TE Vfgh Erkenntnis 1995/3/15 B1673/94

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Veröffentlicht am 15.03.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/04 Sprengmittel, Waffen, Munition

Norm

B-VG-Nov 1991 BGBl 565
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art78b
B-VG Art83 Abs2
BVG BGBl 142/1946 .Verfassungsrang von §15 Behörden-ÜG.
Behörden-ÜG §15
WaffenG 1986 §6 Abs1
WaffenG 1986 §20 Abs1
WaffenG 1986 §35
SicherheitspolizeiG
AVG §66 Abs4

Leitsatz

Kein Entzug des gesetzlichen Richters durch die Entscheidung der Sicherheitsdirektion über eine Berufung gegen die Entziehung eines Waffenpasses und einer Waffenbesitzkarte mangels Verläßlichkeit des Inhabers; Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion und nicht des Landeshauptmannes gegeben; kein Austausch des Verfahrensgegenstandes; keine Willkür

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt wurde.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung entzog mit Bescheid vom 29. April 1994 dem Beschwerdeführer gemäß §20 Abs1 und §6 Abs1 des Waffengesetzes 1986, BGBl. 443, den von dieser Behörde für zwei Faustfeuerwaffen ausgestellten Waffenpaß und die für zwei Faustfeuerwaffen ausgestellte Waffenbesitzkarte.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (im folgenden kurz: SID NÖ) gab der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid vom 17. Juni 1994 (zugestellt am 23. Juni 1994) keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, daß die bezogenen Gesetzesstellen §20 Abs1 i.V.m. §6 Abs1 Z1 und 2 WaffenG 1986 zu lauten haben.

Der Berufungsbescheid wird im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer nicht mehr verläßlich i.S. des §20 Abs1 WaffenG sei. Die SID NÖ nahm als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer am 25. Oktober 1993 in einem Gasthaus eine Faustfeuerwaffe geführt habe, obgleich er unter erheblichem Alkoholeinfluß gestanden sei; im Lokal sei ihm die Waffe abhanden gekommen.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der - mit näherer Begründung (s. II.1.a, II.2.a und II.3.a) - die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Die SID NÖ als jene Behörde, die den bekämpften Bescheid erlassen hat, erstattete eine Gegenschrift, in der sie - mit näherer Begründung (s.u. II.1.b und II.2.b) - begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Der Beschwerdeführer macht primär geltend, durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter deshalb verletzt worden zu sein, weil nicht die SID, sondern der Landeshauptmann zur Entscheidung zuständig gewesen sei:

"Gemäß §35 Abs1 WaffenG 1986 ist zu Entscheidungen über Berufungen gegen Bescheide der Behörde erster Instanz der Landeshauptmann zuständig.

Allerdings wird in §35 Abs2 normiert, daß bis zum Inkrafttreten des in §1 BVG, BGBl. 142/1946, angekündigten BVG die nach Abs1 dem Landeshauptmann obliegenden Aufgaben von der Sicherheitsdirektion zu besorgen sind. §1 BVG, BGBl. 142/1946, lautet:

'Die Bestimmungen des §15 des Gesetzes vom 20. Juli 1945, St.G.Bl. Nr. 94, über die Überleitung der Verwaltungs- und Justizeinrichtungen des Deutschen Reiches in die Rechtsordnung der Republik Österreich (Behörden-Überleitungsgesetz - Behörden-ÜG.), gelten bis zu einer anders lautenden verfassungsgesetzlichen Regelung als Verfassungsbestimmungen.'

Die mit diesem BVG angekündigte Regelung der staatlichen Sicherheitsverwaltung ist mittlerweise erlassen worden. Durch die B-VG-Novelle 1991/565, ArtI Zif. 3, wurde das 3. Hauptstück des B-VG um einen Abschnitt ergänzt, der den Sicherheitsbehörden des Bundes gewidmet ist. Obschon sich die neu eingefügten Artikel inhaltlich weitgehend mit den in §15 BehÜG 1945 enthaltenen Bestimmungen decken, handelt es sich bei ihnen doch um eine 'anders lautende bundesverfassungsrechtliche Regelung' im Sinne des BVG, BGBl. 1946/142. Bereits die durch ArtIII und IV der B-VG-Novelle 1991 getroffenen und mit Ablauf des 30.4.1993 wirksam gewordenen Aufhebungen des §15 BehÜG und des BVG, BGBl.1946/142, beweisen, daß die neu in das B-VG eingefügten Art78a - 78c jene bundesverfassungsrechtliche Regelung enthalten, die im Jahr 1946 durch das erwähnte BVG angekündigt worden war (vgl. dazu auch Wiederin, Zuständigkeitsänderungen in der Sicherheitsverwaltung, ÖJZ 1994 S 261 ff.).

