TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/24 V91/2021 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2021
beobachten
merken

Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art139 Abs1 Z1
EMRK 4. ZP Art2
StGG Art2
StGG Art4
EpidemieG 1950 §24
COVID-19-VirusvariantenV BGBl II 63/2021 idF BGBl II 98/2021
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit durch das Verbot des Verlassens von Teilen Tirols durch die COVID-19-VirusvariantenV wegen der dort verbreiteten (Südafrikanischen) COVID-19-Virusvariante B.1.351; Verkehrsbeschränkung zur Verhinderung der Verbreitung der Virusvariante zum Schutz von Personen außerhalb des Epidemiegebietes "unbedingt erforderlich" und innerhalb des Ermächtigungsumfangs des EpidemieG 1950; Verkehrsbeschränkung innerhalb des Einschätzungs- und Prognosespielraums des für die Erlassung der Verordnung zuständigen Bundesministers; Sachlichkeit der Abgrenzung des Epidemiegebietes sowie Verhältnismäßigkeit des Nachweises eines negativen Testergebnisses auch für Personen mit Antikörpern bei der Ausreise

Spruch

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

1. Mit dem auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten und beim Verfassungsgerichtshof zu V91/2021 protokollierten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV), BGBl II 63/2021, gesetzwidrig war.

2. Mit dem weiteren, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten und beim Verfassungsgerichtshof zu V156/2021 protokollierten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV), BGBl II 63/2021 idF BGBl II 98/2021 gesetzwidrig war.

II. Rechtslage

1. §1, §24, §43 und §43a Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, in der Fassung BGBl I 114/2006 (§24), BGBl I 63/2016 (§1), BGBl I 43/2020 (§43) und BGBl I 104/2020 (§43a) laute(te)n wie folgt:

"Anzeigepflichtige Krankheiten

§1. (1) Der Anzeigepflicht unterliegen:

1. Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an Cholera, Gelbfieber, virusbedingtem hämorrhagischem Fieber, infektiöser Hepatitis (Hepatitis A, B, C, D, E), Hundebandwurm (Echinococcus granulosus) und Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis), Infektionen mit dem Influenzavirus A/H5N1 oder einem anderen Vogelgrippevirus, Kinderlähmung, bakteriellen und viralen Lebensmittelvergiftungen, Lepra, Leptospiren-Erkrankungen, Masern, MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus/'neues Corona-Virus'), Milzbrand, Psittakose, Paratyphus, Pest, Pocken, Rickettsiose durch R. prowazekii, Rotz, übertragbarer Ruhr (Amöbenruhr), SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom), transmissiblen spongiformen Enzephalopathien, Tularämie, Typhus (Abdominaltyphus), Puerperalfieber, Wutkrankheit (Lyssa) und Bissverletzungen durch wutkranke oder -verdächtige Tiere,

2. Erkrankungs- und Todesfälle an Bang'scher Krankheit, Chikungunya-Fieber, Dengue-Fieber, Diphtherie, Hanta-Virus-Infektionen, virusbedingten Meningoenzephalitiden, invasiven bakteriellen Erkrankungen (Meningitiden und Sepsis), Keuchhusten, Legionärskrankheit, Malaria, Röteln, Scharlach, Rückfallfieber, Trachom, Trichinose, West-Nil-Fieber, schwer verlaufenden Clostridium difficile assoziierten Erkrankungen und Zika-Virus-Infektionen.

(2) Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen kann, wenn dies aus epidemiologischen Gründen gerechtfertigt oder auf Grund internationaler Verpflichtungen erforderlich ist, durch Verordnung weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterwerfen oder bestehende Meldepflichten erweitern.

Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften.

§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.

V. HAUPTSTÜCK.

Allgemeine Bestimmungen.

Behördliche Kompetenzen.

§43. (1) Die Bestimmungen des Gesetzes vom 30. April 1870, RGBl Nr 68, betreffend die Organisation des öffentlichen Sanitätsdienstes, bleiben durch die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes unberührt.

(3) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest, Ägyptischer Augenentzündung, Wutkrankheit, Bißverletzungen durch wutkranke oder wutverdächtige Tiere sowie in sonstigen Fällen dringender Gefahr sind die im §5 Abs1 bezeichneten Erhebungen und die in den §§7 bis 14 bezeichneten Vorkehrungen auch sofort an Ort und Stelle von den zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Ärzten zu treffen.

(4) Die Einleitung, Durchführung und Sicherstellung sämtlicher in diesem Gesetze vorgeschriebener Erhebungen und Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten beziehungsweise die Überwachung und Förderung der in erster Linie von den zuständigen Sanitätsorganen getroffenen Vorkehrungen sind Aufgabe der Bezirksverwaltungsbehörde.

