TE Bvwg Beschluss 2021/6/1 I413 2173237-3

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Veröffentlicht am 01.06.2021
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Entscheidungsdatum

01.06.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AVG §69
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §32 Abs1 Z2
VwGVG §32 Abs2
VwGVG §32 Abs3

Spruch


I413 2173237-3/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M., als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4/4. Stock, 1020 Wien, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2019, GZ I413 2173237-1/14E, abgeschlossenen Verfahrens nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.06.2021 beschlossen:

A)
Der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2019, GZ I413 2173237-1/14E, abgeschlossenen Asylverfahrens wird gemäß § 32 Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zurückgewiesen.

B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text



Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Wiederaufnahmewerber stellte am 18.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) vom 13.09.2017, Zl. XXXX , hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen wurde. Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Wiederaufnahmewerbers in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Ihm wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV).

2.       Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 06.08.2019 zu GZ I413 2173237-1/14E mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dem Wiederaufnahmewerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde. Begründend wurde ausgeführt, dass es dem Wiederaufnahmewerber nicht gelungen ist, eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung glaubhaft zu machen.

3.       Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 08.10.2019, Ra 2019/18/0399-4, wurde die Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zurückgewiesen. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 05.03.2020, E 3512/2019-15, wurde die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Beschwerde abgelehnt.

4.       Mit Bescheid der belangten Behörde vom 02.06.2020, Zl. XXXX , wurde dem Wiederaufnahmewerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak festgestellt und ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Bescheid erwuchs am 04.07.2020 in Rechtskraft.

5.       Am 26.06.2020 stellte der Wiederaufnahmewerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 Abs 1 AsylG. Selbiger wurde mit Bescheid des BFA vom 23.07.2020, Zl. XXXX , zurückgewiesen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Erkenntnis vom 02.10.2020 zu GZ L524 2173237-2/8E als unbegründet abgewiesen, womit der Bescheid der belangten Behörde in Rechtskraft erwuchs.

6.       Mit Schriftsatz vom 19.05.2021 stellte der Wiederaufnahmewerber durch seine Rechtsvertretung einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 VwGVG. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, ein Freund des Wiederaufnahmewerbers im Irak, welcher bei der Polizei arbeite, habe ihm erzählt, dass er gesucht und sobald er am Flughafen ankomme, festgenommen werde. Sein Freund habe Fotos von den Dokumenten gemacht, welche belegen würden, dass ein Festnahmeauftrag vorliege und welche zeigen würden, dass der Wiederaufnahmewerber bei einer Rückkehr in den Irak sofort festgenommen werde.

7.       Am 01.06.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Wiederaufnahmewerbers, seiner Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache sowie einer Zeugin statt. Ein Vertreter der belangten Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

Seinen Asylantrag vom 18.09.2015 begründetet der Wiederaufnahmewerber vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes damit, seit 2006 der Vorstand von Arbeitern in der Gastronomiegewerkschaft gewesen zu sein und dass er durch die Aufstände in Najaf mit den Demonstranten habe mitdemonstrieren müssen. Er sei dreimal vorgewarnt worden, habe aber trotzdem weiter demonstriert, weshalb Knallkörper an sein Haus geworfen worden wären.

