TE Vwgh Erkenntnis 1997/2/17 97/18/0135

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Veröffentlicht am 17.02.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in Wien VII, Neubaugasse 12-14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 20. August 1996, Zl. St 318/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Unter Spruchpunkt II. des im Instanzenzug ergangenen Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 20. August 1996 - der die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes betreffende Spruchpunkt I. ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens wurde gemäß § 54 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhältigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; die Abschiebung des Beschwerdeführers dorthin sei somit zulässig.

Begründend führte die belangte Behörde in sachverhaltsmäßiger Hinsicht folgendes aus: Der Beschwerdeführer habe seinen Feststellungsantrag vom 6. Mai 1996 (gestellt vor der Bundespolizeidirektion Wels; s. Niederschrift vom selben Tag) damit begründet, daß er bis Dezember 1995 bei den tamilischen Rebellen in einem Gefängnis inhaftiert gewesen wäre, und zwar deshalb, weil er nach Folterungen durch indische Soldaten die Namen von Rebellen bekanntgegeben hätte. Im Dezember 1995 wäre er von der legalen Armee von Sri Lanka befreit worden. Da er aber weiterhin Verfolgungen seitens der tamilischen Rebellen hätte befürchten müssen, hätte er sich entschlossen, "sein Dorf" zu verlassen. Er wäre mit dem Flugzeug in die Ukraine ausgereist. Er hätte sich in einem freien Land eine gesicherte Existenz aufbauen wollen. Er hätte das Land illegal mit dem Paß seines Bruders verlassen. Falls er abgeschoben werden würde, müßte er mit dem "Erschießen" rechnen. Außerdem hätte er damit zu rechnen, daß ihm die tamilischen Rebellen weiterhin nach dem Leben trachteten bzw. ihn neuerlich einsperren würden.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde die Ansicht, daß der Beschwerdeführer keiner Verfolgung von Staats wegen ausgesetzt sei, weil er keine Verfolgung durch staatliche Stellen - er sei seinen Angaben zufolge sogar von der legalen Armee befreit worden -, vielmehr eine neuerliche Gefangennahme durch die aufständischen Tamilen wegen Preisgabe der Namen von Mitgliedern der LTTE gegenüber indischen Soldaten befürchte. Der Behauptung, daß der Staat Sri Lanka nicht in der Lage wäre, den Beschwerdeführer vor Verfolgungen durch die Widerstandsorganisation zu schützen, sei entgegenzuhalten, daß es "staatlichen Behörden gelungen (ist)", ihn zu befreien. Außerdem komme dem Argument der Erstbehörde Berechtigung zu, daß der Beschwerdeführer im Fall einer Abschiebung nicht in das Gebiet der Aufständischen gelangen würde, sondern in den "östlichen Bundesteil", der jedenfalls unter der Kontrolle der Staatsautorität stehe.

Der Beschwerdeführer sei somit - von seiten des Staates -weder der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder gar der Todesstrafe ausgesetzt noch ließen sich Anhaltspunkte dafür erkennen, daß er vom Staat Verfolgungen aus den in "der Konvention" genannten Gründen ausgesetzt wäre. Im Gegenteil, der Umstand, daß er sich derzeit in Freiheit befinde, sei auf die Tätigkeit der Staatsorgane zurückzuführen. Diesen nunmehr vorzuwerfen, den Beschwerdeführer zu verfolgen bzw. nicht in der Lage zu sein, ihn zu schützen, sei nicht nachvollziehbar.

Gleich der Erstbehörde sei die belangte Behörde der Auffassung, daß der Beschwerdeführer bei einer Abschiebung nach Sri Lanka staatlicherseits keinen Gefahren i.S. des § 37 Abs. 1 FrG bzw. Verfolgungen i.S. des § 37 Abs. 2 leg. cit. ausgesetzt sei. Die Abschiebung nach Sri Lanka sei demnach zulässig.

2. Gegen diesen Bescheid (Spruchpunkt II.) erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Nach Ablehnung von deren Behandlung (Beschluß vom 25. November 1996, B 3256/96-7) trat dieser die Beschwerde antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 18. Februar 1997, B 3256/96-9).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt aus diesen Gründen die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides im bekämpften Umfang.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah indes von der Erstattung einer Gegenschrift "wegen Arbeitsüberlastung durch Berufungs- und Beschwerdefälle') ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort' gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung IS. des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom z. Oktober 1997, Zl. 97/18/0454 mwN).

z. Ausgehend davon, daß die belangte Behörde es - den Angaben des Beschwerdeführers, eines Angehörigen der tamilischen Volksgruppe, in seinem Antrag vom 6. Mai 1996 folgend - als erwiesen angenommen hat, daß dieser im Jahr 1988 unter Anwendung der Folter gezwungen worden sei, den (zur Unterstützung der Regierung Sri Lankas eingeschrittenen) indischen Truppen gegenüber die Namen von Mitgliedern der LTTE (Liberation Tigers of Tamile Eelam) preiszugeben, und aufgrund dessen die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers i.S. des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG durch die LTTE im Fall seiner Rückkehr nach Sri Lanka nicht als unglaubwürdig gewertet hat, kommt den Fragen entscheidende Bedeutung zu, ob die Gefährdung/Bedrohung durch die genannte Separatistenorganisation dem Staat zurechenbar ist (was dann der Fall ist, wenn sie von ihm zumindest geduldet wird) und, bejahendenfalls, ob sich die Gefährdungs- bzw. Bedrohungssituation auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates des Beschwerdeführers erstreckt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 24. März 1994, Zl. 94/18/0082, mwN, vom 23. Juni 1994, Zl. 94/18/0295, vom 29. Juni 1995, Zl. 95/18/0883, und vom 4. April 1997, Zl. 95/18/1127).