(4a) Soweit in diesem Bundesgesetz eine Zuständigkeit zur Erlassung von Verordnungen durch die Bezirksverwaltungsbehörde vorgesehen ist, sind Verordnungen, deren Anwendungsbereich sich auf mehrere politische Bezirke oder das gesamte Landesgebiet erstreckt, vom Landeshauptmann zu erlassen. Einer Verordnung des Landeshauptmanns entgegenstehende Verordnungen der Bezirksverwaltungsbehörde treten mit Rechtswirksamkeit der Verordnung des Landeshauptmanns außer Kraft, sofern darin nicht anderes angeordnet ist. Erstreckt sich der Anwendungsbereich auf das gesamte Bundesgebiet, so sind Verordnungen vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen. Eine entgegenstehende Verordnung des Landeshauptmanns oder einer Bezirksverwaltungsbehörde tritt mit Rechtswirksamkeit der Verordnung des Bundesministers außer Kraft, sofern darin nicht anderes angeordnet ist.

(5) Dem Landeshauptmann obliegt im Rahmen seines örtlichen Wirkungsbereichs die Koordinierung und Kontrolle der Maßnahmen der Bezirksverwaltungsbehörden gemäß Abs4. Besteht der Verdacht oder die Kenntnis über einen bundesländerübergreifenden Ausbruch einer Erkrankung gemäß §1 Abs1 und 2, so haben die Landeshauptmänner der betroffenen Bundesländer zusammenzuarbeiten und ihre Tätigkeiten zu koordinieren.

(6) Das Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend ist im Fall von Krankheitsausbrüchen vom Landeshauptmann unverzüglich zu verständigen.

Zuständigkeiten betreffend COVID-19

§43a. (1) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 sind vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.

(2) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 können vom Landeshauptmann erlassen werden, wenn keine Verordnung gemäß Abs1 erlassen wurde oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung gemäß Abs1 festgelegt werden.

(3) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 können von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassen werden, wenn keine Verordnungen gemäß Abs1 oder 2 erlassen wurden oder zusätzliche Maßnahmen zu Verordnungen nach Abs1 oder 2 festgelegt werden.

(4) In einer Verordnung gemäß Abs1 bis 3 kann entsprechend der jeweiligen epidemiologischen Situation regional differenziert werden.

(5) Durch Verordnung gemäß Abs1 können Verordnungen gemäß Abs2 und 3 oder Teile davon aufgehoben werden. Durch Verordnung gemäß Abs2 können Verordnungen gemäß Abs3 oder Teile davon aufgehoben werden.

(6) Verordnungen gemäß Abs2 und 3 sind vor deren Inkrafttreten dem für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister mitzuteilen."

2. §24 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, in der Fassung BGBl I 33/2021 lautete wie folgt:

"Verkehrsbeschränkungen für die Personen, die sich in Epidemiegebieten

aufhalten

§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden."

3. §24 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, in der Fassung BGBl I 90/2021 lautet wie folgt:

"Verkehrsbeschränkungen in Bezug auf Epidemiegebiete

§24. (1) Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrsbeschränkungen anzuordnen. Ebenso können Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten angeordnet werden.

(2) Verkehrsbeschränkungen für in Epidemiegebieten aufhältige Personen gemäß Abs1 sind insbesondere:

1. Voraussetzungen und Auflagen für das Verlassen des Epidemiegebietes, wie

a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Verlassen des Epidemiegebietes,

b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und

c) das Antreten einer selbstüberwachten Heimquarantäne nach Verlassen des Epidemiegebietes,

2. die Untersagung des Verlassens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.

(3) Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten gemäß Abs1 sind insbesondere:

1. Voraussetzungen und Auflagen für das Betreten des Epidemiegebietes, wie

a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Betreten des Epidemiegebietes,

b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und

c) zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19: die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung,

2. die Untersagung des Betretens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.

(4) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten für das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr §1 Abs5 Z5 und Abs5a bis 5e COVID-19-MG sinngemäß.

(5) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten als Epidemiegebiete gemäß Abs1 bestimmte örtlich abgegrenzte oder abgrenzbare Teile des Bundesgebietes, in denen außergewöhnliche regionale Umstände im Hinblick auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 vorliegen. Außergewöhnliche regionale Umstände liegen etwa vor, wenn aufgrund der Bewertung der epidemiologischen Situation gemäß §1 Abs7 COVID-19-MG im bundesweiten Vergleich ein besonders hohes Risiko der Verbreitung von SARS-CoV-2 anzunehmen ist oder wenn aufgrund wesentlich veränderter Eigenschaften des Virus die bereits gesetzten Bekämpfungsmaßnahmen oder die weitere Bekämpfungsstrategie erheblich gefährdet sind."