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 15.03.2017 gab er schließlich an, seit dem Jahr 2009 eine Beziehung mit einem Mädchen namens Dalal zu haben und dass er sie nach seinem Universitätsabschluss habe heiraten wollen. Dieses Mädchen sei die Tochter von dem Stammesführer von BANI HUJAIM und einer ihrer Brüder Richter gewesen, der andere arbeite bei den Sicherheitsdiensten. An einem Tag im August 2015 habe sich der Wiederaufnahmewerber mit seiner Freundin Dalal im Haus ihrer Schwester getroffen und habe der Schwager seiner Freundin sie bei ihrer intimen Beziehung erwischt. Der Wiederaufnahmewerber sei daraufhin gleich weggelaufen und habe nach ein paar Tagen einen Anruf von der Schwester seiner Freundin erhalten, welche ihm erzählt habe, dass Dalal weg sei und sie nicht wisse, ob sie noch am Leben sei. Die Schwester habe zum Wiederaufnahmewerber gesagt, dass er weglaufen solle, weil sie ihn umbringen wollen. Nach zwei Tagen hätten sie auf die Türe des Wiederaufnahmewerber geschrieben, dass sie sein Blut wollen, was bei den Stämmen im Irak sehr ernst zu nehmen sei. Der Wiederaufnahmewerber sei zu seinem Stammesführer gegangen, welcher ihm gesagt habe, dass er selbst wisse, was er gemacht habe und dass er dem Wiederaufnahmewerber bei so einem Problem nicht helfen könne. Die Brüder des Wiederaufnahmewerber hätten versucht, ihm zu helfen, was ihnen aber nicht geglückt sei. Der Wiederaufnahmewerber habe von seinem Bruder vor seiner Ausreise am 01.09.2015 oder 02.09.2015 erfahren, dass der Stammesführer ihn aus dem Stamm verstoßen müsse, damit seine Familie nicht verletzt bzw. beeinflusst werde. Der Stammesführer habe den Wiederaufnahmewerber verstoßen und die Erlaubnis gegeben, den Wiederaufnahmewerber umzubringen, damit die Brüder des Wiederaufnahmewerbers keine Probleme bekommen würden.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 09.05.2019 gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht erneut die Beziehung zu seiner Freundin im Irak an und dass auf die Haustüre des Wiederaufnahmewerbers „Blut verlangt“ geschrieben worden sei. Außerdem sei der Vater seiner Freundin Emir des Stammes Bai Hshim, zudem der Wiederaufnahmewerber Mitglied der Organisation „Zivilgesellschaft“ gewesen und habe Demonstrationen organisiert. Diese Organisation habe nur Grundlagen des Lebens, wie z.B. Strom, Wasser, Asphaltierung der Straßen verlangt. Der Wiederaufnahmewerber sei ohne einen Grund direkt bedroht worden, doch könne der Wiederaufnahmewerber keine Anzeige erstatten, weil diese die Polizei seien und man nichts unternehmen könne. Ein Freund von ihm, der bei der Miliz sei, habe dem Wiederaufnahmewerber gesagt, dass er sich verstecken solle. Wegen dem weiteren Problem des Wiederaufnahmewerbers, nämlich das mit seiner Freundin, habe ihn seine Familie verstoßen. Bis auf einen seiner Brüder wolle keiner aus seiner Familie Kontakt mit dem Wiederaufnahmewerber. Die Familie des Wiederaufnahmewerbers habe gesagt: „Wenn ihr unseren Sohn trefft, dann gehört er euch.“

Mangels Glaubhaftigkeit des Vorbringens wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Wiederaufnahmewerbers mit Erkenntnis vom 06.08.2019, GZ I413 2173237-1/14E, als unbegründet ab. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 08.10.2019, Ra 2019/18/0399-4, wurde die Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zurückgewiesen. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 05.03.2020, E 3512/2019-15, wurde die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Beschwerde abgelehnt.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 02.06.2020, Zl. XXXX , wurde dem Wiederaufnahmewerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak festgestellt und ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Bescheid erwuchs am 04.07.2020 in Rechtskraft.

Am 26.06.2020 stellte der Wiederaufnahmewerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 Abs 1 AsylG. Selbiger wurde mit Bescheid des BFA vom 23.07.2020, Zl. XXXX , zurückgewiesen und eine dagegen erhobene Beschwerde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Erkenntnis vom 02.10.2020 zu GZ L524 2173237-2/8E als unbegründet abgewiesen, womit der Bescheid der belangten Behörde in Rechtskraft erwuchs.

Mit Schreiben vom 19.05.2021 beantragte der Wiederaufnahmewerber über seine nunmehrige Rechtsvertretung die Wiederaufnahme des Verfahrens. Begründend führte er aus, er habe einem Freund im Irak von seiner negativen Entscheidung berichtet. Dieser Freund, welcher bei der Polizei arbeite, habe ihm dann erzählt, dass der Wiederaufnahmewerber gesucht und sobald er am Flughafen ankomme, festgenommen werde. Er habe Fotos von den Dokumenten gemacht, welche belegen würden, dass ein Festnahmeauftrag vorliege und welche zeigen würden, dass der Wiederaufnahmewerber bei einer Rückkehr in den Irak sofort festgenommen werde.