3. Der belangten Behörde war es in rechtlich einwandfreier Weise (noch) nicht möglich, diese beiden Fragen zu beantworten: Zum einen reicht - jedenfalls aus der Sicht des vorliegenden Falles - die Tatsache der Befreiung des Beschwerdeführers durch reguläre Truppen nicht aus, um annehmen zu können, der Staat werde eine drohende unmenschliche Behandlung (§ 37 Abs. 1 FrG) des Beschwerdeführers oder die Bedrohung seines Lebens oder seiner Freiheit aus gemäß § 37 Abs. 2 FrG relevanten Gründen durch die LTTE nicht dulden (billigen), darf doch ohne weitere Feststellungen hinsichtlich der Umstände der Befreiung des Beschwerdeführers durch die Armee nicht davon ausgegangen werden, die Befreiung sei eine konkret auf die Person des Beschwerdeführers bezogene Schutzmaßnahme gewesen. Vielmehr kann ohne Durchführung von Ermittlungen zu dieser Frage mit zumindest ebenso großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß die Befreiung des Beschwerdeführers aus den Händen der tamilischen Separatistenorganisation LTTE nicht mehr war als eine als solche keineswegs angestrebte Folge einer militärischen Aktion der regulären Truppen gegen die tamilischen Separatisten. Was aber zum anderen die Meinung der belangten Behörde anlangt, der Beschwerdeführer werde in den "jedenfalls unter der Kontrolle der Staatsautorität" stehenden Ostteil des Landes abgeschoben, sodaß auch von daher sein Schutz vor Verfolgungsmaßnahmen seitens der LTTE gewährleistet sei, hat es die belangte Behörde unterlassen darzulegen, aus welcher Quelle sie zu der Überzeugung gelangt ist, es stehe der östliche Landesteil jedenfalls unter der Kontrolle der staatlichen Autorität. Eine in dieser Hinsicht nachvollziehbare Begründung wäre umso mehr geboten gewesen, als der Beschwerdeführer eben diese, bereits im erstinstanzlichen Bescheid vertretene Auffassung unter Hinweis auf "Berichte von kompetenter Seite über Sri Lanka" in seiner Berufung in Abrede gestellt hatte. Zwar ist diese Bezugnahme sehr allgemein gehalten, aber doch hinreichend, um die Verpflichtung der Behörde auszulösen, eine von ihr eingenommene Gegenposition entsprechend zu begründen und es nicht bei einer bloßen, in keiner Weise belegten Behauptung bewenden zu lassen. Die begründungslos gebliebene Annahme, der Ostteil des Landes werde von der "Staatsautorität" kontrolliert, läßt somit nicht den Schluß zu, der Beschwerdeführer habe die besagte Verfolgung nicht im gesamten Staatgebiet zu befürchten. Dieser Schluß wäre selbst und gerade dann nicht zulässig, wenn die Behauptung der belangten Behörde, der östliche Landesteil werde von der Regierung kontrolliert, zuträfe, hätte doch diese "Kontrolle" nur dann den ihr von der Behörde zugeschriebenen (den Schutz des Beschwerdeführers verstärkenden) Effekt, wenn die Staatsmacht überhaupt willens wäre, gegen den Beschwerdeführer betreffende Verfolgungsmaßnahmen seitens der LTTE aufzutreten - was aber, wie gezeigt, von der belangten Behörde infolge Fehlens diesbezüglicher Ermittlungen nicht einwandfrei bejaht werden konnte.

4. Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, daß die weitere Begründung des bekämpften Bescheides, daß der Beschwerdeführer keine Verfolgung durch staatliche Stellen befürchte, folglich auch keiner Verfolgung durch den Staat (selbst) ausgesetzt sei, jene Teile des Berufungsvorbringens außer acht läßt, in denen der Beschwerdeführer die Gefahr einer solchen Verfolgung zum Ausdruck bringt und auch darlegt, weshalb seiner Meinung nach eine Gefährdung und Bedrohung seiner Person i.S. des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG unmittelbar durch den Staat im Fall seiner Rückkehr nach Sri Lanka wahrscheinlich sei. Auch insoweit liegt ein Begründungsmangel vor, dessen Relevanz nicht ausgeschlossen werden kann.

5. Da nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid (im Umfang des allein in Beschwerde gezogenen Spruchpunktes II.) mit wesentlichen Feststellungs- und Begründungsmängeln behaftet ist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

W i e n , am 17. Februar 1997

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Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von Beweisen Inhalt der Berufungsentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997180135.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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