TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/7 E2797/2020

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Veröffentlicht am 07.06.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
VwGVG §29 Abs2
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks mangels Angabe der wesentlichen Entscheidungsgründe in der Niederschrift zur mündlichen Verkündung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, stammt aus Bagdad und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stellte nach Einreise ins Bundesgebiet am 22. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er dahingehend begründete, er sei nach seiner Weigerung, mit einer schiitischen Miliz zusammenzuarbeiten, von dieser Gruppierung mit dem Tod bedroht und sodann auch mit einem Auto angefahren worden. Aus Angst um sein Leben habe der Beschwerdeführer daraufhin den Irak verlassen.

2. Mit Bescheid vom 29. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak als unbegründet ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit am 28. Mai 2020 mündlich verkündetem und am 24. Juni 2020 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis ab. Als "Begründung" hielt das Bundesverwaltungsgericht in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2020 Folgendes fest:

"Es konnte vom BF kein asylrelevantes Fluchtvorbringen dargelegt werde. Eine systematisches Verfolgung Homosexueller ist im Irak nicht gegeben. Außergewöhnliche Integrationsbemühungen, die eine Rückkehrentscheidung unzulässig machen würden, haben sich nicht ergeben. Die Beschwerde war daher abzuweisen."

4. Mit Schreiben vom 4. Juni 2020 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

In der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses vom 24. Juni 2020 führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen begründend aus, der Beschwerdeführer habe das fluchtrelevante Vorbringen für das erkennende Gericht widersprüchlich und in wesentlichen Punkten nicht nachvollziehbar geschildert; eine wohlbegründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung habe der Beschwerdeführer sohin nicht glaubhaft machen können. Anhaltspunkte für eine reale Gefahr einer Verletzung in den gemäß Art2 und 3 EMRK sowie 6. und 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechten seien nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer sei ein volljähriger, gesunder und arbeitsfähiger Mann und sei bereits in der Lage gewesen, im Herkunftsstaat durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das Asylverfahren habe keine fünf Jahre gedauert, weswegen außergewöhnliche Integrationsbemühungen erforderlich seien, um eine Rückkehrentscheidung unzulässig zu machen. Solche seien beim Beschwerdeführer aber nicht erkennbar. Er beherrsche die deutsche Sprache auf dem Niveau A2 und sei in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht, doch habe er bisher keinerlei nennenswerte erwerbsmäßige oder freiwillige Tätigkeiten verrichtet und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Er lebe in keiner Beziehung und sei für niemanden sorgepflichtig. Strafgerichtlich sei er zwar unbescholten, doch sei er in den Jahren 2018 und 2019 zu später Stunde alkoholisiert in Vorfälle im Zusammenhang mit einer gefährlichen Drohung und einer versuchten Körperverletzung verwickelt gewesen. Insgesamt könne daher nicht von einer außergewöhnlichen Integration des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen überwiege daher das private Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

4. Ein mündlich verkündetes Erkenntnis, dessen wesentliche Begründung nicht aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung hervorgeht, ist mangels Gelegenheit zur nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof schon aus diesem Grund mit Willkür belastet (vgl VfSlg 20.267/2018); dies trotz Vorliegens der schriftlichen Ausfertigung dann, wenn das mündlich verkündete Erkenntnis überhaupt nicht begründet ist (vgl VfSlg 20.360/2019; VfGH 26.6.2020, E902/2020; 9.12.2020, E2750/2020).

5. Das Bundesverwaltungsgericht hält in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung unter der Überschrift "Begründung" lediglich fest, dass der Beschwerdeführer kein asylrelevantes Fluchtvorbringen dargelegt habe und dass eine systematische Verfolgung Homosexueller im Irak nicht gegeben sei. Ferner hätten sich keine außergewöhnlichen Integrationsbemühungen ergeben, die eine Rückkehrentscheidung unzulässig machen würden.

6. Damit ist es dem Bundesverwaltungsgericht aber nicht gelungen, das Mindestmaß einer für die nachprüfende Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof erforderlichen Begründung zu erreichen, trifft es doch in Hinblick auf den Asylstatus bloß pauschale Aussagen ohne jedwede Individualisierung in Bezug auf den Beschwerdefall; mangels Begründungswert kommen diese sohin einer Nichtbegründung gleich. Eine Begründung betreffend den Status des subsidiär Schutzberechtigten unter Berücksichtigung von Art2 und 3 EMRK fehlt gänzlich. Auch die Ausführungen zu der Rückkehrentscheidung (Art8 EMRK) sind ob ihrer Allgemeinheit ohne Begründungswert. Eine solche "Begründung" widerspricht sowohl den Anforderungen des §29 Abs2 VwGVG als auch den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen, womit das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet wird.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2797.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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