TE Vwgh Erkenntnis 1985/6/10 84/10/0272

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Veröffentlicht am 10.06.1985
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Index

Unterricht
40/01 Verwaltungsverfahren
70/06 Schulunterricht

Norm

AVG §19
AVG §63 Abs2
SchUG 1974 §60 Abs2 idF 1982/367
SchUG 1974 §67 idF 1982/367
SchUG 1974 §68 idF 1982/367
SchUG 1974 §71 Abs4 idF 1982/367
SchUG 1974 §71 Abs5 idF 1982/367
SchUG 1974 §71 Abs6 idF 1982/367

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Waldner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Beschwerde 1. des mj. MH, vertreten durch die Erziehungsberechtigten FH und Dr. PH, beide in S, und 2. der FH und des Dr. PH, beide in S, alle vertreten durch Dr. Bruno Binder, Rechtsanwalt in Linz, Wischerstraße 30, gegen den Bescheid des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 25. Oktober 1984, Zl. 1037/8-30C/84, betreffend Nichtberechtigung zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe, zu Recht erkannt:

Spruch

1) Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

2) Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner beschlossen, die Beschwerde der beiden Zweitbeschwerdeführer gegen denselben Bescheid zurückzuweisen.

Die beiden Zweitbeschwerdeführer haben dem Bund zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Entscheidung vom 25. Juni 1984 sprach die Klassenkonferenz der 7 NA-Klasse des Bundesgymnasiums S aus, daß der - auch derzeit noch nicht eigenberechtigte (volljährige) - Erstbeschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 1 Schulunterrichtsgesetz, BGBl. Nr. 139/1974 in der Fassung BGBl. Nr. 231/1977 (in der Folge: SchUG), zum Aufsteigen in die achte Klasse nicht berechtigt sei, weil sein Jahreszeugnis in den Pflichtgegenständen Englisch, Latein, Französisch und Mathematik die Note „Nicht genügend“ enthalte, er sohin im Hinblick auf die zitierte Gesetzesstelle die Schulstufe nicht erfolgreich abgeschlossen habe. Gegen diese Entscheidung erhob der Erstbeschwerdeführer, vertreten durch seine Erziehungsberechtigten, rechtzeitig Berufung an den Landesschulrat von Oberösterreich (in der Folge: LSR) als der zuständigen Schulbehörde erster Instanz, in der er die Unrichtigkeit der auf „Nicht genügend“ lautenden Beurteilungen in den Pflichtgegenständen Englisch, Latein und Mathematik geltend machte.

2. Der LSR wies die Berufung mit Bescheid vom 24. Juli 1984 gemäß § 24 Abs. 1 und § 71 Abs. 4 und 6 SchUG ab. In der Begründung führte die Schulbehörde erster Instanz nach teilweiser Wiedergabe der von ihr herangezogenen gesetzlichen Vorschriften und zusammengefaßter Wiedergabe des Berufungsvorbringens im wesentlichen aus, auf Grund der während das Unterrichtsjahres erbrachten Leistungen des Erstbeschwerdeführers seien die im Jahreszeugnis enthaltenen Beurteilungen in Englisch, Latein und Mathematik mit „Nicht genügend“ als richtig zu bezeichnen. Für die behauptete Voreingenommenheit der betreffenden Lehrer dem Erstbeschwerdeführer gegenüber hätten sie für die Schulbehörde keine überzeugenden Hinweise gefunden; der Vorwurf der Verletzung der Verständigungspflicht gemäß § 19 Abs. 3 SchUG sei unbegründet; eine Verständigung gemäß Abs. 4 der genannten Gesetzesstelle sei ergangen; der Einwand zu schwerer Fragestellung bei mündlichen Prüfungen sei nicht stichhaltig, weil die Fragen im Unterricht entsprechend vorbereitet worden seien und dem Lehrplan entsprochen hätten.