Diese Fotos wurden dem Wiederaufnahmewerber elektronisch via Whatsapp Anfang April 2021 übermittelt und von diesem am 25.04.2021 an seine Rechtsvertretung weitergeleitet. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens langte am 19.05.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt und in die Gerichtsakte des Bundesverwaltungsgerichtes, explizit ins Erkenntnis vom 06.08.2019, GZ I413 2173237-1/14E, weiters auch in das Erkenntnis vom 02.10.2020, GZ L524 2173237-2/8E sowie in den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 19.05.2021. Zudem konnte auf die Ergebnisse der mündlichen Verhandlungen vom 01.06.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht, in der der Antragsteller und eine Zeugin befragt wurden, zurückgegriffen werden.

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und den im obigen Absatz bezeichneten Erkenntnissen, darüber hinaus sind die entsprechenden Feststellungen auch durch die Eintragungen im amtswegig eingeholten Fremdenregisterauszug zur Person des Wiederaufnahmewerbers dokumentiert.

Im Wiederaufnahmeantrag wurde explizit festgehalten, dass die Fotos dem Wiederaufnahmewerber via Whatsapp am 25.04.2021 übermittelt worden sind. In der mündlichen Verhandlung am 01.06.2021 teilte der Antragsteller mit, er habe die Fotos Anfang April 2021 erhalten und am 25.04.2021 an die Rechtsvertretung weitergeschickt. Diese Aussage wird insofern von der Zeugin bestätigt, als nach ihrer Erinnerung der Antragsteller Ende März/Anfang April 2021 die WhatsApp mit den Fotos erhalten habe. Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund diese Angaben zu bezweifeln, weshalb bescheinigt ist, dass der Antragssteller Anfang April 2021 die WhatsApp mit den fotografierten Dokumenten erhalten hatte und sie am 25.04.2021 seiner Rechtsvertretung weitergeleitet hatte. Der Umstand, wonach der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens am 19.05.2021 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt ist, ergibt sich aus dem Übertragungsprotokoll im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückweisung des Antrages auf Wiederaufnahme:

3.1.    Rechtslage

Gemäß § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß § 32 Abs 2 VwGVG binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Entsprechend § 32 Abs 3 VwGVG kann unter den Voraussetzungen des Abs 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. […]

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 Blg NR, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

3.2.    Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2019, GZ I413 2173237-1/14E, wurde ausgeführt, dass der Wiederaufnahmewerber keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd GFK glaubhaft machen konnte. Er vermochte keine konkrete Bedrohung durch die Miliz gegen seine Person zu schildern, auch einen vermeintlichen Verstoß durch seine Familie konnte er nicht glaubhaft darlegen. Die Hintergründe, weshalb er aufgrund der Beziehung zu seiner Freundin Probleme bekommen habe, gestalteten sich als unklar und vage, generell hielt er seine Schilderungen und Ausführungen stets allgemein und ohne konkrete, seine Person betreffende Details, sodass ihm keine Glaubhaftigkeit zugestanden werden konnte. Darüber hinaus steigerte der Wiederaufnahmewerber sein Fluchtvorbringen bei jeder Befragung, was ebenfalls zulasten seiner Glaubhaftigkeit in Anschlag zu bringen war.

Der gegenständliche Antrag zielt nun darauf ab, das mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2019, GZ I413 2173237-1/14E, abgeschlossene, vorangegangene Verfahren wiederaufzunehmen, wobei das Erkenntnis entsprechend den Feststellungen unter Punkt 1. weder durch den Verwaltungsgerichtshof, noch durch den Verfassungsgerichtshof eine Beanstandung erfahren hat.

Gemäß § 32 Abs 2 VwGVG gilt festzuhalten, dass der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, bzw. beim Verwaltungsgericht, von dem das Erkenntnis (der Beschluss) stammt, einzubringen ist. Diese zweiwöchige „subjektive“ Frist VwGH 31.05.1988, 88/11/0048; vgl auch VwGH 03.09.1998, 98/06/0086) beginnt mit dem Zeitpunkt, d.h. an dem Tag, zu laufen, an dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund, d.h. von dem Sachverhalt (allen Tatsachen [vgl Kolonovits/Muzak/Stöger11 Rz 605]), der (die) den Wiederaufnahmegrund bilden soll(en), Kenntnis erlangt hat (VwGH 26.04.2013, 2011/11/0051; 20.09.2018, Ra 2018/09/0050) (Hengstschläger/Leeb, AVG § 70 (Stand 01.01.2020, Rz 59; vgl. auch VwGH 06.11.2019, Ra 2018/12/0020). Entscheidend ist die Kenntnis von einem Sachverhalt, nicht aber die rechtliche Wertung dieses Sachverhalts (vgl. VwGH 06.11.2019, Ra 2018/12/0020).