4. Die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, lautet wie folgt:

"Auf Grund des §1 Abs2 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 37/2018, wird verordnet:

Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019-nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus')."

5. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV), BGBl II 63/2021, lautete:

"Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 23/2021, wird verordnet:

Örtlicher Anwendungsbereich

§1. Diese Verordnung gilt für das Bundesland Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee.

Anforderungen beim Überschreiten der Grenzen des Epidemiegebietes

§2. Personen, die sich im Gebiet nach §1 aufhalten, dürfen die Grenzen des in §1 umschriebenen Epidemiegebietes nur überschreiten, wenn sie einen Nachweis über ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARS-CoV-2 oder eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2, deren Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, mit sich führen. Diese Personen sind verpflichtet, diesen Nachweis bei einer Kontrolle vorzuweisen.

Ausnahmen

§3. §2 gilt nicht für:

1. Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr;

2. die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum;

3. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie Angehörige von Rettungsorganisationen und der Feuerwehr;

4. den Güterverkehr;

5. Transitpassagiere oder die Durchreise durch Tirol ohne Zwischenstopp, die auch bei ausschließlich unerlässlichen Unterbrechungen vorliegt.

Glaubhaftmachung

§4. Im Fall einer behördlichen Überprüfung sind die Ausnahmegründe gemäß §3 glaubhaft zu machen.

Testergebnisse

§5. Als Testergebnisse im Sinne dieser Verordnung sind jene Nachweise zu verstehen, die im Rahmen von Tests durch dazu befugte Stellen erlangt werden.

Inkrafttreten

§6. Diese Verordnung tritt mit 12. Februar 2021 in Kraft und mit Ablauf des 21. Februar 2021 außer Kraft."

6. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die COVID-19-Virusvariantenverordnung (COVID-19-VvV) geändert wird, BGBl II 85/2021 lautete wie folgt:

"Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 23/2021, wird verordnet:

Die Verordnung, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV), BGBl II Nr 63/2021, wird wie folgt geändert:

1. In §3 Z3 wird vor dem Strichpunkt die Wortfolge 'in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit' eingefügt.

2. In §6 wird die Wortfolge '21. Februar' durch die Wortfolge '3. März' ersetzt."

7. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der COVID-19-Virusvariantenverordnung (COVID-19-VvV) geändert wird, BGBl II 98//2021, ausgegeben am 3. März 2021, lautete wie folgt:

"Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 33/2021, wird verordnet:

Die Verordnung, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV), BGBl II Nr 63/2021, zuletzt geändert durch die Verordnung BGBl II Nr 85/2021, wird wie folgt geändert:

1. In §3 wird am Ende der Z5 der Punkt durch einen Strichpunkt ersetzt und folgende Z6 angefügt:

'6. Repatriierungsfahrten bzw -flüge.'

2. In §6 wird die Wortfolge '3. März' durch die Wortfolge '10. März' ersetzt.

3. Der Text des §6 erhält die Absatzbezeichnung '(1)' und es wird folgender Abs2 angefügt:

'(2) §3 Z5 und 6 in der Fassung der Verordnung BGBl II Nr 98/2021 treten mit 4. März 2021 in Kraft.'"

8. Die COVID-19-Virusvariantenverordnung, BGBl II 63/2021, idF BGBl II 85/2021 und BGBl II 98/2021 trat mit Ablauf des 10. März 2021 außer Kraft.

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit Maßnahmenbeschwerde vom 16. Februar 2021 wandten sich zwei Personen gegen die Verweigerung der Ausreise aus Tirol an das Landesverwaltungsgericht Tirol. Sie wurden am 12. Februar 2021 an der Grenze zwischen Österreich und Italien am Brenner zurückgewiesen, da sie — entgegen der COVID-19-Virusvariantenverordnung — keinen negativen COVID-19-Test vorgewiesen hätten.

1.1. Aus Anlass dieser Maßnahmenbeschwerde stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden, zu V91/2021 protokollierten Verordnungsprüfungsantrag:

1.1.1. Das Landesverwaltungsgericht Tirol führt zur Zulässigkeit seines Antrages wie folgt aus (ohne die Hervorhebungen im Original):

"3. Zulässigkeit

3.1. Präjudizialität – Unmittelbare Anwendbarkeit

Der Verfassungsgerichtshof ist – so in 10.12.2020, V535/2020, Rz 17, eine Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol über Gemeindegebietsbeschränkungen betreffend – nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichts in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG nur wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Die Beschwerdeführer wurden aufgrund der COVID-19-Virusvariantenverordnung an der Brennergrenze zurückgewiesen. Diese Verordnung ist somit offenkundig unmittelbar anwendbar und deshalb für den Anlassfall präjudiziell. Der gegenständliche Antrag ist daher nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol zulässig.