3. Die gegen diesen Bescheid vom Erstbeschwerdeführer durch seine Erziehungsberechtigten fristgerecht erhobene Berufung wies der Bundesminister für Unterricht und Kunst (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 25. Oktober 1984 gemäß den §§ 25 Abs. 1 und 2 und 71 Abs. 4 und 6 SchUG im Zusammenhalt mit § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab. In der Begründung ihres Bescheides kam die belangte Behörde - nach Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufes, Wiedergabe des Berufungsvorbringens und Zitierung der angewendeten Gesetzesbestimmungen - zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich aller drei in der Berufung bekämpften Leistungsbeurteilungen die Unterlagen nicht ausreichten, um feststellen zu können, ob die auf „Nicht genügend“ lautende Jahresbeurteilung richtig oder unrichtig gewesen sei. Im Pflichtgegenstand Englisch sei zuviel Wert auf Übersetzungen vom Deutschen ins Englische gelegt worden; außerdem seien die Ausführungen des Lehrers zu Leistungsfeststellungen aus der ständigen Beobachtung der Mitarbeit zu allgemein gehalten und daher einer Überprüfung nicht zugänglich. Für Latein lägen keine konkreten Angaben über Einzelleistungen vor, die zu den vom Lehrer angeführten Globalbeurteilungen führen könnten. Eine Überprüfung der Beurteilung aus Mathematik sei deshalb nicht möglich, weil im Schularbeitsheft die jeweiligen Aufgabenstellungen nicht ausgewiesen seien; darüber hinaus sei die erste Frage im Rahmen der mündlichen Prüfung vom 18. Juni 1984 infolge ihres Schwierigkeitsgrades für den Erstbeschwerdeführer nicht lösbar gewesen. Aus diesen Erwägungen habe die belangte Behörde das Verfahren unterbrochen und den Erstbeschwerdeführer in den Pflichtgegenständen Englisch, Latein und Mathematik zu kommissionellen Prüfungen zugelassen. Mit Schreiben vom 15. September 1984 habe der Erstbeschwerdeführer erklärt, daß er zu den kommissionellen Prüfungen nicht antreten werde. Da der Erstbeschwerdeführer durch das Nichtantreten zu diesen Prüfungen am Beweisverfahren nicht mitgewirkt habe, seien die auf „Nicht genügend“ lautenden Beurteilungen aufrechtzuerhalten gewesen. Zu dem im Schreiben vom 15. September 1984 enthaltenen Begehren, Parteiengehör zu gewähren, sei festzuhalten, daß dieses bereits durch die Schulbehörde erster Instanz eingeräumt worden sei und daß das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren keine Neuerungen erbracht habe. Es sei insbesondere darauf hinzuweisen, daß durch die Anordnung der kommissionellen Prüfungen als Folge der unzureichenden schulischen Unterlagen diese Unterlagen im Verfahren nicht mehr relevant seien und auf sie im Rahmen des Parteiengehörs nicht mehr eingegangen werden könne. Vielmehr solle durch das Institut der kommissionellen Prüfung der Behörde eine völlig neue Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stehen. Da das Jahreszeugnis des Erstbeschwerdeführers in insgesamt vier Pflichtgegenständen (Englisch, Latein, Mathematik und Französisch) die Note „Nicht genügend“ aufweise, seien die Voraussetzungen gemäß § 25 Abs. 1 SchUG zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht gegeben.

4. Durch diesen Bescheid erachtet sich der Erstbeschwerdeführer in seinem „gesetzlich gewährleisteten Recht auf Berechtigung zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe gemäß § 25 Abs. 2 SchUG sowie auf Ablegung der genannten kommissionellen Prüfungen“ verletzt (Beschwerdepunkte gemäß § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG). Er behauptet Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

5. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 25 Abs. 1 SchUG ist ein Schüler zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe berechtigt, wenn er die Schulstufe erfolgreich abgeschlossen hat. Eine Schulstufe ist erfolgreich abgeschlossen, wenn das Jahreszeugnis in allen Pflichtgegenständen eine Beurteilung aufweist und in keinem Pflichtgegenstand die Note „Nicht genügend“ enthält. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle ist ein Schüler ferner zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe berechtigt, wenn das Jahreszeugnis zwar in einem Pflichtgegenstand die Note „Nicht genügend“ enthält, aber bestimmte, in den lit. a bis c umschriebene Voraussetzungen erfüllt sind.

