TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/25 E3260/2020

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Veröffentlicht am 25.06.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen von Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya; mangelhafte Auseinandersetzung mit den Länderfeststellungen zur Situation von Angehörigen dieser Volksgruppe in Bangladesch

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der 1997 geborene Beschwerdeführer, ein Angehöriger moslemischen Glaubens und der Volksgruppe der Rohingya zugehörig, ist im Jahr 2003 mit seinem Vater nach Bangladesch ausgereist und hat dort bis Anfang 2019, zunächst in einem Flüchtlingscamp, ab 2005 in Gazipur, Dhaka gelebt. Am 12. September 2019 stellte der (mittlerweile volljährige) Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 4. Mai 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Bangladesch ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17. August 2020 als unbegründet ab. Zunächst trifft das Bundesverwaltungsgericht unter anderem folgende Feststellungen (ohne die Hervorhebungen im Original):

"II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist im Jahr 2003 von Myanmar mit seinem Vater nach Bangladesch geflüchtet. Das BVwG geht davon aus, dass der BF der Volksgruppe der Rohingya angehört, zumindest kann er sich in dieser Sprache auch ausdrücken. Der BF hat moslemischen Glauben.

[…]

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Festgestellt wird, dass der BF als Rohingya seit 2003 bis Anfang 2019 in Bangladesch lebte und im September 2019 in das Bundesgebiet gelangt.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet als Rohingya in Bangladesch nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden.

[…]

Nicht festgestellt werden kann eine konkrete persönliche Verfolgung des BF in Bangladesch. Der BF hat in seinem Herkunftsstaat keine gegen seine Person gerichtete konkrete persönliche Verfolgung, sondern immer lediglich die allgemeine Situation der Menschen, welche als Rohingya in Bangladesch leben, dargelegt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF von bengalischen Behörden gesucht wird beziehungsweise dass ein aufrechter Haftbefehl gegen ihn besteht; dies wurde auch vom BF nicht behauptet.

Es wird festgestellt, dass im Falle einer Rückkehr der BF keiner unmittelbaren staatlichen Bedrohung ausgesetzt ist."

3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses sowie Kostenersatz beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe zur maßgeblichen Frage der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers die erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, das Parteivorbringen ignoriert und sei leichtfertig vom Inhalt der Akten abgegangen. Daher sei das Erkenntnis mit Willkür behaftet.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zunächst fest, dass der Beschwerdeführer "der Volksgruppe der Rohingya angehört" und "als Rohingya seit 2003 bis Anfang 2019 in Bangladesch lebte". Weiters stellt das Bundesverwaltungsgericht fest (sic), "dass der BF behauptet als Rohingya in Bangladesch nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden."

Nicht feststellen kann das Bundesverwaltungsgericht "eine konkrete persönliche Verfolgung des BF in Bangladesch. Der BF hat in seinem Herkunftsstaat keine gegen seine Person gerichtete konkrete persönliche Verfolgung, sondern immer lediglich die allgemeine Situation der Menschen, welche als Rohingya in Bangladesch leben, dargelegt."

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht gibt in seinem Erkenntnis folgende Länderfeststellungen wieder:

"In Bangladesch halten sich bis zu einer Million Flüchtlinge aus der Volksgruppe der Rohingya auf […]. Etwa 270.000 von ihnen leben in den Dörfern und Städten um Cox’s Bazar, seit sie ab den 1990er Jahren aus Myanmar geflüchtet sind […]. Die Regierung gewährt den Rohingya u. a. mangels Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention kein Asyl und stuft sie als illegale Wirtschaftsflüchtlinge ein […]. Von ihnen leben 33.000 in den zwei offiziellen Flüchtlingslagern Kutupalong und Nqayapara als registrierte, offizielle Flüchtlinge. Zusätzlich befanden sich bereits vor der Flüchtlingswelle 2017 mindestens 200.000 in den Dörfern und Städten um Cox’s Bazar, denen die Regierung - u. a. mangels Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention - kein Asyl gewährt, und die daher als illegale Wirtschaftsflüchtlinge gelten. 63.000 leben bei Gastfamilien […]. Die überwiegende Mehrheit der Rohingya verfügt über keinen offiziellen Flüchtlingsstatus und leidet unter einem völligen Mangel an Zugang zu medizinischer Versorgung, Beschäftigung und Bildung und ist erheblichen Schikanen ausgesetzt […]. 2017 setzte eine neue Flüchtlingswelle der Rohingya-Minderheit von Myanmar Richtung Bangladesch ein […], die mit ca 700.000 Ankünften bis zum Jahresende 2017 eine humanitäre Krise auslöste […]. Die Regierung Bangladeschs will eine dauerhafte Ansiedlung vermeiden […]. Die Bedingungen in den Lagern verschlechterten sich, als die Regierung den Druck auf die Flüchtlinge erhöhte, nach Myanmar zurückzukehren. Im August 2019 begann Bangladesch zum zweiten Mal damit, Rückführungen von Flüchtlingen nach Myanmar einzuleiten. Dies wurde von den Flüchtlingen aus Sorge darüber, dass sie in Myanmar der gleichen Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt sein würden, abgelehnt […]. Aufgrund der bestehenden Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gegen Rohingyas in Myanmar war eine sichere und freiwillige Rückkehr in ihr Herkunftsland bisher nicht möglich […]. Dennoch beharrt die Regierung von Bangladesch weiterhin darauf, dass die Lager nur vorübergehend seien und behinderte Verbesserungen der Infrastruktur, insbesondere in Bezug auf Unterkünfte und Bildung. Auch wurde der Zugang zu Internet und Online-Kommunikation für die Flüchtlinge in den Lagern eingeschränkt. Darüber hinaus wurde mit dem Bau von Zäunen um die Flüchtlingslager in Cox's Bazar begonnen. Diese Maßnahme, welche mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit des Lagers begründet wird, verstößt gegen die internationalen Menschenrechtsvorschriften […]. Die Grundversorgung wird durch die bangladeschische Regierung sowie von UN-Organisationen und NGOs gesichert […].

Die Regierung Bangladeschs drohte wiederholt damit, die Flüchtlinge auf die Insel Bhasan Char umzusiedeln, obwohl die Bewohnbarkeit der Insel ernsthaft infrage gestellt wurde […]."

2.3. Vor diesem Hintergrund verneint das Bundesverwaltungsgericht in der Folge die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen damit, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann handelt, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Beschwerdeführer sei in Bangladesch aufgewachsen, habe die überwiegende Zeit seines Lebens dort verbracht und habe, nachdem er bei seinem Vater das Tischlerhandwerk gelernt habe, dieses auch ausgeübt.

Zur Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich diese zwar in wesentlichen Bereichen als problematisch darstelle, es könne aber "nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis, grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen [...] herrschen würde, und praktisch, jeder, der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält, schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter §8 Abs1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen zu sein."

Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt es damit bei seiner Prüfung gänzlich, auf die von ihm selbst festgestellte Tatsache, dass der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Rohingya angehört, einzugehen und diese in Bezug zu der in den von ihm selbst wiedergegebenen Länderberichten gezeichneten kritischen Lage von Angehörigen dieser Volksgruppe zu setzen.

Damit hat das Bundesverwaltungsgericht aber in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und damit seine Entscheidung mit Willkür belastet, weshalb das Erkenntnis schon aus diesem Grund aufzuheben ist.

Das Bundesverwaltungsgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren daher nicht nur mit der Frage zu befassen haben, inwieweit dem Beschwerdeführer eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch, ob die Zugehörigkeit zur Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat (vgl zur Asylrelevanz von Gruppenverfolgungen im Allgemeinen zuletzt VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407 und VfGH 25.2.2021, E2687/2020 jeweils mwN).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3260.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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