Das SicherheitspolizeiG, BGBl. 1991/566, enthält keine Bestimmung, die anstelle der Zuständigkeit des Landeshauptmannes nach §35 Abs1 WaffenG eine Kompetenz der Sicherheitsdirektion begründen würde. In §2 SicherheitspolizeiG findet sich zwar die Klarstellung, daß das Waffenwesen und die Vereins- und Versammlungsangelegenheiten zur Sicherheitsverwaltung zu zählen sind und daß die Sicherheitsverwaltung den Sicherheitsbehörden obliege. Gegen die Ableitung von Behördenkompetenzen aus dieser Bestimmung spricht jedoch die Systematik des Gesetzes. Wie aus seinem Titel 'Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei', dem §1 und der Überschrift des zweiten Hauptstückes des ersten Teils hervorgeht, will das SicherheitspolizeiG lediglich die Organisation der Sicherheitsverwaltung regeln. Es beansprucht aber nicht, in diesem Bereich Behördenzuständigkeiten zu fixieren, sondern beschränkt sich insoweit auf die allgemeine Sicherheitspolizei. Durch die Deutung als Organisationsvorschrift wird §2 Abs1 SicherheitspolizeiG auch nicht jeden normativen Gehalts entkleidet; daß den Sicherheitsbehörden die Sicherheitsverwaltung 'obliegt', wie dort angeordnet wird, ist nämlich für ihre Einrichtung mittelbar von Belang (vgl. VfSlg. 8.466/1978). §2 Abs1 leg.cit. regelt weder, welche Sicherheitsbehörden einzuschreiten haben, noch gibt er über die je und je zu besorgenden Agenden Auskunft, kurzum bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine klassische lex generalis, die keine abschließende Regelung trifft. Als solche kann sie zwar den Vorrang vor anderen, nicht bereichsspezifischen subsidiären Zuständigkeitsnormen, wie §2 AVG, beanspruchen. Exakt normierten speziellen Behördenkompetenzen gegenüber tritt sie jedoch zurück. Lex generalis posterior non derogat legi speziali priori (vgl. auch Hauer-Kepplinger, Handbuch zum SicherheitspolizeiG 1993, S 20; Wiederin aaO).

Als Ergebnis obiger Überlegungen ist sohin festzuhalten, daß das WaffenG ab dem 1.5.1993 (Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1991/565) in mittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen ist.

Diese Rechtslage ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die in Art102 Abs2 B-VG enthaltenen Ermächtigungen, die Sicherheitsverwaltung unmittelbar durch Bundesbehörden zu vollziehen, hindern nach Art102 Abs3 B-VG den Bundesgesetzgeber nicht, diese Agenden ganz oder zum Teil in mittelbarer Bundesverwaltung besorgen zu lassen. Durch die Betrauung des Landeshauptmannes wird nämlich die betreffende Angelegenheit eine solche der mittelbaren Bundesverwaltung (vgl. VfSlg. 6.913/1972; Walter-Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechtes, 7. Auflage, 1992, RZ 836). Auch aus Art78a B-VG ist kein verfassungsrechtliches Gebot ableitbar, die vormals unter dem Begriff 'öffentliches Sicherheitswesen' zusammengefaßten Verwaltungspolizeiagenden den Sicherheitsbehörden zu übertragen. Im übrigen sind in einem Bundesstaat Zuständigkeitsbestimmungen im Zweifel zugunsten der Länder auszulegen.