Auch über den Anlassfall hinaus wirkte die COVID-19-Virusvariantenverordnung umfassend. So wurden in der ersten Woche – vergleichbar mit dem gegenständlichen Fall – 1.950 Menschen die Weiterfahrt untersagt (https://tirol.orf.at/stories/3091116/, 9.3.2021). Dies verstärkt die Bedeutung der Gesetzwidrigkeit der COVID-19-Virusvariantenverordnung, welche vom Verfassungsgerichtshof einer Klärung unterzogen werden sollte.

3.2. Entscheidungswesentlichkeit der Gesetzmäßigkeit der COVID-19-Virusvariantenverordnung

Darüber hinaus ist die Frage der Gesetzmäßigkeit der COVID-19-Virusvariantenverordnung entscheidungswesentlich für das gegenständliche Maßnahmenbeschwerdeverfahren. Würde der Verfassungsgerichtshof die Verordnung für gesetzwidrig erklären, wäre nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol auch die darauf gründende Amtshandlung rechtswidrig. Die Zurückweisung an der Grenze alleine oder in Zusammenschau mit der durch die Verwaltungsübertretung bewirkten Festnahmeermächtigung nach §35 VStG stellen eine Maßnahme dar (3.2.1.). Auch wenn grundsätzlich eine vertretbare Annahme einer Verwaltungsübertretung für einschreitende Organwalter ausreicht (3.2.2), würde doch die – durch den Verfassungsgerichtshof festgestellte – Gesetzwidrigkeit der COVID-19-Virusvariantenverordnung zur Rechtswidrigkeit der Amtshandlung führen (3.2.3.).

3.2.1. Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

Nach der ständigen Rechtsprechung liegt ein Verwaltungsakt in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt vor, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar – somit ohne vorangegangenen Bescheid – in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen. Das ist im Allgemeinen der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht (vgl VwGH 20.11.2006, 2006/09/0188; 22.2.2007, 2006/11/0154).

Zum einen kann schon die Zurückweisung selbst als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt angesehen werden (so zB bei Sperre des Zugangs zu einen Segelflugplatz VwGH 13.9.2016, Ro 2014/03/0062). Zum anderen stützt sich die COVID-19-Virusvariantenverordnung auf §24 EpiG. Die Nichtbefolgung darin enthaltener Vorgaben stellt eine Verwaltungsübertretung nach §40 Abs1 litb EpiG dar. Eine Widersetzung gegen die Zurückweisung wäre somit eine Verwaltungsübertretung gewesen. Dies hätte zu einer Festnahmeermächtigung gemäß §35 Z3 VStG geführt, da die Beschwerdeführer trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt wären oder diese wiederholt hätten. Auch wenn das Epidemiegesetz keine dahingehende Zwangsmaßnahme vorsieht, wäre nach §§35 Z3 iVm 39a VStG eine Festnahme zulässig. Eine Zurückweisung wäre – nach vorläufiger Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol – als gelinderes Mittel anzusehen. Die Beschwerdeführer mussten somit – sieht man nicht schon die Zurückweisung alleine als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt an – mit einer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung rechnen, weshalb ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt vorlag.

3.2.2. Vertretbare Annahme einer Verwaltungsübertretung

Es reicht zwar, wenn die einschreitenden Organwalter die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund – und damit vertretbar – annehmen konnten (zB VfGH 20.9.2012, B1436/10; Slg 13.063/1992; VwGH 13.10.2015, Ra 2015/01/0154 mwN). Dies hat seine Berechtigung. So kann einem Organwalter nicht zugemutet werden, zB allfällige durch Sachverständige in einem späteren Verwaltungsstrafverfahren zu klärende Sachverhaltsfragen sowie Entschuldigungs- oder Strafausschließungsgründe zu erkennen oder zu berücksichtigen.

Der Verwaltungsgerichtshof wendet diese Rechtsprechungslinie auch auf Fälle an, bei denen die rechtliche Grundlage vom Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig oder verfassungswidrig aufgehoben wurde (VwGH 23.11.2020, Ra 2020/03/0106: 'Daran [gemeint: Am Vorliegen einer vertretbaren Annahme einer Verwaltungsübertretung, Anm] ändert auch nichts, dass der Verfassungsgerichtshof den hier maßgeblichen §3 der Verordnung mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V405/2020-14, als gesetzwidrig aufgehoben und ausgesprochen hat, dass die gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Ex ante betrachtet konnten die einschreitenden Organwalter trotzdem mit gutem Grund von einer zu ahndenden Verwaltungsübertretung ausgehen.').