Der Wiederaufnahmewerber gab in der mündlichen Verhandlung am 01.06.2021 an, die neuen Beweismittel als Fotos via WhatsApp Anfang April 2021 erhalten und am 25.04.2021 an seine Rechtsvertretung weitergeleitet zu haben. In seinem Antrag führte er aus, die neuen Beweismittel in Form von Fotos via Whatsapp am 25.04.2021 erhalten zu haben. Mit diesem Zeitpunkt war ihm folglich sein angegebener Wiederaufnahmegrund spätestens bekannt geworden. Damit endete die 14 tägige Frist zur Stellung des Wiederaufnahmeantrags spätestens am 08.05.2021 (nimmt man seine vage Angabe „Anfang April“ als Zeitpunkt der Kenntnis vom Sachverhalt, so verschiebt sich der Zeitpunkt des Fristablaufes noch weiter nach vorne). Somit erweist sich der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme vom 19.05.2021 somit außerhalb der Frist von zwei Wochen – und damit als verspätet – eingebracht.

Die Rechtsansicht im Zuge des Antrages auf Wiederaufnahme, wonach auf den Zeitpunkt des Besuches des Wiederaufnahmewerbers bei der Rechtsberatungsstelle abzustellen sei, stellt sich als verfehlt dar, zumal der Gesetzeswortlaut des § 32 Abs 2 VwGVG explizit auf die Person des Antragstellers selbst Bezug nimmt. Der Vollständigkeit halber bleibt noch festzuhalten, dass das Judikat VwGH 29.03.2012, 2008/12/0096, gegenständlich keine Relevanz entfalten vermag, zumal in der damaligen Konstellation der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zu einem früheren Zeitpunkt als der Beschwerdeführer Kenntnis von dem Wiederaufnahmegrund erlangt hat, was den Beginn des Laufes der Frist auslöste und der Beschwerdeführer sich die Kenntnis seines Vertreters zurechnen lassen musste. Fallgegenständlich hat jedoch der Wiederaufnahmewerber selbst spätestens am 25.04.2021 von den seinerseits geltend gemachten Wiederaufnahmegründen Kenntnis erlangt und damit den Lauf der zweiwöchigen Einbringungsfrist ausgelöst. Die Konsequenz ist wie oben ausgeführt eine Zurückweisung, da der Antrag verspätet eingebracht wurde.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Abschließend bleibt noch darauf hinzuweisen, dass auf die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 32 Abs 3 VwGVG niemandem ein Rechtsanspruch zusteht (VwGH 06.11.2019, Ra 2018/12/0020 mit Hinweis auf VwGH 24.06.1985, 85/12/0114).

Der Wiederaufnahmewerber beantragte zudem die „Gewährung einer vorläufigen Anordnung nach Unionsrecht“ zur Verhinderung seiner drohenden Abschiebung. Einstweilige Anordnungen haben die Funktion, vorläufigen Rechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren; der Grundsatz der Effektivität verlangt nicht, dass die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats die Möglichkeit vorsieht, im Rahmen eines nach dem Recht dieses Mitgliedstaats unzulässigen Antrags den Erlass vorläufiger Maßnahmen durch das zuständige nationale Gericht zu erlangen (vgl. VwGH 16.09.2010, 2010/12/0126). Da im gegenständlichen Fall der Antrag zurückzuweisen war, erübrigt es sich, über den Antrag auf „Gewährung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht“ abzusprechen.

Schlagworte

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Beweismittel Fristablauf Fristüberschreitung Fristversäumung Kenntnis konkrete Darlegung mündliche Verhandlung Rechtskraft der Entscheidung verspäteter Antrag Verspätung Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund wohlbegründete Furcht Zeitpunkt Zurechenbarkeit Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I413.2173237.3.01

Im RIS seit

01.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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