Gemäß § 71 Abs. 2 lit. b SchUG ist gegen die Entscheidung (der Klassenkonferenz gemäß § 20 Abs. 6 leg. cit.), daß der Schüler zum Aufsteigen nicht berechtigt ist, die Berufung an die Schulbehörde erster Instanz zulässig. Nach § 71 Abs. 4 SchUG hat die Schulbehörde erster Instanz in den Fällen des Abs. 2, insoweit sich die Berufung auf behauptete unrichtige Beurteilungen mit „Nicht genügend“ stützt, diese zu überprüfen. Wenn die Unterlagen nicht zur Feststellung, daß eine auf „Nicht genügend“ lautende Beurteilung unrichtig oder richtig war, ausreichen, ist das Verfahren zu unterbrechen und der Berufungswerber zu einer kommissionellen Prüfung (Abs. 5) zuzulassen. Die Überprüfung der Beurteilungen bzw. die Zulassung zur kommissionellen Prüfung hat auch dann zu erfolgen, wenn deren Ergebnis keine Grundlage für eine Änderung der angefochtenen Entscheidung gibt. Zufolge des § 71 Abs. 6 leg. cit. ist der der Berufung stattgebenden oder diese abweisenden Entscheidung die Beurteilung zugrunde zu legen, die die Behörde nach der Überprüfung bzw. die Prüfungskommission nach der Durchführung der Prüfung für richtig hält. Sofern diese Beurteilung nicht auf „Nicht genügend“ lautet, ist ein Zeugnis auszustellen, das diese Beurteilung enthält. Gemäß § 71 Abs. 8 SchUG in der Fassung BGBl. Nr. 367/1982, geht in den Fällen des § 71 Abs. 2 lit. b der Instanzenzug bis zur Schulbehörde zweiter Instanz.

2. Der Erstbeschwerdeführer behauptet nicht, und zwar hinsichtlich keiner der bekämpften auf „Nicht genügend“ lautenden Beurteilungen, daß die Unterlagen zur Überprüfung durch die belangte Behörde im Sinne des § 71 Abs. 4 SchUG ausgereicht hätten. Es ist daher - dies auch in Übereinstimmung mit der Formulierung der Beschwerdepunkte - davon auszugehen, daß sich der Erstbeschwerdeführer nicht dadurch in seinen Rechten verletzt erachtet, daß die Zulassung zu den kommissionellen Prüfungen (an sich) nicht dem Gesetz entsprochen hätte. Er rügt allerdings die Form und den Zeitpunkt der Anberaumung dieser Prüfungen.

2.1. Zunächst meint der Beschwerdeführer, die Aufforderung, zu einem bestimmten Termin zu einer kommissionellen Prüfung anzutreten, stelle eine Ladung im Sinne des AVG 1950 dar. Da im Verfahren nach dem SchuG subsidiär die Bestimmungen des AVG 1950 gälten, seien auch bei einer Ladung zu einer kommissionellen Prüfung die Vorschriften der §§ 19 f AVG 1950 einzuhalten, denenzufolge Ladungen grundsätzlich in Form eines Ladungsbescheides zu ergehen hätten. Die an den Vater des Erstbeschwerdeführers ergangene telefonische Mitteilung von der Anberaumung der kommissionellen Prüfungen für den 17. September 1984 stelle im Hinblick darauf, daß Ladungsbescheide entweder schriftlich oder unter Einhaltung der bezüglichen Formerfordernisse mündlich zu erfolgen hätten, keine wirksame Ladung im Sinne der verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften dar.

Dem Erstbeschwerdeführer ist zwar zuzustimmen, daß die Schulbehörden auch im Überprüfungsverfahren gemäß § 71 Abs. 4 und 6 SchUG - sofern nicht besondere, davon abweichende Vorschriften bestehen - das AVG 1950 anzuwenden haben. Indes ist die in der Beschwerde vertretene Ansicht, es sei die Anberaumung einer kommissionellen Prüfung als Ladungsbescheid im Sinne des § 19 AVG 1950 anzusehen, verfehlt: Die im § 71 Abs. 4 SchUG vorgesehene Zulassung des Berufungswerbers zu einer kommissionellen Prüfung ist - gleich der ebenfalls in dieser Bestimmung normierten, der Zulassung zur Prüfung vorausgehenden „Unterbrechung“ des Verfahrens - im Verfahrenssystem des AVG 1950 eine (im Grunde des § 63 Abs. 2 AVG 1950 gesondert nicht anfechtbare) Verfahrensanordnung im Zuge des Beweisverfahrens (vgl. Heinz Mayer, Ausgewählte verfahrensrechtliche Probleme des Schulunterrichtsgesetzes, RdS 1980, 9 ff).

