2020 bei der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Als Zustellungsbevollmächtigter wurde Dr. Gerhard Edelsbacher ausgewiesen.

4. Am 9. März 2020 wurde ein von Dr. Gerhard Edelsbacher als "Zustellungsbevollmächtigter" unterfertigter Einspruch gegen die Ermittlung und das Ergebnis der Wahl in den Ausschuss der Fachgruppe 704 der Wirtschaftskammer Ober-österreich gemäß §98 WKG erhoben.

5. Mit Bescheid der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Oberösterreich vom 13. August 2020 wurde dieser Einspruch, der als vom Zustellungsbevollmächtigten der Wählergruppe "WIR" eingebracht gewertet wurde, als unbegründet abgewiesen. Dagegen erhob der "Verein Wirtschaftsnetzwerk" Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich.

6. Mit Beschluss vom 8. März 2021 wies das Landesverwaltungsgericht Ober-österreich die Beschwerde als unzulässig zurück. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass nur Wählergruppen Träger des Rechts zur Erhebung eines Einspruches nach §98 WKG seien. Die Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich sei jedoch vom "Verein Wirtschaftsnetzwerk" erhoben worden. Es fehle daher die Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich.

7. Mit seiner auf Art141 Abs1 B-VG gestützten Anfechtung begehrt der "Verein Wirtschaftsnetzwerk", der Verfassungsgerichtshof möge den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich und den Bescheid der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Oberösterreich beheben sowie das Verfahren und das Ergebnis der Wahl in den Ausschuss der Fachgruppe 704 der Wirtschaftskammer Oberösterreich für nichtig erklären.

Begründend wird dabei im Wesentlichen ausgeführt, dass die Wählergruppe "WIR - Wirtschaftsnetzwerk" ungleich behandelt worden sei, insbesondere weil sie im Gegensatz zu den bereits im Wirtschaftsparlament vertretenen Wählergruppen keinen Zugang zum "Wahlvorschlagsprogramm" habe, das die Wahlwerbung erheblich erleichtere. Es seien daher keine gleiche Beteiligung und keine Chancengleichheit gewährleistet gewesen, weshalb die Grundsätze der gleichen und freien Wahl verletzt worden seien. Die Zurückweisung der Beschwerde durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich sei rechtswidrig, weil der "Verein Wirtschaftsnetzwerk" in Wahrheit ident mit der Wahlpartei und daher beschwerdelegitimiert gewesen sei.

8. Die Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Oberösterreich hat die Wahlakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Kammern der gewerblichen Wirtschaft (Wirtschaftskammergesetz 1998 – WKG), BGBl I 103/1998, idF BGBl I 27/2021 lauten wie folgt:

"Wahlvorschläge

§88. (1) Wählergruppen, die sich an der Wahl beteiligen wollen, haben ihre Wahlvorschläge auf Grund der Inhalte der Wahlkundmachung für die jeweiligen Fachgruppen und Fachvertretungen der Hauptwahlkommission schriftlich vorzulegen. Die Wahlvorschläge müssen bis spätestens sieben Wochen vor dem ersten möglichen Wahltag bei der Hauptwahlkommission eingelangt sein. Die Hauptwahlkommission hat den Empfang des Wahlvorschlages unter Angabe des Tages und der Zeit seines Einlangens zu bestätigen.

(2) Die Wahlvorschläge müssen mindestens einen Bewerber, dürfen aber höchstens doppelt so viele Bewerber, wie Mandate zu vergeben sind, aufweisen. Der jeweilige Bewerber muss für die betreffende Fachorganisation wählbar sein.

(3) Dem Wahlvorschlag sind anzuschließen:

1. Die Unterstützungserklärungen der Wahlberechtigten.

2. Die Zustimmung des Bewerbers zu seiner Aufnahme in den Wahlvorschlag (Zustimmungserklärung).

3. Die Erklärung der juristischen Person oder des sonstigen Rechtsträgers gemäß §85 Abs4 (Einverständniserklärung). Die Unterstützungserklärung und die Zustimmungserklärung sind vom Unterstützer (Bewerber) zu unterfertigen, die Einverständniserklärung ist firmenmäßig zu zeichnen.

(4) Jeder Wahlvorschlag hat eine von bereits eingereichten oder gemäß §89 Abs6 von der Hauptwahlkommission der Bundeskammer zu reihenden Wahlvorschlägen eindeutig unterscheidbare Bezeichnung zu führen. Fehlt eine solche Bezeichnung, so ist der Wahlvorschlag nach dem Listenführer, das ist der an erster Stelle vorgeschlagene Bewerber, zu benennen.

