TE Vwgh Erkenntnis 2021/7/29 Ra 2021/05/0096

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Veröffentlicht am 29.07.2021
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ABGB §1332
AVG §71
VwGVG 2014 §33

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag. Rehak sowie Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der E in W, vertreten durch die PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Julius Raab-Platz 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 8. März 2021, LVwG-AV-367/001-2021, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. Finanzamt für Großbetriebe in 1030 Wien, Radetzkystraße 2 und 2. Österreichischer Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen-Revisionsverband in 1010 Wien, Bösendorferstaße 7/II), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27. November 2020 wurde infolge der Entziehung des Gemeinnützigkeitsstatus der revisionswerbenden Partei eine endgültige Geldleistung in Höhe von € 52.581.988,60 festgelegt. Dieser Bescheid wurde der revisionswerbenden Partei am 1. Dezember 2020 zugestellt. Eine dagegen erhobene Beschwerde, welche am 30. Dezember 2020 um 00.00.25 Uhr als E-Mail bei der belangten Behörde einlangte, wurde zunächst mittels Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 8. Jänner 2021 und in der Folge mittels Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) vom 25. Februar 2021 als verspätet zurückgewiesen.

2        Am 12. Jänner 2021 beantragte die revisionswerbende Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Begründend führte sie aus, die Beschwerde sei von der Kanzlei ihres Vertreters am 29. Dezember 2020 fertiggestellt und diesem zur Korrektur vorgelegt worden. Der Vertreter habe die erforderlichen Korrekturen vorgenommen und sei bei einer nochmaligen Kontrolle infolge Übermüdung eingeschlafen. Als er gegen 23.30 Uhr wieder erwacht sei, habe er den Schriftsatz finalisiert und mittels bereits vorbereiteter E-Mail an die belangte Behörde übermittelt. Unmittelbar darauf habe er eine Fehlermeldung erhalten, welcher zu entnehmen gewesen sei, dass auf Grund des Fehlens eines Punktes zwischen zwei Adressteilen die Zustellung nicht möglich gewesen sei. Daraufhin habe der Vertreter die E-Mail sofort neuerlich mit korrekter Adresse versandt. Der Ausdruck dieser Nachricht weise das Datum 30. Dezember 2020 und die Uhrzeit 00.00 auf, was dem 29. Dezember 2020, 24.00 Uhr entspreche. Die vom Vertreter verwendete Outlook-Version sehe keine Angaben von Sekunden vor. Selbst wenn man von einem verspäteten Eingang der Beschwerde ausginge, sei die revisionswerbende Partei durch ein für sie unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Einbringung der Beschwerde gehindert gewesen, an welchem sie kein Verschulden treffe, da sie auf die fristgerechte Erledigung des Auftrags durch ihren Vertreter habe vertrauen dürfen. Diesem wiederum sei kein den Grad eines minderen Versehens überschreitendes Verschulden vorzuwerfen.