2.2. Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen ist dem weiteren Einwand, die Zulassung des Erstbeschwerdeführers zu den kommissionellen Prüfungen hätte, da Ladungen nach dem AVG 1950 grundsätzlich höchstpersönlich erfolgen müßten, ihm persönlich gegenüber ausgesprochen werden müssen, der Boden entzogen. Was im übrigen das Argument anlangt, die Mitteilung über die Anberaumung der Prüfungen wäre auch deshalb an den Erstbeschwerdeführer persönlich zu richten gewesen, weil er gemäß § 68 SchUG in Prüfungsangelegenheiten zum selbständigen Handeln befugt sei, so übersieht die Beschwerde hiebei, daß nach der zitierten Gesetzesstelle die (abschließende) Aufzählung jener Angelegenheiten, in denen ab der neunten Schulstufe der nichteigenberechtigte Schüler (Prüfungskandidat) zum selbständigen Handeln befugt ist, die Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung betreffend die Nichtberechtigung zum Aufsteigen nicht enthält. Auch die Tatsache, daß die Ablegung der Prüfungen eine höchstpersönliche (unvertretbare) Leistung darstelle, stand der Rechtmäßigkeit der Mitteilung des Prüfungstermines an den Vater des Erstbeschwerdeführers als den hinsichtlich der in Rede stehenden Angelegenheit gesetzlich Vertretungsbefugten (vgl. § 67 SchUG) nicht entgegen.

2.3. Wenn schließlich die Beschwerde behauptet, es sei auch dann, wenn man die Mitteilung an die Erziehungsberechtigten für ausreichend hielte, die Anberaumung der kommissionellen Prüfung deswegen nicht rechtswirksam erfolgt, weil sie - entgegen § 67 SchUG - nicht beiden Elternteilen bekanntgegeben worden sei, so kann der Verwaltungsgerichtshof auch dieser Auffassung nicht beipflichten. Nach § 67 SchUG werden in den Angelegenheiten dieses Bundesgesetzes Schüler (Prüfungskandidaten), die nicht eigenberechtigt sind, soweit im folgenden nicht anderers bestimmt ist - was für den vorliegenden Fall, wie unter II. 2.2. dargetan, zutrifft -, von den Erziehungsberechtigten vertreten. Diese Bestimmung ist - worauf die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend hinweist - in Verbindung mit § 60 leg. cit. zu sehen, dessen Abs. 2 festlegt, daß dann, wenn das Erziehungsrecht hinsichtlich eines Schülers mehr als einer Person zusteht, jeder von ihnen mit Wirkung auch für den anderen handlungsbefugt ist. Im Lichte dieses normativen Zusammenhanges war die Verständigung lediglich eines Erziehungsberechtigten von der Zulassung des Erstbeschwerdeführers zu den kommissionellen Prüfungen ausreichend.

3.1. Unter dem Gesichtspunkt inhaltlicher Rechtswidrigkeit bekämpft der Erstbeschwerdeführer die von der belangten Behörde in der Begründung ihres Bescheides vertretene Auffassung, es werde der Behörde durch die Anberaumung einer kommissionellen Prüfung eine völlig neue Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt. Tatsächlich aber sei der Berufungsbehörde mit der Möglichkeit der Anordnung einer solchen Prüfung nur eine zusätzliche Entscheidungsgrundlage in die Hand gegeben, die neben den übrigen Ergebnissen des durchzuführenden Beweisverfahrens in die Entscheidungsfindung einzubeziehen sei. Dieser Einwand wird zu Unrecht erhoben.