Durch den angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich bin ich sohin meinem gesetzlich zuständigen Richter (= gesetzlich zuständigen Verwaltungsbehörde), dem Landeshauptmann von Niederösterreich, entzogen worden."

b) Die SID NÖ hält dieser Auffassung vor allem entgegen, daß die durch das BVG BGBl. 565/1991 getroffenen verfassungsrechtlichen Regelungen auf dem Gebiet der Sicherheitsverwaltung keine "anders lautende verfassungsgesetzliche Regelung" iS des BVG BGBl. 142/1946 darstellten. Es sei nicht Absicht des Verfassungsgesetzgebers gewesen, durch das zitierte BVG aus 1991 eine gegenüber §15 Behörden-Überleitungsgesetz (BehÜG), StGBl. 94/1945, andere Regelung zu treffen und die den Sicherheitsdirektionen durch die genannte Bestimmung zugewiesenen Aufgaben den Landeshauptmännern rückzuübertragen.

c) aa) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde u.a. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 9696/1983).

bb) Der Beschwerdeführer erhebt einen derartigen Vorwurf:

Nicht die SID, sondern der Landeshauptmann wäre zur Entscheidung über die Berufung in einer waffenrechtlichen Sache zuständig gewesen.

Die maßgebende Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1945 wurden zur Besorgung der Angelegenheiten des öffentlichen Sicherheitswesens auf Landesstufe Sicherheitsdirektionen (SID) eingerichtet.

§15 des Behörden-Überleitungsgesetzes, StGBl. 94/1945, (BehÜG) lautete:

"(1) Die Aufgaben, die von den Reichsstatthaltern auf dem Gebiet des öffentlichen Sicherheitswesens geführt wurden, gehen in Unterordnung unter die im Staatsamt für Inneres eingerichtete Generaldirektion für öffentliche Sicherheit auf Sicherheitsdirektionen über, deren Sprengel durch Verordnung bestimmt werden.

(2) In Unterordnung unter die Sicherheitsdirektionen besorgen die Bezirksverwaltungsbehörden und im Rahmen des ihnen zugewiesenen sachlichen und örtlichen Wirkungsbereiches die staatlichen Polizeibehörden (Polizeidirektionen und Polizeikommissariate) die unterste staatliche Sicherheitsverwaltung.

(3) Im Bereich der Stadt Wien ist die Polizeidirektion gleichzeitig auch Sicherheitsdirektion. Sie ist der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Staatsamt für Inneres unmittelbar unterstellt".

Mit dem BVG BGBl. 142/1946 wurde §15 BehÜG auf Verfassungsstufe gestellt:

"§1. Die Bestimmungen des §15 des Gesetzes vom 20. Juli 1945, St.G.Bl. Nr. 94, über die Überleitung der Verwaltungs- und Justizeinrichtungen des Deutschen Reiches in die Rechtsordnung der Republik Österreich (Behörden-Überleitungsgesetz - Behörden-ÜG.), gelten bis zu einer anders lautenden verfassungsgesetzlichen Regelung als Verfassungsbestimmungen.

§2. Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut."

Gemäß §3 der Verordnung des Bundesministers für Inneres (BMI) vom 26. Februar 1946, BGBl. 74, über die Einrichtung und den Wirkungsbereich der Sicherheitsdirektionen, gehören zum Wirkungsbereich der SID u.a. die Angelegenheiten des Waffenwesens.

Die §§34 und 35 Waffengesetz 1986, BGBl. 443, lauteten (in der damals wiederverlautbarten Fassung):

"§34. Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Bezirksverwaltungsbehörde, in Orten, für die eine Bundespolizeibehörde besteht, diese.

§35. (1) Über Berufungen gegen Bescheide der Behörde hat in letzter Instanz der Landeshauptmann zu entscheiden.

(2) Bis zum Inkrafttreten des im §1 des Bundesverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 142/1946, angekündigten Bundesverfassungsgesetzes sind die nach Abs1 dem Landeshauptmann obliegenden Aufgaben von der Sicherheitsdirektion zu besorgen."

Mit der WaffenG-Novelle 1994, BGBl. 520, wurden diese Bestimmungen wie folgt geändert:

"§34. (1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Bezirksverwaltungsbehörde, in Orten, für die eine Bundespolizeidirektion besteht, diese.

(2) Die örtliche Zuständigkeit richtet sich, sofern nicht anderes bestimmt ist, nach dem Hauptwohnsitz des Betroffenen, in Ermangelung eines Hauptwohnsitzes nach seinem Wohnsitz.

§35. Über Berufungen gegen Bescheide der Behörde hat in letzter Instanz die Sicherheitsdirektion zu entscheiden."