(5) Innerhalb einer Fachgruppe oder Fachvertretung kann jeder Wahlwerber nur im Wahlvorschlag einer Wählergruppe aufscheinen. Wenn er auch im Wahlvorschlag einer anderen Wählergruppe enthalten ist, ist er von der Geschäftsstelle der Hauptwahlkommission unter gleichzeitiger Übermittlung einer Abschrift des Schreibens an die Zustellungsbevollmächtigten der betroffenen Wählergruppen aufzufordern, binnen drei Tagen nach Zustellung der Aufforderung zu erklären, für welchen der Wahlvorschläge er sich entscheidet. Von allen anderen Wahlvorschlägen ist er zu streichen. Die Zustellung hat an die vom Wahlwerber auf der Zustimmungserklärung angegebene Zustelladresse zu erfolgen, sofern er nicht eine Änderung derselben der Hauptwahlkommission mitgeteilt hat. Kann die Zustellung nicht vorgenommen werden, so geht dies zu Lasten des Wahlwerbers. Sie gilt im Falle einer Hinterlegung auch dann als mit dem ersten Tag der Bereithaltung der Sendung zur Abholung bewirkt, wenn der Wahlwerber wegen Abwesenheit von der Abgabestelle oder in Folge der Änderung derselben nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Die Erklärung muss bis spätestens zum Ablauf des dritten Tages nach der Zustellung bei der Hauptwahlkommission eingelangt sein. Wenn er sich nicht oder nicht rechtzeitig erklärt, ist er von allen Wahlvorschlägen zu streichen.

(6) Bereits eingereichte gültige Wahlvorschläge bleiben gültig, auch wenn nachträglich eine Verminderung der im Wahlvorschlag bezeichneten Bewerber oder Unterstützer eintritt.

[…]

Einspruch gegen die Ermittlung und das Wahlergebnis

§98. (1) Der Zustellungsbevollmächtigte einer betroffenen Wählergruppe kann nach Verlautbarung des endgültigen Wahlergebnisses gegen dessen Ermittlung schriftlich Einspruch bei der Hauptwahlkommission erheben. Der Einspruch muss für jede Fachgruppe oder Fachvertretung gesondert eingebracht werden und muss binnen einer Woche bei der Hauptwahlkommission eingelangt sein. Der Einspruch hat eine Begründung zu enthalten. Der Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Die Hauptwahlkommission hat auf Grund der Aktenlage das Wahlergebnis zu überprüfen und allfällige Unrichtigkeiten sofort richtig zu stellen. Gegebenenfalls ist die Verlautbarung für nichtig zu erklären und das richtige Ergebnis zu verlautbaren.

(3) Wurden wesentliche Bestimmungen über das Wahlverfahren verletzt, bei deren Beachtung das Wahlergebnis voraussichtlich ein anderes gewesen wäre, hat die Hauptwahlkommission die Wahl für ungültig zu erklären und eine neue Wahl auszuschreiben. Die Entscheidung der Hauptwahlkommission ist allen betroffenen Wählergruppen mitzuteilen.

(4) Gegen die Abweisung des Einspruchs steht binnen vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung der Hauptwahlkommission die Beschwerde an das Verwaltungsgericht offen. Ebenso steht die Beschwerde gegen eine stattgebende Entscheidung der Hauptwahlkommission jenen Wählergruppen zu, die keinen Einspruch erhoben haben.

(5) Wenn das Verwaltungsgericht die Wahlhandlung für ungültig erklärt, hat es gleichzeitig auszusprechen, welche Teile der Wahlhandlung bei der unverzüglich auszuschreibenden Neuwahl vorzunehmen sind.

(6) Die Bestimmung des §76 Abs2 gilt sinngemäß.

[…]

Gerichtszuständigkeit

§147. Über Beschwerden gegen sämtliche Bescheide, die in Ausübung von in diesem Bundesgesetz geregelten Zuständigkeiten ergehen, entscheidet das zuständige Landesverwaltungsgericht."

III. Erwägungen

1. Die Wahlanfechtung ist unzulässig.

2. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof unter anderem über Anfechtungen von Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen. Darüber hinaus erkennt er unter anderem in diesen Fällen gemäß Art141 Abs1 litj B-VG auch über die Anfechtung von selbständig anfechtbaren Bescheiden und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden sowie – sofern bundes- oder landesgesetzlich vorgesehen – der Verwaltungsgerichte.

Unter dem Begriff "gesetzliche berufliche Vertretungen" sind organisatorische Einrichtungen zur Wahrung der Interessen der durch eine gleichgerichtete und gleichgeartete Berufsausübung zusammengeschlossenen Personengruppen zu verstehen, die durch ein Gesetz im materiellen Sinn eingerichtet sind (VfSlg 4584/1963). Unter Hinweis auf die die beruflichen Vertretungen betreffenden Kompetenzbestimmungen hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Bundesverfassungsgesetzgeber unter diesem Begriff Vertretungen von Personen versteht, die selbständig oder unselbständig eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben (VfSlg 6751/1972); die Wirtschaftskammer ist eine solche gesetzliche berufliche Vertretung (vgl VfSlg 16.164/2001).

Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.573/2011 ausgesprochen hat, hängt die Besetzung satzungsgebender Organe der Wirtschaftskammer indirekt vom Ergebnis der Urwahlen in die Fachgruppenausschüsse ab; nur die Wahl zum Fachgruppenausschuss ist demnach nach Art141 Abs1 lita B-VG anfechtbar (vgl auch VfSlg 19.474/2011).

Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die (gemäß Art130 Abs5 iVm Art141 Abs1 litj B-VG) in den Fällen der lita bis c und g bis i des Art141 Abs1 B-VG ergehen, sind keiner Beschwerde auf Grund des Art144 B-VG, sondern allein der Anfechtung auf Grund des Art141 B-VG zugänglich (vgl VfSlg 19.944/2015, 20.104/2016 sowie VfGH 24.2.2020, WIV1/2020 ua).

3. Nach §67 Abs2 zweiter Satz VfGG sind zur Anfechtung der in Abs1 leg cit genannten Wahlen grundsätzlich jene Wählergruppen berechtigt, die bei der Wahlbehörde rechtzeitig Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl vorgelegt haben. Diese Bestimmung ist auf Anfechtungen der in Abs1 leg cit genannten Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen auch dann anwendbar, wenn für sie – wie im vorliegenden Fall – ein verwaltungsgerichtlicher Instanzenzug iSd Art141 Abs1 litj B-VG vorgesehen ist (siehe demgegenüber zu den – nicht in §67 Abs1 VfGG genannten und nicht mit den dort genannten Wahlen vergleichbaren – Verfahren zu Wählerevidenzen nach Art141 Abs1 liti iVm litj B-VG VfSlg 20.104/2016 sowie zuletzt VfGH 24.2.2020, WIV1/2020 ua; 25.11.2020, WIV90/2020 ua).

Nach der genannten Bestimmung des §67 Abs2 zweiter Satz VfGG sind nur die Wählergruppen Träger des Rechts zur Wahlanfechtung. Die Funktion des zustellungsbevollmächtigten Vertreters bei der Anfechtung gemäß Art141 Abs1 lita B-VG beschränkt sich von Verfassungs wegen auf die Vertretung der mit diesem Recht ausgestatteten Wählergruppe (vgl VfSlg 14.737/1997 und 19.893/2014).

4. Die Bezeichnung der Wählergruppe bestimmt sich anhand der auf dem Wahlvorschlag verwendeten Bezeichnung (vgl §88 Abs4 WKG) und hängt allenfalls von einer Entscheidung der Wahlbehörde ab, weshalb die wahlwerbende Partei und deren genaue Bezeichnung erst mit der Veröffentlichung des Wahlvorschlages durch die Wahlbehörde und in der dort ersichtlichen Ausgestaltung feststehen (vgl VfSlg 20.242/2018 und 20.259/2018; VfGH 12.6.2019, WI1/2019).

5. In der vorliegenden, von einem Anwalt verfassten Wahlanfechtung wird als Anfechtungswerber ausdrücklich und durchgängig der "Verein Wirtschaftsnetzwerk […] (im Folgenden: der 'Anfechtungswerber')" bezeichnet. An der Wahl hat hingegen die durch den entsprechenden Wahlvorschlag gegründete Wählergruppe "WIR - Wirtschaftsnetzwerk" teilgenommen. Die Anfechtungslegitimation kommt nach der Bestimmung des §67 Abs2 zweiter Satz VfGG nur den Wählergruppen als Trägern dieses Rechts zu und nicht dem eingetragenen Verein als juristischer Person mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl VfGH 12.6.2019, WI1/2019; vgl idZ zum Verhältnis zwischen politischen und wahlwerbenden Parteien zB VfSlg 20.242/2018 und 20.259/2018 jeweils mwN). Die insofern irrige, in der vorliegenden Anfechtung ausdrücklich dargelegte Rechtsauffassung des Anfechtungswerbers, dass eine Wahlpartei auch als Verein organisiert sein könne, bestätigt, dass diese Anfechtung im Namen des Vereins eingebracht wurde. Dies umso mehr, als in der Anfechtung auch ausdrücklich bestritten wird, dass es im Wahlverfahren nach dem WKG eine vom Verein verschiedene Wahlpartei als eigenständige Rechtsperson überhaupt gebe. Dem anfechtungswerbenden "Verein Wirtschaftsnetzwerk" kommt daher keine Legitimation zur Anfechtung der Wahl in den Ausschuss der Fachgruppe 704 der Wirtschaftskammer Oberösterreich zu. Die Anfechtung ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

IV. Ergebnis

1. Die Anfechtung ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, VfGH / Legitimation, Wirtschaftskammern, Wahlen, Wahlvorschlag, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:WI1.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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