3.2. Wie oben (II. 2.1.) ausgeführt, haben die Schulbehörden auch im Verfahren nach § 71 Abs. 4 und 6 SchUG das AVG 1950 anzuwenden; dies allerdings unter dem Vorbehalt der Subsidiarität gegenüber besonderen, von den Regelungen des AVG 1950 abweichenden Verfahrensvorschriften. Die im § 71 Abs. 4 SchUG normierte Verpflichtung der Schulbehörden, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen das Verfahren zu „unterbrechen“ und den Berufungswerber zu einer kommissionellen Prüfung zuzulassen, ist eine derartige vom AVG 1950 abweichende Verfahrensregelung. Mit ihr hat der Gesetzgeber zwingend ein bestimmtes Beweismittel, nämlich die Einholung der Beurteilung durch eine Prüfungskommission, angeordnet. An dieses als Amtssachverständigengutachten zu qualifizierendes Beweismittel ist die Behörde im Grunde des § 71 Abs. 6 SchUG - insoweit sieht auch diese Bestimmung eine Abweichung vom AVG 1950 vor - gebunden (vgl. auch dazu Heinz Mayer, a.a.O.; weiters das hg. Erkenntnis vom 9. März 1981, Slg. Nr. 10.391/A). Wenngleich das SchUG zur Frage der Zulässigkeit der Berücksichtigung anderer Beweismittel keine explizite Aussage trifft, sprechen nach Auffassung des Gerichtshofes die Vorschreibung eines bestimmten Beweismittels in Form der Einholung eines Sachverständigengutachtens, vor allem aber die für die entscheidende Behörde bindende Wirkung dieses Gutachtens dafür, von der objektiv erkennbaren Absicht des Gesetzgeber auszugehen, er habe in den Fällen einer „Unterbrechung“ des Verfahrens im Sinne des § 71 Abs. 4 die Aufnahme und Verwertung weiterer Beweise ausschließen wollen.

4.1. Nach Ansicht des Erstbeschwerdeführers müsse eine kommissionelle Prüfung so angesetzt werden, daß dem Prüfungskandidaten zwischen der Bekanntgabe der Zulassung und dem Prüfungstermin eine angemessene Frist zur Verfügung stehe, die zumindest die Möglichkeit gebe, die zum Antritt zur Prüfung erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen. Im angefochtenen Bescheid werde ausgeführt, daß nach den Angaben des LSR als Termin für die schriftlichen Prüfungen der 17., 18. und 19. September 1984 und für die mündlichen Prüfungen der 21. September 1984 festgelegt worden sei; es treffe daher nicht zu, daß der Erstbeschwerdeführer am 17. September 1984 sämtliche kommissionellen Prüfungen abzulegen gehabt hätte. Die belangte Behörde führe hiezu nicht aus, auf welche Beweismittel diese Feststellungen gestützt würden. Sollte zur Klärung dieser Fragen ein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sein, so sei dem Erstbeschwerdeführer keine Gelegenheit eingeräumt worden, dazu Stellung zu nehmen; daraus ergebe sich eine Verletzung des Rechtes auf Wahrung des Parteiengehörs. Dieser Beschwerdeeinwand ist berechtigt.