§34 Abs2 WaffenG 1986 nF trat mit 1. Jänner 1995 in Kraft; im übrigen traten die zitierten Bestimmungen idF der Novelle 1994 mit 15. Juli 1994 in Kraft.

Der angefochtene Bescheid wurde am 23. Juni 1994 erlassen, also noch vor dem Inkrafttreten der WaffenG-Novelle 1994. Maßgebend zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des bekämpften Bescheides ist also das WaffenG 1986 idF vor der Novelle 1994.

Dem (mit 1. Mai 1993 in Kraft getretenen) Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. 566/1991, zufolge obliegt die Sicherheitsverwaltung den Sicherheitsbehörden (§2 Abs1). Zur Sicherheitsverwaltung zählt u.a. das Waffenwesen (§2 Abs2). Zu den Sicherheitsbehörden gehören die SID, die dem BMI unmittelbar unterstellt sind; sie besorgen mit den ihnen nachgeordneten Bezirksverwaltungsbehörden und Bundespolizeidirektionen die Sicherheitsverwaltung in den Ländern (§4 Abs2).

Durch ArtI des BVG BGBl. 565/1991 (B-VG-Novelle 1991) wurde u. a. im Dritten Hauptstück des B-VG ein neuer dritter Abschnitt "Sicherheitsbehörden des Bundes" (Art78a bis 78d B-VG) eingefügt. Nach Art78a Abs1 sind die SID dem BMI (als oberste Sicherheitsbehörde) nachgeordnet. Gemäß Art78b Abs1 besteht für jedes Land eine SID. Diese Bestimmungen traten am 1. Mai 1993 in Kraft (Art151 Abs2 B-VG idF der B-VG-Novelle 1991).

Dem Art102 Abs2 B-VG zufolge kann u.a. das Waffenwesen (in Abweichung vom vorangehenden, die mittelbare Bundesverwaltung als Regel vorsehenden Abs1) auch auf Landesstufe unmittelbar von Bundesbehörden versehen werden.

§15 BehÜG wurde mit Ablauf des 30. April 1993 durch ArtIII des BVG BGBl. 565/1991 aufgehoben.

cc) Der Beschwerdeführer leitet aus dieser Rechtslage ab, daß das BVG BGBl. 565/1991 das im BVG BGBl. 142/1946 angekündigte Bundesverfassungsgesetz sei; damit sei die Zuständigkeit der SID u. a. in Waffenangelegenheiten entfallen und - mangels ausdrücklicher (neuerlicher) Berufung der SID - die Kompetenz des Landeshauptmannes (als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung) eingetreten. Er verweist hiezu auf Wiederin, Zuständigkeitsänderungen in der Sicherheitsverwaltung?, ÖJZ 1994,

S 261 ff.

dd) Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Auffassung nicht. Der Beschwerdeführer übersieht nämlich das (in einem Gesetzesprüfungsverfahren ergangene) Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 2282/1952. Darin wird betont, daß der Wirkungskreis der SID rechtlich nicht unmittelbar vom Aufgabenkreis der Landeshauptmänner abgeleitet war. Im eben genannten Erkenntnis heißt es dazu wörtlich:

"Denn §15 Beh.-ÜG. knüpft - wie das bezeichnete Gesetz in allen seinen Regelungen überhaupt - an die ehemalige deutsche Organisation an, es leitet daher auch den Wirkungskreis der Sicherheitsdirektionen unmittelbar nicht aus einem Teilbereich des Wirkungskreises der Landeshauptmänner, sondern aus einem solchen der ehemaligen Reichsstatthalter ab.

Bei dieser Lage kann auch der Versuch, den Grundsatz 'lex posterior derogat legi priori' im vorliegenden Fall durch den Hinweis darauf auszuschalten, daß §15 Beh.-ÜG. gegenüber dem Art102 Abs1 B-VG als der lex generalis die spezielle Norm darstelle, nicht zum Ziele führen. Denn der aus §15 Beh.-ÜG. abzuleitende Wirkungsbereich der Sicherheitsdirektion steht mit ausschließlicher Geltung neben dem Wirkungsbereich des Landeshauptmannes. Die früheren Kompetenzen des Landeshauptmannes auf dem Gebiete des öffentlichen Sicherheitswesens erscheinen heute zur Gänze ausgeschaltet. Sie werden dem Landeshauptmann erst dann wieder zufallen, wenn §15 Beh.-ÜG. durch BVG aufgehoben werden und der Grundsatz des Art102 Abs1 B-VG auch für den Bereich des öffentlichen Sicherheitswesens neuerlich Geltung erlangen wird. ..."