Der Verwaltungsgerichtshof ging ursprünglich von der Rechtswidrigkeit einer Amtshandlung aus, wenn die im Anlassfall anzuwendende Verordnung als verfassungswidrig aufgehoben wurde (VwGH 13.11.1992, 92/17/0251). Davon scheint der Gerichtshof jedoch in dem zitierten Erkenntnis (23.11.2020, Ra 2020/03/0106) abzugehen, indem dieser - auch bei ausdrücklicher Unanwendbarkeit der Verordnungsbestimmung nach Art139 Abs6 zweiter Satz B-VG - die Annahme einer Verwaltungsübertretung beachtet, was für die Zulässigkeit der Amtshandlung ausreicht.

Diesen Gedanken auf den Punkt gebracht bleibt eine Amtshandlung rechtskonform, auch wenn die Rechtsgrundlage, auf die sich die Amtshandlung stützt, im Nachhinein vom Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig oder verfassungswidrig festgestellt oder aufgehoben wird. Es erübrigt sich somit nach dieser Rechtsprechungslinie die Prüfung der Verfassungskonformität eines Gesetzes oder Gesetzeskonformität einer Verordnung, da der einschreitende Organwalter zum Zeitpunkt der Amtshandlung sich mit gutem Grund und somit vertretbar auf diese Rechtsgrundlage stützte, wenn diese zum Zeitpunkt der Amtshandlung in Geltung stand. Dies könnte an der Entscheidungswesentlichkeit zweifeln lassen, da die Frage der Verfassungskonformität eines Gesetzes oder Gesetzeskonformität einer Verordnung für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Auswirkungen hätte.

Im beim Landesverwaltungsgericht Tirol anhängigen Verfahren gingen die Behördenorgane – so ausdrücklich die Beschwerdeführer in ihrer Maßnahmenbeschwerde und die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift – von der Anwendbarkeit der COVID-19-Virusvariantenverordnung und somit von der Rechtmäßigkeit ihres Tuns aus.

3.2.3. Rechtswidrigkeit der Amtshandlung aufgrund rechtswidriger Grundlage

Im Gegensatz zur oben skizzierten Rechtsprechungslinie des Verwaltungsgerichtshofs liegt – nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs – ein Grundrechtseingriff vor, wenn sich die Handlung auf eine dem jeweiligen Grundrecht widersprechende Rechtsvorschrift stützt. So liegt ein verfassungswidriger Eingriff in Art3 EMRK vor, wenn eine Entscheidung in Anwendung eines des Art3 EMRK widersprechenden Gesetzes ergangen ist (VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001). Auch verletzt das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts über die Rechtmäßigkeit einer Festnahme oder Anhaltung einer Person deren Recht auf persönliche Freiheit, wenn es in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere Art1 ff PersFrG und Art5 EMRK widersprechenden Gesetzes erlassen wurde (zB VfSlg 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999, 16.384/2001, 20.119/2016). Eine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit nach Art6 StGG liegt unter anderem vor, wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich die Entscheidung stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist (zB VfSlg 19.515/2011, 19.717/2012, 19.749/2013, 19.798/2013, 19.803/2013). Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens wird wiederum verletzt, wenn die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf einer Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht (VfSlg 20.063/2016). Übereinstimmend liegt eine Verletzung des Rechts auf Versammlungsfreiheit vor, wenn die Entscheidung auf einer Art11 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht (VfSlg 19.818/2013).

Damit verbunden besteht ein Rechtsschutzinteresse Betroffener an der Klärung, ob durch die angefochtene Verordnungsbestimmung bewirkten Eingriffe in ihre (Grund-)Rechtssphäre recht- und letztlich verfassungsmäßig erfolgte (VfGH 14.7.2020, V363/2020, Rz 27).

Auch geht der Verfassungsgerichtshof von einem aus dem Recht auf Versammlungsfreiheit ableitbaren Recht aus, die Untersagung einer Versammlung auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Die Beschwerdelegitimation entfällt somit nicht nach dem Termin der untersagten Versammlung (VfSlg 20.312/2019 mit Hinweis auf 15.170/1998).

Von diesen Rechtsschutzgedanken ist das System der Maßnahmenbeschwerden getragen (VfGH 14.7.2020, V363/2020, Rz 27).

So darf die Möglichkeit der Prüfung der Gesetzes- bzw Verfassungskonformität einer Verordnung, welche Grundlage einer staatlichen Zwangsmaßnahme bildet, durch den Verfassungsgerichtshof nicht obsolet werden oder gar dadurch genommen werden, dass es für die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung ohnehin ausreicht, wenn sich einschreitende Organwalter vertretbar auf diese Rechtsgrundlage gestützt haben.