3        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20. Jänner 2021 wurde dieser Antrag abgewiesen. In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde brachte die revisionswerbende Partei präzisierend im Wesentlichen vor, der Grund für die verspätete Einbringung liege entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht darin, dass ihr Vertreter eingeschlafen sei, da auch nach dessen Erwachen noch eine fristgerechte Übermittlung möglich gewesen wäre. Die Verspätung beruhe vielmehr auf einem Verschreiben bei der E-Mail-Adresse im Rahmen der ersten Versendung der Beschwerde. Den Vertreter treffe daran kein den Grad der leichten Fahrlässigkeit übersteigendes Verschulden, zumal dieser es seit vielen Jahren gewohnt sei, auch spätabends sorgfältig zu arbeiten.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Partei mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Rechtsgrundlage im Spruch des angefochtenen Bescheides „§ 33 Abs. 1 VwGG“ zu lauten habe. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und von hg. Judikatur im Wesentlichen aus, wenn sich ein Einschreiter durch eine „weitestgehende Annäherung an das Fristende gleichsam sehenden Auges und ohne erkennbaren Grund der Gefahr einer Verfristung aus[setze]“, könne im Fall einer tatsächlich eintretenden Verfristung von einem minderen Grad des Versehens keine Rede mehr sein. Dies sei vorliegend der Fall: Schenke man den Ausführungen des Vertreters Glauben, sei die Beschwerde im Zeitpunkt des Wiedererwachens um 23.30 Uhr inhaltlich fertiggestellt gewesen. Es sei schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass die Vornahme von zwei (zudem für den Erfolg eines Rechtsmittels irrelevanten) Formatierungen, welche nach den Angaben des Vertreters noch zu erledigen gewesen seien, noch 25 Minuten in Anspruch genommen hätte. Dem Vertreter wäre es somit möglich gewesen, die Beschwerde deutlich früher zu versenden. Selbst wenn man von der - nicht behaupteten - Notwendigkeit inhaltlicher Korrekturen bis etwa 23.35 Uhr und einer erstmaligen Versendungsmöglichkeit um 23.57 Uhr ausginge, wäre es dem Vertreter bei gehöriger Sorgfalt möglich gewesen, in Reaktion auf die Fehlermeldung durch sofortige Neuversendung die Frist zu wahren. Vor allem wäre es ihm möglich und zumutbar gewesen, die folgenden Sekunden nach der ersten Versendung den Bildschirm im Auge zu behalten, um auf Fehlermeldungen sofort reagieren zu können, zumal keine akustische Verständigung über eingehende Nachrichten vorgesehen gewesen sei. Indem sich der Vertreter auf die fehlerfreie Übermittlung verlassen und unmittelbar nach der Versendung vom Bildschirm abgewandt habe, um eine neue Tätigkeit zu übernehmen, habe er sich vor dem Hintergrund der Fehleranfälligkeit der gewählten Übermittlungsart grob fahrlässig verhalten. Selbst wenn man dem Vorbringen folgend von einer Kenntnisnahme der Fehlermeldung rund eine Minute nach dem Einlangen und einer sofortigen Behebung ausginge, wäre eine fristgerechte Übermittlung möglich gewesen.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit den Anträgen, in der Sache selbst zu entscheiden, in eventu das angefochtene Erkenntnis kostenpflichtig aufzuheben.

7        Die belangte Behörde und die zweitmitbeteiligte Partei erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig zurück-, in eventu abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision erweist sich angesichts des vorgebrachten Abweichens von der hg. Rechtsprechung zu Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und zur Begründungspflicht als zulässig.

9        In der Revision wird dazu im Wesentlichen vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe seine Begründungspflicht verletzt. Es habe die Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes gänzlich unterlassen und auf einen für das Fristversäumnis nicht kausalen, diesem zeitlich vorgelagerten, Zeitpunkt abgestellt. Feststellungen zum kausalen Ereignis des Verschreibens und infolgedessen eine Auseinandersetzung mit der relevanten rechtlichen Frage fehlten. Die Argumentation, dem Vertreter wäre es möglich und zumutbar gewesen, in den Sekunden nach der ersten Versendung den Bildschirm im Auge zu behalten, um sofort auf allfällige Fehlermeldungen reagieren zu können, sowie die Annahme, es wäre bei gehöriger Sorgfalt bzw. bei Erkennen der Fehlermeldung rund eine Minute nach deren Einlagen jedenfalls möglich gewesen, die Frist durch sofortiges Neuversenden zu wahren, sei nicht schlüssig begründet. Zum einen sei nämlich weder erhoben noch festgestellt worden, wann die Fehlermeldung am Bildschirm des Vertreters aufgeschienen sei, zum anderen habe der Vertreter genau das geforderte Verhalten - nämlich das sofortige Neuversenden - tatsächlich gesetzt. Die implizite Annahme, der Vertreter hätte rechtzeitig reagieren können sei (aus näher genannten Gründen) unschlüssig, unbegründet und könne basierend auf der Begründung des Verwaltungsgerichtes nicht nachvollzogen werden. Auch die Annahme, der Vertreter habe sich auf die fehlerfreie Übermittlung verlassen, sei unbegründet und widerspreche dem tatsächlich Geschehenen. Dem Vertreter sei lediglich ein minderer Grad des Versehens unterlaufen. Zudem habe das Verwaltungsgericht mit seiner Ansicht, das Ausnutzen der Rechtsmittelfrist „bis zur letzten Minute“ stelle per se eine über einen minderen Grad des Versehens hinausgehende Sorglosigkeit dar, die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verkannt. Aus dieser ergebe sich, dass die Rechtsmittelfrist uneingeschränkt bis zum letzten Augenblick ausgenützt werden dürfe und auch ein am letzten Tag der Frist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis das Recht auf Wiedereinsetzung begründe. Zwar habe das Verwaltungsgericht teils die einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wiedergegeben, die erforderliche Subsumtion fehle jedoch großteils. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass auch einem überaus sorgfältigen Menschen gelegentlich ein Schreibfehler unterlaufen könne und im konkreten Fall ein minderer Grad des Versehens vorliege, zumal sich der Vertreter nicht auf die Übermittlung verlassen, sondern diese durch einen Blick auf den Bildschirm überprüft habe.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.