Im Erkenntnis wurde dargetan, daß die Festlegung der Kompetenz des Landeshauptmannes in Pressesachen im Hinblick auf die durch §15 BehÜG begründete Zuständigkeit der SID unzulässig war. Der Verfassungsgerichtshof hob die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen (es handelte sich um Regelungen des Jugendschutzgesetzes, BGBl. 97/1950) daher als verfassungswidrig auf und meinte, daß es zwei Möglichkeiten für eine verfassungskonforme Regelung gebe:

"Sie (= die Bundesgesetzgebung) hätte dem - wenn auch nur als Provisorium gedachten, so doch ausschließlich geltenden - heute gegebenen Rechtszustand unmittelbar Rechnung tragen und mit den im §11 Abs1 und 2 und im §12 Abs2 des (Jugendschutz-)Gesetzes bezeichneten Akten die Sicherheitsdirektionen betrauen können. Die Bundesgesetzgebung konnte allerdings auch den zweiten Weg beschreiten und den für die Zukunft wieder zu erwartenden Rechtszustand gleichsam vorwegnehmen, indem sie in den bezeichneten Gesetzesbestimmungen die Zuständigkeit der Landeshauptmänner festlegt, sie mußte aber in diesem Fall, nicht nur zur Beseitigung jeder Unklarheit, sondern auch, um mit der Verfassungsbestimmung des §15 Beh.-ÜG. im Einklang zu bleiben, gleichzeitig ausdrücklich festlegen, daß diese gesetzlich vorgesehene Zuständigkeit der Landeshauptmänner erst nach Auflassung der Sicherheitsdirektionen rechtlich wirksam werden wird. ..."

§35 WaffenG 1986 aF wählte den zweiten vom Verfassungsgerichtshof aufgezeigten Weg.

Wird nicht von der dargestellten Vorjudikatur abgegangen (dazu besteht kein Anlaß), so steht fest, daß auch nach Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1991 in Waffensachen - ebenso wie etwa in Vereins- und Versammlungsangelegenheiten - weiterhin die Zuständigkeit der SID gegeben ist und nicht etwa jene des Landeshauptmannes begründet wurde:

§15 BehÜG iVm BVG BGBl. 142/1946 hat eigenständig die Kompetenz der SID begründet und nicht jene des Landeshauptmannes vorübergehend verdrängt.

Weder die B-VG-Novelle 1991 noch das SPG haben die SID beseitigt; durch diese (verfassungs-)gesetzlichen Regelungen wurde - im Gegenteil - der provisorische Charakter der SID eliminiert und diese Behörde als Dauerinstitution in das B-VG eingebaut. Damit ist die Annahme, der (Verfassungs-)Gesetzgeber habe mit der B-VG-Novelle 1991 und dem SPG bisherige Zuständigkeiten der SID (etwa auf dem Gebiet des Waffenwesens) beseitigen wollen, bei einer am Sinn der Gesetze orientierten Auslegung ausgeschlossen. Auch der Wortlaut der Gesetze zwingt keineswegs zu einer solchen Annahme (vgl. Handstanger, Sicherheitsverwaltung und mittelbare Bundesverwaltung, ÖJZ 1995, S 1 ff.).

Die WaffenG-Novelle 1994 hat nunmehr jeden Zweifel ausgeschaltet; seither ist die Zuständigkeit der SID im §35 ausdrücklich festgelegt. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (848 BlgNR 18. GP) besagen zu dieser Bestimmung:

"Anstelle der bislang verwendeten Bezeichnung 'Bundespolizeibehörde' wird der Begriff 'Bundespolizeidirektion' vorgeschlagen, an die Stelle des Landeshauptmannes als Berufungsbehörde soll endgültig die Sicherheitsdirektion treten. Beides ist im Hinblick auf Art78a Abs1 B-VG in der Fassung der B-VG-Novelle, BGBl. Nr. 565/1991, geboten."

