TE Vwgh Erkenntnis 1997/2/19 96/21/0093

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Veröffentlicht am 19.02.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des R in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 27. Dezember 1995, Zl. Fr-537/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland (der belangten Behörde) wurde festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer habe keine konkreten Verfolgungen durch den Staat Liberia selbst behauptet bzw. glaubhaft machen können. Gefahren von "nichtstaatlichen Konfliktparteien" wären nur dann solche im Sinne des § 54 FrG, wenn sie vom betreffenden Staat ausgingen oder von ihm gebilligt würden.

Der Beschwerdeführer sei bei seiner Einvernahme am 11. Oktober 1995 ausdrücklich gefragt worden, ob er bis zu seiner Ausreise Mitte 1993 in Liberia konkreten Verfolgungen aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen ausgesetzt bzw. in Haft gewesen oder festgenommen worden sei. Er habe dezidiert angegeben, daß er keiner der angeführten Verfolgungen ausgesetzt und auch niemals in Haft gewesen oder festgenommen worden sei.

Dem Fremden, der einen Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs. 1 FrG stelle, obliege es zumindest glaubhaft zu machen, daß ihm aktuell, also im Fall seiner Abschiebung in dem von seinem Antrag erfaßten Staat dort die im § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG genannten Gefahren drohen würden. Eine solche Glaubhaftmachung gelinge nicht durch allgemein gehaltene Hinweise auf die Brisanz der politischen Situation im Heimatstaat und auf regelmäßige Übergriffe staatlicher Regierungsstellen sowie Kämpfe der Milizgruppierungen. Die bloße Behauptung, bei einer Rückkehr in die Heimat mit unmenschlicher Behandlung oder der Todesstrafe rechnen zu müssen, reiche keineswegs aus, eine Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer habe das Verlassen seines Heimatlandes damit begründet, daß in Liberia ein Bürgerkrieg stattgefunden habe und der Vater des Beschwerdeführers Anhänger des Samuel Doe sei bzw. zu dessen Stamm gehöre.

Einem Antrag gemäß § 54 Abs. 1 FrG könne nur dann stattgegeben werden, wenn der Fremde glaubhaft mache, daß ihm aktuell in dem von ihm bezeichneten Staat die genannten Gefahren drohen. Eine solche Gefährdung sei angesichts der im Heimatland des Beschwerdeführers eingetretenen Änderungen der Verhältnisse nicht anzunehmen. Es sei zur Bildung einer Übergangsregierung gekommen, in der die wichtigsten Kriegsparteien und die Zivilbevölkerung des Landes vertreten seien. Mit der Einsetzung und Vereidigung dieser Übergangsregierung am 1. September 1995 scheine Liberia einigermaßen realistische Aussichten zu haben, das Land aus einem fast sechs Jahre alten äußerst blutigen Bürgerkrieg heraus und in eine neue Ära mit demokratischen Wahlen hineinzuführen. In diesem Übergangsgremium seien zum ersten Mal die wichtigsten Konfliktparteien sowie die Zivilbevölkerung direkt oder indirekt vertreten. Die Besetzung dieser Übergangsregierung, in der drei bewaffnete Formationen durch ihre Chefs im Staatsrat repräsentiert werden - Charles Taylors National Patriotic Front (NPFL), Alhaji Kromahs Fraktion des United Liberation Movement (ULIMO-K) und George Boleys Liberia Peace Council - zeige die ernsthaften Bemühungen der Bürgerkriegsparteien, die jahrelang anhaltenden Kämpfe zu beenden. Ein weiteres Indiz für die Beendigung des Bürgerkrieges sei das am 19. August 1995 unterzeichnete Abkommen der Streitparteien und der darin enthaltene Waffenstillstand, der bisher nicht nur gehalten habe, sondern von allen Kriegsparteien freiwillig respektiert worden sei. Es bestünden daher gegenwärtig keine stichhaltigen Gründe für eine Bedrohung in Liberia im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG. Die eingesetzte Übergangsregierung sei bemüht und willens, alle Staatsbürger Liberias im Rahmen der vorhandenen staatlichen und rechtlichen Möglichkeiten vor Übergriffen zu schützen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hielt für maßgeblich, daß der Beschwerdeführer keine individuellen Verfolgungen durch den Staat Liberia selbst, und nur auf diese komme es an, behauptet bzw. glaubhaft gemacht habe. Gefahren von "nichtstaatlichen Konfliktparteien" seien nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht unter § 37 Abs. 1 FrG zu subsumieren. Diese Gefahren wären nur dann solche im Sinne dieser Bestimmung, wenn sie vom betreffenden Staat ausgingen oder von ihm gebilligt würden.

Mit dieser Rechtsauffassung kann sich die belangte Behörde nicht auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes berufen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich wiederholt ausgesprochen, daß drohende Behandlungen oder Verfolgungen i.S. des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG von bestimmten Bevölkerungsgruppen (Personen) durch andere den Fällen der vom Staat ausgehenden oder von ihm gebilligten Bedrohung gleichgestellt sind, wenn der betreffende Staat infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht in der Lage ist, solche drohende Behandlungen oder Verfolgungen zu verhindern (vgl. etwa aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Fälle der Verfolgung durch eine andere Religionsgemeinschaft die Erkenntnisse vom 24. März 1994, Zl. 94/18/0082, vom 8. September 1994, Zl. 94/18/0474, vom 1. Februar 1995, Zl. 94/18/0731, vom 24. Oktober 1996, Zl. 95/18/0357, und vom 13. November 1996, Zl. 96/21/0853, und betreffend Verfolgung durch andere Organisationen vom 30. April 1996, Zl. 94/18/1074, sowie das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 96/21/0096). Ausgehend von ihrer, der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widersprechenden Rechtsauffassung hat die belangte Behörde Feststellungen über die Behauptungen des Beschwerdeführers, er werde als Anhänger bzw. Stammesgenosse des Samuel Doe von der den Bürgerkrieg in Liberia beherrschenden Gruppe des Charles Taylor verfolgt, nicht getroffen. Dadurch belastete sie den Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Gegen die Auffassung der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer drohe aktuell keine Verfolgung, führt der Beschwerdeführer ins Treffen, daß sich Berichten aus dem Jahr 1996 zufolge die Situation in Liberia nicht gebessert, sondern eher verschlimmert habe. Hätte die belangte Behörde ihm zu ihren gegenteiligen Feststellungen Parteiengehör gewährt, hätte er entsprechende Behauptungen aufstellen und Beweise dafür vorlegen können.

Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten wurde dem Beschwerdeführer zu der von der belangten Behörde getroffenen Sachverhaltsannahme, es bestehe aktuell keine Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat, kein Parteiengehör gewährt. Aufgrund der Behauptungen des Beschwerdeführers in der Berufung, er werde von den Truppen des Charles Taylor, die praktisch in seiner Region die Staatsgewalt ausüben, verfolgt, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, dem Beschwerdeführer Parteiengehör zu der Annahme, er unterliege keiner weiteren Verfolgungsgefahr, zu gewähren. Da nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Relevanz dieses Verfahrensmangels der belangten Behörde nicht abzusprechen ist, erweist sich auch aus diesem Grund der Bescheid als rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes - unter Abstandnahme von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG - aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996210093.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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