4.2. Das SchUG sieht keine (Mindest-)Frist vor, die zwischen der Verständigung von der Durchführung einer kommissionellen Prüfung und dem Prüfungstermin zu liegen hätte. Da aber das Berufungsverfahren gemäß § 71 Abs. 4 und 6 SchUG wie sich insbesondere dem § 71 Abs. 2 (Frist für die Berufung an die Schulbehörde erster Instanz lediglich fünf Tage) und dem § 73 Abs. 4 und 3 (Entscheidungsfrist für die Schulbehörde erster Instanz drei Wochen, für die Schulbehörde zweiter Instanz drei Monate) entnehmen läßt, ganz wesentlich vom Grundsatz der Raschheit bestimmt ist, und darüber hinaus der Zweck einer kommissionellen Prüfung nicht in der Feststellung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der bekämpften auf „Nicht genügend“ lautenden Beurteilung zum Zeitpunkt ihrer Schöpfung, sondern in der Eröffnung einer zusätzlichen „Chance“ für den Schüler besteht (vgl. auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend ein Schulunterrichtsgesetz, 345 Blg. sten. Prot. NR. XIII. GP, S. 62), kann in der kurzfristigen Anordnung einer kommissionellen Prüfung keine Rechtswidrigkeit erblickt werden (vgl. auch das bereits zitierte hg. Erkenntnis Slg. Nr. 10.391/A). Ungeachtet dessen hat die Frist zwischen Bekanntgabe und Prüfungstermin in dem Sinn angemessen zu sein, daß dem Schüler ausreichend Zeit für die notwendigen organisatorischen Vorbereitungen verbleibt. Die Frage, wann die hier in Rede stehende Frist angemessen in der vorbezeichneten Bedeutung ist, kann nicht allgemein beantwortet werden; dies wird vielmehr von den Umständen des Einzelfalles abhängen. Im Beschwerdefall wäre - unter der Annahme der Richtigkeit der schon im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde aufgestellten Behauptung des Erstbeschwerdeführers, es sei der Prüfungstermin 17. September 1984 am 14. September 1984 seinem Vater bekanntgegeben worden - diese Angemessenheit nicht gewahrt gewesen, hätte doch die belangte Behörde nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, es wäre der Erstbeschwerdeführer, der mittlerweile nach X verzogen war und dort die Schule besuchte, trotz des dazwischen liegenden Wochenendes (15. und 16. September 1984) noch so rechtzeitig zu erreichen gewesen, daß er den Termin am Montag, den 17. September 1984 um 8.00 Uhr in S hätte wahrnehmen können.

Da somit die Terminisierung der kommissionellen Prüfungen von rechtlicher Relevanz war, wäre die belangte Behörde verhalten gewesen, dem Erstbeschwerdeführer gemäß § 45 Abs. 3 AVG 1950 Gelegenheit zu geben, von dem mit 2. Oktober 1984 datierten und bei ihr am 4. Oktober 1984 eingelangten Bericht des LSR, der eine von den Angaben des Erstbeschwerdeführers abweichende Darstellung über die Termine der kommissionellen Prüfungen enthält, Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen - dies umso mehr, als der Erstbeschwerdeführer in seiner mit 15. September 1984 datierten, vom LSR gleichzeitig mit dem genannten Bericht der belangten Behörde vorgelegten Eingabe ausdrücklich ersuchte, „vor Bescheiderlassung Akteneinsicht und Parteiengehör zu ermöglichen“. Da die belangte Behörde dieser Verpflichtung nicht nachkam, beruht der bekämpfte Bescheid auf einem mangelhaften Verfahren. Der aufgezeigte Verfahrensmangel ist wesentlich, da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei dessen Vermeidung - entsprechend dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen - im Wege der Verneinung der Angemessenheit der dem Erstbeschwerdeführer zur Ablegung der kommissionellen Prüfungen eingeräumten Frist zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Aus dem Vorgesagten folgt, daß die belangte Behörde (noch) nicht in der Lage war, das Nichtantreten des Erstbeschwerdeführers zu den kommissionellen Prüfungen als Verletzung der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren zu beurteilen und darauf ihre die Berufung abweisende Entscheidung zu stützen. Insoweit leidet der angefochtene Bescheid auch an einem wesentlichen Begründungsmangel.

5. Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen (II. 4.2.) war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

6. Die von den beiden Zweitbeschwerdeführern auch im eigenen Namen erhobene Beschwerde war zurückzuweisen, da in ihrer Sphäre die Möglichkeit einer Rechtsverletzung und damit die Beschwerdelegitimation fehlt. Des näheren wird hiezu auf die diesbezüglichen, auch im vorliegenden Fall ohne Einschränkung zum Tragen kommenden Erwägungen des hg. Erkenntnisses vom 2. Juli 1976, Slg. Nr. 9102/A, verwiesen (§ 43 Abs. 2 VwGG).

7.1. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich hinsichtlich der Aufhebung des bekämpften Bescheides auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 390,-- (Eingabengebühr S 240,--, Beilagengebühr S 30,--, Gebühr für die Vollmacht S 120,--) zu entrichten waren.

7.2. Hinsichtlich der Zurückweisung der Beschwerde der Zweitbeschwerdeführer gründet sich der Spruch über den Aufwandersatz auf die §§ 47, 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 und 51 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 10. Juni 1985

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1985:1984100272.X00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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