TE Vwgh Erkenntnis 1963/7/12 0392/62

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Veröffentlicht am 12.07.1963
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Index

StVO
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §76 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Senatspräsidenten Dr. Porias, und die Hofräte Dr. Chamrath, Dr. Kaniak, Dr. Strau und Dr. Schmelz als Richter, im Beisein des Schriftführers, Regierungskommissärs Öhler, über die Beschwerde der EF in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 29. Jänner 1962, Zl. M. Abt. 70-IX/F 8/62, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Mariahilf, erkannte die Beschwerdeführerin mit Straferkenntnis vom 8. Jänner 1962 schuldig, am 9. November 1961 um 19.20 Uhr in Wien VI., Wallgasse beim Haus Nr. 20 ungerechtfertigt auf der Fahrbahn verweilt zu haben, wodurch der Fahrzeugverkehr behindert worden sei. Dadurch habe sie eine Verwaltungsübertretung nach § 76 Abs. 1 StVO 1960 begangen. Über die Beschwerdeführerin wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von 100 S (Ersatzarreststrafe 24 Stunden) verhängt. In der Begründung des Straferkenntnisses wurde ausgeführt, die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verwaltungsübertretung sei durch die Wachemeldung vom 9. November 1961, die Relation vom 3. Dezember 1961 und die Zeugenaussagen zweier Sicherheitswachebeamter vom 15. Dezember 1961 erwiesen. Durch diese Beweismittel würden die Einwendungen der Beschuldigten widerlegt. In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung wendete die Beschwerdeführerin im wesentlichen ein, die beiden Sicherheitswachebeamten hätten als Zeugen angegeben, sie hätten zur Tatzeit vor dem Raimundtheater den Verkehr geregelt. An dieser Stelle, die demnach nach § 76 Abs. 3 StVO 1960 durch Armzeichen geregelt gewesen sei, habe sie aber die Wallgasse überquert. An diese Verkehrsregelung aber habe sie sich gehalten. Das Gegenteil gehe in keiner Weise aus den Verwaltungsakten hervor Im übrigen habe sie im Verwaltungsverfahren auch ausgeführt, warum sie neben ihrem geparkten Personenkraftwagen auf der Fahrbahn gestanden sei, nämlich, um einen Koffer aus dem Kraftwagen zu holen, den sie dann auch tatsächlich über die Straße getragen und einem dort wartenden Bekannten übergeben habe. Sie beantrage die Einvernahme dieses Bekannten KA als Zeugen. Auch müsse der Sicherheitswachebeamte, der ihr Nationale aufgenommen habe, gesehen haben, daß sie den Koffer aus dem Kraftwagen genommen, über die Straße getragen und dem Bekannten übergeben habe. In der Zeugenaussage dieses Sicherheitswachebeamten sei jedoch hievon keine Rede. Die belangte Behörde gab mit dem angefochtenen Bescheide vom 29. Jänner 1962 der Berufung keine Folge. In der Begründung dieses Bescheides führte sie aus, sie habe auf Grund der Wachemeldung, der Relation des Meldungslegers und der Aussagen der Zeugen Polizeirayonsinspektor S und Polizeirevierinspektor B als erwiesen angenommen, daß sich die Beschwerdeführerin ca. eine Minute lang auf der Höhe des Einganges zum Raimundtheater auf der Fahrbahn der Wallgasse ca. 3 m vom Gehsteig entfernt aufgehalten habe, wodurch der in beiden Richtungen flutende Fahrzeugverkehr behindert worden sei. Durch dieses Verhalten allein sei aber bereits der Tatbestand des § 76 Abs. 1 StVO 1960 erfüllt worden. Auf die weitere Frage, ob die Beschwerdeführerin, als sie sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite bei ihrem Personenkraftwagen befand, dort nur deshalb verweilte, um aus dem Kofferraum einen Koffer herauszunehmen, brauche daher nicht eingegangen werden. Demnach sei die Einvernahme des von der Beschwerdeführerin beantragten Zeugen entbehrlich gewesen. Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, in der Aktenlage finde sich kein Anhaltspunkt dafür, daß sie ungeachtet einer entgegenstehenden Verkehrsregelung die Fahrbahn betreten habe, sei völlig unbeachtlich, weil der Beschwerdeführerin nicht das Betreten bzw. Überqueren der Fahrbahn, sondern das unbegründete Verweilen auf dieser zur Last gelegt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der von der belangten Behörde herangezogenen Vorschrift des § 76 Abs. 1 StVO 1976 haben - soweit diese Bestimmung im Beschwerdefall in Betracht kommt - Fußgänger auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen; sie dürfen nicht überraschend auf die Fahrbahn treten; das Betreten der Fahrbahn ist überhaupt verboten, wenn auf dem Gehsteigrand eine ununterbrochene gelbe Längsmarkierung (Sperrlinie) angebracht ist. Nach Ansicht der belangten Behörde hat die Beschwerdeführerin gegen diese Vorschrift verstoßen, weil sie auf der Fahrbahn der Wallgasse 1 Minute lang 3 m vom Gehsteigrand unbegründet verweilt habe, wodurch der Fahrzeugverkehr behindert worden sei. Nun geht es aus dem Akteninhalt und insbesondere aus der Wachemeldung vom 9. November 1961 eindeutig hervor, daß die Beschwerdeführerin vorerst vor dem Hause Wallgasse 20 (Raimundtheater) zwar beabsichtigte, die Wallgasse zu überqueren, wobei sie sich rund 1 Minute lang rund 3 m vom Gehsteigrand aufhielt, dann aber, weil der vorbeiflutende Verkehr es nicht gestattete und sie inzwischen von einem Sicherheitswachebeamten angewiesen worden war, die Fahrbahn zu verlassen, wieder auf den Gehsteig vor dem Haus Nr. 20 zurückgetreten war. Später überquerte sie jedoch tatsächlich die Wallgasse. Alle weiteren in der Meldung geschilderten Vorgänge sind für die Beurteilung des Beschwerdefalles nicht von Belang, weil der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde nur das oben näher beschriebene Verweilen auf der Fahrbahn zur Last gelegt wurde. Entscheidend ist, daß die Beschwerdeführerin auf der Fahrbahn in der Absicht verweilte, um diese zu überqueren. Sie ist auf den Gehsteig nur zurückgetreten, weil sie der Meldungsleger hiezu aufforderte. Nun ist es für die Zulässigkeit der Unterstellung unter die Vorschrift des § 76 Abs. 1 StVO 1960 von Bedeutung, ob die Beschwerdeführerin die Straße überqueren wollte oder ob sie sich aus anderen Gründen auf die Fahrbahn begab. Nur im letzteren Falle könnte § 76 Abs. 1 StVO 1960 angewendet werden, und zwar auch nur dann, wenn die Beschwerdeführerin überraschend auf die Fahrbahn getreten wäre oder trotz Vorhandenseins einer ununterbrochenen gelben Längsmarkierung die Fahrbahn betreten hätte. Keine dieser beiden Fälle ist jedoch nach dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegenen Sachverhalt gegeben. Im übrigen ordnet § 76 Abs. 1 StVO 1960 - sofern, wie im gegebenen Falle, ein Gehsteig vorhanden ist - nur an, daß die Fußgänger diesen zu benützen haben. Die von der belangten Behörde herangezogene Vorschrift des § 76 Abs. 1 StVO 1960 enthält demnach keine Regelung darüber, wie sich der Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn zu verhalten hat. Eine solche findet sich nur in den Abs. 3 bis 8 des § 76 StVO 1960. Da die belangte Behörde den von ihr als erwiesenen angenommen Sachverhalt unrichtigerweise der Vorschrift des § 76 Abs. 1 StVO 1960 unterstellt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit, seines Inhaltes aufzuheben. Ergänzend sei bemerkt: Falls die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren den angeführten Sachverhalt einer der Vorschriften des § 76 Abs. 3 bis 8 StVO 1960 unterstellen wollte, so müßte sie sich auch mit den Parteieinwendungen, die sich auf die Frage des Überquerens der Wallgasse bei Regelung des Verkehrs durch Armzeichen beziehen, auseinandersetzen.

Wien, am 12. Juli 1963

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1963:1962000392.X00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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