Die Erklärung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung oder Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führt auch nach dem Legalitätsprinzip (Art18 Abs1 B-VG) zur Rechtswidrigkeit der – darauf gründenden – Amtshandlung.

Abschließend kann – freilich das Recht auf Leben betreffend – bei isolierter Betrachtung der Handlungen der einschreitenden Organwalter keine Verletzung, bei Einbeziehung der Organisation und Kontrolle der Gesamtoperation jedoch sehr wohl eine Verletzung des Grundrechts vorliegen (EGMR 27.9.1995, McCann/UK, 18.984/91, NLMR 1995, 219).

3.2.4. Ergebnis

Die Frage der Gesetzmäßigkeit der COVID-19-Virusvariantenverordnung ist somit entscheidend für die Lösung des gegenständlichen Falles. Würde der Verfassungsgerichtshof die COVID-19-Virusvariantenverordnung für gesetzwidrig erklären, wäre die Amtshandlung rechtswidrig. Die Entscheidungswesentlichkeit der COVID-19-Virusvariantenverordnung für das gegenständliche Verfahren liegt somit nach Ansicht des antragstellenden Gerichts ebenfalls vor."

1.1.2. Das Landesverwaltungsgericht Tirol legt seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[1.] Unzuständigkeit des Bundesministers für Gesundheit

§24 EpiG sieht in der zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung am 10.2.2021 geltenden Fassung BGBI I 2006/114, 'Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften' vor: 'Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrsbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.'

Offenbar auf diese Rechtsgrundlage gestützt (dazu die Präambel/Promulgationsklausel der COVID-19-Virusvariantenverordnung: 'Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 23/2021, wird verordnet.') erließ der Bundesminister für Gesundheit die COVID-19-Virusvariantenverordnung.

Als zuständige Behörde führt §24 EpiG ausdrücklich die Bezirksverwaltungsbehörde an. Zwar sind gemäß §43a Abs1 EpiG (idF BGBl I 2020/104) 'Verordnungen nach dem Epidemiegesetz betreffend COVID-19' vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.

Auf §24 EpiG kann der Bundesminister für Gesundheit die COVID-19-Virusvariantenverordnung jedoch nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol nicht stützen.

Zwar geht auch der Verfassungsgerichtshof von einer 'Verordnungsermächtigung des §24 Epidemiegesetz' aus (VfGH 10.12.2020, V535/2020, Rz 29; ähnlich Hiersche/K. Holzinger/Eibl, Handbuch des Epidemierecht [Stand 13.5.2020] Kap 6.3.1.) und erblickte darin für eine Verordnung 'eine hinreichende Grundlage' (Rz 30).

Bei genauer Betrachtung spricht jedoch §24 EpiG wörtlich von Verfügungen, nicht von Verordnungen.

Auch dem System des Epidemiegesetzes ist eine Unterscheidung zwischen Verordnungen und Verfügungen immanent. So sieht das Epidemiegesetz an zahlreichen Stellen die Möglichkeit vor, etwas 'durch Verordnung' zu regeln (zB §§1 Abs2, 4 Abs15 und 17 und 19, 5 Abs3, 5a Abs8, 5c Abs1, 7 Abs1, 8 Abs5, 12 Abs2, 13 Abs5, 15 Abs9, 20 Abs4, 21 Abs2, 25, 26 Abs1 und 2, 26a Abs4, 28, 32 Abs6). Demgegenüber können zahlreiche Vorkehrungen 'verfügt' werden (zB §§7 Abs1 zur Absonderung Kranker, 10 Abs1 zur Beschränkung der Wasserbenützung, 17 Abs1 zur Überwachung bestimmter Personen, 18 zur Schließung von Lehranstalten sowie 20 Abs1 zu Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen). §7 Abs1 EpiG verdeutlicht das unterschiedliche Begriffsverständnis: 'Durch Verordnung' werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für bestimmte Personen Absonderungsmaßnahmen 'verfügt' werden können. Gemäß – dem für die COVID-19-Virusvariantenverordnung herangezogenen – §24 EpiG können zum Zeitpunkt der Erlassung 'Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften' ausdrücklich 'verfügt' werden. Demgegenüber sieht der darauffolgende §25 'Verkehrsbeschränkungen gegenüber dem Auslande' ausdrücklich 'durch Verordnung' vor. Abschließend unterscheidet auch §40 Abs1 EpiG bei Verwaltungsübertretungen zwischen Verordnungen und Verfügungen. So richtet sich dessen litb ausdrücklich an die aufgrund bestimmter näher bezeichneter Paragrafen 'erlassenen behördlichen' Gebote und Verbote. Dabei ist auch §24 EpiG genannt. Davon unterschiedlich orientiert sich §40 Abs1 litc EpiG an Gebote[n] oder Verbote[n], 'die in den aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen enthalten sind'.