Daraus ergibt sich, daß auch der Gesetzgeber der WaffenG-Novelle 1994 davon ausgegangen ist, es sei in Waffenangelegenheiten nicht zwischenzeitig die Zuständigkeit der SID von jener des Landeshauptmannes abgelöst worden.

Als Ergebnis all dieser Überlegungen ist festzuhalten, daß die SID NÖ zuständig war, den bekämpften Berufungsbescheid zu erlassen.

2.a) Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, auch deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, weil die SID NÖ als Berufungsbehörde in einer Angelegenheit eine Entscheidung getroffen habe, die nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides gewesen sei. Dazu heißt es in der Beschwerde:

"Wie bereits in der Sachverhaltsdarstellung ausgeführt, hat die erste Instanz die Entziehung des Waffenpasses und der Waffenbesitzkarte ausschließlich auf §6 Abs1 Zif. 2 WaffenG und den Tatbestand gestützt, daß ich die Waffe nicht sorgfältig verwahrt hätte. Der Berufungsbescheid stützt die Entziehung nunmehr auch auf §6 Abs1 Zif. 1 WaffenG sowie auf den bloßen Tatbestand meiner Alkoholisierung bei Führung der Waffe, was allein bereits meine Verläßlichkeit ausschließen soll."

b) Die SID NÖ bestreitet, daß sie den Gegenstand des Verfahrens ausgewechselt hat.

c) Zwar ist der Beschwerdeführer damit im Recht, daß das erwähnte Grundrecht u.a. dann verletzt wird, wenn die Berufungsbehörde eine Entscheidung in einer Angelegenheit trifft, die nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Bescheides war (vgl. zB VfSlg. 5822/1968, 8176/1977, 8886/1980). In der vorliegenden Sache war das jedoch nicht der Fall:

Dem §20 Abs1 WaffenG 1986 zufolge hat die Behörde einen Waffenpaß oder eine Waffenbesitzkarte zu entziehen, wenn deren Inhaber nicht mehr verläßlich ist.

§6 Abs1 leg.cit. lautet:

"§6. (1) Eine Person ist als verläßlich im Sinne dieses Bundesgesetzes anzusehen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie

1.

Waffen nicht mißbräuchlich oder leichtfertig

verwenden wird;

2.

mit Waffen vorsichtig und sachgemäß umgehen und diese sorgfältig verwahren wird;

3.

Waffen nicht an Personen überlassen wird, die zum Besitz von Waffen nicht berechtigt sind."

Eine Beschränkung der vollen Abänderungsbefugnis der Berufungsbehörde (§66 Abs4 AVG) besteht nur insofern, als "Sache" (iS dieser Gesetzesbestimmung), in welcher die Rechtsmittelentscheidung zu ergehen hat, der Gegenstand des vorinstanzlichen Bescheides ist. Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides war hier die Entziehung des Waffenpasses und der Waffenbesitzkarte wegen mangelnder Verläßlichkeit des Beschwerdeführers; Grundlage für die Annahme war dessen Verhalten am 25. Oktober 1993 in einem Gasthaus. Der erst- und der zweitinstanzliche Bescheid haben denselben Gegenstand zum Inhalt. Wenn die SID NÖ den Sachverhalt rechtlich etwas anders als die Bezirkshauptmannschaft gewürdigt hat, hat sie sich im Rahmen des ihr nach §66 Abs4 AVG zustehenden Abänderungsrechtes bewegt, ohne den Verfahrensgegenstand auszutauschen.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde.

3.a) Schließlich bringt der Beschwerdeführer noch vor, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein.

Die Behörde habe willkürlich und einseitig aus einer einmaligen Alkoholisierung bei Führen einer Waffe auf die mangelnde Verläßlichkeit geschlossen.

b) Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften könnte der Beschwerdeführer im Gleichheitsrecht nur durch Willkür der Behörde verletzt worden sein.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat, oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

Davon kann hier keine Rede sein.

Die Behörde hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt; sie hat den angefochtenen Bescheid sorgfältig und auf durchaus denkmögliche Weise begründet.

Der Beschwerdeführer wurde also auch nicht im zuletzt erwähnten Grundrecht verletzt.

Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Landeshauptmann, Polizeibehörden, Sicherheitsdirektion, Waffenrecht, Waffenpaß, Verläßlichkeit, Berufung, Behördenüberleitung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B1673.1994

Dokumentnummer

JFT_10049685_94B01673_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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