TE Vwgh Beschluss 2021/6/1 Ra 2020/05/0149

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Veröffentlicht am 01.06.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ABGB §1332
AVG §71 Abs1 Z1
COVID-19-VwBG 2020 §1 Abs1
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1
VwGG §26 Abs1
VwGG §46 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/05/0150

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über den Antrag 1. des Dr. K M und 2. der E M, beide in S, beide vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Dr. Hans Pucher, Mag. Volker Leitner, Dr. Peter Gloß und Mag. Alexander Enzenhofer, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 13. März 2020, LVwG-AV-695/002-2018, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Stadt S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: L GmbH in S, vertreten durch die Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Europaplatz 7), den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Wiedereinsetzungsantrag wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Erkenntnis vom 13. März 2020 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) die von den Antragstellern gegen die der mitbeteiligten Partei im innergemeindlichen Instanzenzug von der belangten Behörde erteilte Baubewilligung für die Errichtung eines Bürogebäudes mit Tiefgarage erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2        Dieses Erkenntnis wurde den Antragstellern am 16. März 2020 zugestellt.

3        Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2020, zur Post gegeben am 12. Juni 2020, erhoben die Antragsteller außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

4        Mit Schriftsatz vom 6. April 2021 stellten die Antragsteller den gegenständlichen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist. Begründend wird ausgeführt, die Antragsteller hätten die Einbringung der Revision noch in ihrer Stellungnahme vom 29. März 2021 zum Verspätungsvorhalt des Verwaltungsgerichtshofes als rechtzeitig verteidigt. Am 6. April 2021 sei ihnen jedoch der beiliegende Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. März 2021 (zu ergänzen: Ra 2020/11/0098) bekannt geworden. Dieser Beschluss sei in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat, demnach in einem Fünfersenat, gefasst worden. Es müsse daher eine Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegen sein, die nicht besonders einfach oder nicht durch die bisherige Rechtsprechung klargestellt gewesen sei. Daher liege hinsichtlich der vorliegenden Versäumung der Einbringungsfrist der Revision ein bloß minderer Grad des Versehens vor. Eine solche Säumnis sei einer Mehrzahl von Rechtsanwälten durch die unrichtige Auslegung des BGBl. I Nr. 16/2020, insbesondere zu Artikel 16 dieses Gesetzes, passiert.

5        Mit Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2020/05/0149 und 0150-7, wurde die Revision der Antragsteller als verspätet zurückgewiesen.

6        Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

7        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Partei, die einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist stellt, den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen. Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur im Rahmen der Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers zu untersuchen (vgl. VwGH 10.9.2020, Ra 2020/14/0230 bis 0234, mwN).

8        Nach der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs kann auch ein Rechtsirrtum (Unkenntnis von Rechtsvorschriften) einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder nur leichtes Verschulden, vorliegen (vgl. VwGH 26.4.2016, Ro 2014/03/0084, mwN).

9        Nach ständiger Rechtsprechung trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2017/06/0027 bis 0028, mwN).

10       Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter stellt in der Regel keinen minderen Grad des Versehens dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0030 bis 0031; 25.4.2017, Ra 2016/16/0094; 24.4.2017, Ra 2016/06/0095, jeweils mwN).

11       Mit dem Vorbringen, es liege nur ein minderer Grad des Versehens vor, weil noch keine einschlägige Rechtsprechung insbesondere zu „Artikel 16“ des 2. COVID-19-Gesetzes vorgelegen und einer Mehrzahl von Rechtsanwälten eine solche Fristversäumung passiert sei, machen die Antragsteller keine besonderen Umstände geltend, die einen Ausnahmefall zu der im vorangegangenen Absatz angeführten Judikatur begründeten.

12       Zwar ist es zutreffend, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine Rechtsprechung dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision iSd § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG „unterbrochen“ oder iSd § 2 Abs. 1 leg. cit. „gehemmt“ ist, doch lässt dieser Umstand iSd obigen Judikatur für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen. Vielmehr hätte der Parteienvertreter, der sich in den für die Antragsteller verfassten Schriftsätzen zur Frage der Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung lediglich auf § 1 COVID-19-VwBG gestützt hat, § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen. Der zusätzlich ins Treffen geführte Umstand, dass eine Mehrzahl von Rechtsanwälten ebenfalls die Revisionsfrist versäumt habe, lässt keine Rückschlüsse auf das allein maßgebliche Verschulden des im hier zu beurteilenden Verfahren tätigen Parteienvertreters zu.

13       Da das den Antragstellern zuzurechnende Verschulden ihres Vertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am 1. Juni 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020050149.L01

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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