Dies lässt sich auch teleologisch begründen. So sollen – nach strengeren Verpflichtungen zur Dokumentation zu erlassende […] und entsprechend kundzumachende – Verordnungen grundsätzlich allgemeinere Aspekte regeln, während Verfügungen ohne diese Vorgaben und somit schneller zum Einsatz kommen (wie zB bei der Absonderung Kranker nach §7 Abs1 EpiG, Beschränkungen der Wasserbenützung nach §10 Abs1, Überwachung bestimmter Personen nach §17 Abs1 oder die Schließung von Lehranstalten [§18] oder Unternehmen [§20 Abs1]). Letztere erfordern ein schnelles Handeln zur Gewährleistung der 'Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtigen Krankheiten' (wie im zweiten Hauptstück des Epidemiegesetzes vorgesehen). Dies gilt auch für Verkehrsbeschränkungen nach §24 EP[i]G.

Zusammengefasst ermächtigt §24 EpiG ausschließlich zur Erlassung von Verfügungen, nicht jedoch von Verordnungen. §43a Abs1 EpiG (idF BGBI I 2020/104) zur Zuständigkeit des Bundesministers für Gesundheit bezieht sich wörtlich auf 'Verordnungen'. Da §24 EpiG ausschließlich eine Ermächtigung für Verfügungen vorsieht, ist diese nicht gemäß §43a Abs1 EpiG (idF BGBI I 2020/104) auf den Bundesminister für Gesundheit übergegangen. Die Zuständigkeit zur Erlassung von Verfügungen gemäß §24 EpiG bleibt somit einzig bei der darin genannten Bezirksverwaltungsbehörde.

Es kann vor dem Hintergrund des gegenständlichen Antrags dahingestellt bleiben, ob bisher – im Zuge der COVID-19-Pandemie – auf §24 EpiG gestützte Verordnungen von Bezirkshauptmannschaften rechtsgültig ergangen sind. Eine Kompetenz des Bundesministers für Gesundheit auf §24 EpiG gestützte Verordnungen zu erlassen, liegt jedenfalls nach Ansicht des antragstellenden Gerichts nicht vor.

Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht entscheidend, auf welche Rechtsgrundlage eine Verordnung förmlich (zB in ihrer Promulgationsklausel) gestützt wird, sofern eine andere gesetzliche Grundlage herangezogen werden kann (zB VfSlg 2276/1952, 2432/1952, 4375/1963, 9253/1981, 14.938/1997, 16.094/2001, 16.930/2003; zuletzt VfGH 10.12.2020, V535/2020).

Eine andere gesetzliche Grundlage liege jedoch für die COVID-19-Virusvariantenverordnung nicht vor.

§4 Abs1 COVID-19-Maßnahmengesetz scheidet aus. Erstens bezieht sich diese Ermächtigung auf 'das Betreten und das Befahren', nicht auf das 'Überschreiten der Grenzen' wie in §2 COVID-19-Virusvariantenverordnung angeführt. Zweitens kann sich diese Verordnung nicht auf 'bestimmte Orte' iSd §4 Abs1 Z1 COVID-19-Maßnahmengesetz stützen (dazu VfGH 14.7.2020, V363/2020), da das gesamte Bundesland Tirol (freilich abzüglich der Ausnahmen) zu weit ist. Drittens scheidet auch die Bezugnahme auf 'öffentliche Orte in ihrer Gesamtheit' iSd §4 Abs1 Z2 COVID-19-Maßnahmengesetz aus, da nicht öffentliche Orte in ihrer Gesamtheit betroffen sind, sondern nur jene im Bundesland Tirol.

§5 COVID-19-Maßnahmengesetz normiert das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken und kann deshalb ebenfalls nicht für die COVID-19-Virusvariantenverordnung als Grundlage dienen.

Zusammengefasst ist somit nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Tirol der Bundesminister für Gesundheit zur Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung unzuständig.

Sollte der Verfassungsgerichtshof jedoch zum Ergebnis kommen, §§24 iVm §43a Abs1 EpiG sehen eine Verordnungsermächtigung des Bundesministers für Gesundheit vor, werden nunmehr weitere Argumente für die Gesetz- und Verfassungswidrigkeit der COVID-19-Virusvariantenverordnung ausgeführt.