10       Zunächst ist festzuhalten, dass bei Versäumen der Beschwerdefrist § 33 VwGVG (und nicht die §§ 71, 72 AVG) als maßgebliche Bestimmung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzuwenden ist, weil es sich dabei um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt. Auf diese Bestimmung kann die zu § 71 AVG ergangene hg. Judikatur im Hinblick darauf, dass diese Gesetzesbestimmung im Wesentlichen inhaltlich § 33 VwGVG entspricht, übertragen werden (vgl. etwa VwGH 30.3.2020, Ra 2019/05/0076, mwN).

11       § 33 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, lautet auszugsweise:

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

... “

12       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrendes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. VwGH 23.6.2008, 2008/05/0122, mwN).

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies bereits festgehalten, dass auch ein erst am letzten Tag der Frist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis das Recht auf Wiedereinsetzung begründen kann, weil der Partei die Rechtsmittelfrist uneingeschränkt bis zum letzten Augenblick zur Verfügung steht (vgl. VwGH 30.4.2013, 2012/05/0090 und 0091, mwN).

14       Mit der Argumentation, dem Vertreter der revisionswerbenden Partei wäre es möglich gewesen, die Beschwerde früher abzusenden, verkennt das Verwaltungsgericht, dass der Partei die Rechtsmittelfrist uneingeschränkt zur Verfügung steht und das Ausnutzen der Frist somit nicht als ein die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden gewertet werden kann. Dem steht auch der im angefochtenen Erkenntnis zitierte Beschluss VwGH 13.11.2017, Ra 2017/01/0041, nicht entgegen, da im dortigen Fall ein den Grad des minderen Versehens übersteigendes Verschulden mangels Kontrolle der fristgebundenen Eingabe bejaht worden war. Dass fallbezogen eine erforderliche Kontrolle unterlassen worden wäre, ergibt sich aber aus den Feststellungen gerade nicht. Dem angefochtenen Erkenntnis ist vielmehr zu entnehmen, dass die Fehlermeldung in einem engen zeitlichen Nahebereich zum (fristgerechten) ersten, gescheiterten Übermittlungsversuch vom Vertreter registriert und umgehend ein neuer Übermittlungsversuch unternommen wurde.

15       Wann die Fehlermeldung dem Vertreter genau zugegangen ist und wann dieser die nachfolgende, letztlich erfolgreiche aber verspätete Übermittlung vorgenommen hat, ist mangels diesbezüglicher Feststellungen nicht ersichtlich. Die Ansicht, die Beschwerdefrist hätte durch eine sofortige Reaktion auf die Fehlermeldung gewahrt werden können, ist - wie die Revision zutreffend moniert - in Ermangelung einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung und darauf aufbauenden Feststellungen einer Überprüfung nicht zugänglich (vgl. zu den Anforderungen an die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2018/05/0015, mwN).

Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16       Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

17       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. I Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 29. Juli 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021050096.L01

Im RIS seit

20.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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