TE Vwgh Beschluss 2021/8/11 Ra 2020/18/0309

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Veröffentlicht am 11.08.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache der E O, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2019, I403 2221563-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Nigerias, stellte am 13. Juni 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Als Fluchtgrund brachte sie zusammengefasst vor, vor ihrem Onkel aus dem Heimatdorf geflüchtet, darauf Opfer von Menschenhandel geworden und zur Prostitution gezwungen worden zu sein.

2        Mit Bescheid vom 14. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 16. Juli 2019 wies das BFA die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin ab.

4        Nach rechtzeitiger Erhebung eines Vorlageantrages wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 9. Juni 2020, E 4469/2019-9, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        Die nunmehr vorliegende außerordentliche Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit eine Verletzung der Begründungspflicht geltend, wendet sich gegen die Beweiswürdigung und bringt vor, das BVwG habe sich inhaltlich nicht hinreichend mit der Stellungnahme der LEFÖ-IBF (Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels) vom 17. Oktober 2019 auseinandergesetzt und keine entsprechenden Feststellungen zu den relevanten Faktoren für die Beurteilung der Gefahr eines „Re-Trafficking“ getroffen. Zudem würden nachvollziehbare Feststellungen zu den Behandlungsmöglichkeiten der Panikattacken der Revisionswerberin in Nigeria fehlen und das BVwG habe sich mit der psychotherapeutischen Behandlung der Revisionswerberin im Rahmen der Rückkehrentscheidung nicht auseinandergesetzt. Es fehle hinreichende Rechtsprechung zur Frage, ob auch die Aufrechterhaltung einer psychotherapeutischen Behandlung relevant im Zusammenhang mit der (Un)zulässigkeit einer Abschiebung sei.

7        Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Werden Verfahrensmängel - wie hier Feststellungs- und Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Revisionswerberin günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 11.5.2021, Ra 2021/14/0057, mwN). Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarlegung lässt die Revision hinsichtlich der bemängelten Feststellungen vermissen.

12       Das BVwG legte seiner Entscheidung zur Frage, ob die Revisionswerberin bei einer Rückkehr nach Nigeria der Gefahr einer (erneuten) Verfolgung durch die Menschenhändler ausgesetzt sei, zugrunde, dass die Revisionswerberin über eine 12 Jahre dauernde Schulbildung sowie über Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft, in einer Bäckerei sowie bei einem Innendesigner verfüge. Sie habe Kontakt zu ihrer Mutter sowie über ein soziales Netzwerk auch zu zahlreichen in Nigeria ansässigen Freunden. Des Weiteren lebe ihr Bruder ebenso wie weitere Verwandte im Heimatort und eine Tante in Abuja. Sie stehe in psychotherapeutischer Behandlung, habe in dieser Behandlung Techniken zur Bewältigung ihrer Panikattacken vermittelt bekommen und benötige keine Medikamente. Weiters traf das BVwG Feststellungen zum Menschenhandel in Nigeria, zu Profilen der Opfer von Menschenhandel, zu Methoden und Netzwerken der Menschenhändler, zu staatlichem Schutz und Gefahren für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria und zu den Unterstützungsmöglichkeiten durch staatliche Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen sowie zur allgemeinen Lage in Nigeria, unter anderem zur Situation von Frauen, zur Rückkehrsituation von alleinstehenden Frauen und zur Versorgungslage sowie zur medizinischen Versorgung.

13       In seiner Beweiswürdigung hielt das BVwG unter anderem fest, dass ausgehend vom Vorbringen der Revisionswerberin zur Rekrutierung auf den Straßen Abujas keine Nahebeziehung zwischen den Menschenhändlern und der Familie der Revisionswerberin bestehe. Die Revisionswerberin sei nicht zur Prostitution gezwungen worden, jedoch auf ihrem Weg nach Europa Opfer sexueller Gewalt geworden. Eine Verfolgung aus diesem Grund sei in Nigeria nicht zu befürchten. Nicht jedes Opfer von Frauenhandel, das nach Nigeria zurückkehre, sei automatisch einer Verfolgung durch die Menschenhändler bzw. der Gefahr eines „Re-Traffickings“ ausgesetzt, dies hänge vielmehr von individuellen Umständen ab. Dass die Menschenhändler die Revisionswerberin aufgrund ihrer rituellen Verletzungen überall finden würden, sei nicht glaubhaft, zudem gehe aus einer Stellungnahme der LEFÖ-IBF Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels vom 17. Oktober 2019 hervor, es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass die Revisionswerberin von den Tätern, die sie nach Libyen verbracht hätten, erneut unter Druck gesetzt würde. Eine Bedrohung durch das Menschenhandelsnetzwerk sei auch daher nicht gegeben. Auch gehe aus dieser Stellungnahme hervor, dass die beratende Organisation von einem vom BVwG nicht als glaubhaft befundenen Sachverhalt ausgehe, zumal die Revisionswerberin im dortigen Beratungsgespräch angegeben habe, keine Kontakte in Nigeria zu haben und in Nigeria durch falsche Versprechungen nach Europa gelockt worden zu sein. Im Asylverfahren habe die Revisionswerberin im Widerspruch dazu angegeben, nicht gewusst zu haben, dass ihre Ausreise geplant sei. Im Verfahren habe sich die Revisionswerberin hinsichtlich des Kontaktes mit ihrer Mutter in Widersprüche verstrickt, im Rahmen des „Family Tracing“ völlig andere Angaben zur Familie gemacht als im Asylverfahren und es sei hervorgekommen, dass sie im Rahmen eines sozialen Netzwerkes Kontakt mit über 500 Freunden - großteils in Nigeria - habe. Aus all dem ergebe sich, dass die Revisionswerberin somit über ein familiäres und soziales Netzwerk in Nigeria verfüge, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass sie im Fall einer Rückkehr - auch unter Einbeziehung ihrer psychischen Gesundheit - in eine derartige Notlage geraten würde, wodurch sie gewissermaßen gezwungen wäre, sich wieder unter den Einfluss von Menschenhändlern zu begeben.