[2.] Umfang der Ermächtigung gemäß §24 EpiG

Art18 Abs2 B-VG erlaubt die Erlassung von Verordnungen nur 'aufgrund der Gesetze'. Eine Verordnung darf somit bloß präzisieren, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (zB VfSlg 11.639/1988 mwN sowie 14.895/1997). Geht die Verordnung über den gesetzlich vorgesehenen Rahmen heraus, ist sie gesetzwidrig (so zB VfGH 10.12.2020, V535/2020).

Der Titel des §24 EpiG sah – in der zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung geltenden Fassung – ausdrücklich Verkehrsbeschränkungen für Bewohner bestimmter Ortschaften vor.

Schon in der ursprünglichen Fassung des §24 des Gesetzes vom 14.4.1913 betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (RGBI 1913/67) war – unter der identen Überschrift (Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften) – von 'Einschränkung des Verkehrs für die Bewohner verseuchter Ortschaften oder vorübergehender Niederlassungen' (Abs1) und 'Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Ortschaften und Niederlassungen von außen' (Abs2) die Rede. Allerdings beschränkte sich diese Ermächtigung auf das Auftreten von 'Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera oder Pest'.

Nach dem damals herrschenden Begriffsverständnis sind mit Ortschaften kleinere Einheiten als Gemeinden gemeint. So findet sich der Begriff Ortschaften auch in Art27 des Staatsvertrags von St. Germain, StGB 1920/303, der Österreichs Grenzen bestimmt. Darin ist von den 'Ortschaften Winnbach und Arnbach' die Rede. Winn(e)bach ist Teil der Südtiroler Gemeinde Innichen, Arnbach gehört zur Osttiroler Gemeinde Sillian.

Nach der Wiederverlautbarung als Epidemiegesetz (BGBI 1950/186) erhielt §24 durch BGBI I 2006/114 die zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung geltende Fassung. Die Vorgängerregelung stellte – ähnlich wie andere Ermächtigungen – 'auf das Auftreten bestimmter taxativ aufgezählter Krankheiten ab', was 'jedoch im Hinblick darauf, dass auch beim Auftreten dort nicht genannter Krankheiten derartige Verbote fachlich notwendig sein können', als zu eng erschien (IA 822/A 22. GP, 3). Derartige Maßnahmen könnten – so die Materialien weiter – 'auch im Falle einer Influenza-Pandemie erforderlich sein' (IA 822/A 22. GP, 3). Auch wenn nunmehr in §24 nicht mehr von 'Ortschaften', sondern von 'Epidemiegebieten' die Rede ist, bezieht sich die Verordnungsermächtigung – nicht zuletzt aufgrund der bis zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung gleich gebliebenen Überschrift – auf 'Ortschaften'. Somit kann auch das oben beschriebene gleiche Begriffsverständnis von Ortschaften wie zum Zeitpunkt der erstmaligen Erlassung des §24 EpiG angelegt werden.

Hinsichtlich der Auslegung des Begriffs 'bestimmte' ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14.7.2020, V363/2020, zur Interpretation von 'bestimmten Orten' im Sinne des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz zu verweisen. Trotz der Unterschiede der Begriffe 'Ortschaften' und 'Orte' sind an den Zusatz 'bestimmte' dieselben Anforderungen zu stellen. So kann der Verordnungsgeber diese Ortschaften 'konkret oder abstrakt' (VfGH 14.7.2020, V363/2020, Rz 56) bzw 'abstrakt, etwa durch ihren Verwendungszweck, oder örtlich' (Rz 67) umschreiben.

Der örtliche Anwendungsbereich nach §1 COVID-19-Virusvariantenverordnung ('Bundesland Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rießtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee') entspricht diesen Anforderungen nicht. Zum einen wurde keine der betroffenen 'Ortschaften', nicht einmal die Gemeinden, namentlich genannt. Zum anderen kann die Ermächtigung für 'Verkehrsbeschränkungen für Bewohner bestimmter Ortschaften' nicht für alle im Bundesland Tirol befindlichen Ortschaften (freilich abzüglich der Ausnahmen) herangezogen werden. Auch wenn sämtliche betroffene Ortschaften namentlich angeführt und somit 'bestimmt' gewesen wären, würde das die Verordnungsermächtigung nach §24 EpiG übersteigen.

Erst nach Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung wurde die Überschrift des §24 EpiG mit 27.2.2021 auf 'Verkehrsbeschränkungen für Personen, die sich in Epidemiegebieten aufhalten' geändert (BGBI I 2021/33). Ebenso fand die gegenständlich vom Landesverwaltungsgericht Tirol zu prüfende Maßnahme vorher statt. Deshalb bleibt die zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung geltende Überschrift ('Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften') relevant. Die danach erfolgte Änderung deutet hingegen darauf hin, der Gesetzgeber wollte dem Verordnung

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten