TE Vwgh Erkenntnis 2021/6/14 Ra 2019/17/0087

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Veröffentlicht am 14.06.2021
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Index

19/05 Menschenrechte
34 Monopole
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

GSpG 1989 §52 Abs1 Z1
MRKZP 07te Art4
VStG §22 Abs2
VStG §30 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Berger, die Hofrätin Dr. Koprivnikar sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 4. Juli 2019, LVwG-1-118/2019-R10, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (mitbeteiligte Partei: N K in F, vertreten durch Dr. Emelle Eglenceoglu, Rechtsanwältin in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Partei vom 30. November 2018 wurden über den Mitbeteiligten wegen Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 erster Fall iVm § 2 Abs. 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz - GSpG vier Geldstrafen (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt, weil er als Eigentümer näher beschriebener Glücksspielgeräte und als Betreiber des Lokals „I“ an näher bezeichneter Adresse am 29. Dezember 2017 Glücksspiele in Form von verbotenen Ausspielungen in diesem Lokal veranstaltet habe, indem er auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko diese Geräte aufgestellt und betrieben habe. Der Mitbeteiligte habe die Geräteladen ausgeräumt und die Geldbeträge selbst kassiert. Die Gewinne seien durch seine Angestellten im Lokal an die Spielkunden ausbezahlt worden.

2        Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) mit dem hier angefochtenen Erkenntnis statt, es hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht gemäß § 25a VwGG aus, dass eine Revision unzulässig sei.

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht (u.a.) aus, dass dem Mitbeteiligten bereits mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Partei vom 19. Februar 2018 vorgeworfen worden sei, er habe als Betreiber des Lokals „I“ an näher bezeichneter Adresse zu verantworten, dass näher beschriebene Glücksspielgeräte in genanntem Lokal am 29. Dezember 2017 unternehmerisch zugänglich gemacht worden seien, indem er gegen Entgelt die Veranstaltung von verbotenen Ausspielungen in seinem Lokal geduldet habe und an der Auszahlung erzielter Gewinne dadurch mitgewirkt habe, dass er Personal zur Auszahlung von Gewinnen und zur Zurückstellung der Zahlenfelder am Gerätebildschirm „auf Null“ angehalten habe.

4        Mit dem (Anm: nach der Aktenlage rechtskräftigen) Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 13. August 2018 sei der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen dieses Straferkenntnis Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben sowie das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt worden, weil aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen hervorgekommen sei, dass der Mitbeteiligte das erste Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG (Veranstalten) und nicht das dritte Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG (unternehmerisch Zugänglichmachen) verwirklicht habe, eine Abänderung des Straferkenntnisses aber „eine unzulässige Auswechslung der Tat“ bedeuten würde.

5        Da die revisionswerbende Partei den Mitbeteiligten nunmehr erneut für dieselbe Tat am selben Ort zur selben Zeit bestraft habe - somit denselben Sachverhalt nur unter ein anderes Tatbild subsumiert habe -, liege eine „unzulässige Doppel- oder Mehrfachbestrafung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK“ vor. Das Straferkenntnis vom 30. November 2018 sei deshalb aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

6        Dagegen richtet sich vorliegende Amtsrevision. Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        1.1. Die Revision erweist sich bereits in Anbetracht ihres gemäß § 28 Abs. 3 VwGG erstatteten Vorbringens in Bezug auf die Frage, ob es sich bei den in den beiden Straferkenntnissen der revisionswerbenden Partei angelasteten Taten um dieselbe Straftat im Sinne des Art. 4 7. ZPEMRK handle, als zulässig.

8        1.2. Die Revision ist auch berechtigt.

9        2.1. § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG enthält insgesamt vier Tatbilder:

10       Als Täter im Sinne des ersten Tatbildes kommt eine Person in Betracht, die das Spiel auf ihre Rechnung und Gefahr ermöglicht, also das Risiko des Gewinns und Verlusts in ihrer Vermögenssphäre trägt (vgl. etwa VwGH 19.5.2017, Ra 2016/17/0173; s. auch 13.2.2020, Ra 2019/17/0116, mwN).

11       Das unternehmerisch Zugänglichmachen einer verbotenen Ausspielung iSd dritten Tatbilds des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG verwirklicht eine Person, die etwa ein Glücksspielgerät in ihrer Gewahrsame hat und damit Spielern die Teilnahme an verbotenen Ausspielungen ermöglicht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Wirt die Aufstellung eines solchen Glücksspielgerätes durch einen Dritten duldet, weil er dafür eine Miete erhält oder sich zumindest durch das Vorhandensein dieses Gerätes in seinem Lokal eine Belebung seiner Getränkeumsätze erhofft (vgl. VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0474, 0475; 24.9.2018, Ra 2017/17/0950).

12       Sofern ein und dieselbe Person ein und dasselbe Glücksspiel sowohl unternehmerisch zugänglich macht als auch veranstaltet, tritt das Tatbild des unternehmerischen Zugänglichmachens im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG hinter jenes des Veranstaltens zurück. Der gesamte Unrechtsgehalt des unternehmerisch Zugänglichmachens eines Glücksspiels im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG wird in diesem Fall vom Tatbild des Veranstaltens erfasst (vgl. etwa VwGH 26.3.2015, Ra 2014/17/0033).

13       In einem Fall, in dem ein Lokalinhaber Glücksspielgeräte Spielern unternehmerisch zugänglich macht und überdies die Geräte auf eigene Rechnung und Gefahr betreibt, ist er lediglich iSd ersten Tatbilds leg. cit. und nicht zusätzlich iSd dritten Tatbildes leg. cit. zu bestrafen (vgl. VwGH 15.6.2020, Ra 2019/17/0064, mwN).

14       2.2. Gemäß Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK (7. ZPEMRK) darf niemand wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

15       Gemäß § 45 Abs. 1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens u.a. dann abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn (Z 1) die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet oder (Z 2) der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat.

16       Die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 45 VStG hat zur Folge, dass eine Bestrafung wegen derselben Tathandlung unter Anwendung einer anderen Verwaltungsvorschrift den Grundsatz „ne bis in idem“ verletzt und deshalb inhaltlich rechtswidrig ist (VwGH 18.10.2016, Ra 2016/03/0029, mwN).

17       Im Revisionsfall ist daher zunächst zu klären, ob der Mitbeteiligte mit der Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 13. August 2018 bereits „rechtskräftig freigesprochen“ wurde.

18       Bei der Beurteilung der Frage, ob dieselbe „Straftat“ iSd Art. 4 des 7. ZPEMRK vorliegt, ist allein auf die Fakten abzustellen. Die rechtliche Qualifikation derselben hat außer Betracht zu bleiben. Unzulässig ist eine neuerliche Strafverfolgung dann, wenn sie sich auf denselben oder zumindest im Wesentlichen denselben Sachverhalt bezieht (vgl. wiederum VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0474, 0475, mwN).

19       3. Mit dem rechtskräftigen (Vor-) Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 13. August 2018 wurde der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 19. Februar 2018 Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben sowie das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt, weil aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen hervorgekommen sei, dass der Mitbeteiligte das erste Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG (Veranstalten) und nicht das dritte Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG (unternehmerisch Zugänglichmachen) verwirklicht habe.

20       4.1. Ausweislich der Verfahrensakten wurde dem Mitbeteiligten mit dem Spruch des ersten Straferkenntnisses der Amtsrevisionswerberin vom 19. Februar 2018 (vgl. dazu auch die Wiedergabe durch das Verwaltungsgericht oben in Rn. 3) auf das für den Revisionsfall Wesentliche zusammengefasst vorgeworfen, er habe am 29. Dezember 2017 als Betreiber des Lokals „I“ in diesem Lokal die Veranstaltung von verbotenen Ausspielungen gegen Entgelt sowie geduldet sowie das Personals zur Gewinnauszahlung sowie zum Stellen der Zahlenfelder am Gerätebildschirm „auf Null“ angehalten.

21       Nach dem Spruch des zweiten Straferkenntnisses der Amtsrevisionswerberin vom 30. November 2018 (vgl. oben Rn. 1) wurde dem Mitbeteiligten - soweit für das Revisionsverfahren wesentlich - angelastet, er habe am 29. Dezember 2017 als Betreiber des Lokals „I“ Glücksspiele in Form von verbotenen Ausspielungen in diesem Lokal veranstaltet, indem er Glücksspielgeräte aufgestellt und betrieben habe. Der Mitbeteiligte habe die Geräteladen ausgeräumt und die Geldbeträge selbst kassiert. Die Gewinne seien durch seine Angestellten im Lokal an die Spielkunden ausbezahlt worden.

22       4.2. Die beiden im Revisionsfall zu einander in Beziehung zu setzenden Tatvorwürfe betreffen unterschiedliche Tatgeschehen.

23       4.3. So hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0474, 0475, auf dessen Begründung im Übrigen gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, zu einer mit dem vorliegenden Revisionsfall in hier wesentlichen Punkten vergleichbaren Sachverhaltskonstellation (zwei gesonderte Strafverfahren gegen einen Revisionswerber wegen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 erstes Tatbild GSpG einerseits und wegen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild leg. cit. anderseits nach Anzeigen aufgrund derselben finanzpolizeilichen Kontrolle; Einstellung eines der beiden Strafverfahren; Frage der Verletzung des Art. 4 des 7. ZPEMRK in Bezug auf das andere Strafverfahren) ausgeführt, dass nach rechtskräftiger Einstellung des wegen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 erstes Tatbild leg. cit. geführten Strafverfahren der Beschuldigte nicht mehr nach dem dritten Tatbild dieser Gesetzesbestimmung bestraft werden darf. Es wäre jedoch zulässig gewesen, das wegen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 erstes Tatbild leg. cit. geführte Strafverfahren fortzuführen, somit den Beschuldigten nach diesem Tatbild zu bestrafen.

24       Überträgt man diese Judikatur auf den vorliegenden Revisionsfall, so stand die mit dem genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 13. August 2018 verfügte Einstellung des gegen den Revisionswerber geführten Strafverfahrens der weiteren Strafverfolgung und Bestrafung des Revisionswerbers wegen des ihm angelasteten Veranstaltens verbotener Ausspielungen (§ 52 Abs. 1 Z 1 erstes Tatbild leg. cit.) nicht entgegen.

25       5. Da somit das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkannt hat, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 14. Juni 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019170087.L00

Im RIS seit

13.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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