14       Das BVwG setzte sich somit - entgegen dem Revisionsvorbringen - auch mit der Stellungnahme der LEFÖ-IBF Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels vom 17. Oktober 2019 und der darin getroffenen Gefährdungsanalyse auseinander und legte, basierend auf seiner Beweiswürdigung, insbesondere dar, warum eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr der Revisionswerberin nicht vorliege. Eine Unvertretbarkeit dieser Erwägungen (zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vgl. etwa VwGH 11.3.2021, Ra 2021/18/0059) wird von der Revision nicht dargetan.

15       Soweit die Revision einen Ermittlungsmangel des BVwG im Hinblick auf die Behandelbarkeit der Posttraumatischen Belastungsstörung der Revisionswerberin, die sich in Form von Panikattacken äußere, rügt, ist Folgendes festzuhalten:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist (vgl. VwGH 21.2.2017, Ra 2017/18/0008). Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 26.1.2021, Ra 2020/14/0587, mwN; VwGH 23.9.2020, Ra 2020/01/0146, jeweils mit Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183 und 189 ff). Fallbezogen ist festzuhalten, dass sich das BVwG mit dem gesundheitlichen Zustand der Revisionswerberin und ihren Angaben dazu, wonach die Revisionswerberin an Panikattacken leide, keine Medikamente benötige und mittlerweile in der Psychotherapie Techniken zur Bewältigung der Panikattacken gelernt habe, auseinandergesetzt und die grundsätzliche Behandelbarkeit von posttraumatischen Belastungsstörungen in Nigeria ermittelt und festgestellt hat. Dem hält die Revision über ihr pauschales Vorbringen hinaus nichts entgegen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das BVwG die reale Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte der Revisionswerberin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria vor diesem Hintergrund verneinte, ohne dass auf die strittige Frage der Fortsetzung der Psychotherapie in Nigeria näher eingegangen werden müsste.

16       Soweit sich die Revision unter dem Aspekt der Behandlungsnotwendigkeit gegen die Rückkehrentscheidung und die dabei vorgenommene Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK wendet, ist festzuhalten, dass diese nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 12.5.2021, Ra 2020/18/0260, mwN).

17       Das BVwG führte im Rahmen der Rückkehrentscheidung an, dass die Revisionswerberin sich seit 2017 in Österreich aufhalte, kein Familienleben in Österreich habe, aber einen Freund, der auch nach dem Asylgesetz 2005 aufenthaltsberechtigt sei und mit dem kein gemeinsamer Wohnsitz bestehe. Die Revisionswerberin habe begonnen, Deutsch zu lernen, eine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung liege nicht vor. Das BVwG verkenne nicht, dass eine Rückkehr die Revisionswerberin in Stress versetzen könne, jedoch sei eine unmittelbare Eigen- oder Fremdgefährdung nicht hervorgekommen und auch nicht behauptet worden. Die Revisionswerberin bedürfe keiner medikamentösen Unterstützung, ein Abbruch einer derartigen Behandlung sei nicht zu gewärtigen. Die Revisionswerberin verfüge in Nigeria über ein familiäres und soziales Netzwerk, von dem sie bei einer Rückkehr Unterstützung erfahren werde. Auch aus diesem Blickwinkel würde das private Interesse der Revisionswerberin an einem Verbleib in Österreich nicht das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen überwiegen. Die Revision vermag vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts nicht darzulegen, dass das BVwG bei seiner Interessenabwägung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen wäre.

18       Mit Schreiben vom 9. August 2021 wurde eine Heiratsurkunde vom 22. Juli 2021 vorgelegt. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hatte (vgl. VwGH 5.10.2020, Ra 2020/20/0329, mwN).

19       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 11. August 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180309.L00

Im RIS seit

01.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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